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„Funkstudio Stalinallee"
Arnold Eisensee |
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Arnold Eisensee (30.03.1926-30.06.1995) |
Für den Leser braucht es eigentlich nicht der Versicherung, daß in dem von Arnold Eisensee hinterlassenen literarischen Report über die Junitage 1953 im Umkreis der Berliner Stalinallee weder auf Kunstfiguren noch konstruierte Vorgänge zurückgegriffen wird. Er ist ein überaus wertvolles Zeitdokument und dürfte selbst in seinem Genre kaum auf Vergleichbares treffen. Darüber hinaus lassen die literarischen Portraits von Erbauern und Anwohnern der Stalinallee Umrisse erkennen, die weit über jene Tage und diesen einen Ostberliner Straßenzug hinausreichen. Denn sie sind typisch für die damalige DDR und ihre Menschen. Allerdings ergeben sie ein Bild, das in keines der heutigen Klischees paßt. Nach seinem Bekenntnis hat der Autor für das vorliegende Manuskript trotz eigenen hautnahen Erlebens vier Jahrzehnte lang recherchiert. Er muß Hunderte von Gesprächen und Befragungen durchgeführt, Abertausende Buch- und Aktenblätter gewälzt haben. Es ist kein Zufall, daß seine Aussagen denen der übrigen Autoren dieses Buches gleichen bzw. sie ergänzen, denn beide beruhen auf erlebten Fakten. Im Verlaufe seiner Recherchen hat sich Arnold Eisensee als gewissenhafter Chronist jedoch darüber hinaus einer beachtlichen Anzahl weiterer Zeitzeugen namentlich versichert, denen er in seiner Arbeit ein literarisches Denkmal setzte. Dieses dürfte wegen seiner überzeugenden Wahrhaftigkeit mehr Existenzberechtigung und Bestand haben als ein wie auch immer geartetes Monument im Umkreis des ehemaligen Hauses der Ministerien der DDR, das die historischen Tatsachen verzerrt widerspiegelt. |
Zugegeben: dem vorwiegend an zügigen Handlungsabläufen interessierten Leser muß die scheinbar unentwirrbare Anhäufung von Personennamen eher als Ballast erscheinen. Für Historiker, beteiligte Zeitzeugen oder deren Nachkommen werden sie als wichtige Bestandteile dieser zeitgeschichtlichen Dokumentation dagegen besonderen Wert besitzen. Deshalb haben wir uns - im Sinne Arnold Eisensees und im Vertrauen auf seine journalistische Gewissenhaftigkeit - dafür entschieden, seinen diesbezüglichen Vorstellungen zu folgen, fügen aber als „Lesehilfe" eine Liste der Hauptakteure bei. Allerdings sehen sich Herausgeber und Verlag nach Lage der Dinge außerstande, für Namens- oder andere Detailangaben dieses Manuskripts eine Haftung im juristischen Sinne zu übernehmen.
Über das Leben Arnold Eisensees ist vorläufig nur wenig mehr als das bekannt, was aus dem Manuskript und einigen nachgelassenen Personalunterlagen hervorgeht.
Arnold Reinhold Siegmund Eisensee wurde in einer sehr kinderreichen Familie am 30. März 1926 in Krien/Pommern geboren. Der Vater arbeitete als Steinschläger, die Mutter als Tagelöhnerin auf den Liegenschaften derer von Zitzewitz. Nach dem Besuch der einklassigen Dorfschule schaffte Arnold den Übergang zur Mittelschule, wurde nach Erlangung der Mittleren Reife für drei Jahre zum RAD1 eingezogen, lernte den Beruf eines Schweißers, war als Soldat der deutschen Wehrmacht in Frankreich und der Sowjetunion eingesetzt und fand 1945 - nach schwerer Verwundung und sowjetischer Kriegsgefangenschaft - in Ranis (Kreis Pösneck/Thüringen) Unterkunft sowie Arbeit als Heizer bzw. Hauer in der Maxhütte Unterwellenborn und der SDAG Wismut. Er wurde aktives Mitglied der KPD/SED, des antifaschistischen Jugendausschusses (später FDJ) und begann als ehrenamtlicher Volkskorrespondent zu arbeiten. Diese Tätigkeit führte ihn 1951 als Hilfsredakteur zur Kreisredaktion „Das Volk" Saalfeld und kurz danach zur Funktionärszeitschrift der SED „Neuer Weg" nach Berlin. Die Umstände seiner Ende 1952 verfügten „Abversetzung" zum NAW2-Funkstudio Stalinallee beschreibt Arnold Eisensee im vorliegenden Text. In den Jahren 1955/1956 arbeitete er als Redakteur für die „Tägliche Rundschau" sowie den „Berliner Verlag" (Wochenpost, NBI) und danach bis 1963 als freischaffender Journalist und Schriftsteller.
