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Jürgen Schmidt
Aus der Geschichte einer Freundschaft
Als die Mauer fiel, bemühte ich mich um Kontakte zu fernen Verwandten in Wuppertal. Meinen ersten Kontakt mit Brigitte H. hatte ich schon 1928, als unsere Mütter - Cousinen - ihre Kinderwagen gemeinsam durch die Zeppelinstraße in Berlin-Spandau fuhren. Als Kinder spielten wir miteinander. Die Weltwirtschaftskrise machte unsere Väter arbeitslos. Richard H. fand in Wuppertal neue Arbeit, Erich Schmidt in Prenzlau. Der Kontakt wurde mit Briefen der weiblichen Familienmitglieder - auch nach dem Tode der Eltern - aufrecht erhalten.
1954, ich war Student, besuchte mich die Studentin Brigitte in Berlin-Kaulsdorf. Wir verstanden uns ausgezeichnet, auch politisch, trotz weltanschaulicher Unterschiede. Dann verhinderte die Mauer weitere persönliche Kontakte. Nach dem Mauerfall (genauer: Herbst 1992) klinkte ich mich in den Briefwechsel Brigittes mit meiner Schwester ein und wurde bald nach Wuppertal eingeladen.
Brigitte war inzwischen Studiendirektorin i. R. und lebte mit ihrem Mann, dem pensionierten evangelisch-reformierten Theologen Professor D. Hans-Joachim K. in einem geräumigen Einfamilienhaus am Wuppertaler Stadtrand. Sie holte mich vom Bahnhof ab, und wir hatten einige Mühe, uns nach 39 Jahren wieder zu erkennen. Der Empfang war ebenso gespannt erwartungsvoll wie äußerst freundlich und Vertrauen schaffend. Hans-Joachim bot mir als der Ältere sofort das Du an und war nur in einem Punkt von mir enttäuscht: er hatte in der zurückliegenden Zeit viele persönliche Kontakte zu DDR-Theologen unterhalten, die um ein produktives Verhältnis zum Sozialismus und der Staatsmacht bemüht waren. Ich aber konnte mangels Kenntnissen auf diesem Gebiet nicht mitreden - hatte ich doch in der DDR so gut wie keine Verbindungen zu Theologen gehabt. Er schenkte mir sein 1982 erschienenes Buch „Theologische Religionskritik", dessen Titel für mich zunächst unverständlich war, denn in meiner dieses Wissensgebiet betreffenden Naivität und Unwissenheit hatte ich die Begriffe Theologie und Religion stets in einen Topf geworfen. Ich las das Buch - wieder zu Hause - mit größtem Interesse und habe sehr viel daraus gelernt. Aber in unseren ad-hoc-Gesprächen über Politik, Fußball und Alltägliches - auch beim bald erfolgenden Gegenbesuch der beiden auf ihrer Reise durch das „Beitrittsgebiet" - entstand zwischen dem sich selbst einen Sozialisten nennenden Theologen und dem Marxisten sehr schnell eine feste Freundschaft. Ihr Höhepunkt war vielleicht seine Bitte, bei der Trauerfeier zu Brigittes Tod (1995) nach dem zum Reformierten Bund gehörigen Pfarrer das Wort zu nehmen. Und so sprach der Atheist, vom Pfarrer ausdrücklich dazu ermuntert, vor einer größeren Versammlung gläubiger Christen über sein freundschaftliches Verhältnis zur Verstorbenen.
Auch Hans-Joachims Leben ging zu Ende. Nach seiner Übersiedelung in ein hochklassiges Seniorenheim vergaß er, mir - wie verabredet - seine Adresse mitzuteilen, so dass der Kontakt abriss. Ich wandte mich um Auskunft brieflich an seinen persönlichen Freund, den jetzigen Bundespräsidenten und damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Herrn Johannes Rau, der tatsächlich nahezu postwendend sehr freundlich antwortete, die gewünschte Adresse mitteilte und mir einige Auskünfte über den psychischen Zustand unseres Freundes gab.
Ich erhielt von Hans-Joachim noch zwei Postkarten. Auf der ersten teilte er mit, dass er meine gerade erschienene Autobiografie zu lesen begonnen habe. Die zweite war kaum noch lesbar, die Zeilen liefen ganz schräg über das Papier und in einer stand, dass er „am Rande des Lebens" dahinvegetiere ...
Zurück zu Brigitte. Sie hatte meinen Wuppertalbesuch im Stil einer erfahrenen Studiendirektorin bestens vorbereitet. So gab es ein wohldurchdachtes Besichtigungsprogramm, auch mit einem Besuch im Hause der Familie Engels, das heute als Gedenkstätte dient. In den freien Stunden reparierte ich u. a. den defekten Schalter einer ganz unverzichtbaren Lampe. (Hans-Joachim besaß eine komplette Heimwerkerausstattung, die ihm Brigitte einmal geschenkt hatte. Sie lag seither trotz mancher dringender Arbeiten im Haushalt ungenutzt im Keller, denn ihr Besitzer war eben kein gelernter DDR-Bürger.)
