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Die
Eiskalten und das Emilbäumchen
Walter Florath |
Walter Florath, Jahrgang 1925, Mitglied der KPD seit Juli 1945, Mitbegründer der SED-Gruppe an der Technischen Universität Berlin, schloß das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität als Dipl.-Ökonom ab und wurde ab 1951 im Steinkohlenwerk „Karl Liebknecht" Oelsnitz, im VEB Kühlautomat Berlin und in den VEB Elektroapparatewerken Berlin-Treptow als SED-Parteisekretär gewählt. Seit 1956 arbeitete er als Journalist für das „Neue Deutschland", den „Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst" (ADN) sowie (bis 1990) die „Aktuelle Kamera" des Fernsehens der DDR. Unser Autor war u. a. Mitglied der Wirtschaftskommission des Politbüros des ZK der SED und besitzt eine umfangreiche Kenntnis der DDR-Ökonomie. Sein nachfolgender Beitrag gewährt darüber hinaus aufschlußreiche Einblicke in die Arbeit eines initiativreichen SED-Betriebsparteisekretärs unter den komplizierten Berliner Bedingungen der Jahre 1952/1953. |
„Die Genossin Steiner weiß Bescheid. Du übernimmst ihre Funktion. In vier Wochen sind Parteiwahlen. Sieh zu, daß die Genossen Dich dann wählen!" Es war im April 1952. Die Berliner Landesleitung wollte, daß ich Parteisekretär im VEB Kühlautomat würde.
Bruno Baum, Sekretär für Wirtschaftspolitik, hatte mir die Lage erklärt: In der DDR gab es einen einzigen Betrieb, der Großkälteanlagen herstellte, Kälterichter am S-Bahnhof Warschauer Straße. Der Magistrat hatte Besitzanteile, Richter aber leitete seinen Betrieb selbst. Wir wußten, daß er einen neuen Betrieb in Westberlin aufbaute. Es war nur eine Frage der Zeit, daß er uns verlassen würde. Die sowjetischen Kunden, die Hauptabnehmer, trauten Richter nicht. Sie legten Wert darauf, mit einem volkseigenen Betrieb zusammenzuarbeiten.
Ich fragte später einmal den sowjetischen Abnahmeingenieur, wozu man beispielsweise eine Thermobarokammer brauche?
„Stellen Sie sich vor," sagte er, „ein Gerät befindet sich zunächst in einer Sphäre normalen Drucks und normaler Temperatur, dann bei schnell sinkendem Druck in rasch fallender Temperatur. Schließlich unter Druck, bei steigender Temperatur. Das kann man in der Kammer simulieren und das Gerät erproben." Ich konnte mir damals nichts darunter vorstellen. Der VEB Kühlautomat stellte noch andere Prüfkammern her, ferner Gefrieranlagen für Hochseefangschiffe, auch Kühlvitrinen für Geschäfte.
Die Genossin Steiner war Mitte vierzig. Sie war froh, daß ein anderer Genosse kam und sie ablöste. Auch ihr Mann und ihre Tochter arbeiteten im Betrieb. Die Steiners waren Westberliner. Sie hausten in Neukölln in einer Laube. Es ging ihnen nicht gut. Weil sie in der SED waren, tauschten ihnen die Westberliner Behörden nichts von ihrem Lohn in Westgeld um wie anderen Westberlinern, die im Ostsektor arbeiteten.
Es war eine unblutige Methode, um die SED in Westberlin kaputt zu machen, denn in Westberliner Betrieben fanden unsere Genossen kaum Arbeit, gab es doch im Westen genug Arbeitslose. Nicht einmal mein Stipendium von 200 Mark, das ich 1947 an der Universität erhalten hatte, konnte ich umtauschen, denn die Universität befand sich in Ostberlin und bildete eine neue Intelligenz für die sowjetische Besatzungszone aus, das wollten Amerikaner, Briten und Franzosen nicht unterstützen. So war ich 1948 auf Beschluß des Sekretariats der Landesleitung meiner Partei von Wilmersdorf nach Lichtenberg gezogen. - Ich glaube, einen geringen Betrag erhielten die Steiners von uns in Westgeld, damit sie wenigstens Pacht und Energierechnung bezahlen konnten. Alles andere, einschließlich Kohlen, kauften sie in Treptow und schleppten es nach Neukölln.
Damals, bis August 1961, existierte in den acht Stadtbezirken des Ostens offiziell die SPD. Ihre Leitung saß in der Ziethenstraße in Westberlin. Die Ziethenstraße, wie wir sagten, machte uns schwer zu schaffen. „Arbeite langsam!" lautete die Parole. Arbeite langsam, um so eher geht das Ulbricht-Regime kaputt und dann kommt die Wiedervereinigung! Wiedervereinigung, das bedeutete Westmark und Apfelsinen und Schuhe mit dicken Kreppsohlen. Dies kauften die Ostberliner in der „HO Badstraße". Die Badstraße war eine Einkaufsstraße im Westberliner Bezirk Wedding, eine S-Bahn-Station westlich vom Bahnhof Schönhauser Allee. In der HO Badstraße hatten sich die Geschäftsleute auf Ostkundschaft spezialisiert. Da gab es auch Kinos, Eintritt gegen Ostgeld, und natürlich Wechselstuben. Meist stand der Kurs eins zu vier, kletterte aber auch mal bis eins zu zehn, wenn es dem RIAS gelungen war, den Leuten einzureden, die „Befreiung der Soffjetzone", wie Adenauer das nannte, stünde unmittelbar bevor. Dann versuchte mancher, selbst wenn er nur einen Groschen für seine schwerverdiente Mark bekam, die sichere Währung zu ertauschen.
Eine Diskussion mit den Sozialdemokraten war schwierig. Die einen waren vom Antikommunismus, vom Haß auf die Russen so besessen, daß mit ihnen nicht zu reden war. Sie betätigten sich als Zuträger und Helfer des Ostbüros der SPD, dessen Tätigkeit mit sozialdemokratischer Politik, mochte diese auch antikommunistisch sein, nichts mehr zu tun hatte. Es war eine Spionage- und Sabotageorganisation. Andere waren mißtrauisch. Die Ziethenstraße hatte die Losung ausgegeben: „Mit der SED kann man nicht reden!" Das bedeutete, ein Sozialdemokrat sollte nicht mit einem SED-Genossen reden. Viele sozialdemokratische Arbeiter, und von ihnen gab es eine Menge in den Ostberliner Großbetrieben, denen das alles eigentlich nicht paßte, hielten sich aus allem heraus. Es war unmöglich, sie in eine Versammlung zu kriegen. Unsere Genossen waren auf ihre sozialdemokratischen Kollegen nicht gut zu sprechen, und so hatte sich das Verhältnis verhärtet, besonders seit dem UGO-Putsch. Die UGO, Unabhängige Gewerkschaftsopposition, hatte sich in Westberlin vom FDGB, der zunächst in ganz Berlin zugelassen war, abgespalten und einen S-Bahn-Boykott organisiert. Die Bahn fuhr nicht, viele Arbeiter gelangten nicht in ihre Betriebe.
Von Seiten der Landesleitung der SED von Groß-Berlin und den Kreisleitungen gab es keinerlei Hinweise, wie wir uns gegenüber den sozialdemokratischen Arbeitern verhalten sollten. Zentralkomitee und Landesleitung befaßten sich ausschließlich mit der Politik der SPD in Bonn und der Ziethenstraße.
„Habt ihr auch Sozialdemokraten im Betrieb?" fragte ich Gertrud Steiner, als sie mich am Werktor empfing.
„Ja, da ist der Lange in der Klempnerei und dann wohl noch der und der ..."
„Gut, da gehen wir gleich hin."
Lange war ein großer, finsterer Kerl. Er hatte eine mächtige Blechschere in der Hand, als ich mit Gertrud in die Werkstatt kam.
„Guten Tag, Genosse Lange. Ich bin der neue Parteisekretär. Ich hoffe, daß wir, die Sozialdemokraten und die Genossen der SED, gut zusammenarbeiten werden. Schließlich wollen wir doch beide den Sozialismus."
Lange war so verblüfft, daß er nur stotterte: „Na ja, na gut, na guten Tag denn!"
„Das freut mich", sagte ich, „wenn Du irgend etwas hast, ich bin immer für Dich zu sprechen."
Tagelang ging ich von einem Meisterbereich zum anderen. Auf dem Karl-Liebknecht-Schacht, dem Steinkohlenwerk in Oelsnitz mit seinen 7.000 Bergleuten war es unmöglich gewesen, jeden einzelnen zu kennen. Der VEB Kühlautomat hatte 700 Beschäftigte, hinzu kamen 300 Lehrlinge, Ausbilder und Berufsschullehrer der zentralen Ausbildungsstätte für die Treptower Metallindustrie. Ich war etwas gekränkt gewesen, daß die Landesleitung mich in einen so kleinen Betrieb geschickt hatte, aber ich sagte mir, ich werde zeigen, was ich kann und nahm mir vor, jeden Kollegen persönlich kennenzulernen. Bevor ich in einen Meisterbereich ging, erkundigte ich mich, wer dort den Ton angab, gleich, ob es ein guter oder schlechter war. Die Leute, die auf andere Einfluß hatten, zu denen wollte ich Kontakt herstellen! Sind sie anständig, werden wir sie für uns gewinnen, sind sie unzugänglich, müssen wir ihre Autorität abbauen, sie isolieren und andere, ehrliche Leute, mit denen eine Diskussion lohnt, in den Vordergrund rücken.
