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Monika Kersten 

Dieser Staat... 

Ich kam 1990 aus der Sowjetunion zurück, wo mein Mann und ich fünf Jahre lang gelebt und an der Trasse gearbeitet hatten. Den Zusammenschluss von Ost- und Westdeutschland erlebten wir aus der Ferne. Im Ural hatten wir die Möglichkeit zu Urlaubsreisen und bereisten ganz Mittelasien. Wir Trassenerbauer verdienten gutes Geld, so dass uns die Finanzierung der Reisen keine Probleme bereitete. Wir entdeckten die Lust am Reisen. Mit der Zusammenfügung von Ost und West verbanden wir die Hoffnung, die gleichen Reisemöglichkeiten wie westdeutsche Bürger zu erhalten. 

Wir kamen in ein völlig verändertes Deutschland zurück. Meinen Betrieb und den vertrauten Arbeitsplatz gab es nicht mehr und ich konnte nur schwer eine Anstellung finden. So arbeitete ich in den unterschiedlichsten Bereichen - mal hier, mal da, wo sich gerade ein Arbeitsplatz bot. Zeitweilig war ich arbeitslos. 

Montagearbeiter, die noch vor der Wiedervereinigung in die Heimat zurückkamen, fanden vielleicht noch eher Gelegenheit, sich in das neue System einzugliedern, wenn es auch für sie nicht leicht war. Doch Auslandskader wie mein Mann und ich, die erst nach der Wende zurückkehrten, wurden von dem neuen System regelrecht ausgegrenzt. So war der neue Anfang im vereinigten Deutschland nicht nur für uns beide sehr schwer. 

Nach der Wende bildete sich immer mehr ein krasser Unterschied zwischen Armen und Reichen, ein Klassenunterschied, heraus. In den neuen Bundesländern bestanden und bestehen für Leute wie uns kaum Möglichkeiten, zureichend Geld zu verdienen. Es gibt viel zu wenig Arbeitsmöglichkeiten und die Arbeitslosigkeit steigt immer weiter. Von Jahr zu Jahr wird es schwieriger, eine Reise zu finanzieren. Auch wenn es nur diesen Grund gäbe, wäre ich mit meinem Leben nicht zufrieden. Aber es kommt ja noch hinzu, dass sich auf allen sozialpolitischen Gebieten neue Verschlechterungen und Einschnitte abzeichnen! 

Eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage vermag ich nicht zu erkennen. 

Was ist in dieser Gesellschaft, in der nur das Geld regiert, der Mensch noch wert? Das frage ich mich oft, wenn ich die vielen Arbeitslosen und Obdachlosen sehe, die so teuer für ihren Traum von Freiheit bezahlen müssen! 

Dieser Staat ist nicht mein Staat, sondern nur der, in dem ich lebe. Ich habe jedes Vertrauen in die Humanität unserer Regierenden - ob SPD oder CDU - verloren.


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