Und dann kam der Höhepunkt: Brigitte hatte aus ihrer Bekanntschaft einen Kreis eingeladen, von dem sie erwartete, dass er viele kritische Fragen zur DDR an mich stellen würde - darunter auch Republikflüchtlinge. Der brummende Hans-Joachim saß nahezu stumm dabei. Offenbar hielt er von diesen Gästen wenig. Brigitte spielte die routinierte Gesprächsleiterin.
Etliche mehr oder weniger zahme, höfliche Fragen waren schnell beantwortet. Dann provozierte mich der Republikflüchtling Herr O. Er erklärte, den letzten Anstoß zur Republikflucht seiner Familie habe ein Lehrer gegeben, der den Schülern beibrachte, dass der Bau der US-amerikanischen Eisenbahnen vom Atlantik zum Pazifik das Streben des USA-Imperialismus nach Weltherrschaft bewiese.
Nun
war dieser Lehrer entweder wirklich ein Trottel, oder Herr O. hatte es in der Absicht,
mich zu provozieren und sich interessant zu machen, mit der Wahrheit nicht eben
genau genommen. Ich unterstellte, höflich bleibend, das Erstere, und erläuterte,
dass diese Bahnen in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden und
dem lukrativen Handel zwischen Ost- und Westküste der USA dienten, der zuvor äußerst
verlustreich mit Segelschiffen um ganz Südamerika und das berüchtigte
Kap Hoorn herum stattgefunden hatte. Die
Bahnen spielten auch eine große Rolle bei der Erschließung
der Weiten des Inlandes und der gezielten Ausrottung der Indianer, an ihnen
wurde sogar während des jahrelang tobenden US-amerikanischen Bürgerkrieges weiter
gebaut. Vom Kampf des USA-Imperialismus um die Weltherrschaft aber könne zu
dieser Zeit noch keine Rede sein; lt. Lenins Analyse entwickelten sich in Europa
und den USA die ökonomischen
Voraussetzungen für den Imperialismus etwa zur Zeit der Jahrhundertwende;
sein Markenzeichen war der Erste Weltkrieg, aus dem die USA als führende
Weltmacht hervorging.
Ich sagte noch: Im Falle einer Beschwerde über den Lehrer hätte das Herr O. vermutlich von jedem DDR-Schulleiter erfahren können.
Herr O. schwieg und Hans-Joachim schmunzelte.
Das Gespräch kam auf die angeblich sagenhaften Privilegien der DDR-Oberen.
Natürlich distanzierte ich mich von mir bekannt gewordenen Entgleisungen aus der Honeckerzeit - etwa von Mittag oder Sindermann. Ich erwähnte aber auch, dass ein bewährter Werkdirektor, als er von Walter Ulbricht zum Minister berufen werden sollte, die Forderung stellte, sein Direktorengehalt weiter zu bekommen, denn es lag deutlich über dem Ministergehalt. Walter Ulbricht wies das zurück, und als der Wirtschaftskapitän wieder nach Hause kam, war er weder Minister noch Werkdirektor.
Dann erinnerte ich an die Untersuchungsergebnisse eines amerikanischen Wissenschaftlers. Er hatte festgestellt, dass in der DDR die niedrigsten Einkünfte zu den höchsten im Verhältnis von 1:5 standen, aber in der BRD in einem Verhältnis von etwa 1:60!
Zunächst schwiegen alle, denn sie wussten, dass dieses 1:60 wohl stimmte. Dann nahm der vermutlich finanzkräftigste Gast der Runde, eine Frau W, das Wort und meinte, 1:60 sei tatsächlich zu hoch, sie wäre etwa für 1:10! Das fand in diesem Kreis allgemeine Zustimmung.
Daraufhin machte Hans-Joachim, der bisher geschwiegen hatte, die ironisch-sarkastische Bemerkung, dass wir doch nun angesichts hergestellter Eintracht daran gehen könnten, über das Kommunistische Manifest zu diskutieren (das er übrigens sehr genau kannte)!
Für einen Moment zogen sich Spuren in die Zukunft durch das geräumige Zimmer.
Dann fand ein allseits höflicher Abschied statt.
Brigitte gestand mir, dass sie sehr enttäuscht sei. Sie hatte angenommen, dass ihre Bekannten aus Geschützen mit größerem Kaliber schießen würden.
Aus dem dreijährigen Briefwechsel zwischen Brigitte und Jürgen
Erster Brief Jürgens an Brigitte, 20.10.1992:
... Nach dem Studium arbeitete ich 14 Jahre als Dramaturg, Regisseur und Intendant an verschiedenen großen und kleinen Theatern, hatte berufsübliche Erfolge und auch Misserfolge und fing mir bei Auseinandersetzungen mit stalinistischen Kulturpolitikern manche schwer vernarbende Wunde ein. Ab 1971 war ich Chefredakteur LITERA (künstlerisches Wort) am großen und einzigen (volkseigenen) Schallplattenbetrieb der DDR, und als solcher ein in der Fachwelt durchaus angesehener Mann, der mit einem durch strukturelle betriebliche Besonderheiten bedingten für die DDR ungewöhnlich hohen Maß an Entscheidungsfreiheit und im Sinne seiner zunehmend DDR-systemkritischen sozialistischen Überzeugungen arbeiten konnte.