Die Kollegen, die das Wetter machten, begrüßte ich als erste. In der mechanischen Werkstatt war Harry der Wettermacher. Etwa so alt wie ich, war Harry ein typischer Berliner Metallarbeiter. Sehr tüchtig, ausgebufft beim Errechnen seines Lohnes, alle gewerkschaftlichen Rechte kennend und für sich ausnutzend, mit großer Klappe begabt, nicht ablehnend aber auch mißtrauisch und immer auf der Hut. Harry trug stets einen ganzseitigen Artikel des Chefredakteurs des ND, Rudolf Herrnstadt, über die Kollegen „Tschau und Brumme" in der Tasche, in dem die Rechte der Gewerkschaftsvertrauensleute detailliert geschildert waren. Der Artikel war notwendig geworden, damit in den Betrieben die Rechte der Gewerkschaften ernst genommen wurden, aber er war auch ein bißchen so gehalten, daß man ihn gegen den Werkdirektor auslegen konnte, was in der Natur der Sache lag. Es gab nun einmal Widersprüche zwischen den Interessen der Arbeiterklasse als ganzes, also den gesellschaftlichen Interessen, die der Werkdirektor zu wahren hatte, den Interessen von Teilen der Klasse - den Betriebsbelegschaften - sowie den Interessen der einzelnen Arbeiter. Letztere verfocht Harry, immer mit der schon mürben, zerfallenden ND-Seite herumfuchtelnd. Aber Harry hatte auch seinen Facharbeiterstolz. Wenn ich mich besorgt an ihn wandte, weil ein Liefertermin in Gefahr war, da irgend ein kompliziertes Teil nicht rechtzeitig fertig wurde, schimpfte er gewaltig auf die dämlichen Ingenieure, die ihr Geld umsonst bekamen und nahm sich der Sache an. Später, als es um die Normerhöhung ging, bewies mir Harry unwiderlegbar, daß die Normen überhaupt zu hoch und kaum zu schaffen waren. Da sagte ich ihm, daß ein angelernter Bohrer, ein Genosse, bereit sei, seine Norm zu erhöhen. Das wurmte Harry, und nun bewies er, welche Reserven noch vorhanden seien. So schafften wir die Normerhöhung in der Mechanischen ohne Konflikte.
Im Werkzeugbau ging ich immer zuerst zu Max Trosin. Max war schon über sechzig, ein Könner. Wie es ihm zukam und wie es bei Werkzeugmachern üblich ist, hatte er den besten Arbeitsplatz gleich vorn am Fenster. In der zweiten Reihe, in der Mitte des Raumes standen die Werkbänke der nicht so erfahrenen Werkzeugmacher, an der fensterlosen Innenwand befanden sich feine Drehbänke, Shappings, Bohr- und Fräsmaschinen. Max baute in Handarbeit nach Skizzen des Technischen Direktors die kompliziertesten Teile und Werkzeuge. Der TD hatte einen neuen Kompressor entwickelt, einen Sternkompressor, bei dem die Zylinder nicht in Reihe aufrechtstanden, wie bei den gebräuchlichen Kompressoren, sondern axial um eine kurze Welle angeordnet waren. So einen Verdichter könne man nicht bauen, dafür fehlten die Meßwerkzeuge, hatte der Meister der mechanischen Werkstatt erklärt. Der erste Versuch ging auch schief. Der Kompressor drehte sich nicht. Genosse Max Trosin übernahm die Verpflichtung, zum 1. Mai 1953 einen Sternkompressor zu bauen. Er störte den Meister, weil er andauernd kam, die Dreher, Fräser, Bohrer von ihren Maschinen wegschubste und jedes Teil selbst herstellte. Dann schaffte Maxe die Teile in die Schweißerei. Der Meister war willens, ihm zu helfen, aber: „Weg, Du Pfuscher, da laß' ich doch niemanden ran!", sagte Max. Tiefbeleidigt zog der Meister ab.
Maxens Kompressor kam am 26. April auf den Prüfstand und lief und lief und lief. Max Trosin wurde der erste Aktivist des VEB Kühlautomat.
Der zweite war der Maler Walter Milda. Die Maler waren vor allem dafür da, die fertig montierten Anlagen anzustreichen. Aber sie renovierten auch die während des Krieges völlig heruntergekommenen Räume des Betriebes. Die Maler waren unzufrieden mit der Norm. So viele Quadratmeter am Tage seien nicht zu schaffen! Walter Milda lachte. „Nicht zu schaffen? Arbeiten muß man!" Er schaffte das Vierfache der Norm. Die anderen Maler knurrten. Der schnelle Maler war kein Kommunist. Er interessierte sich nicht für Politik, war nur schwer zu bewegen gewesen, in die Gewerkschaft einzutreten. Er gehörte zu jenen nicht seltenen Arbeitern, die einfach arbeiten müssen, egal, mit welchem Ziel, zu welchem Zweck. Walter Milda war einverstanden, die Norm seiner Leistung anzunähern.
Der dritte Aktivist wurde Paul Krüger. Er war schon über fünfzig. Paul stammte aus Ostpreußen, war Tischler auf einem Gut gewesen. Er sprach nicht, höchstens ja, nein, Morjen, Mahlzeit. Wenn ich zu ihm kam, hörte er keine Sekunde auf zu hobeln, blickte nicht auf, antwortete nicht. Weiß man denn, was dabei herauskommt, wenn man sich mit der Obrigkeit einlaßt, egal, ob Gutsherr, Inspektor, Werkdirektor oder Parteisekretär! Paul Krüger war noch ein Knecht. Als ihm der BGL-Vorsitzende unter dem Beifall der Kollegen die Aktivistennadel ansteckte und den Umschlag mit der Prämie überreichte, zog Paul Krüger die Mütze und machte eine Verbeugung. Dann sprach er: „Ich dank auch schon recht vielmals!" Die Gelegenheit ließ ich mir nicht entgehen. Ich sagte, daß nicht Paul Krüger uns, sondern wir ihm zu danken hätten. Solche Arbeiter wie er, wie Walter Milda und Max Trosin seien es, die am meisten dazu taten, daß wir endlich aus den Trümmern hinauskamen, die Grundlagen des Sozialismus schaffen wurden, wie die 2. Parteikonferenz beschlossen hatte!
Jahre später, als ich mal wieder in den Betrieb kam, besuchte ich auch Paul Krüger. Er legte den Hobel hin, setzte die Brille ab und musterte mich: „Bist Du nicht der Florath? Biste jetzt beim Neuen Deutschland? Ich lese das immer, was Du schreibst, ist ganz interessant." Ich fühlte mich geschmeichelt. Dann erzahlte er mir, daß seine Frau wegen ihrer Augen in der Charite in Behandlung sei. „Doll, was die da alles für Sachen haben und was die alles mit ihr machen!"
Ich erkundigte mich nach einem jungen Tischler, der seinerzeit als Arbeitsnormer gearbeitet hatte. „Ja, der ist nicht mehr hier", sagte Paul, „weißt Du, dem ist einer so dämlich gekommen, daß ihm die Hand ausgerutscht ist, hat dein eine reingehauen. Er hatte eigentlich recht, aber Hauen geht nun mal nicht, da mußte er gehen. Schade, weiß nicht, was er jetzt macht."
Die Auswahl unserer ersten Aktivisten erwies sich als gelungen. Der ausgezeichnete Metallarbeiter, der geschickte Tischler, dem man alle Messemodelle anvertraute, der schnelle Maler, beide parteilos, wurden von allen respektiert, aiuch wenn der Maler wegen seiner Normenbrecherei angefeindet wurde und Maxe ständig mit vielen Kollegen, Meistern, Ingenieuren im Streit lag, weil er sie wegen ihrer politischen Ruckständigkeit oder wegen schlechter Arbeit beschimpfte. Es war schwer, seinen Ansprüchen zu genügen.
Max pflegte sich in der Frühstückspause das ND zu langen und: „Hör mal zu, Du Pfeife, hier steht die Wahrheit drin, die kommt nicht vom RIAS!", manchem zum Ärger daraus vorzulesen. Max stand in der Liste für die neue Parteileitung ganz obenan. Ebenso Hermann Seiler, der Maschinenschlosser, ein Mann um die fünfzig, dem die Instandhaltung des Maschinenparks anvertraut war. Hermann blickte ein wenig auf die Maschinenarbeiter herab: „Wir Handwerker", so leitete er häufig seine Ausführungen ein, „wir Handwerker meinen, das muß man so machen ..."
Hermann las viel, interessierte sich brennend für unsere Politik, diskutierte, stritt sich mit allen herum. Wenn mal alle seine Maschinen liefen, rannte er durch den Betrieb, suchte mich und erzählte mir, worüber er gerade mit seinen Kollegen diskutiert und was er auf diese oder jene Frage geantwortet habe. Ich hielt überhaupt nichts davon, formal Agitatoren zu ernennen. Ich meinte, Agitatoren müßten ein spezielles Talent besitzen, mit Menschen zu reden, auf sie einzugehen, sich in ihr Denken hineinzuversetzen. Drei, vier Genossen, die das konnten, mit denen man sich speziell befaßte und ihnen Anregungen gab, brachten mehr zustande, als wenn jeder zehnte zum Agitator ernannt worden wäre, wie später gefordert wurde.
