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Klaus Lettke
Nachlese
Wenn ich die Entwicklung der vergangenen sechzehn Jahre betrachte, dann fällt es mir nicht schwer, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen zeitlich einzuordnen und zu bewerten. Eigenes Denken und Fühlen, Lebensgefühl während der einzelnen Zeitabschnitte wird mir aber am ehesten gegenwärtig, wenn ich mir Texte vornehme, die ich in jenen Tagen geschrieben habe, wenn ich sie, gewissermaßen mit den Augen eines Fremden, lese.
Die Refrainzeile eines Couplets (als Vorlage diente ein Hildegard-Knef-Song „Von nun an gings bergab") könnte dabei als Fazit über dem ganzen stehen.
1988, als wohl noch kaum jemand das baldige Ende der DDR voraussagen konnte, entstand der folgende Text:
Wesen und Erscheinung
Es klingt absurd, doch ich verrat es Ihnen:
Mir
ist heut Nacht im Traum Karl Marx erschienen.
Er
schaut mich so versonnen an und spricht
mit
Vorwurf: „Was denn, weiter seid ihr nicht?
Seit
vierzig Jahr'n habt ihr die Macht in Händen
und
trotzdem fehlt es noch an allen Enden!"
Ich sagte: „Kalle", (denn ich war mit ihm per du),
„im Leben gehts nicht wie in Büchern zu.
Wir selber kämen ja mit uns ins reine,
jedoch
der Klassengegner stellt uns laufend Beine."
„Ihr
hattet doch vor Jahren schon beschlossen,
daß
ihr euch von ihm störfrei macht, Genossen!
Stattdessen
kauft ihr neuerdings am besten
die
kleinste Schraube, wenn es geht, im Westen
und
gebt, um eure Stärke zu beweisen,
die
eignen Waren weg zu Schleuderpreisen."
„Ja, lieber Marx, wie soll ich das erklären,
daß theoretisch wir die Besten wären,
jedoch das Kapital, es ist wie abgekartet,
verfault nicht ganz so schnell, wie wir erwartet
und stellt, wenngleich zutiefst parasitär,
verschiedne Qualitätsartikel her.
Und meistens solche, die wir dringend brauchen,
denn
auch bei uns muß ja der Schornstein rauchen."
„Der raucht mir eigentlich schon bißchen viel;
auch hier war Sauberkeit doch euer Ziel!"
Ich sagte: „Karl, wir sind für Sauberkeit,
nur ist jetzt dafür nicht die rechte Zeit.
Erst müssen wir mal ökonomisch stärker sein,
von
da an halten wir dann auch die Umwelt rein."
„Daß
ihr so lange braucht, seh' ich mit Trauer,
und
auch der Wald ist schon ein bißchen sauer.
Jedoch
am meisten wundert mich das eine:
Ihr druckt da meinen Kopf auf blaue Scheine.
Auch
sehe ich bei euch gewisse Läden
mit
prima Angebot, doch nicht für jeden.
Ich
gab 'nen Schein mit meinem Konterfei,
da
sagte man, daß der nicht gültig sei."
Ich
sagte, seinen Ärger schon verstehend.
„Ach
Marx, das ist doch nur vorübergehend,
und
irgendwann verschwindets in der Tat,
genau
wie „Exquisit" und „Delikat"."
„Wenn
ihr die Läden sowieso vernichtet,
Wozu
habt ihr sie dann erst eingerichtet?"
„Weil
unsre Menschen zu viel Marks verdienen
und
wissen dann nicht mehr, wohin mit ihnen."
„Das
heißt doch wohl, daß ihr hier Wucher treibt!"
„Mensch, Marx, wenn uns nichts weiter übrig bleibt!
Du
mußt auch mal das Gute sehn, mein Kalle!
Sozial sind wir ganz vorn in jedem Falle.
Ich
denke da an die Sozialmaßnahmen,
die
in der jüngsten Zeit zum Tragen kamen.
Heut jung zu sein, ist wahrlich ein Vergnügen,
es ist geradezu zum Kinderkriegen!"
„Was aber kriegen eure Trümmerfrauen?
die
dürfen doch wohl in den Eimer schauen!"
„Mein
Marx, wir werden sehr geschwind
auch ihren Wohlstand heben.
Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann könn'n sie was erleben!
Rein
theoretisch haut schon alles hin."
„Worin
ich mir nicht ganz so sicher bin."
„Oh
Marx, da unterschätzt du unsre Mühen!