Das ging so bis in das Jahr 1990 hinein, als uns mit der Währungsunion die kapitaistische Vergangenheit in effektvoll-attraktivem modernen Kostüm einholte und regelrecht niederwalzte. Der Umsatz stockte, wir konnten keine neuen Aufnahmen mehr bezahlen. Damit entfielen die materiellen Voraussetzungen auch meiner Tätigkeit. Ich hätte noch eine Weile weitermachen können als eine Art Treuhänder meines eigenen Nachlasses, also einiger hundert wertvoller Tonbandoriginale, die in meiner Verantwortung entstanden waren.
Aber ich konnte psychisch nicht mehr, erinnerte mich an mein Alter und beantragte meine Entlassung in den Vorruhestand.
Da unser Bandarchiv lockte, gaben sich Vertreter westlicher Firmen die Klinke in die Hand und wollten, möglichst zu Schleuderpreisen, kaufen. Sie hörten sich auch einige unserer besten Platten für Kinder und Jugendliche an (u. a. Märchen). Einer, der etwas vom Handwerk verstand, sagte: „So etwas habe ich noch nie gehört. Das Niveau gibt es im ganzen deutschen Sprachraum nur bei Ihnen!"
Nun, das wusste ich. Ich wusste, dass meine Berufskollegen im Westen bei bestem Willen und Können hinsichtlich des humanistischen Gehalts und der künstlerischen Qualität nicht so arbeiten konnten und durften wie wir. Ihnen saßen stets marktwirtschaftliche Zwänge im Nacken, die dazu nötigten, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld zu machen. Wenn die Kunst zu Markte gehen muss, lässt sie notwendig Federn. Bei Tonträgern für Kinder (die immer gut absetzbar waren) heißt das: Mit effektvoll aufgemachtem billigen Zeug (bis hin zu ausgesprochenem Ramsch, wie man ihn an den Ausgängen von Supermärkten finden kann) lässt sich im harten Konkurrenzkampfmehr Gewinn erzielen als mit geistig-künstlerisch anspruchsvoller, aber auch mehr Geld und Zeit kostender solider Arbeit, deren Adresse primär der Hörer, nicht aber der Käufer ist. Meine Westkollegen in etwa gleicher Position versicherten mir: So wie Sie wird hier niemand mehr arbeiten können. Angesichts dieser kapitalismustypischen Konstellation glaube ich nicht, dass wir auf diesem Gebiet für die nächste Zukunft eine Spur schlagen konnten.
((Mit unserer vergleichsweise teuren und aufwendigen Produktion für Kinder und Jugendliche (Einheitspreis nur je LP 12.- Mark) erreichten wir in der kleinen DDR Auflagenhöhen, von denen westliche Firmen auf dem übervollen Markt nur träumen konnten! Beispiele: „Benjamin Blümchen" (Teldec) je LP 20000; „Herr Fuchs und Frau Elster" bei uns je LP 200 000 bis 400 000! Eine vergleichsweise gute Grimm-Märchen-LP (Patmos) je LP 6000; unsere künstlerisch hochwertige LP „Der Fischer und seine Frau " (nach Grimm) ca. 150 000! Andere unserer Grimm-LPn lagen noch darüber! Ein Vorteil des Monopol-Betriebes? Aber natürlich auch besondere Verantwortung für die, die diese Platten machten!))
... Liebe Brigitte, ich wünsche mir wahrhaftig die zerfallende DDR nicht zurück, in der von den Mächtigen ein ganzes Volk als unmündig behandelt wurde; ich möchte die Verzweiflung über die Widersinnigkeiten und Hilflosigkeiten der letzten Honeckerjahre nicht noch einmal erleben.
Aber was ist das für eine Welt, die uns da unter Einheits- und Freiheitslosungen zur Halbkolonie macht? Gewiß, man kann kaufen, was man will und reisen, wohin man will, sofern man es bezahlen kann. Man kann sogar wählen, wen man will - nur unser Wille wird kräftig und mit viel Demagogie manipuliert.
Aber sonst? Massenarbeitslosigkeit, Plattmachen von allem und jedem, was hier trotz alledem einmal geleistet wurde (gerade das tut am meisten weh!), katastrophaler Rückgang der Geburtenziffern, riesiger Anstieg der Kriminalität, zuvor nie gekannter neonazistischer Terror durch ausnippende, keinen humanen Lebenssinn mehr findende Jugendliche (vielerorts traut sich abends niemand mehr auf die Straße), verlogene Verheißungen der Oberen, „großdeutsches" Säbelgerassel - und überall große und kleine Wolfe im Schafspelz.
Das alles begleitet von an Sensationsgier und niedere Instinkte appellierende Schlagzeilen der Boulevard-Presse, von maßlosem, uninformativem Werberummel, von hoher Parlamentsrhetorik, deren ganzer Sinn Karrieremacherei zu sein scheint, denn die wirkliche Politik wird woanders gemacht...