Wenn ich mich recht erinnere, war die Parteiorganisation im VEB Kühlautomat klein, 61 Genossen. Die meisten waren jedoch willens, sich den komplizierten, vielfältigen Aufgaben der Parteiarbeit zu stellen. Es war damals sehr schwierig, Kandidaten zu gewinnen. Selbst Arbeiter, die für uns waren, mochten nicht in die SED eintreten, weil sie Ansprüche fürchteten, die damit verbunden waren, die Pflichten, auch die Anfeindungen von Seiten vieler Kollegen. Und dann waren die meisten jungen Männer Soldat gewesen, viele Feldwebel, auch Offiziere. Es war nicht so, daß unsere Partei nicht auch ehemalige Feldwebel, mit oder ohne Eisernem Kreuz, aufgenommen hätte, aber man mußte schon ein bißchen aufpassen, daß die Zusammensetzung einer Parteiorganisation nicht der einer Wehrmachtskompanie glich, sonst hätten sich Töne und Tendenzen, wie sie vom Genossen Linde, dem Kaufmännischen Direktor, kamen, breit gemacht. Linde, Sohn eines kleinen Unternehmers, war Oberleutnant gewesen. Er ging später in den Westen.
Ein anderer Fall war Gamkow, jener junge Tischler, der Arbeitsnormer. Ich wollte ihn für die Kasernierte Volkspolizei werben. Es gab noch keine Nationale Volksarmee, die KVP unter dem Spanienkämpfer Heinz Hoffmann erfüllte ähnliche Aufgaben. Ihre Gründung war wegen der Schaffung der EVG der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft", der Remilitarisierung der BRD notwendig geworden. Die Parteiorganisationen waren verpflichtet, eine bestimmte Anzahl Arbeiter für die KVP zu gewinnen. Jeden Monat kam ein Major, fragte, wie weit ich wäre, redete dann selbst mit den jungen Männern, mit denen ich schon gesprochen hatte. Auch mich wollte er werben, ich sei der richtige Mann für die im Aufbau begriffene Hauptverwaltung Feuerschutzpolizei im Innenministerium! Als Junge wäre ich gern Feuerwehrmann geworden, aber nun nicht mehr. Ich konnte nicht ablehnen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß ich ausschließlich Westverwandtschaft hätte. Er verzichtete. - Mit Gamkow konnte man reden. Er machte die unbeliebte Arbeit des Normers ausgezeichnet. Ruhig und bestimmt bewies er den Tischlern, welche Leistung man billigerweise verlangen konnte. Wenn einer mit ihm stritt, machte er dem Arbeitsgang vor, meist in kürzerer Zeit, als er für die Norm errechnet hatte. Er war ein großer, kräftiger Mann in meinem Alter.
„Ich weiß schon, was Du von mir willst", sagte er. „Ich soll zur KVP. Daraus wird nichts, ich war bei der Waffen-SS!" Gamkow war Jahrgang 1924, jener Jahrgang, der für Einberufungen zur Waffen-SS reserviert worden war. Während die SS bis 1942 nur Freiwillige nahm, zog sie danach auch Leute ein, wie die Wehrmacht, um ihre ungeheuren Verluste zu ersetzen. In späteren Jahren hat unsere Partei, getreu ihrem Grundatz, die Jugend nicht dafür büßen zu lassen, daß sie den Nazis auf den Leim gegangen war, nach gründlicher Prüfung, vereinzelt auch Waffen-SS-Angehörige des Jahrgangs 1924 und jünger aus den Frontdivisionen aufgenommen. Aber zur KVP konnte Gamkow damals nicht.
Gut", sagte ich, „sehe ich ein. Aber Du könntest morgen mit zur Demonstration nach Westberlin mitkommen!"
Zu jener Zeit organisierte die Landesleitung solche Demonstrationen, wofür oder wogegen weiß ich nicht mehr. Die Demonstrationen wurden von der Westberliner Polizei, nach ihrem sozialdemokratischen Präsidenten Stumm „Stupo" genannt, aufs brutalste zusammengeknüppelt. Die Schläge mit dem langen Eichen- oder Buchenholzprügel taten sehr weh. Das war bekannt.
Gamkow runzelte die Stirn.
„Wenn Du Angst hast..."
„Ich komm schon mit".
Wedding. Auf dem Bürgersteig unsere Genossen. Die Fahrbahn ist leer. Nur Überfallwagen der Stummpolizei patrouillieren. Hermann Broschies, ein Mitarbeiter der Landesleitung, springt auf die Fahrbahn, schreit eine Losung, die niemand versteht. Wir alle auf die Straße, fest zusammenhaltend. Die Stupo runter von den Wagen, knüppelt auf uns los. In dieser Polizei waren solche, wie Gamkow es gewesen war, bei dieser Polizei nahm man sie gern. Immer mehr hatte man antifaschistische Arbeiter, die nach 1945 auch in Westberlin zur Polizei gekommen waren, hinausgedrängt. Die Knüppel der Stupo krachten auf vorgehaltene Unterarme, Schulterblätter, Schädel. Platzwunden, Blut fließt, Zusammenbrechende werden mitgeschleift. Ich halte mich dicht an Gamkow. Der geht ruhig, alle überragend weiter. Die Stupos tun ihm nichts, mit dem großen Kerl wollen sie nicht anbinden.
Sektorengrenze! Auf der westlichen Straßenseite die Stupo, auf der anderen Seite in Blau, die Volkspolizei. Die Stupos bilden eine Gasse, durch die sie uns in den Ostsektor hinüberprügeln. Ich ducke mich, halte mich an Gamkow. Der kriegt jetzt auch was ab, aber nicht so schlimm, er ist zu groß. Der letzte Stummpolizist! Er steht etwas frei! Sofort stoßen, schieben, hauen ihn einige Genossen hinüber, in unseren Sektor. Da kriegt er alles ab, was Leute, auf die man seit einer halben Stunde eingedroschen hat, nachzuholen haben. Die Volkspolizisten retten den Stupo.
„Ick hätte nicht jedacht, dett die so jemein sind", sagt Gamkow.
„Übermorgen noch mal", sage ich.
„Ohne mich!"
„Wenn man nicht weiß, wie's ist, ist es leicht Mut zu beweisen. Wenn man's weiß und trotzdem mitmacht, dann hat man eigentlich erst Mut!"
„Na gut, ich komme."
Diesmal erwischt es Gamkow. Erst die Dresche. Dann zwanzig Mann in eine überheizte Zelle gesperrt. (
„Wasser!"
„Da habt Ihr Wasser!"
Die Stupos haben ein C-Rohr angeschlossen. Eiskalt stößt der Strahl auf die Schwitzenden.
„Und dann haben sie uns nachts in den Tegeler Forst gefahren. Wußten überhaupt nicht, wo wir waren. Bei Velten sind wir schließlich rausgekommen, naß, bei der Kälte! Hatte nie gedacht, dett die so jemein sind!"
Gamkow beginnt, sich für Politik zu interessieren. Wir schicken ihn auf eine Gewerkschaftsschule.
„Hast Du dett jewußt? Dialektischer Materialismus und so? Mensch, dett is toll!"
Ich mache mir einen Spaß und zeige ihm Stalins Schrift „Über den Wert von Straßendemonstrationen": „Die Peitsche der Kosaken tanzt mit demokratischer Gleichheit über Demonstranten und Zuschauern und macht so aus Unbeteiligten Beteiligte".
„Du bist ja ein ganz ausgebuffter Hund", lobt Gamkow.
Die Parteiorganisation muß wachsen! Wieder haben wir einen Genossen abgegeben, wir waren nicht nur Zulieferer für die KVP, auch für den volkseigenen Einzelhandel, für Aufgaben in der staatlichen Verwaltung, für die im Entstehen begriffenen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, für die Maschinen-Ausleihstationen, die Vorläufer der MTS, galt es Genossen zu gewinnen. Ein alter Metallarbeiter aus Schlesien meldete sich begeistert, LPG-Vorsitzender zu werden. Einerseits war ich froh, daß so ein verläßlicher Genosse geht, andererseits kann ich es nicht verstehen. Ich habe keine Beziehung, kein Gefühl fürs Dorf. Aber er freut sich! „Eigentlich wär' ich schon immer gern Bauer geworden. Aber wir hatten nichts. Ein winziges Häusel. Zwei Morgen für Kartoffeln und Gemüse. Da bin ich Grubenschlosser geworden. Meine Frau wird sich freuen!"
Ich bilde einen Parteilehrjahrszirkel, wie er eigentlich nicht statthaft ist, nur mit Lehrlingen, 16 bis 18 Jahre alt, alle parteilos. Sie hatten vom Schmutz des Faschismus kaum mehr etwas abbekommen. Sie waren nicht mehr in der Hitlerjugend gewesen. Krieg - das waren für sie nicht die fröhlichen Siege in Polen und Frankreich, sondern Bombennächte, Kinderlandverschickung, Hungern und Frieren in den ersten Nachkriegsjahren. Eine neue Generation.
Geschichte ist dran. „Womit begann der zweite Weltkrieg?"
„Mit dem Überfall auf die Sowjetunion!"
Es verschlagt mir erst mal die Sprache. Ich lege das Parteilehrjahrsheft weg und erzähle. Das gefällt den Jungen und den drei Madchen, das ist spannend!
Nach einiger Zeit fragt der erste, ob er nicht Kandidat werden könne. Ich blicke streng, mustere ihn:
„Und wie steht es mit der Lehre?"
Er ist verlegen: „In der Werkstatt sehr gut, in der Berufsschule wohl so zwei bis drei."
„Kommt überhaupt nicht m Frage! Eins bis zwei ist das Mindeste! Sonst sagen die anderen, der geht in die SED, damit er was werden kann!"
Die Jungen geben sich ungeheure Mühe. Sie werden besser, bilden den führenden Kern in der Lehrwerkstatt, lassen kein dummes Gerede mehr zu, treten in die GST ein.