Im Rückblick auf diesen Lebensabschnitt berichtet er von „etwa einhundert veröffentlichten Reportagen, Porträts, Artikeln etc., zwanzig Gedichten, zehn Broschüren, sechs Schallplatten und fünfundachtzig Liedern ..., darunter zwei Kantaten. Außerdem ... sieben Fernsehsendungen."
Im Jahre 1962 wurde er unter uns unbekannten Umständen aus der SED ausgeschlossen, was - wie er schreibt - praktisch einem Berufsverbot gleichkam und verständlicherweise seine spätere Sicht auf den Parteiapparat und bestimmte Funktionäre beeinflußte. Bis zur Erreichung des Rentenalters arbeitete Arnold Eisensee danach in den VEB Elektroapparatewerke Treptow sowie VEB Elektrokohle Lichtenberg, darunter achtzehn Jahre als Ofenfahrer im 4-Schichtdienst. Währenddessen war er ständig um parteiliche Rehabilitierung bemüht und wollte anschließend in die journalistische Tätigkeit zurückkehren. In allen betrieblichen Beurteilungen werden ihm hervorragende Arbeitsleistungen und Einsatzbereitschaft bestätigt. Er war jederzeit auch gesellschaftlich engagiert, mehrfacher Aktivist der sozialistischen Arbeit und Träger weiterer Auszeichnungen der DDR, welcher er bis zu seinem Tod am 30. Juni 1995 innerlich ebenso treu blieb wie seiner sozialistischen Überzeugung. Von einer Schiedskommission der PDS wurde er am 30.3.1990 rehabilitiert und seine Mitgliedschaft wiederhergestellt.
Als Journalist und Schriftsteller ist Arnold Eisensee heute weder dem breiten Publikum noch den meisten seiner Berufskollegen ein Begriff. Allerdings erinnern sich wahrscheinlich Millionen ehemaliger DDR-Bürger an das von Chris Doerk interpretierte Lied „Die Rose von Chile", dessen Text von ihm stammt. Und sicher lasen viele Tausende mit großer Anteilnahme seinen vor wenigen Jahren im „Neuen Deutschland" veröffentlichten Beitrag über die Ermordung des DDR-Unteroffiziers Egon Schultz. Auch er war faktengenau recherchiert.
Zweifellos gehörte diese Präzision
ebenso zum Markenzeichen Arnold Eisensees wie eine Parteinahme für die
Interessen der Werktätigen, den gesellschaftlichen Fortschritt und die
internationale Solidarität. Wie Geradlinigkeit und kompromißlose Hartnäckigkeit,
mit der - so viel kann immerhin gesagt werden - er sich und anderen das Leben
nicht immer leicht machte. Daß er sein journalistisches Handwerk verstand,
steht außer Frage. Darüber hinaus meisterte er im vorliegenden Text jedoch
scheinbar mühelos, worum ihn andere beneiden dürften: die überzeugende
Darstellung der Bauarbeiter und anderer „einfacher" Menschen. Aber sicher
muß man dazu wie Arnold Eisensee im besten Sinne stets selbst einer von ihnen
gewesen sein.
Die Herausgeber danken Frau Irene Eisensee dafür, daß sie das vorliegende Manuskript aufbewahrt und seiner Erstveröffentlichung in diesem Buch zugestimmt hat.
* * *
Obering. Otto Pfeng |
Als Zeitzeuge und unmittelbar Beteiligter des Bauarbeiteraufstandes vom 15. bis 17. Juni 1953 bekunde ich hiermit, dass die von Arnold Eisensee in jahrelanger, journalistischer Kleinarbeit und mit großem Fleiß (bis zu seinem viel zu frühen Tode im Jahre 1995) gesammelten und hier ausgewiesenen Recherchen den Tatsachen entsprechen. Besonders bemerkenswert ist, daß Arnold Eisensee das wirkliche Verlangen der Bauarbeiter klar herausstellt und die „Möchtegern-Opfer" bloßstellt! Bei der ausstehenden Entscheidung zur
Errichtung eines Mahnmals zum Gedenken an den 17. Juni 1953 sollte der
Nachlaß von Arnold Eisensee von den Verantwortlichen gelesen, ausgewertet
und in die weiteren wahrheitsgenehmen Überlegungen einbezogen werden und
bisherige falsche Aussagen korrigiert werden! |
Berlin, den 20. Juni 1998
Obering. Otto Pfeng