Und überall Angst vor weiteren sozialen Katastrophen, verbunden mit entsprechender Duckmäuserei, in der jeder nur noch sich selbst der Nächste ist...
Ist das nun die Freiheit?
Ich habe eine Reihe guter Bekannter in den „alten Bundesländern" (ehemalige Klassenkameraden). Sie sagen mir: Denk doch nicht, dass wir das alles nicht auch sehen und fürchterlich finden - aber trotzdem ist dieses System wohl das bestmögliche! Und sie rieten mir, meine Sohne nicht mit meinen Ansichten zu belasten; ich wurde ihnen damit nur Steine in den Weg werfen.
Nun, meine Söhne sehen diese Welt mit ihren Augen - und da sieht sie fast genauso aus wie in meinen ...
Erster Brief Brigittes an Jürgen, 8.11.1992:
... Natürlich hat mich - und meinen Mann auch - Dein Brief stark erschüttert... Mir wäre eine selbständige sozialistische DDR („Sozialismus mit menschlichem Antlitz" á la „Für unser Land") als Korrektiv zu unserem kapitalistischen Staat lieber gewesen, aber das Volk, das man leider auch nicht von der Folge der Ereignisse freisprechen kann, wollte die DM. Aber wäre es ohne Einheit besser geworden? Im Vergleich mit den anderen Ostblockstaaten geht es der ehem. DDR noch einigermaßen gut...
... Interessant Deine Ansicht über die notwendigen Beschränkungen in der „freien Marktwirtschaft"! Das leuchtet mir ein. Trotzdem wird ja bei uns auch qualitativ Hochwertiges produziert, meist wohl von Firmen, die es sich auf Grund von gewinnträchtigen Massenproduktionen auf anderem Gebiet leisten können, auch Dinge herauszubringen, die sich „nicht rechnen". Auf dem Tonträgermarkt weiß ich da nicht so Bescheid, ich denke da z. B. an bibliophile Bildbände ...
... Ich war oft „drüben", auch mit Oberstufenklassen. Diese Osttendenz brachte mir manchmal Elternkritik ein. DDR-Literatur kam bei mir im Unterricht immer wieder vor, auch die Lektüre von Marx (Feuerbach-Thesen, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Kommunistisches Manifest), wir hatten da sehr viel Freiheit. Und Du siehst, ich bin auf der Linie von damals geblieben, als wir beide uns in Berlin über Dialektischen und Historischen Materialismus unterhielten ...
... Wir haben die Hoffnung auf den wahren Sozialismus noch nicht aufgegeben und glauben, dass er dem Evangelium um vieles näher steht als der Kapitalismus. Doch bin ich immer hilflos, wenn meine Freunde mich fragen: Zeige uns, wo der Sozialismus verwirklicht ist! Kuba ist ja nur ein unzureichendes Beispiel, weil es seit Jahrzehnten unter US-Blockade stehend, seinen Sozialismus nicht voll entfalten kann. Und Allende, vielleicht auch Olof Palme (und wie ist es mit Kelly und Bastian???) hat der CIA umgelegt ... Mein Mann hofft sehr auf eine sozialdemokratische Regierung. Natürlich wäre es besser, aber bei diesem Rechtsruck in der Partei? Ich werde wohl mal wieder die Grünen wählen müssen, die mir als Bewegung sehr gefallen, nicht aber als dauernd zerstrittene Partei, die die besten Leute rausgrault...
... Noch nie habe ich die schreckliche Allmacht der Wirtschaft so im Nacken gespürt wie seit dem Beitritt. Die Wirtschaft will ja gar keine großen Investitionen in Ostdeutschland - aus Konkurrenzgründen. Eine Freundin sagte: „Für unsere Leute sind nur die Immobilien und der Markt interessant." Was hat man getan, um die psychologischen Probleme der Einheit aufzugreifen - besonders bei Jugendlichen? Was Wunder, dass sie ausrasten! Die Erziehung zum Internationalismus etc. in der ehem. DDR mag vielleicht auch eine Rolle spielen, jetzt geht's mal andersrum. Diese Wendehalsmentalität sind sie ja von ihren Lehrern gewohnt. Wo ist da noch echte Autorität? Eine Freundin sagte übrigens: „Uns regiert die Deutsche Bank!"
Nächste Woche werde ich zu zwei Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit gehen. Die Berliner hatte ich wahrscheinlich nicht besucht, weil dort die mitdemonstrieren, die ein gut Teil Verantwortung für die Misere tragen - damit meine ich nicht die Sozialdemokraten ...
((Sie meint die aus der SED kommenden PDS-Genossen. Lebte sie noch, hätte sie sich gewiss auch an der von der PDS mitinitiierten Demonstration der Hunderttausend am 1.11.03 in Berlin gegen Herrn Schröders neoliberale Reformen beteiligt. J. S.))
... Obgleich immer einer protestierenden Minderheit angehörend (bei Atomaufrüstung, Berufsverbot, 68er Bewegung ...) hatte ich eigentlich nie Schwierigkeiten, das ist vielleicht doch ein Vorzug unseres Systems. Vielleicht habe ich mich auch nicht weit genug vorgewagt, bzw. war zu sehr in der Beamtenlaufbahn integriert. Bei Berufungen an Hochschulen war es schon anders. ...