Gesellschaft für Sport und Technik! Das ist was! Motorradfahren, mit dem Luftgewehr schießen! Die Jungen haben keine Bedenken, ein Gewehr anzufassen, sind nicht mit den bösen Erinnerungen belastet, wie es ist, für eine schlechte Sache eine Waffe zu tragen. Auch die Mädchen machen mit. Eine sitzt auf der BMW aus Eisenach, als ob sie mit ihr verwachsen wäre. Ruhig und sicher braust sie über die kaputten Straßen Berlins.
Anfang 1953 werden Manfred Jüterbog, Harald Hohlin, Helga Kulitz und andere Kandidaten. Nun sind wir 72 Genossen. Manfred wird später Offizier der Grenztruppen, Harald FDJ-Sekretär von Bergmann-Borsig, dann Sekretär der Urania Helga Kulitz ist klein, schmal, mit großen blauen Augen. Sie lernt Maschinenschlosser.
Hermann Seiler regt sich auf:
„Das ist ein schwerer Beruf! Wie kann man sone Püppi das lernen lassen! Die kann doch die schweren Maschinenteile gar nicht heben'"
Hermann hat recht. Wir übertreiben es mit der Gleichberechtigung. Manche Berufe sind wirklich nichts für Frauen, aber Helga ist ungewöhnlich energisch. Sie steht das durch, wird später Technologe.
Erich Lichy will nicht Kandidat werden. Er leidet darunter, daß er Feldwebel war, hat Gewissensbisse Ich rede ihm zu, aber Erich, Tischler von Beruf, hat eine hohe Meinung von der Partei. Er ist BGL-Vorsitzender, er ist unermüdlich, reibt sich auf, muß sich oft mit mir aussprechen.
„Die Leute sind unbelehrbar!"
„Erich, Du hast Dich doch auch geändert, hast nachgedacht, Deine Lehren gezogen!"
Erich meint, das sei etwas anderes.
„Sicher. Du hast eher nachgedacht, bist früher zu neuen Erkenntnissen gekommen, bei anderen dauert das länger."
„Glaub mir, ich war nie so'n Feldwebel, so'n Schinder".
„Ich glaube es Dir. alles, was Du tust, beweist das. Wir vertrauen Dir
doch, Erich!"
Nicht alle vertrauen ihm, obwohl sie ihn gar nicht kennen. In der Kreisleitung gibt es Mitarbeiter, die mich kritisieren, weil Kühlautomat einen parteilosen BGL-Vorsitzenden hat, einen Zwölfender, einen Berufssoldaten, der sich zu zwölfjährigem Dienst m der Wehrmacht verpflichtet hatte!
„Führende Rolle der Partei ist nicht damit gleichzusetzen, daß alle Funktionen in den Massenorganisationen mit Genossen besetzt sind! Entscheidend ist, ob die Gewerkschaft im Sinne unserer Politik arbeitet! Und das tut die BGL!"
Ernst Packhäuser, der zweite Sekretär der Kreisleitung, beschwichtigt meine Gegner.
„Florath ist der Sekretär und damit verantwortlich im Kühlautomat. Wenn die Arbeit mit Lychi gut lauft - wer hat etwas dagegen7! Und wenn ich richtig informiert bin, ist der Grad der gewerkschaftlichen Organisiertheit in Kühlautomat von allen Treptower Betrieben am höchsten."
Die Stärkung der Gewerkschaft hatte die Parteileitung zur wichtigsten Aufgabe gewacht. Alle Genossen haben Aufträge, wen sie für die IG Metall gewinnen sollen. Inzwischen sind 95 Prozent Mitglied geworden. Bei solchen Gesprächen geht es um alles, um die Versorgung, wann wohl endlich die Stromsperren aufhören werden, um die Einheit Deutschlands, warum man nicht in Westberlin einkaufen darf - mit meinem Geld kann ich machen, was ich will - um die Normen, die Lohngruppen und soll man sein Kind mit ins Ferienlager fahren lassen oder besser nicht?
Zum ersten Mal fahren im Frühjahr etwa dreißig Kinder nach Thüringen, ins Ferienlager, mit einem LKW des Betriebes, den wir mit Holzbänken ausgestattet hatten. Erst wollten gar nicht so viele Kollegen ihre Kinder mitschicken. Da sagte ich, wenn die Frauen, die mitführen, meinen Sohn mitnehmen würden - er war schon sechs Jahre, ging aber noch nicht in die Schule, und das war die Voraussetzung für die Teilnahme am Ferienlager - dann würde ich mich sehr freuen, denn offensichtlich blieben ja noch Plätze frei. Das sprach sich rum: Wenn der Parteisekretär son'n Kleenen mitläßt, kann es ja wohl nicht so gefährlich sein. Also bekamen wir unser Feriendorf voll.
Gewerkschaft, Ferienlager - die Genossen müssen für ihr Gespräch was Konkretes haben. Schließlich kann man nicht jemanden anquatschen: „Hör mal zu, ich will Dir jetzt mal was über die Politik der SED erzählen!"
Daher warben wir Abonnenten für das ND. Auch dabei kommt das Gespräch auf alles. Die Zahl der Abonnenten stieg schnell, ich interessierte mich auch dafür, wer es wieder abbestellte. Es waren wenige, mit ihnen blieben wir im Gespräch, ohne etwa Druck auszuüben.
Die meisten Abonnenten warb Konrad Simmert. Er war Dreher gewesen, jetzt Kaderleiter. Ich hatte von ihm viel über die Arbeitsprozesse, die Lohnabrechnung, überhaupt über die Gewohnheiten der Metallarbeiter gelernt. Konrad war ein ruhiger, freundlicher Mann, er spielte sich nicht als Vorgesetzter auf. Trotzdem entband ich ihn von der Aufgabe des ND-Werbens, als mir klar wurde, daß mancher abonnierte, weil der Kaderleiter ihn dazu aufforderte. Die Genossen sind weiter eifrig bei der Sache, in allen Meisterbereichen, auch im Einkauf und im Absatz, sogar im Konstruktionsbüro gewinnen wir Abonnenten. Nur in die Großkälte, wo die Anlagen montiert werden, will niemand gehen. Dort gibt es keinen Genossen, dort sind mehrere nicht gewerkschaftlich organisiert, einige Westberliner arbeiten da.
Die Westberliner sind ein Problem. Die Arbeitslosigkeit im britischen, französischen und amerikanischen Sektor war hoch, die Leute waren froh, wenn sie bei uns eine Stelle fanden. Aber wenn sie in Westberlin einen Teil ihres Verdienstes umgetauscht haben wollten, durften sie sich nicht im kommunistischen Sinne betätigen. Übernahme einer Gewerkschaftsfunktion konnte Ausschluß vom Lohnumtausch bedeuten, Mitgliedschaft der SED sowieso. So hielten sich die Westberliner aus allem heraus, sie wurden zu einem Hindernis für die politische Entwicklung. Sie störten auch die Diskussion mit den Arbeitern, die bei uns zu Hause waren, einfach durch ihre Anwesenheit. Wußte man denn, was der Westberliner wem über die politische Tätigkeit seiner Ostkollegen berichten würde? Spitzelei, Zuträgerei für diverse Westberliner Organisationen des kalten Krieges waren an der Tagesordnung, da gab es die Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit, eine üble Agententruppe, den Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen, der sich auf Intellektuelle und Ingenieure spezialisiert hatte, diverse Ostbüros, nicht nur der SPD ... Wenn man seine Verwandten und Bekannten in Westberlin besuchte, wollte man ihnen keine Schwierigkeiten machen, indem man sich zu sehr, zu auffällig für die DDR engagierte. Jede auch noch so unverbindliche Bekundung für die DDR, gar für die SED wurde vom RIAS als Unterstützung, als Zuträgerei für ein Terrorregime ausgelegt. Vielleicht bekam man selber noch Schwierigkeiten, wenn man mal nach Neukölln oder Kreuzberg fuhr? Also besser schweigen, auf Distanz gehen, wenn einer von den Westberlinern dabei sitzt.
Da niemand von uns mit den Monteuren der Großkälte Kontakt gewann, nahm ich eines Tages eine Tasse und meine Stullen und ging in der Frühstückspause zu ihnen.
„Die Eiskalten. Eintritt unerwünscht!", hatten sie an die Tür zu ihrem Frühstücksraum geschrieben.
„Morgen."
„Morgen."
„Habt Ihr noch 'n Topp Kaffee für mich?"
Die Eiskalten waren völlig überrascht. Sie wußten nicht, was sie sagen sollten. Einer nickte. Ich goß Malzkaffee, den ich widerlich fand, in meine Teetasse, biß von meiner Stulle ab. Auf dem Tisch lag der „Telegraf, die am meisten verbreitete Zeitung Westberlins in jenen Jahren, mit sozialdemokratischer Orientierung, Herausgeber Arno Scholz, einer der übelsten Antikommunisten, den die SPD hervorgebracht hatte.
Das Blatt fabrizierte eine wöchentliche Beilage, die „Tarantel", etwa vom Niveau des „Stürmer", jenes Nazihetzblattes, das der nach dem Krieg hingerichtete Nürnberger Gauleiter der NSDAP Streicher herausgegeben hatte, bloß ohne Antisemitismus. An Stelle der Juden waren jetzt Russen und deutsche Kommunisten die „Untermenschen".
Ich las einen Kommentar des Telegraf vor, kommentierte ihn meinerseits. Niemand sagte etwas.
