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Stadtgespräche danach

(Berlin)

 

Es gab am 17. Juni 1953 viele DDR-Bürger, die einen klaren Kopf behielten, Gewalttaten und Zerstörungen verhinderten oder sich zumindest davon distanzierten.

Bauarbeiter von der Berliner Löwestraße sagten mir, daß sie mit der Normenerhöhung sowie der Verteuerung der Bahnfahrten nicht einverstanden waren und deshalb ursprünglich auch am 17. Juni streiken wollten. Aber als diese Regierungsmaßnahmen am 16. Juni zurückgenommen wurden, waren ihre Forderungen erfüllt und der Streik gegenstandslos geworden.

Eine Verwandte arbeitete in der Deutschen Sporthalle Berlin. Diese war Anfang der 50iger Jahre - unter Verwendung der Stahlträger einer ehemaligen Fleischmarkthalle -auf der unter großen Mühen und mit vielen freiwilligen Einsätzen enttrümmerten Stalinallee entstanden. Sie berichtete: Plötzlich wurden die Türen aufgerissen und lauthals geschrien: „Raus auf die Straße, es wird gestreikt!" Man ließ die Arbeit liegen, und Hals über Kopf lief alles hinaus. Auf der Straße standen Menschen bunt durcheinander. Die meisten hatten neue Maurerkleidung an und einige auch etwas in den Händen. Dann ging es in Richtung Alex los mit Geschrei. Aber als die ersten neuen Lampen und Fensterscheiben zu Bruch gingen, suchte meine Tante das Weite und ging heim in ihre Kochstube, wo sie mit Mann und Kind in einem halbzertrümmerten Haus die erste Nachkriegsbleibe gefunden hatte.

Mein Mann erzählte, daß von der Oberbaumbrücke - der Verbindung vom Westberliner Bezirk Kreuzberg in den sowjetischen Sektor - größere Menschentrupps gekommen waren, die das „Horst-Wessel-Lied" grölten. Während der Nazizeit mußte es an das Deutschlandlied angehängt und beides mit erhobenem Arm gesungen werden. Horst Wessel hatte zum SA-Sturm 5 gehört, der als einer der brutalsten Schlägertrupps . Kreuzberg und Friedrichshain bekannt war. Im Keller des „Keglerheims" am Ende der Petersburger Straße waren damals Kommunisten und Andersdenkende zu Krüppeln und zu Tode geschlagen worden.

Andere hatten geschrien: „Die HO macht uns k.o." Die Geschäfte der staatlichen Handelsorganisation war am 9. November 1948 eröffnet worden und sollten unter anderem dazu dienen, dem Schwarzmarkttreiben wenigstens etwas Einhalt zu gebieten, an welchem sich vor allem Großschieber auf Kosten der einfachen Menschen maßlos bereicherten. Deshalb lagen die Preise anfangs zwar weit über den Normal- jedoch unter den Schwarzmarktpreisen und wurden planmäßig abgesenkt. Die Gewinne aber kamen dem Wiederaufbau und damit der gesamten Bevölkerung zugute.

Das Treiben an der Oberbaumbrücke war dann durch eine VP-Einheit ohne Schußwaffeneinsatz beendet worden.

Viele Berliner brachten mit den Juniunruhen auch danach nur Unangenehmes in Verbindung. So schlußfolgerten die späteren Bewohner des Hauses Weidenweg 15 aus dem ansonsten unerklärlichen Zustand ihrer neuen Sanitäranlagen, daß sich in dem unfertigen Block das geheime Organisationszentrum der Streikaktionen befunden haben müsse.

Nachdem in Ostberlin rasch wieder Ruhe eingekehrt war und sowjetische Panzer mit Ziehharmonika spielenden Rotarmisten durch die Straßen fuhren, spürte man ein allgemeines Aufatmen, daß der Spuk ein Ende hatte.

Eva Starke 


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