Brigitte an Jürgen vom 11.12.1992:
((Eine Antwort auf meinen Brief mit von ihr erbetenen Auskünften über die Rentensituation, in der ich u. a. über die (anfanglichen) Strafrenten für Mitarbeiter der Staatssicherheit informiert hatte:))
... Mit den Stasi-Leuten allerdings wird man hierzulande nicht allzu viel Mitleid haben. Ware es andersherum gekommen, saßen ihre hiesigen Kollegen - sofern es sie gibt - doch wahrscheinlich hinter Gittern und bezogen nicht noch auf Kosten der Steuerzahler eine Staatsrente. Auch wurden richtige „Westler" wohl darauf hinweisen, wie viele Menschen unter dem Sozialismus um ihr Hab und Gut gebracht wurden, wie viele Akademikerkinder nicht studieren durften und somit an der Erlernung eines einträglichen Berufes gehindert wurden etc.
((In Brigittes Ost-Bekanntenkreis gab es einige solcher Fälle, meist aus religiös gebundenen und systemkritisch orientierten Familien.))
Das größte Unrecht sehe ich immer noch denen gegenüber, die in der DDR nicht hochkommen konnten und auch jetzt ((das Einkommen und die Rente betreffend)) wieder leer ausgehen ...
... Klar, dass Ihr „links" wählt. Links war bei uns bisher die SPD. Mit einigen Äußerungen der PDS sympathisiere ich, etwa wenn sie jetzt die Asylentscheidung, über die ich mich wahnsinnig aufgeregt habe, als „unanständig" bezeichnete - glänzend! Und ich stehe auf der Seite der PDS-Abgeordneten, die vom Bundestag oft unflätig ausgebuht werden. Aber wählen kann ich sie nicht, einmal, weil sie sich bisher sehr wenig profiliert haben und dann, weil eben die SED-Nachfolgepartei für die meisten „Linken" bei uns eben (noch?) nicht wählbar ist, da bestehen unüberwindbare emotionale Hürden. Ebenso wird es Euch ja mit der SPD gehen ...
Jürgen an Brigitte, 15.12.1992:
... Die „Stasi" - ich habe nie unter einem „Stasisyndrom" gelitten und mit ihr nur so viel zu tun gehabt, wie es für einen Leiter auf mittlerer Ebene unausweichlich war (z. B. schriftliche Zustimmung zu privaten Westreisen meiner Kollegen. Sie sind zu Verwandten gefahren und kamen alle zurück.).
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass alle „Stasi"-Leute, die nach dem DDR-Recht (!) Verbrechen begingen, bestraft werden sollen, wobei ich mir nicht anmaße, zu überschauen, wie viele und welche Straftaten dieser Art es gegeben hat.
Das eigentliche „Stasi-Syndrom" in breiten Teilen der Bevölkerung eskalierte erst, als in den letzten DDR-Jahren eine von zahllosen Bürgern gefürchtete „flächendeckende Überwachung" und Bespitzelung aller oppositionellen Regungen gegen die SED-Politik angenommen und unterstellt wurde. Es gab eine solche intensive Überwachung, aber nicht „flächendeckend", denn das hätte auch der große Apparat des MfS nicht bewältigen können. Es gab sie auf Veranlassung der Parteiführung, die offene politische Auseinandersetzungen mit den berechtigten Forderungen in Richtung auf mehr Demokratie ablehnte und ihrem Geheimdienst die Aufgabe stellte, die Opposition - wie auch die Republikflucht - mit staatlichen Machtmitteln zu unterdrücken, womit die „Stasi", wie die Ereignisse bewiesen, völlig überfordert war.
Nun weiß ich, dass der bundesdeutsche „Verfassungsschutz" offenbar mehr Bürger der Bundesrepublik observierte als die „Stasi" DDR-Bürger, und zwar nicht nur absout, sondern in Relation zu den Einwohnerzahlen beider Staaten. Indessen lassen sich die beiden Geheimdienste nach Methoden, Zielen und ihren Möglichkeiten zur Machtausübung nicht miteinander vergleichen.
Ich erwähne das nur, weil Du bezüglich westdeutscher Geheimdienste schreibst: „... sofern es sie gibt..."
Die „Stasi" leistete auch in humanistischem Sinne Nützliches: Alt- und Neonazis waren in der DDR chancenlos. Die „Stasi" hielt die DDR rauschgiftfrei. Es gab nicht einen Drogentoten. Ich wünschte mir, dass das in der vereinigten BRD in naher Zukunft auch so wäre ...
Sie leistete eine große Arbeit gegen Wirtschaftssabotage und getarnte Agenten des Bundesnachrichtendienstes. Es ist kein Geheimnis, dass die Genossen in der Berliner Normannenstraße die wöchentlichen Berichte des BND an den Bundeskanzler schon lange auf dem Tisch hatten, wenn sie Herr Kohl erhielt...