An
Instituten und Akademien
Ist
Tag und Nacht ein Heer von klugen Leuten
bemüht,
dein Werk in unserm Sinn zu deuten."
„Ihr
schmökert nur in meinen alten Schwarten,
was Neues kann man kaum von euch erwarten.
Daß
ihr mich achtet, find ich ja nicht übel,
jedoch mein „Kapital" ist keine Bibel!
Und wenn ihr es schon eure Bibel nennt –
wann
schreibt ihr dann das Neue Testament?
Nun
gut, mein Freund, das wäre es für heute.
Ich
hoff', du unterrichtest deine Leute!"
„Mein lieber Marx!" versprach ich hoch und heilig,
„von jetzt an renn' ich noch einmal so eilig.
Ich
werde nirgends mehr die Klappe halten
und dein Vermächtnis progressiv verwalten.
Ich
habe den Marxismus erst erfaßt,
nachdem du ihn mir heut erläutert hast."
„Und warum glaubst du dann, als aufgeklärter Mann,
daß ich, als Toter, dir erscheinen kann?
Du solltest dich doch als Marxist was schämen,
Gespensterspuk
für materiell zu nehmen!"
Und
während Marx noch scharf argumentierte
und sein Erscheinen ad absurdum führte,
verschwand
er in der Marx-Gesamtausgabe,
die ich zum Studium auf dem Nachttisch habe.
Ich aber bin vom Träumen aufgeweckt,
und grade das hat Marx wohl auch bezweckt.
Zwischen den Schnellheftern, worin ich meine Kabaretttexte in chronologischer Folge abgelegt habe, befindet sich einer mit der Aufschrift „Kabarettexte nach der Wende".
Dieser Hefter ist ziemlich dünn, und noch dünner sind die darin befindlichen Texte, was ihren Inhalt und ihr Anliegen betrifft. Heute weiß ich, woran das liegt. Ich war sprachlos. Die Wende war geschafft, wir hatten die Kurve gekriegt. Die so genannte Revolution war friedlich über die Bühne der Weltgeschichte gegangen. Die von mir so sehr ersehnte Einheit Deutschlands (jawohl, ich war's, der sie wollte) war erreicht. Was gab es da noch zu sagen? Es war doch alles in bester Ordnung!
Damit entschuldigte ich meine Sprachlosigkeit, die ich zunächst, vor mir selbst, als Einfallslosigkeit gegeißelt hatte.
Während dieser Zeit unterlief mir lediglich ein Epigramm, welches man auch als harmloses Nonsensgedicht entschuldigen könnte:
Befreiung
Es war einmal ein dummes Schaf,
das war jahrzehntelang stets brav.
Dann sagte es auf einmal: „Nein,
ich will und will kein Schaf mehr sein!"
Es machte seinen Hunden Beine
und steht nunmehr im Dienst der Schweine.
Es war eben durchaus nicht alles in Ordnung, und in den folgenden Jahren hatte ich über Themenmangel nicht mehr zu klagen, wohl aber über den Mangel an sozialer Gerechtigkeit im real existierenden Kapitalismus.
An dem Text „Die ewige Ordnung" hätte ich vieles zu ändern. Da ich aber meinem Vorhaben treu bleiben möchte, meine jeweilige Befindlichkeit aus den damals entstandenen Texten abzulesen, bleibt er hier so stehen.
Die ewige Ordnung
Die
Armen sind arm, und die Kleinen sind klein,
das
wird noch in zweitausend Jahren so sein.
So war
es ja stets, man gewöhnt sich daran.
Doch einmal, da hatte ein
sehr kluger Mann 'nen glänzenden Einfall
gehabt:
Die
Armen sind reich, und die Kleinen sind groß!
Das
freute die Armen und Kleinen; ja bloß:
Es hat
eben nicht so geklappt.
Da war mal im Osten ein riesiges Reich,
und die darin wohnten, die war'n alle gleich
und haben sich selber regiert.
Doch, um zu regieren, benötigten sie
auch mehr und mehr Zwang und viel Bürokratie.
Es
hat eben nicht funktioniert.
Da brach auseinander das riesige Land,
und unter dem Schutt und den Trümmern verschwand
die glänzende Gleichheitsidee.
Nun wird alles wieder wie's immer schon war,
und Träumer, die träumen auf eigne Gefahr,
denn
Hoffnung und Mut sind passe.