Etwa einen Monat machte ich Frühstückspause bei den Eiskalten. Zerpflückte den Telegraf, nahm mir jede antikommunistische Gehässigkeit vor, widerlegte, bewies, argumentierte. Allmählich schmolzen die Eiskalten dahin. Sie begannen mitzudiskutieren, entwickelten unterschiedliche Standpunkte. Darum ging's! Es ist unmöglich, gegen einen geschlossenen Block von Schweigen, Ablehnung, Desinteresse anzugehen.
„Aber die Stromsperren, das mußte zugeben, die sind Scheiße. Ich wohne in Wildau. Wenn ich morgens aufstehe, isses duster, wenn ick nach Hause komme, isses wieder duster. Das ist doch keen Leben, sieben Jahre nach 'm Krieg!"
Der das sagte, hatte am meisten zu schimpfen. Mit ihm unterhielt ich mich am liebsten. Er meinte es nicht böse. Seine Schimpferei war Unzufriedenheit mit dem schweren Leben der Nachkriegszeit. Er mußte lernen, wer es zu verantworten hatte und wie man damit fertig werden konnte.
„Sieh mal, ich habe noch ein Päckchen Rotbart-Rasierklingen. Wenn die alle sind, womit soll ich mich dann rasieren? Mit dem Zeug, das Ihr herstellt? Damit kann man sich nicht rasieren, entweder gehen die Haare nicht ab oder die ganze Haut kommt mit runter!"
Mehling war ein alter, ausgezeichneter Metallarbeiter. Er beurteilte uns danach, ob wir in der Lage waren, den Arbeitern mehr zu bieten als der Kapitalismus vor dem Krieg, und das eigentlich zu recht! Doch dem standen entgegen Kriegszerstörungen Reparationen, Demontagen, die nicht die Kommunisten verschuldet hatten. Aber das vermochte Mehling nicht zu erkennen, auch wollte er es wohl nicht so recht.
„Und weils hier keine vernünftigen Rasierklingen gibt, muß ich sie mir im Westen kaufen. Neulich, als ich zurückkam, mit Apfelsinen, hat die VOPO mir die weggenommen. Kann ich mit meinem Geld nicht kaufen, wo ich will?"
„Nein, Westberlin ist nicht 'wo ich will', mit unserer Währung kann man nicht machen, was man will. Wenn man sie in Westberlin umtauscht, verstößt das gegen unsere Gesetze, und wenn man dabei erwischt wird, muß man die Folgen tragen. Wir haben Berlin nicht gespalten, die da drüben haben eine andere Währung eingeführt, 1948, so ist das gekommen, das weißt Du selber."
„Aber wenn ich Apfelsinen brauche, muß ich sie eben in Neukölln kaufen, hier gibts ja keine. Meine Tochter ist schwanger, die braucht Vitamine."
„Meine Kinder brauchen auch Vitamine, die kriegen geriebene Mohrrüben!"
„Aber Dein Genosse Linde hat Schuhe aus der HO Badstraße!"
„Leider. Doch nicht Linde ist Parteisekretär, sondern ich! Sieh Dir meine Schuhe an! Sind die aus der Badstraße?"
Einer von den Jüngeren sagte leise zu seinem Nebenmann: „Konsequent isser!"
Die Konsequenz auch in den kleinen Dingen des Alltags war allerdings ein wesentlicher Faktor, der über den Einfluß des Parteisekretärs entschied. Es ist unmöglich, auf einmal, mit einem Appell, einer Versammlung Menschen umzuwandeln, sie aus alten, für sie selbst verderblichen Anschauungen zu lösen. Vieles von dem, was die Partei tut, tun muß, ist kompliziert, nicht ohne eine bestimmte politische Erfahrung verständlich, weil das Leben, der politische Kampf nun mal nicht einfach, sondern widersprüchlich, verwickelt, schwer überschaubar sind. So kann der Kommunist meist nicht auf Anhieb verständlich machen, daß sein Wollen im grundsätzlichen Interesse jedes Arbeiters liegt, denn dieses Interesse ist oft nicht leicht zu verstehen, und es läßt sich nicht sofort, sondern meist nur mittelbar, in längeren Zeiträumen realisieren.
„Guten Stahl für Rasierklingen kann's erst geben, wenn es mehr Roheisen gibt. Aus dem Ruhrgebiet bekommen wir kaum noch was. Auch wegen Deiner Rasierklingen bauen wir das Eisenhüttenkombinat Ost! Und damit wir Turbinen bauen können, für Kraftwerke, damit die Stromsperren aufhören. Anders geht es nicht, es braucht Zeit. Muß ich Euch erzählen, wie schnell ein Haus zerbombt ist und wie lange es dauert, es wieder aufzubauen?"
Der Telegraf ist längst nicht mehr Hauptthema unserer Debatten. Als ich wieder einmal nach ihm greife, um nun schon mit Ironie und Schärfe den täglichen antikom-munistischen Quatsch zu kommentieren, sagt einer:
„Is ja gut. Das wissen wir
nun schon."
Sofort fasse ich nach.
Schön! Aber dann wollen wir uns einigen! Das Blatt bleibt künftig weg. Ich will es picht mehr sehen, einverstanden?"
Alle nicken, bis auf den Besitzer. Der packt es widerwillig in seine alte Aktentasche.
Am Tag darauf bringe ich das ND mit, lese daraus vor, erkläre, antworte auf Einwände. Die Zeit des Reagierens auf Fragen ist vorbei, es beginnt die Zeit, da die Monteure anfangen, sich mit unserer Politik zu beschäftigen. Eines Tages sagt der Junge: “Der hat wieder den Telegraf mit!"
Ich sage dem Werkschutz Bescheid. Taschenkontrolle.
,Suchen Sie sich eine Arbeit da, wo der Telegraf gedruckt wird. Da können Sie ihn in der Pause lesen, oder Sie könnten das ND mitnehmen, wie wär's denn?"
„Den hättet Ihr längst rausschmeißen sollen, der hat das rangeschrieben: Eintritt unerwünscht!"
Ich lache: „Ich find's besser, daß Ihr ihn rausgeschmissen habt!"
Besonders schwer war es, mit den Ingenieuren ins Gespräch zu kommen. Mit einem, zu dem ich allmählich ein gewisses Vertrauensverhältnis hergestellt hatte, sprach ich einmal ganz direkt, um zu sehen, wie er reagieren würde und um danach meine Arbeit mit den Ingenieuren einzurichten.
„Warum arbeiten Sie eigentlich nicht richtig?"
Er erschrak. Damals lag der Vorwurf, Sabotage zu treiben, in der Luft. Teils gab es wirkliche Schädlingstätigkeit, teils hatten viele unserer leitenden Genossen noch nicht genug Sachkenntnis und Erfahrung, um zu unterscheiden, ob bei einer Neuentwicklung ein schwer vermeidbarer Irrtum passiert war oder ob uns jemand hatte reinlegen wollen.
„Wie meinen Sie das? Ich tu meine Pflicht, Sie können mir nichts vorwerfen!"
„So meine ich das nicht. Ich bin davon überzeugt, daß Sie korrekt arbeiten. Aber mehr eben auch nicht, darum geht es. Sie tun, wozu Sie verpflichtet sind. Und das ist, meine ich, nicht genug. Sie gehen nicht an Ihre Grenzen, Sie schwitzen nicht bei der Arbeit, Sie verstehen, wie ich das meine. Niemand kann Ihnen was, aber so kommen wir doch nicht vorwärts!"
„Wenn Sie das so meinen, muß ich einräumen: Da ist was dran."
„Ja, aber warum? Lohnt es sich nicht, mehr zu tun?"
„Möglich. Nein, ich will das gar nicht bestreiten. Da gibt es vieles, was dafür spricht. Aber, verstehen Sie, man weiß nicht, wie es mal kommt."
„Sie meinen, es könnte auch mal wieder anderes kommen?"
„Ja."
„Es kommt nicht wieder anders."
„Das sagen Sie. das haben andere auch gesagt. Ich war in der NSDAP. Als die Russen kamen ... ach. Lassen wir das. Gebranntes Kind scheut das Feuer. Wenn es noch mal anders kommt, bin ich wieder der Dumme."
»Was hatten Sie denn auszustehen? Hat Ihnen ein Russe die Uhr geklaut? Mußten die Trümmer schippen? Wie lange? Was, meinen Sie, haben die verloren, die gegen Hitler kämpften? Und Trümmer haben 1945 nicht nur ehemalige Nazis geschippt, übrigens, Trümmer, für die nicht die Kommunisten verantwortlich waren. Es war die Hinterlassenschaft des Tausendjährigen Reiches."
„Das sehe ich ja alles ein ..."
„Aber? Ach ja, wenn's mal anders kommt...!"
„Ja!"
„Ich kann verstehen, daß Sie da unsicher sind. So einfach ist es ja wirklich nicht, wir gehen keinen leichten Weg. Doch bitte bedenken Sie: Hitler stand bei Stalingrad, heute weht die Rote Fahne auf dem Brandenburger Tor! Auch wenn wir noch in Trümmern sitzen - dort bleibt sie. Je früher Sie sich entscheiden, um so besser für uns alle ..."
Damit war die Skepsis des Ingenieurs nicht weggeblasen. Aber solche Gespräche führten zu der Meinung, daß man mit dem Parteisekretär reden könne. Auch wenn man ihm nicht sofort und in allem zustimmte, das Gespräch bot manches, worüber es sich nachzudenken lohnte. Ich ging inzwischen nicht mehr zu den Eiskalten zum Frühstück.
„Warum kommste nich mehr zu uns?" Einer der Eiskalten hielt mich ärgerlich an.
„Es wird Zeit, daß einer von Euch in die Partei eintritt, dann kann der mit Euch über die Zeitung diskutieren. Ich hab auch noch anderes am Hals!"