Jürgen an Brigitte und Hans-Joachim, 5.6.1993:
... Hans-Joachims ganz ausgezeichnet geschriebenes Buch „Theologische Religionskritik" habe ich mit großem Gewinn gelesen. Leicht fiel es mir nicht. Vom Vorwissen her hatte ich keine Schwierigkeiten mit den Abschnitten über Kant, Lessing, Herder, Hegel, Feuerbach und Marx. Luthers Theologie war Neuland; bisher interessierten mich hauptsächlich seine politischen Haltungen und Wirkungen und ganz besonders seine herausragenden Leistungen auf sprachlichem Gebiet. Von Calvin wusste ich wenig; Bonnhöfer war mir nur ganz allgemein als Verfolgter des Naziregimes bekannt und Karl Barth überhaupt nicht. Durch manche spezifisch theologischen Passagen habe ich mich mühsam hindurchfressen müssen, da mir die Terminologie nicht geläufig war. Wenn sich auch viele Begriffe mit Hilfe meiner DDR-üblichen Nachschlagwerke schnell entschlüsseln ließen, so fehlte doch die im Buch vorausgesetzte Kenntnis über deren Platz und Bedeutung im Gesamtsystem theologischer Gedankengebäude. Zum Glück kamen mir meine für einen „Laien" doch mehr oder weniger guten Bibelkenntnisse zugute, obgleich meine Bewunderung für dieses Buch der Bücher nichts mit Glauben oder Frömmigkeit zu tun hat. Mein Denken über religiöse und Glaubensfragen, also auch über göttliche Offenbarungen, orientiert sich an Feuerbach und Marx, und zwar ganz im Sinne von Marx’ sechster Feuerbachthese.
An dem Buch lockte mich schon der Titel, denn ich war bisher bereit, alle Glaubenslehren und -äußerungen, ob nun in theologischer oder naiver Form, unter dem Oberbegriff „Religion" bzw. „religiös" einzuordnen.... Nun, hier musste es um mehr gehen, und das machte mich neugierig (man lache bitte nicht über mich, aber Lächeln ist erlaubt).
Für mich war es geradezu bestechend, wie hier aus göttlichen Offenbarungen und der Botschaft Christi ein verpflichtendes Programm des „Daseins-für-andere" abgeeitet wird, das sich keineswegs auf den Bereich humanitärer Hilfeleistungen aller Art reduziert, sondern auf nichts Geringeres als die „Überwindung der Weltkrise" (mit ihren drei großen Gefahren: zunehmende Hungersnöte; Eskalation militärischer Aufrüstung und atomarer Bewaffnung; ökologische Vernichtungswelle von kosmischen Ausmaßen) zielt. Da wird vom „Kampf gegen den Götzen des wirtschaftlichen Wachstums" gesprochen, von einem ja nur als weltweit zu begreifenden und möglichen „neuen Zusammenleben in Loyalität, Gerechtigkeit und Gleichheit", und mit ausdrücklichem Bezug auf Marx' Kapitalismusanalyse von einem Beitrag der Christen zu „einer neuen Gesellschaftsordnung, die allen den gleichen, gerechten Anteil am erarbeiteten Sozialprodukt sichert". Aber das ist - lt. Marx - eine Fernzielstellung der kommunistischen Bewegung, ist überhaupt erst in einer schon hochentwickelten kommunistischen Gesellschaft möglich (vgl. Marx: „Kritik des Gothaer Programms").
Ich hätte niemals geglaubt, derartige mir bestens vertraute Postulate und Zielvorstellungen in bekenntnishaften Arbeiten von Theologen zu finden - aber das war eben meine Unwissenheit, die natürlich auch mit den großen ideologischen Scheuklappen zusammenhängt, wie sie von offiziellen SED-Propagandisten beim Umgang mit dem Marxismus getragen wurden.
Für solche Einsichten bin ich Hans-Joachim zu großem Dank verpflichtet; ich möchte ihn hier mit aller gebotenen Bescheidenheit und Hochachtung abstatten.
Natürlich habe ich sein Buch auch als Atheist gelesen, also in vielerlei Betracht nicht unkritisch. Aber den sich daraus ergebenden Fragen und Differenzen kommt gerade in unserer Zeit nur eine sekundäre, entlegene Bedeutung zu, und so will ich ihretwegen kein überflüssiges Wort verlieren. Vielleicht nur wieder ein Zitat aus dem Buch selbst: „Der Sozialismus hat sein Zentrum beim Menschen. Er verfährt der Forderung von Friedrich Engels entsprechend: „Aufrichtige Ruckkehr, nicht zu Gott, sondern zu sich selbst."
Nun,
so sehe ich es auch. Sagen wir genauer: so sollte und musste er verfahren.