Und
wenn einer heut sagt: Die Armen sind reich,
die Kleinen sind groß, und die Menschen sind gleich,
dann weiß man: Der Mann, der ist dumm.
Die
Armen sind arm, und die Kleinen sind klein,
das
wird noch in zweitausend Jahren so sein –
(vielleicht
sind sie morgen schon um).
Für das Kabarettprogramm „Roter Bruder - armes Luder" entstand der folgende Text:
Wiegenlied für Ungezogene
Ein Weißer Mann, der stark an Helmut Kohl erinnert, wiegt fünf eingewickelte Indianerbabys, die durch gewisse Insignien als die fünf neuen Bundesländer gekennzeichnet sind, in den Schlaf.
Schlaft ein, ihr kleinen Dummerchen, schlaft ein!
Dem Weißen Mann dankt ihr den Sonnenschein.
Drum haltet euch am Schein der Sonne fest,
auch wenn man euch im Regen stehen läßt.
Wo gestern Wildnis war, ist heute schon
die freie Spur der Zivilisation.
Der Weiße Mann hat große, breite Schuhe,
und wo er einmal hintritt, da ist Ruhe.
Doch auch ein Blümchen, das den Kopf verliert,
ist
zwar geknickt, jedoch zivilisiert.
Nun schlaft, ihr Dummerchen, hört auf zu plärr'n!
Denn wenn ihr schlaft, hat euch der Onkel gern.
Schlaft ein, ihr kleinen Dummerchen, schlaft ein!
Ihr solltet mir im Traum noch dankbar sein.
Stattdessen seid ihr leider ungezogen
und sagt, der weiße Onkel hätt gelogen.
Und dabei mußte ich doch einfach lügen ;
wie sollte ich euch Dummchen denn sonst kriegen!?
Doch einmal werden alle Lügen wahr.
Dem Weißen Mann geht s jetzt schon wunderbar,
der kleinen Rothaut wird's bald auch so gehn.
Na, Kinder, war das Märchen denn nicht schön?
Nun schlaft, ihr Dummerchen, hört auf zu plärr'n!
Denn
wenn ihr schlaft, hat euch der Onkel gern.
Daß
ihr so schwach seid, hab ich nicht gewußt.
Am
liebsten gäbe ich euch selbst die Brust.
Groß bin ich zwar, jedoch,
beim besten Willen -ich kann nicht alle fünf auf einmal stillen.
Das
eine macht sich naß, das zweite schreit,
das dritte scheißt mir auf
die Einigkeit,
das
vierte macht beim Wickeln viel Beschwerden,
das fünfte
will nicht abgewickelt werden.
Hätt'
ich geahnt, daß ihr so schlecht pariert,
dann hätte ich euch gar nicht adoptiert.
Nun schlaft, der Onkel wartet schon darauf.
Am besten, wacht ihr gar nicht wieder auf.
Der Text „Metamorphose" behandelt die Arroganz gewisser Berater aus dem Westen. Dabei wurde der Sarkasmus bis ins Groteske gesteigert.
Trotzdem wurde diese Szene vom Publikum als realistisch, ja teilweise als allzu realistisch, aufgenommen. Also kann sie ganz so wirklichkeitsfremd nicht gewesen sein. Eigentlich handelt es sich mehr um ein Solo, denn der Ossi kommt - symptomatisch für jene Zeit - kaum zu Wort.
Metamorphose
Ich freue mich, meine Damen und Herren, daß Sie so zahlreich erschienen sind, zu unserem Schnellkursus:
„In
drei Tagen vom Ossi zum Menschen ..."
Pardon! „Ossi", das ist eigentlich eine falsche Vokabel, die der Bundeskanzler gar nicht mehr gerne hören mag, weil das so klingt, als gäbe es noch eine Kluft zwischen Ost und West. Statt „Ossi" sagen wir deshalb lieber „Neubundesbürger". Klingt doch gleich viel anspruchsvoller, nicht wahr!? Das Dumme ist eben nur, daß der Neubundesbürger genauso blöde ist wie der Ossi. Neulich habe ich einem solchen Neubundesbürger einen Doppelstockbus erklären wollen; da fragt der: „Was denn, dreie übereinander?"
Meine Herrschaften, da gibt es nichts zu lachen. Woher soll er's denn wissen!? Der Neubundesbürger - im folgenden kurz „Ossi" genannt - kann nichts dafür! Aber wir werden's ihm schon zeigen!