Doch das sahen sie anders. Sie waren noch nicht soweit, daß einer von ihnen den Weg zur Partei fand. Sie waren es aber gewöhnt, alles aus erster Hand vom Parteisekretär zu erfahren. Ich versprach, mal wieder vorbeizukommen.
In der Parteileitung diskutierten wir über den hohen Ausschuß.
„Also, wenn man dett sieht, überall noch die Bombentrichter, die kaputten Werkstraßen, den Schrott und den Dreck - wie willste da dem Arbeiter klar machen, dett er ordentlich arbeiten muß?" Hermann Seiler regte sich auf. Er kam am meisten im Betrieb herum und kannte jedes Loch im Betonboden der Werkhallen.
„Gut", sagte ich, „zum Nationalen Aufbauwerk gehen wir nicht zum Enttrümmern in die Stalinallee. Wir machen unser NAW im Betrieb!"
Nach Feierabend griffen die Genossen sich Schaufeln und Schubkarren und brachten die Straße zwischen mechanischer Werkstatt und Tischlerei in Ordnung. Spöttische Bemerkungen derer, die an uns vorbei nach Hause trabten, manchmal mit leicht gehässigem Unterton. In der folgenden Woche hatten wir Zuschauer.
Dann, der erste, in barschem Ton:
„Wenn ick keene Schaufel habe, kann ick ooch nich mitmachen!"
Ausreichend Schaufeln wurden beschafft. Der Betrieb bekam ein ordentliches Aussehen. Ohne daß es jemand angeregt hatte, entwickelte sich eine Art Wetteifer, welcher Meisterbereich wohl am schönsten sei. Die Eiskalten gewannen. In einem glasüberdeckten Hof zwischen zwei Werkhallen legten sie ein richtiges Treibhaus an!
Aber dann siegte Emil Unterberger. Er brachte den Baum mit und pflanzte ihn inmitten des Rasens vor dem Direktionsgebäude ein. Emil war Mitglied der KPD seit 1919. Er begann seine Ausführungen meist mit: „Als wir revolutionären Obleute im Jahre 1919 ..." Er war Werkzeugmacher, Mechaniker, Monteur - er konnte alles. Ich kannte ihn von der Technischen Universität in Charlottenburg her. Er war dort der Politische Leiter der kleinen KPD-Betriebsgruppe der Arbeiter und Angestellten gewesen. Deren Kern hatte sich in den vierziger Jahren, in der Nazizeit gebildet. In den zwanziger Jahren war Emil Politischer Leiter eines Unterbezirks der KPD in Neukölln. Während der Wirtschaftskrise, als immer mehr ihre Arbeit verloren, nahm er das Angebot der sowjetischen Handelsvertretung an und ging mit Frau und zwei Töchtern als Facharbeiter in die Sowjetunion. 1935 lief sein Paß ab. Da die Nazis kaum etwas von seiner Parteiarbeit wissen konnten, wurde ihm empfohlen, nach Hause zurückzukehren. Er meldete sich in der Botschaft, gab sich als politisch desinteressierter Facharbeiter aus, fuhr nach Hause. In Deutschland ließen ihn die Nazis nicht in Großbetriebe. Er fand Arbeit bei einem Handwerker, der für einen Professor der Technischen Hochschule komplizierte Modelle anfertigte. Dem Professor gefiel Emils Arbeit. Er forderte ihn auf, als Versuchsmechaniker an sein Institut zu kommen. Die Nazis knurrten etwas, aber einerseits bestand der Professor darauf, andererseits war die TH kein Großbetrieb im eigentlichen Sinne.
„Es ging alles ganz gut bei dem Professor", erzählte Emil. „Bloß der Obernazi von der TH hatte mich auf dem Kieker. Einmal bestellte er mich zu sich und verwickelte mich in ein Gespräch. Was ich mir denn so bei meiner Arbeit in Rußland gedacht hätte, wollte er wissen." i
„Na, was hast Du geantwortet?"
„Ich werde doch keinem Volksgenossen in der Heimat die Arbeit wegnehmen, wenn ich draußen auch was finde. Wer was kann, findet immer was, habe ich gesagt. Und deutsche Facharbeiter sind überall gefragt! Aber das hat dem Nazi nicht genügt. Er wollte mich zu politischen Äußerungen verleiten, wollte mir Begriffe in den Mund legen, mit denen er mich festnageln konnte. Verstehst Du?"
„Und was hast Du da gemacht?"
„Ich habe ihn nicht verstanden. Er fragte, was ich sei, und wollte Arbeiter, Arbeiterklasse hören, aber ich sagte, ich sei Werkzeugmacher. Und als er mir zu sehr zusetzte, holte ich mein Mitgliedsbuch der Deutschen Arbeitsfront aus der Tasche und sagte, ich bin Mitglied der Deutschen Arbeitsfront und zahle immer pünktlich meine Beiträge. Da ließ er mich in Ruhe."
Emil konnte ungemein harmlos und freundlich gucken, man konnte ihm seine gefährliche kommunistische Gesinnung nicht ansehen.
Emil erzählte mir viel vom Professor.
„Morgens früh arbeitete er ne halbe Stunde im Garten. Hackte, jätete, verstehst Du, beim Bücken drang mehr Blut ins Gehirn. So konnte er besser denken. Vormittags war er für niemanden zu sprechen, da forschte er. Dann hielt er Vorlesungen und Seminare und am Nachmittag kam er zu mir in die Werkstatt, guckte sich meine Arbeit an und sagte, was er bis zum nächsten Tag haben wollte. Der wußte schon, wer ich war, aber das ließ er nie durchblicken."
Emil erzählte, wie er die Parteigruppe aufgebaut hatte.
„Dann haben wir Waffen gesammelt, für wenn's losgeht."
„Was denn für Waffen?"
„Drei Maschinengewehre, sieben Karabiner, zwei Pistolen und sechs Handgranaten." , „Und wieviele Genossen wart Ihr?"
„Fünf Genossen."
Ich hatte Emil mal auf dem S-Bahnhof getroffen. Er arbeitete wieder als Versuchsmechaniker, in einem Institut der Akademie in Adlershof und ich sagte ihm, nun könne er doch endlich in einen Betrieb, wie er es immer gewollt hatte. Er kam, wurde Meister im Prüffeld und machte aus dem verlotterten Laden, in dem nichts klappte, eine Musterabteilung. Wie Max Trosin begegnete er jedem „das geht nicht" mit wütendem Eifer und fegte es mit seinen Leistungen vom Tisch. Er blieb aber immer etwas isoliert. Anstatt mit Verständnis und Geduld auf die verworrenen Auffassungen seiner Kollegen einzugehen und ihnen allmählich zu neuen Erkenntnissen zu verhelfen, eiferte er. Das mochten die Leute nicht, sie erkannten aber sein Können und seine unermüdliche Tätigkeit für unsere Sache an.
Nun stand da das Bäumchen, das er, begeisterter Kleingärtner, von seinem Grundstück mitgebracht hatte. Alle wollten wissen, was es für eins sei, aber Emil konnte auch schweigen. Er verriet es nicht. Man konnte an den Baum nicht ran, bevor der frisch gesäte Rasen nicht gewachsen war. Aber eines Morgens sah man, daß doch jemand dran gewesen sein mußte. Am Stamm war ein kleines gelbes Brettchen befestigt, es stand auch was drauf, nur konnte man es von der Raseneinfassung aus nicht lesen. Der das getan, hatte den Rasen frisch geharkt. Als der Rasen dann gewachsen war, konnte man sich dem Baum nähern. Auf dem Brettchen stand: „Emilkirsche". Ich dachte, wenn das so ist, hat Emil bei der Belegschaft doch Anklang gefunden.
Nur sehr schwer kamen wir im Betrieb voran. Da war die zusammengewürfelte Belegschaft. Neben eingesessenen Metallarbeitern Leute von überall her, eine völlig neue Produktion, fehlendes, mangelhaftes Material, unzureichende Meßwerkzeuge, für eine Qualitätsproduktion unentbehrlich, und ein Technischer Direktor, der den Betrieb als Experimentierfeld betrachtete. Den Genossen Rohde interessierte so etwas Profanes wie Planerfüllung überhaupt nicht. Er wollte Sternkompressoren bauen, ausprobieren, verbessern.
Der Werkdirektor, Genosse Goetze, protestierte dagegen, daß der Chef der Entwicklung zugleich TD sei.
„Eine solche Personalunion taugt nichts. Der TD muß entscheiden können, wann eine Entwicklung in die Produktion übergeleitet wird. Wenn Entwicklung und Produktion in einer Hand liegen, wird nie was draus. Der Rohde bastelt ewig an den Anlagen herum, und wir können keinen Liefertermin einhalten!"
Aber ich hatte von Bruno Baum
die Weisung, aufzupassen, daß niemand den Genossen Rohde ärgerte. Er war der
einzige, der was von Kompressoren verstand, außer dem Kollegen Hrncir. Wir
waren auf die beiden angewiesen, und da auch der sowjetische Abnahmeingenieur
sich in Geduld übte, konnte ich den Werkdirektor nicht unterstützen. Rohde und
Hrncir waren eine Plage und kosteten uns Nerven.
Als man Rohde in einer Sitzung beim Werkdirektor zur Rede stellte, weil ein Termin, den er selbst genannt hatte, geplatzt war, sagte er fröhlich:
„Ach, was ich damals gesagt habe! Das interessiert mich doch heute überhaupt nicht mehr!"
