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Ernst-Jürgen Langrock

Gesprächssplitter

Nein, gegen ein einheitliches Deutschland war und bin ich nicht. Und irgendwie müssen wir mit den Wessis und irgendwie müssen die Wessis mit uns zurechtkommen. Darüber nachstehend einige Beispiele.

 

Der Preis

Vor der offiziellen Schließung der TH Leipzig hatte ich am 1. Juli eine Stelle als Produktspezialist bei der Firma Mallinckrodt Medical GmbH angetreten.

Die Firma ging eine ganze Zeit recht nobel mit uns um. Zum Beispiel fand jedes Jahr eine Tagung des Außendienstes im Ausland statt. Im Jahre 1996 widerfuhr uns die Ehre, zum Stammsitz der Firma in St. Louis eingeladen zu werden. Der mehrtägige Aufenthalt war sehr üppig für alle. Wir machten eine Dampferfahrt auf dem Mississippi, besichtigten die Firma und nahmen an einem hochrangigen Baseballspiel teil. Es war sehr schön und so kann es nicht verwundern, dass auf dem Rückflug einer meiner Kollegen (in meiner Erinnerung war es Klaus Übrig) sich mit folgender Frage an mich wandte: "Herr Dr. Langrock, Sie sind doch ein intelligenter Mensch. Wie konnten Sie das so lange aushalten in der DDR mit Mauer und Ausreisebeschränkung?" Wie aus der Pistole geschossen kam meine Antwort: "Herr Übrig, ich habe die soziale Sicherheit in der DDR sehr geschätzt und war bereit, dafür diesen Preis zu zahlen." Auf jeden Fall hatte ich während des Rückfluges Ruhe vor weiteren Sticheleien. Ob er mich damals für naiv und drollig gehalten hat, das sei dahingestellt. Ich bin sicher, dass er mich heute besser verstehen wird.

 

Das Plateau

Auf gleicher Ebene lag ein Gespräch, das ich mit Marburger Kollegen Mitte der achtziger Jahre führte. Man wies mich auf das soziale Netz der Bundesrepublik hin. Ich habe dazu ausgeführt, dass ich dieses soziale Netz sehe und respektiere. Aber je nach Maschenweite fallen noch genügend Menschen durch dieses Netz. Im Vergleich dazu sehe ich in der DDR ein soziales Plateau (eine geschlossene Ebene). Und die Leute können machen, was sie wollen, unter dieses Plateau werden sie nicht fallen. Auch damals viel Unverständnis. Heute, wo dieses Netz immer weitmaschiger wird, kann man im Osten vor den Arbeitsämtern und Kaufhallen viele Leute sehen, die durch diese Maschen gefallen sind. Und es werden immer mehr!

 

Gorbis Verhalten

Eine weitere Stichelei, derer ich mich bei Mallinckrodt erwehren musste, kam von Helmut Richter. Es wies mich höhnisch darauf hin, dass Gorbatschow die DDR hätte fallen lassen wie eine heiße Kartoffel und bezog sich auf einen breit publizierten Vorgang. Demzufolge wandte sich Kohl an Gorbatschow mit der Bitte um Übergabe einer Namensliste von Personen, die nicht vor Gericht gestellt werden sollten. Gorbatschow wimmelte dies mit der Bemerkung ab, dies würden die Deutschen schon selbst unter sich regeln. Das war natürlich eine massive Entsolidarisierung von Seiten Gorbatschows, an der sich Richter recht genüsslich weiden wollte. Ich parierte diese Gehässigkeit Helmuts mit etwa folgenden Worte: "Die Sowjets haben eine mitunter ungerechtfertigt hohe Meinung von der deutschen Vernunft. So war schon Stalin der Meinung, die Deutschen wären nicht so dumm, die Sowjetunion anzugreifen, bevor sie England niedergerungen hätten. Das würde zu einem Zweifrontenkrieg führen, den sie nur verlieren könnten. Sie waren so dumm und haben den Krieg verloren. Auch Gorbatschow hat in diesem geschilderten Fall die Vernunft überschätzt. Das Ergebnis ist heute an dem desaströsen Zustand der ostdeutschen Bundesländer unübersehbar."

 

Verflixte Offenheit

Nachstehende Begebenheit ist mir bis heute eine Lehre geblieben:

Meine Bewerbung 1992 bei einer in NRW ansässigen Filiale eines US-Konzerns war günstig verlaufen. Der Personalchef hatte mich zu guter Letzt dies und jenes gefragt und meine Antworten akzeptiert. Dann fragte er mich, wann meiner Meinung nach die Angleichung der neuen Bundesländer an das Niveau der alten Bundesländer abgeschlossen sei. Ich erwiderte offen und arglos, es wird noch ungefähr 10 Jahre dauern. Darauf klappte die Kinnlade meines Gegenübers so unübersehbar herunter, dass mir im Nachhinein sofort klar wurde, ich hatte mit meiner verflixten Offenheit wieder einen kapitalen Bock geschossen. Nun sah ich meine Felle doch noch davonschwimmen. Der Personalchef fasste sich jedoch bald und stellte mich trotzdem ein. 1

996 begegneten wir uns auf einer Tagung und ich erinnerte ihn an die geschilderte Begebenheit mit der Bemerkung, noch würde ich zu meiner optimistischen Ansicht stehen. Das war natürlich nicht mehr ganz ernst gemeint.

 

Verkaufsschulung

Bei einer Verkaufsschulung wurden wir einem psychologischen Test unterworfen. Das Ergebnis war sowohl für die Tester als auch für die Getesteten im höchsten Maße verblüffend.

Die Mehrzahl der Getesteten reagierten in 70 bis 90 Prozent der Fälle emotional. Lediglich bei zwei ausgebildeten Naturwissenschaftlern (einem Biologen und mir als Chemiker) lautete das Testergebnis 50 Prozent. Die Tester waren überrascht, dass es zwei "fifty-fifty" Ergebnisse gab.

Sie errieten sofort, dass die Rausfaller eine naturwissenschaftliche Ausbildung absolviert hatten.

Wir Getesteten waren erstaunt, dass wir alle unerwartet stark emotional reagierten. Das ist aber eine grundsätzliche Erkenntnis der Verkaufspsychologie und nicht nur dieser.

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Unsere Propaganda versuchte viel zu sehr, erstarrte, auch deformierte Vernunft mit dem Holzhammer zu verbreiten und hatte zu wenig auf die Emotionen der Menschen geachtet. Die heutigen sozialistischen Kräfte werden da stark umdenken müssen und viele Erfahrungen zu sammeln haben. So plump, wie das allerdings manche PDS-PolitikeriInnen versuchen, geht's ja nun auch wieder nicht. Aber sind das noch sozialistische Kräfte?


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