In drei Tagen vom Ossi zum Menschen, das ist doch vollkommen unmöglich, werden Sie jetzt sagen. Und, meine Damen und Herren, Sie haben recht! Natürlich können wir nicht aus einem Ossi einen Wessi machen. Das wäre genauso irrsinnig, als wollte man eine Quecke zur Orchidee hochzüchten.
Denn, sehen Sie mal: Die Indianer sind ja nach der Eroberung durch die Spanier auch keine Weißen geworden. Das einzige, was man in der letzten 500 Jahren erreicht hat, ist: Es sind weniger geworden. Nun können wir den Ossi aber nicht einfach ausrotten, obwohl man dadurch zweifellos viele Probleme, wie Arbeitslosigkeit und so weiter, auf verblüffend einfache Art lösen könnte. Uns bleibt also nichts weiter übrig, als den Ossi umzumodeln, ihn anpassungsfähig und damit überlebensfähig zu machen.
Um ihnen die Schwierigkeit dieser Aufgäbe vor Augen zu führen, greifen wir uns mal wahllos einen Ossi heraus, ist egal, welchen, sieht ja doch einer aus wie der andere, (ins Publikum) Na, wer möchte bitte?
- keiner! Hab ich mir doch gedacht Na ja, wer gibt schon gerne zu, ein Ossi zu sein! Und weil ich das wußte, habe ich mir meinen Ossi gleich selbst mitgebracht. Zugegeben, der sieht ein bißchen ramponiert aus; kein Wunder, den habe ich schon mehr als zwanzigmal zum Wessi geschlagen, aber er fällt immer wieder in seinen Urzustand zurück.
(zum
Ossi) Sag mal guten Tag zu den Leuten!
Ossi: „Grüß Gott!"
Sie sehen: einiges ist hängengeblieben.
Hier haben wir also einen typischen Vertreter jener Spezies, von der es in den neuen Ländern mindestens eine Million zuviel gibt. Oder es gibt eine Million zuwenig Arbeitsplätze, das können Sie nun sehen, wie sie wollen.
Bevor wir uns seinen inneren Werten zuwenden, betrachten wir zunächst das äußere Erscheinungsbild. Was fällt uns auf?
- Fliehende Stirn, durch Verdrängung von Fluchtgedanken in der Vorwendezeit.
-
Stumpfer Blick,
durch jahrzehntelange Perspektivlosigkeit. Die Augen, wie gesagt, sind
trübe bis stumpf, können aber bei gewissen äußeren Reizen gierig aufflackern.
Wir sprechen dann von dem symptomatischen „Im Konsum-gibts-Bananen-Blick".
-
Krummer Rücken,
durch jahrzehntelanges Liebedienern vor den kommunistischen Machthabern.
- Verkümmerte Ellenbogen, durch gleichmacherischen Trott in der sozialistischen Menschenherde.
- Und schließlich: Durchgetretene Füße, vom ewigen Anstehen nach Sirup und Zement.
Ich darf also zusammenfassen: Ein Bild des Elends, eine menschliche Ruine, als traurige Hinterlassenschaft von 40 Jahren Kommandowirtschaft.
Kommen wir nun zu seinen inneren Werten:
Das Typische am Verhalten des Ossis: Er will immer das, was es nicht gibt. Früher wollte er Bananen; die hat er jetzt, aber anstatt nun zufrieden vor sich hin zu mampfen, will er neuerdings auch noch Arbeit. Aber mal ehrlich: Würden Sie den einstellen? - ich auch nicht. Dieses Individuum gilt es also umzugestalten und den Erfordernissen der freien Marktwirtschaft anzupassen. Den Rücken können wir gleich so lassen.
(zum Ossi) Nein, keine Angst! Die Kommunisten kommen nicht zurück. Das ist aber noch lange kein Grund, aufmüpfig zu werden!
Die fliehende Stirn kaschieren wir durch eine optimistische Kopfbedeckung, deren jugendlich-dynamisches Design den Blick automatisch nach vorne lenkt, in Richtung Aufschwung Ost. Im Schatten des weitausladenden Mützenschilds sieht selbst ein Blinder das Licht am Ende des Tunnels.
Die Jacke, weit genug, um sie nach dem Wind drehen zu können, ist mit eisgehärteten Ellenbogenverstärkern ausgestattet. Als Schuhe empfehlen wir schaumgebremste Leisetreter der Firma - (Störton), wie geschaffen zum beruflichen Vorwärtskommen und zum Leben auf großem Fuß.
