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Peter Franz
Spuren in die Zukunft
Eine Auferstehung im Diesseits: Dreißig Jahre Leben als Christ und Pfarrer im Sozialismus der DDR
Er gehört zu den Angehörigen des Geburtsjahrgangs 1941. Seine Kindheit und seine Jugendzeit erlebte er in einer Familie, die durch die Erfahrung von Nazikatastrophe und Krieg geprägt wurde. In ihr galt das Motto: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!" Daraus folgte für die, die ihn zu erziehen hatten, seine aktive Hinführung und Hineinführung in die zu errichtende demokratisch-sozialistische Gesellschaft der DDR, und zwar „ohne Gott und Sonnenschein", was heißen soll: ohne jegliche religiöse Berührung. Die Jahre auf der Oberschule jedoch, und noch einmal potenziert die zweijährige Dienstzeit bei der NVA, stürzten dann den pubertierenden Jüngling und jungen Mann in arge Zweifel am Lebenswert des DDR-Sozialismus. Dessen vollmundiger demokratischer Anspruch wurde als hohl empfunden und der mit Holzhammer-Methoden propagierte Sozialismus als abstoßend erlebt. Die Ausnahmesituation, als Abiturient in einer Mot.-Schützenkompanie von unbedarften Unteroffizieren kommandiert und getriezt zu werden, verschärfte den Leidensdruck und ließ ihn nach Auswegen suchen. Der durch Drill und Schikane zermürbte junge Soldat fand sie in der Begegnung mit „anderer" Literatur, z. B. Hermann Hesse, vor allem aber mit der Bibel. Nach seiner Entlassung wegen „Wehrkraftzersetzung" und angeblicher Anhängerschaft an „der kirchlichen Ideologie" ließ er sich taufen, und bald darauf festigte sich in ihm die Vorstellung, einmal als Pfarrer das weiterzugeben, was ihm in seiner Notzeit geholfen hatte.
Dreißig Jahre später, 1992, wird derselbe Pfarrer durch seine Kirche vom Dienst suspendiert wegen seiner Zusammenarbeit mit den DDR-Sicherheitsorganen. In einem sechsjährigen z. T. zermürbenden „Amtszuchtverfahren"(!), das mit lebenslangem Berufsverbot und Entzug aller Versorgungsansprüche und Anwartschaften endet, wird er 1997 aus seinem Amt verstoßen. Seither betätigt er sich als weltlicher Grabredner auf Friedhöfen.
Was geschah nun aber innerhalb jener dreißigjährigen Spanne zwischen 1962 und 1992? Ich will einige Linien nachzeichnen, die diese Existenz als evangelischer Christ und (seit 1969) kirchlicher Amtsträger prägten - Linien, die vielleicht „Spuren in die Zukunft" legten.
Neben dem großartigen Erlebnis einer Studienzeit, die generell in gehöriger Wissensvermittlung und beachtlicher Horizonterweiterung bestand, brachte das Theologiestudium in J. dem angehenden Pfarrer eine wichtige Erkenntnis im Blick auf seine künftige Tätigkeit: Bisher hatte er seine Motivation, für die religiöse Verkündigung zu arbeiten, vor allem aus der Erfahrung geschöpft, dass Theorie und Praxis des erlebten Sozialismus in einem tiefen Gegensatz zueinander stehen, den man nur durch Hinwendung zur Religion aushalten kann. Jetzt musste er verwundert zur Kenntnis nehmen: Der gleiche tiefe Abgrund klaffte auch zwischen der Botschaft der Bibel und der real existierenden Kirche. Um es an zwei Beispielen zu erzählen: Während das Evangelium von einem Jesus kündet, der sich Männern und Frauen in gleicher Achtung zuwendet, erfahrt er von seiner evangelischen(!) Kirche, dass sie noch 1963 nicht bereit ist, auch Frauen zu ordinieren und ihnen ein selbständiges Pfarramt zu übertragen. Der Theologiestudent trägt sich ein in Unterschriftenlisten einer Synodeneingabe, die diesen Missstand beseitigen helfen will. In erste Auseinandersetzungen