Brigitte und Hans-Joachim an Jürgen vom 9.6.1993:
Heute traf Dein „theologischer Brief ein, über den wir beide uns natürlich ganz besonders gefreut haben. Bewundernswert, wie Du Dich durch dieses auch für Theoogen nicht immer einfache Buch hindurchgeackert hast, und alle Achtung, wie aufgeschlossen und klar Du Dich der Erkenntnis stellst, dass Christen und Marxisten in wichtigen Punkten, die unsere Welt betreffen (ich mochte schon sagen: den wichtigsten) die gleichen Zielvorstellungen haben. Vielleicht verstehst Du auch von daher unser engagiertes Interesse am Marxismus und seiner Geschichte noch besser. Natürlich bezeichnet Hans-Joachims Position nicht die Stellung aller Christen, ein großer Teil unserer Gemeinden ist leider noch ziemlich unpolitisch, auch teilweise konservativ, aber doch immerhin einer beträchtlichen Gruppe, die, glaube ich, in der DDR eher großer war als bei uns ...
Hans-Joachim fügte handschriftlich hinzu:
Herzlichen Dank für Dein verständnisvolles Eingehen auf meine „Theol. Religionskritik" und beste Grüße Dein Hans-Joachim
Jürgen an Brigitte, 5.5.1993:
... Ein charakteristischer politischer Konfliktpunkt war die pazifistische Losung „Schwerter zu Pflugscharen", bei uns vertreten von der Jungen Gemeinde.
Natürlich kannte ich sie, aber sie spielte in meinem politischen und Arbeitsalltag keine mir erinnerliche Rolle ...
Ich hielt von dieser schönen Losung an sich wegen ihrer großen, in einen poetischen Ausdruck getriebenen Allgemeinplätzlichkeit und ahistorischen Naivität nichts; sie ging in meinen Augen an den wirklichen Problemen des Kampfes um Frieden und Abrüstung vorbei, ja, sie konnte, sofern sie als provokante Kritik an der Politik der DDR verstanden wurde (und von der Jungen Gemeinde wohl auch gemeint war) den gleichzeitigen realen Bemühungen um Friedenssicherung und umfassende Abrüstung nur abträglich sein.
Das wirst Du ganz anders sehen, aber ich will mich näher erklären. Ich fragte mich beim Bekanntwerden dieser Losung zunächst: Was wäre wohl geschehen, wenn die Sowjetunion in den dreißiger Jahren , als Nazideutschland sich intensiv auf den Krieg vorbereitete, im Banne einer solchen pazifistischen Losung abgerüstet hatte? (Unausdenkbare Folgen!)
In den achtziger Jahren standen die Dinge anders ...
... Die beiden antagonistischen Weltlager waren hochgerüstet; das Wettrüsten nahm kein Ende. Es entstand das „Gleichgewicht des Schreckens" und der absurde Zustand, dass das Wettrüsten für längere Zeit eine Art von Friedensgarantie bedeutete. Denn der dritte Weltkrieg, in dem beide Seiten über genügend ABC-Waffen verfugten, um die ganze Welt unbewohnbar zu machen - dieser Krieg, der keine Sieger und Besiegte mehr gekannt hatte, war von keiner Seite mit Erfolgsaussichten zu führen. Es gab nur eine menschheitsdienliche Lösung: umfangreiche Abrüstungsabkommen, in denen sich beide Seiten bei schärfster internationaler Kontrolle verpflichteten, im gleichen Umfang schrittweise abzurüsten. Aber das durchzusetzen war äußerst schwierig, u. a. deswegen, weil die Westmächte genau wussten, dass das Wettrüsten auf Dauer für die wirtschaftlich weit schwächere Sowjetunion tödlich sein wurde.
Eine nennenswerte einseitige Abrüstung des Ostblocks hatte dem westlichen Bündnis große militärische Vorteile verschafft und war also friedensgefährdend. An eine einseitige westliche Abrüstung war überhaupt nicht zu denken! Abrüsten ging, wenn überhaupt, nur paritätisch, wobei zugleich für den Eventualfall höchste Verteidigungsbereitschaft angesagt war, zumal die NATO-Strategie einen Angriffskrieg vorsah, was inzwischen öffentlich bekannt ist. Die DDR-Auslandsaufklärung unter Markus Wolf kannte die NATO-Pläne bestens!
Also: paritätisch abrüsten und zugleich verteidigungsbereit sein - das war der unter damaligen Bedingungen wohl einzig mögliche Weg, den Frieden auf Dauer zu befestigen.
Genau das aber war der Gorbatschow-Kurs, den die DDR unter Honecker bedingungslos unterstützte.
In dieser Konstellation sägte die Losung „Schwerter zu Pflugscharen" an der moraischen Verteidigungsbereitschaft der DDR, und darauf wurde empfindlich reagiert.
In jener Zeit war einer der Hauptverfechter der Losung Herr Pfarrer Eppelmann, der dann als Verteidigungsminister der Regierung de Maiziere nicht etwa die Schwerter der NVA zu Pflugscharen machte oder doch wenigstens unbrauchbar, sondern sie, wo er nur konnte, verkaufte!
Du weißt genau, wer heute zu welchen dubiosen Zwecken Waffen kauft! Dass ausgerechnet NVA-Panzer gegen die Kurden in der Türkei zum Einsatz kamen, war in meinen Augen ein entlarvender politischer Skandal. Die Herren von der Hardthöhe setzten den Verkauf von NVA-Waffen emsig fort (z. B. Kriegsschiffe nach Indonesien), und ich weiß nicht, ob der Herr Kohl die Einnahmen aus diesen Geschäften von den so genannten „400 Milliarden Erblast der SED" abgezogen hat...