Na, was sagen Sie nun, meine Herrschaften!? Das sieht doch schon ganz anders aus! Also, wenn da kein Arbeitgeber anbeißt, will ich Meier heißen! Ich heiße übrigens wirklich Meier; aber Spaß beiseite! Der Erfolg unserer Schnellkurse ist verbürgt und an vielen Einzelfällen nachzuweisen.
Ich habe erst kürzlich einen Professor umgestylt; der arbeitet jetzt an der Uni - als Jauchenwart - eine schöpferische Tätigkeit. So einfach ist das bei uns: Vom Lehrstuhl zum Stuhlleerer!
Sie sehen, meine Damen und Herren: Flexibilität ist angesagt. So viel für heute. In der nächsten Stunde üben wir dann das Essen mit Messer und Gabel. Besteck ist mitzubringen, falls Sie nicht jetzt schon die Schnauze voll haben.
Bereits vor sechzehn Jahren entstand eine literarische, beziehungsweise kabarettistische Figur, „der Schorsch aus Reitzenhain".
Entwaffnend naiv, aber mit sächsischer Schläue ausgestattet, meldete sich dieser „Gelegenheitspolitiker" in verschiedenen Zeitabschnitten, zu bestimmten Anlässen immer mal wieder zu Wort, um auch seinen Senf mit dazuzugeben.
So auch, als die Arbeitslosigkeit, an deren erfolgreicher Bekämpfung sich der wortgewandte Kanzler Gerhard Schröder messen lassen wollte, ihren (bis dahin) höchsten Stand erreicht hatte.
Abgecardet
Sie
derf'n mir ni beese sein –
ich
bin dor Schorsch aus Reitzenhain
und
möchde Ihnen ganz bescheidn
mal
meine Meinung underbreidn
zum
greeßdn Übel unsrer Zeid,
und
zwar dor Arbeidslosigkeid.
Das Word werd ofdmals missversdandn,
denn Arbeid is genuch vorhandn.
Ich kann Ihn'n ooch verradn, wo:
In Hildburghausn offn Klo,
in Rostock, in dor Kläranlaache
oder in Gorleem under Daache,
im atomaren Abfallstolln -
es
gibd genuch, mor muss bloß wolln!
Jedoch
die deutschn Arbeidnehmer,
die
wern von Daach zu Daach bequemer.
Wenn
eener seinen Dschob verlor,
dann
leeschd er sich zu Haus offs Ohr,
dud
in dor Kneipe - „hoch de Tassn!" –
sei
Arbeidslosngeld verbrassn
und
denkt, es dräächd ihm ärchendwer
nu
Arbeidsplätze hinderher.
Ich
aber sah beizeidn ein:
Mei Schorsch, du mussd flexibl sein!
Kaum
war mei Hightech-Arbeidsplatz
in Dresdn damals für de Katz,
da
las ich schon, als Mann der Dad,
in
eenem Zeidungsinserat,
dass
die Computerschbezialisdn
sich
nuu nach Ulm bemiehen müssdn.
Ich
fuhr dort nunder off de Schnelle
und
hadde wieder eene Stelle!
Dor
Anfahrdswääch war bissl weid;
zum
Schlafn hadd ich kaum noch Zeid.
Ich
aber sah das ni so grob –
de
Haubdsache, mär had en Dschob!
Zwar
war dord undn ooch bald Schluß,
jedoch
für mich war's keen Verdruß.
Ich
ging danach zwee Jahre lang
nach
Helgoland zum Krabbenfang.
Midunder
sprach dor Kabidän: „
Daß
du noch neu bist, kann man seh'n.
Wühlst
du, anstatt zu programmieren,
denn
gern hier rum in Schalentieren?"
Ich aber saachde: „Na, und ob!
De
Haubdsache, mär had en Dschob!"
Jedoch
die Krabbn wurdn alle
und
gingen ni mehr in die Falle,
so
daß mor dann gewissermaßn
mal
wieder offn Trocknen saßn.
Da kam, als Redder in der Nod,
dor Schröder, mid dem Angebod,
daß mir Computerschbezialistn
in
Deutschland dringend einstelln müssdn.
Zwar
keene Deutschn, sondern Inder.
Wer
aber kommd'n schon dahinder,
daß
ich in Reitzenhain, in Sachsn,
und
ni in Bombay offgewachsen!?
Zwecks
Vorbereidung ging ich drum
vier
Wochn ins Solarium.