Den Ingenieur Hrncir konnte man mit Terminen und Plantreue schon gar nicht beeindrucken. Ihn interessierten nur zwei Dinge: Die Technik an sich und Istanbul. Istambul ist schön!" erzählte er mir mit leuchtenden Augen. Seine Frau war Türkin. Hrncir hatte auf einer U-Bootwerft gearbeitet, hatte Prototypen eingefahren, dort seine Erfahrungen mit Druckanlagen gesammelt, war besessen von seinen Maschinen. Wenn wir dachten, eine Anlage sei nach erfolgreichem Probelauf endlich abnahmebereit, hatte Kollege Hrncir immer noch was zu verbessern.
„Kollege Hrncir, wir kommen wieder in Verzug", mahnte ich ihn.
„Ach was, hier noch ein Ventilchen und da noch ein Ventilchen, das dauert einen Tag", sagte er mit dem nöligen Tonfall des Böhmen. Er stammte aus Brünn, hatte dort an der Technischen Hochschule studiert. Er kannte, ebenso wie seine Götter, die Maschinen, keinerlei nationale Vorurteile. Ob Tschech, Deutscher, Slowak oder Russ, sie waren ihm alle gleich, er liebte allein Flansche, Ventile, Manometer und seine türkische Frau.
Er grinste mich an: „Früher konnte man so ein Ventilchen in der nächsten Eisenwarenhandlung kaufen!"
Ich verzichtete auf die Belehrung, daß er mit seinen modernsten U-Booten einiges dazu beigetragen hatte, daß es heute schwer war, Ventile oder Stahl für Druckrohre zu bekommen. Es hätte nichts gebracht, und: man konnte mit ihm auskommen.
Er arbeitete zwanzig Stunden hintereinander, wenn ein Versuch gefahren wurde, ging früh um vier und war um sieben wieder da.
Eines Tages beschwerten sich die Reinemachfrauen. „Der Rohde und der Hrncir haben nackt im Abdrückbecken gebadet!"
Nach einer Probefahrt in der Nacht hatten sich die beiden zu Beginn der Frühschicht in das Becken gestürzt, um wieder frisch zu werden.
„Ihr werdet schon nicht erblinden", sagte ich.
Regelmäßig besuchte ich Lange, den Sozialdemokraten. Er war zweifellos der Wortführer aller, die sich gegen uns wandten. Es kam kein Gespräch zustande. Dennoch erklärte ich dem finster zuhörenden Lange, was die Parteiorganisation beabsichtige. Es war mir egal, ob er zuhörte. Jedenfalls konnte er nicht behaupten, daß ihn die SED schikaniere.
Wieder mal bei Max Trossin. Zwischen seinem Werkzeug liegt ein Rechenschieber. Das hatte ich noch bei keinem Arbeiter gesehen.
»Was machst Du denn damit, Max?"
Er betrachtete mich über seine Brille hinweg. Max war stark weitsichtig, die Gläser vergrößerten seine Augen, so daß er mit seiner Hakennase wie ein alter Uhu aussah.
»Du bist ja ein anständiger Mensch", antwortete er. „Sieh mal, damit rechne ich mir meinen Lohn aus. Für das Teil hier sind soundsoviele Minuten vorgegeben. Ich habe Lohngruppe 8. Wenn ich 4 Mark die Stunde verdienen will", Max nimmt den Rechenschieber, „muß ich es in soviel Minuten fertig haben."
Ich begriff, warum die Arbeiter, wenn nach vielem Hin und Her neue Normen festgesetzt worden waren, in kurzer Zeit wieder dasselbe verdienen konnten. Das hier war kein Bergbau! Im Steinkohlenrevier war es einfach: Vier Meter breit, zwei Meter hoch, ein Meter tief, acht Kubikmeter, das war die Norm, waren 100 Prozent. Kurz vor Schichtende kam der Steiger, legte den Zollstock an. Er brauchte nur die Breite messen, die Höhe war durch die Mächtigkeit des Kohleflözes bestimmt, mehr als einen Meter tief in die Wand konnte man sowieso nicht hinein, es mußte ja immer wieder eine gerade Abbaufront entstehen, also nur die Breite: fünf Meter zwanzig, Normerfüllung 135 Prozent! Einen Streit darüber gab's nicht, fünfzwanzig war fünfzwanzig, fertig.
Bei den Metallarbeitern war das anders, ein Dreher erklärte es mir: „Bei der alten Norm, da haben wir nicht danach gefragt, wenn wir mal stärkeres Material bekamen und mehr runterdrehen mußten. Solcher Mehraufwand war in der Zeitvorgabe drin, da gab es Polster. Jetzt, wo Ihr die Preise (er meinte die Normzeit) so gesenkt habt, da gehe ich eben zum Technologen und lasse mir für Übermaß oder für unrundes Material, für das ich mehr Zeit brauche, Aufzeit zuschreiben. Wenn mir früher mal der Drehmeißel abgebrochen ist, an einem Schlackeeinschluß im Guß, da hab ich ihn selber wieder angeschliffen. Heute gehe ich zur Werkzeugausgabe, hole einen neuen oder laß mir die Zeit fürs Anschleifen bezahlen."
Der mir das erklärte, war Mitte fünfzig, mittelgroß, schon ziemlich grau, schon ein bißchen krumm, wie die meisten Maschinenarbeiter, die ihr Leben lang etwas vorgebeugt über ihrer Drehbank stehen. Er war Sozialdemokrat, hatte er mir erzählt. Er war nicht finster, nicht abweisend wie Lange. Aber über Politik konnte ich mit ihm nicht sprechen, da wich er aus, und darum ließ ich es sein. Wir sprachen meistens über die Karnickel, die er auf seiner Laube in Baumschulenweg, an der Grenze zu Neukölln züchtete. Aber was heißt das, wir sprachen nicht über Politik! Der sozialdemokratische Arbeiter begrüßte den Parteisekretär der SED freundlich, er demonstrierte, daß ihn das Kontaktverbot der Ziethenstraße nicht interessierte. Und ich respektierte die Grenze, die er mir gezogen hatte, darum kamen wir gut miteinander aus. Auch Gespräche über Kaninchen können Politik sein! Ich hätte ihn gern in der BGL gehabt, aber dazu war er keinesfalls bereit, das war mir klar, und darum sprach ich auch gar nicht erst davon. Der gute Kontakt, ein freundliches Grüßen war schon sehr viel. Und er machte uns keinerlei Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung der neuen Normen - er hatte es mir ja erklärt, warum.
Mir kamen große Zweifel, ob die Ausarbeitung von Arbeitsnormen bei Einzelfertigung, gar für Werkzeugmacher, wirklich der Weg war, um die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Aber darüber konnte ich mit dem Genossen Überfeld, dem Kreissekretär, übrigens auch ein ehemaliger Sozialdemokrat, nicht sprechen. Erhöhung der Normen um mindestens 10 Prozent wurde gefordert, das war sogar eine Anordnung des Ministerrates.
Es ist im Nachhinein leicht zu sagen, daß Normerhöhungen, noch dazu administrativ festgelegte, ein wenig wirkungsvoller, ja gefährlicher Weg waren, die Produktivität zu steigern und das Verhältnis von Produktivität und Lohn, das ohne Zweifel häufig nicht stimmte, in Ordnung zu bringen. Aber einen anderen Weg gab es wohl kaum. Der Ersatz von Maschinen, die im Krieg verschlissen waren, war nur in Ausnahmefällen möglich. Folglich fand eine Ausarbeitung neuer Normen nach Einführung neuer Technologien nicht statt. Fast die gesamten, sehr geringen Investitionen mußten auf Vorhaben konzentriert werden, die ein Funktionieren der Wirtschaft überhaupt erst möglich machten. Über Sein oder Nichtsein entschied damals, ob es uns gelang, den Folgen des Stahlembargos der Bundesrepublik zu begegnen, und das hieß, auf der grünen Wiese in Fürstenberg ein Hüttenwerk zu errichten. Es wurde Eisenhüttenkombinat genannt, blieb aber viele Jahre nur eine Roheisenhütte. Erst in den achtziger Jahren kamen das Stahlwerk und eine Feinblechstraße hinzu, jedoch bis zum Ende der DDR verfügten wir an der Oder über kein Kombinat im Sinne eines geschlossenen metallurgischen Prozesses. Das Verbindungsglied zwischen Stahlwerk und Feineisenstraße, die Grobblechstraße, wurde nie gebaut, wurde immer wieder wegen der immensen Kosten hinausgeschoben. Wir schafften den Stahl, nachdem er abgekühlt war, nach Brandenburg oder auch nach Salzgitter, BRD, und ließen dort das Grobblech walzen, das dann in Eisenhüttenstadt zu Feinblech verarbeitet wurde. Zwangsläufig blieben Kosten und Arbeitsproduktivität immer höher beziehungsweise niedriger als im Westen. Höhere Kosten für ein Grundmaterial belasten jedoch die verarbeitende Industrie und beeinflussen die gesamte Wirtschaft.