Die Losung „Schwerter zu Pflugscharen" habe ich einmal gern und mit Zustimmung gelesen - auf dem Einband des „VERFASSUNGSENTWURF für die DDR", ausgearbeitet im Auftrag des Zentralen Runden Tisches zur Zeit der Modrowregierung, veröffentlicht April 1990. Dieser Entwurf mit der Präambel von Christa Wolf - dem BRD-Grundgesetz historisch meilenweit voraus, also vielleicht eine „Spur in die Zukunft"? - beschrieb eine schöne Utopie, wie eben auch die Losung auf der Titelseite des Einbandes.
Brigitte an Jürgen, 12.6.1993:
Und jetzt zu „Schwerter zu Pflugscharen".... dieses Bild stammt aus dem Alten Testament, wo es gleich zweimal vorkommt, in Jesaja 2,2-5 und fast wortgleich in Micha 4, 3-4. Ich zitiere nach Jesaja:
„... Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herren Wort von Jerusalem. Und er wird Recht sprechen unter den Völkern und Weisung geben vielen Nationen, und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Spiesse zu Rebmessern. Kein Volk wird wider das andere das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen. Haus Jakobs, auf, lasset uns wandeln im Lichte des Herrn!"
(Ich bin von der Lutherübersetzung zur Züricher Bibel übergeschwenkt, weil diese wortgetreuer ist.)
Ein prophetisches Wort also, ein eschatologisches (endzeitbezogenes) Wort, keineswegs ein politisches Programm, erst recht keine zeitlose Maxime. Und doch, wie der letzte Vers zeigt, mit hohem Anspruch an die Gegenwart für das „Haus Jakobs", also für das Gottesvolk, in das einbezogen sich die Christenheit versteht.
Wir haben dieses Wort damals in der Friedensbewegung sehr geliebt, ich erinnere mich noch an eine sehr schöne Predigt von Hans-Joachim darüber. Wir wollten es unserer Kirche und darüber hinaus unserem Volk als Zielvorstellung, als Gegenbild zu dem Zustand der Hochrüstung und Abschreckung vor Augen halten und freuten uns, dass es nun auch in der DDR-Kirche bei der Jungen Gemeinde auftauchte - und waren natürlich entrüstet, als man den jungen Kindern diese Aufnäher abriss, sie von der Schule verwies und mit sonstigen Strafen belegte. Hinzu kam nämlich, dass dieses Symbol und dieser Spruch ... auf dem UNO-Denkmal der Sowjetunion zu sehen ist, die damals den pazifistischen und zugleich sozialistischen Gehalt dieses Wortes sehr wohl verstanden hatte.
Du gibst eine sehr gute Analyse der damaligen politischen Situation ... Ich meine, ... dass wirklich von der Seite der NATO eine größere Bedrohung ausging. Du schreibst richtig, dass das „Gleichgewicht des Schreckens" ein absurder Zustand war und dass dieser Zustand durch Abrüstungsabkommen abgelöst werden musste. Genau das wollte ja doch die Junge Gemeinde, nicht aber einseitig die moralische Verteidigungsbereitschaft der DDR unterhöhlen. Denn sie wussten ja, dass sie ein starkes Pendant in der westlichen Friedensbewegung hatten. Jürgen, die gleichen Vorwürfe (bis hin zum Vaterlandsverrat) haben wir uns doch auch eingehandelt! Dass die ABC-Waffen mit dem Bekenntnis des christlichen Glaubens nicht vereinbar sind, das war der Inhalt einer Schrift des Reformierten Bundes, die in Hans-Joachims Moderatorenzeit (er war zeitweilig „Moderator" dieses Bundes) herausgebracht wurde und für viel Unruhe in Kirche und Gesellschaft gesorgt hat. Der DDR-Kirchenbund hat dem übrigens am vorbehaltlosesten zugestimmt, während die meisten Kirchen der BRD zögerten, gewiss auch aus Gründen der Anpassung an ihre Regierung. Wegen solcher friedenspolitischer und sozialistischer Einstellung ist mir die DDR-Kirche immer besonders lieb gewesen, mehr als unsere hier in der BRD.
Den Eppelmann können wir vergessen!!
Soweit Auszüge aus dem umfangreichen Briefwechsel.
Nach dem „Beitritt" der DDR ist die Losung „Schwerter zu Pflugscharen" hier im Osten bezeichnender Weise sehr rasch verschwunden.
Man kann den (christlichen?) Herren Bush und Blair, aber auch den bundesdeutschen Parteiführern der SPD, CDU/CSU und sogar denen von Bündnis 90/Die Grünen den Text von Jesaja 2, 2-5 in der Züricher Bibel nur immer wieder mit großem Nachdruck vorhalten (was allein natürlich nicht genügt!).
Dass sich West und Ost so gut verstehen, wie in diesem Briefwechsel, ist natürlich, wie ich hoffe, auch eine wichtige Spur in die Zukunft.
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