Wenn'ch
in dn Spiechel gugge, find ich:
Ei
Gott, ich wirk ja rischdisch indisch!
Ich
machde in den nächsdn Daachen
mir
ooch noch falsche Unterlaachen.
's
is besser, so de Zeid zu nützen,
als
offn Abeidsamd zu sitzen!
Ob
ich noch Indisch lernen würde,
das
war für mich gar keene Hürde:
Mid
meinem Sächsisch, klar und rein,
verstehd mich sowieso kee Schwein.
Ich
kriechde dann, wie zu erwardn,
gleich
eene von den grienen Kardn
und
ooch - das is das Wunderbare –
ne
Arbeidsstelle für fünf Jahre.
War
ooch mei Vorgehn ni dibb dobb –
de
Haubdsache, mär had en Dschob!
Ich
werde jedzd - 's is ni gebrahld –
als
Inder ziemlich gut bezahld und
fühlde
mich ooch ziemlich schnell
hier
heimisch, muldikuldurell.
Harn
de Kolleeschn mal ne Fraache,
dann
nur in dor Computerschbrache.
Sonsd
quadschn se mich gar ne an,
weil
keener von ihn' Indisch kann.
Kurzum:
Es kann, bei Lichd besehn,
mir
überhaubd ni besser gehn. D
a
plötzlich hör ich - au verdammt! –
doch,
daß mei Chef aus Dresdn stammt!
Ich
hadde Angsd, der kam dorhinder.
Doch
saachde er mir heute Morgen:
„Mei
Schorsch, mach dir mal keene Sorgen!
Ich arbeid doch hier ooch als Inder."
Nach einigen größeren Zeitsprüngen sind wir nun in der Gegenwart angelangt, die mit der Nachwendezeit für mich so viel gemein hat, dass ich wieder einmal sprachlos bin. Diesmal aber, weil gar nichts mehr in Ordnung ist.
Es scheint mir überflüssig, die Misere in all ihren Einzelheiten aufzuzählen; die bekommt jeder am eigenen Leib zu spüren, sofern er nicht zu den begünstigten Oberen Zehntausend zahlt oder zu der vom Volk abgehobenen Politiker-Kaste.
Angesichts der schreienden Ungerechtigkeit ist es erschreckend, dass politisches Kabarett mehr und mehr zurückgedrängt wird oder sich selbst zurücknimmt. Wozu auch Kabarett? Wir haben doch Comedy. Daß gerade jetzt, da satirische Kritik am nötigsten wäre, diese von belanglosen Spaßen ersetzt wird, kann kein Zufall sein. Der Blödsinn hat Methode.
Hier aber noch das versprochene Couplet:
Aufschwung eines Absteigers
Ich
habe im Leben verschiednes versucht. –
war
fromm wie ein Mönch, wie ein Strolch so verrucht,
war schlau wie ein Fuchs, wie ein Esel so dumm,
doch wo ich auch hinkam, da
sprach sich's herum:
„Von nun an geht's bergab."
Das
haftet wie Pech, und das ist wie ein Fluch!
Mir
graut schon vor jedem erneuten Versuch.
Ich
will zwar das Gute, doch das will mich nicht,
und jedesmal steht dann im
Abschlußbericht:
„Von nun an geht's bergab."
Ich
ging noch zur Schule, das Leben war hart.
Doch
dann stieg allmählich der Lebensstandard.
Dann
war ich erwachsen, ein richtiger Mann,
und
sagte: „Genossen, jetzt pack ich mit an!"
Von
nun an ging's bergab.
Der
Staat war bankrott und ging bald darauf ein.
Ich
wollte so gern BRD-Bürger sein:
Dort
gibt's keinen Mangel, den Lohn gibt's in West!
Doch
kaum war ich drinnen, schon stellte man fest:
„Von
nun an geht's bergab."
Die
blühende Landschaft, die Kohl mir versprach,
verdorrte
schon wenige Wochen danach.
Ich
sagte: „Was soll das! Bloß weg mit dem Kohl!"
Und
wählte den Schröder, mein großes Idol.
Von nun an ging's bergab.
Der Sprit wurde teurer, mein Job, der fiel weg;
auf Rente zu hoffen hat auch keinen Zweck.
Die Leute, die schimpfen und sagen: „So 'n Mist!"
Obwohl's
doch der günstigste Ausgangspunkt ist.
Ich
hoffe frisch und fromm,
denn schlimmer kann's nicht komm'.
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