Davon wußten wir damals nichts. Aber wir wußten, daß sich die internationale Lage verschlechterte. In Korea war Krieg, amerikanische Bomber zertrümmerten das Land, sie hatten das Kraftwerk am Jalu, an einem Fluß, der die Grenze zu China bildete, zerstört. Amerikanische Truppen rückten bis an die sowjetisch-koreanische Grenze vor, der Oberbefehlshaber der USA-Truppen, General Mc Arthur drohte mit der Atombombe - kein Spaß, die Trümmer von Hiroshima und Nagasaki strahlten noch. Die Sowjetunion konnte damals nicht alles liefern, was die ökonomisch rückständigen Volksdemokratien brauchten. Bis auf die DDR und den westlichen Teil der CSSR besaßen diese Staaten kaum Industrie. So war es unumgänglich, zuerst die Schwerindustrie neu aufzubauen, die der verarbeitenden Industrie Werkstoffe lieferte, vor allem Stahl, denn das war wiederum die Voraussetzung für den Bau von Energieanlagen, Bergwerksausrüstungen und Chemieanlagen, alles Erzeugnisse, die bis 1945 fast ausschließlich aus dem Ruhrgebiet, von Mannesmann, Krupp, Demag, Klöckner-Humbold-Deutz, Lurgi gekommen waren. Ohne Stahl waren der Maschinenbau Sachsens, die Elektroindustrie trotz der Kapazitätsverluste durch Demontagen nicht auszulasten. Aber ohne daß die DDR der Sowjetunion Walzwerke, Schiffe, Eisenbahnwaggons lieferte, also materialintensive Produkte, konnten wir nicht erwarten, daß wir von ihr Eisenerz, Baumwolle, später Rohöl, Erdgas, Holz, Zellstoff, Apatit erhielten, um die Sächsische Textilindustrie in Gang zu bringen und die verbliebenen Kapazitäten des Maschinenbaus zu nutzen. Woanders konnten wir all das nicht kaufen, die DDR war von den kapitalistischen Waren- und Finanzmärkten abgeschnitten, besaß keine Devisen, erhielt keine Dollarkredite .
Die Entwicklung des Lebensstandards wurde zunächst hintenangestellt, wir hofften, nach einigen Jahren des Verzichts und großer Anstrengungen letztlich schneller ans Ziel zu kommen. Aber damit war verbunden, daß die Fortschritte, die wir 1949-1951 erzielt hatten, wodurch das Leben erträglicher geworden war, wieder in Frage gestellt wurden. Die Bereitwilligkeit, uns zu unterstützen, bröckelte ab. Hinzu kam, daß in den meisten Betrieben nicht allein durch die Demontagen Maschinen fehlten, sondern auch die technologischen Unterlagen für eine Friedensproduktion. Es war ja keine allmähliche, gut geleitete Umstellung von Rüstungs- auf zivile Produktion erfolgt - die erstere war abgebrochen, die Fachleute, Wehrwirtschaftsführer, erfahrene Ingenieure waren nach dem Westen getürmt. Und die Arbeiter mußten erst lernen, daß auch sie Eigentümer der Betriebe waren und was das bedeutete Das war für sie schwerer als für die Bauern. Die Bauern hatten selbst das Land der Gutsbesitzer aufgeteilt, sie hatten jetzt ihre kleinen Höfe. Industriebetriebe kann man nicht aufteilen Das Leben in den Betrieben veränderte sich nicht sichtbar. Vielmehr hatte sich eher alles zum Schlechten verändert, das Leben war härter als vor dem Krieg, der Reallohn der Arbeiter erreichte Anfang der fünfziger Jahre nur etwas mehr als die Hälfte des Vorkriegsstandes. Daß das nicht an den Kommunisten lag, nicht daran, daß der Betrieb nun volkseigen war, sondern daß die SED gezwungen war, aus Ruinen eine neue Gesellschaft aufzubauen, konnten und mochten viele nicht verstehen, hatten sie dann doch auch ihre Mitverantwortung eingestehen müssen.
Weit verbreitet war unter den Arbeitern die in vielen Jahrzehnten gewachsene Erfahrung, man müsse seine Arbeitskraft so teuer wie möglich verkaufen. Wie eh und je gab es den Akkordlohn - wir nannten es Stück- oder Leistungslohn, und an der Kasse saß am Lohntag dieselbe Angestellte, die bis 1945 den wöchentlichen Abschlag und den Lohn ausgezahlt hatte. Wegen der mangelhaften Arbeitsorganisation, der häufigen Produktionsstockungen, Folgen des Materialmangels und weil die Leiter ihre Aufgaben noch nicht recht beherrschten und ihre Autorität gering war, war es leicht, mit allen möglichen Tricks mehr Zeit als nötig für einen Arbeitsgang zu „errechnen": Die Verordnung, die Arbeitsnormen um mindestens 10 Prozent zu erhöhen, war rechnerisch völlig begründet. Aber in der Praxis war es wie mit der Kuh, welche ertrank, obwohl das Wasser im Durchschnitt nur 60 Zentimeter tief war. Für manche, wie für die Frauen in der Textilindustrie oder für Bauarbeiter, bedeutete die Normerhöhung eine Minderung des Lohnes, die sie durch Leistungssteigerung nicht wettmachen konnten. Für andere war das kein Problem. Aber auch bei diesen stieß das alles, wenn es administrativ, ohne politische Debatte gehandhabt wurde, auf Ablehnung.
Ich hatte mir genau angesehen, wie es sich mit Leistung und Lohn in der mechanischen Werkstatt verhielt. Der beste Mann, der die kompliziertesten Arbeiten verrichtete, war der Genosse Pauli. Er schrieb, wie es hieß, 120 Minuten für die Stunde, verrechnete also eine Normerfüllung von 200 Prozent. Begünstigt wurde das durch Desorganisation und eine gewisse Anarchie. Die Arbeiter lieferten ihre Arbeitspapiere nicht mit dem Werkstück ab, wenn sie es fertig hatten, sondern behielten die Unterlagen, um sich ihren Lohn zurechtzurechnen. Pauli konnte schlecht rechnen. So passierte es, daß er ein Vielfaches der Stundenzahl abrechnete, die er überhaupt im Betrieb gewesen war. Dann rannte er herum, holte sich seine Zettel zurück und rechnete erneut. Der zweitbeste Mann schrieb vielleicht 110 Minuten für die Stunde, und so hinunter bis zum angelernten Bohrer, dem 75 Minuten zugebilligt wurden. Dabei blieb es, und diese Einteilung entsprach sehr genau Können und Leistung der Dreher, Fräser, Bohrer, jedenfalls besser als die niemals stimmende Norm.
Genosse Pauli war leider immer besoffen. Das hinderte ihn nicht, den ganzen Tag intensiv zu arbeiten. War er sehr besoffen, gab er seiner Karusselldrehbank wohl auch mal einen Fußtritt. „Will heute nich richtig loofen, dett Aas!"
Eines Morgens rief mich der Leiter unseres Polizeireviers an, er wolle mich sprechen. Es war nicht weit, ich ging hm. Ich kannte den Genossen von Beratungen in der Kreisleitung, er hatte in Sachsenhausen gesessen. Er leitete das Revier so, wie das ein Kommunist in der Übergangsperiode tun mußte.
„Arbeitet bei Euch ein Genosse Pauli?"
„Ja, das ist ein guter Dreher, leider sauft er."
„Ja, leider. Er sitzt hier. Ich hab's noch nicht ins Wachbuch eingetragen. Wenn er sich entschuldigt und es nicht wieder tut, laß ich ihn laufen. Sonst muß er sitzen."
Die Sache war ernst. Pauli hatte sich nach Feierabend frisch betrunken und war durch die Straßen von Johannisthal gezogen. In einem Kellerfenster brannte noch Licht. Dort arbeitete, wegen des Sommerabends bei offenem Fenster, ein Schuster. Pauli hatte eine Ansprache gesucht, wie die Bayern sagen, aber der Schuster hatte keine Lust, sich mit dem Besoffenen zu unterhalten. Da hatte ihm Pauli auf seinen Arbeitstisch gepinkelt. Der Schuster raus aus seiner Werkstatt, es kommt zu einer Prügelei. Ruhegebrüll der aufgestörten Hausbewohner, ein Volkspolizist kommt hinzu, will Pauli abführen. Der haut nun auf den Polizisten.
Angriff auf einen Volkspolizisten! Widerstand gegen die Staatsgewalt! Die Autorität des gerade erst gegründeten Staates war schwach, wurde täglich vom Westen in Frage gestellt. Wir waren gezwungen, harte Strafen zu verhängen. Das war keine Sache für Konfliktkommissionen, die es damals noch gar nicht gab! Es konnte, wie die Leute sagten, ein Jahr Zuchthaus für eine im volkseigenen Handel geklaute Bockwurst geben, anders ging es nicht. Pauli drohte schwere Strafe. Aber der Genosse Reviervorsteher sah die Sache richtig, nachdem ich ihm erzahlt hatte, was Pauli für einer war. Pauli war kein verkappter Nazi, der unter der Maske des Alkoholisierten Polizisten angriff. Ich konnte Pauli mitnehmen, er zog mit mir los, ausgenüchtert, zerknirscht. Schwor, nie wieder zu saufen, versprach, sich bei dem Schuster zu entschuldigen. Ein neues Leben werde er anfangen, „kannste mir glooben!"
Seine Kollegen glaubten ihm nicht. „Der hat zu Hause nicht mal 'n Bette. Hat alles versoffen. Die penn' auf'n Fußboden!"
Am nächsten Tag rief mich der Reviervorsteher wieder an. Pauli war wieder da.
„Warum denn nun?"
„Er hat sich gestern abend bei dem Schuster entschuldigt. Dann haben sich die beiden zusammen besoffen und so krakeelt, daß die Leute die Streife gerufen haben. Dann haben sie zusammen die Streife vermöbelt. Ich hab's noch nicht ins Wachbuch eingetragen ..."
Eine Strafe blieb Pauli erspart. Kurze Zeit später wechselte er in den Nachbarbetrieb ins Motorenwerk Johannisthal. Dort soff er weiter, wurde aus der Partei ausgeschlossen. Schade um den guten Arbeiter, zuviel Alkohol hat leider manchen guten Mann kaputt gemacht.vorhergehender Beitrag |