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Museumsgespräch
1998
- Wahrheitsgetreue Wiedergabe -
(Berlin)
Eine
Besucherin (B) betrat den Ausstellungsraum, betrachtete aufmerksam die kunstvoll
gestalteten Verzierungen, die historischen Gemälde und Möbel und verweilte in
Erinnerung an frühere Tage in Berlin. Dann sprach sie einen Museumsangestellten
(MA) an:
B:
Mich verbindet mit Berlin zwar eine große Geschichte, aber ich bin mit meinem 70 Jahren erst das zweite Mal in Berlin.
MA:
Wieso, waren Sie im Ausland?
B:
Nein, nein, ich mußte damals aus Sicherheitsgründen Berlin verlassen.
MA:
Aus Sicherheitsgründen?
B:
Ich mußte Westberlin am 17.6.1953 früh, um 6 Uhr, mit dem Flugzeug verlassen.
MA:
An diesem Tag war doch der Aufstand in Ostberlin. Da gab es doch viele aufputschende Reden und Anti-DDR-Demonstrationen!
B:
Ja, aber wie es wirklich dazu kam, das werden Sie nicht wissen. Wir waren ca. 70 bis 75 junge Frauen und Männer aus Westdeutschland und Westberlin und erhielten u. a. von Vertretern des RIAS - Egon Bahr war auch dabei - den Auftrag, am 16.6.1953 abends in die Wohnunterkünfte der „Stalingrader Brigaden" zu gehen und die Leute zum Aufstand aufzufordern.
MA:
Was sind denn Stalingrader Brigaden?
B:
Das waren die Bauarbeiter der Stalinallee - wir nannten sie so. Ja, diese Leute waren in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht und verbrachten mit allerlei Beschäftigung diesen Abend. Wir sagten ihnen, daß morgen früh, um 9 Uhr ein Aufstand stattfindet, der RIAS wird dazu aufrufen und alles muß auf die Straße! Viele schauten ungläubig, aber wir konnten uns auch auf verschiedene Unzufriedenheiten unter den Bauarbeitern stützen, und so haben uns die Brigaden auch zugehört. Für uns war wirklich wichtig, daß es pünktlich 9 Uhr losgeht und daß um diese Zeit die Massen auf die Straße gehen. Wir über 70 Frauen und Männer waren dann am späten Abend nach Westberlin zurückgekehrt, sprachen über die Wirkungen unserer Reden und waren sehr gespannt, was am 17.6. passieren wird.
MA:
Aber es wurde doch immer gesagt, daß der Aufstand spontan ausbrach ..
.
B:
Ach, das mußte schon organisiert werden. Es sollte sich dann alles von Berlin aus wie ein Lauffeuer ausdehnen. Doch es wäre bald schief gelaufen. Der Egon Bahr vom RIAS hatte die Zeit verwechselt. Anstatt zu 9 Uhr aufzurufen, verkündete er bereits um 8 Uhr, daß die Bauarbeiter der Stalinallee auf der Straße sind. Zu dieser Zeit war natürlich noch nichts im Gange. Später, nach vielen Wiederholungen im RIAS hatten sich dann die Massen angesammelt.
MA:
War Ihre Aktion nicht sehr gefährlich, es hätte doch ein viel größeres Feuer, ja sogar bewaffnete Handlungen entstehen können?
B:
Ja, deshalb mußten wir aus Sicherheitsgründen - vor Beginn also - ausgeflogen werden. Außerdem hatten wir ja genügend Rückendeckung durch die Westmächte.
Günter
Wittek
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