mit einer Amtskirche wird er einbezogen, obwohl er dieser noch nicht einmal in einem Dienstverhältnis untersteht. Eine zweite Erfahrung: Von vielen Mitstudierenden, vielfach Pfarrerssöhnen, wird er in anderer Weise enttäuscht. Sie verstehen den angesteuerten kirchlichen Auftrag als derart innerkirchlich-exklusiv unter konsequenter Ausklammerung aller gesellschaftlichen und politischen Bezüge, dass er sich darüber nur wundern kann. Als eine Art „Seelenklempner" sehen sie den Pfarrer dazu beauftragt, für das Heil, den „richtigen Glauben" bei den ihnen anvertrauten Schäfchen zu sorgen, z. B. sich darauf zu verlassen, dass das Leben und Sterben des Heilands am Kreuz jedem einzelnen von ihnen ewiges Leben und Seligkeit erworben habe. Darum und um nichts anderes gehe es der biblischen Botschaft, und nichts anderes sei die Aufgabe eines richtigen Pfarrers, so lautet ihr theologisches Credo. Der junge Mann dagegen hatte ganz andere Erfahrungen gemacht. Die eigene Beschäftigung mit der Bibel hatte ihn gelehrt, nach Auswegen und Perspektiven für den missglückten Sozialismus zu suchen, nach Aspekten menschlichen Zusammenlebens, die ihn besser machen, bereichern, u. U. korrigieren und in jedem Falle akzeptabler für die Menschen werden lassen könnten. Er konnte sich jedenfalls unmöglich vorstellen, dass ihn der Glaube zur Flucht aus den wirklichen Lebenszusammenhangen überreden sollte. Die Kirche ist frauenfeindlich, die Kirche ist politikuntauglich - so lauteten auf eine Kurzformel gebracht zwei schmerzliche Einsichten, die der angehende Pfarrer in seine beginnende Tätigkeit in einem Landpfarramt mitnahm. Die wichtigste Konsequenz aus dieser Erkenntnis war für ihn: Wenn Theorie und Praxis beim Sozialismus wie beim Christentum gleichermaßen fundamental auseinander klaffen, dann kann man eben beiden nur zu einer besseren Praxis verhelfen, wenn man der „guten" Theorie in ihnen zu besserer Wirksamkeit verhilft. Er machte zur Grundlage seines künftigen Denkens und Handelns die Maxime: eine bessere Kirche muss möglich sein ebenso wie ein besserer Sozialismus! Als der junge Pfarrer in seinen ihm übergebenen Landgemeinden die erste gründliche Bestandsaufnahme gemacht hatte, ahnte er dunkel, welche Aufgaben da auf ihn warteten: unbeheizbare, heruntergekommene, z. T. einsturzgefährdete Gotteshäuser mussten zu warmen Räumen im thermischen wie im psychologischen Sinne umgestaltet werden. Gleichzeitig hatte er Menschen zu suchen, die ein ähnliches Bedürfnis wie er verspürten und dabei mitarbeiten würden, diesem Ziel langfristig näher zu kommen. Das Frappierende war: Frauen, denen die Amtskirche für die christliche Verkündigung einen gleichen Zugang wie den Männern verwehrt hat, wurden hier an der Kirchenbasis seine ersten, wichtigsten und vertrauenswürdigsten Helfer im Verkündigungsdienst. Und was als die schwierigste Kür erschien: Sie schon jetzt dafür zu gewinnen, in kalten Kirchen, in einzurichtenden Baustellen, z. T. in Provisorien diese Suche nach Wärme und Gespräch, nach Gemeinschaft und Vertrauen zu beginnen, auch wenn das gewünschte Ergebnis vielleicht erst nach Jahren erreicht werden konnte.
Die renovierte St.-Bartholomaus-Kirche Sommer 1988
Dafür erfolgreich die Ärmel hochzukrempeln, standen jedoch die Chancen nicht schlecht. Die Burgermeister oder der Staatsapparat des Kreises konnten oder wollten in diese Bemühungen nicht eingreifen, denn „die Kirche" regelte ihre eigenen Angelegenheiten selber. Es hätte ohnehin nur viel Arbeit und unkalkulierbare Mühen eingetragen, hätte man sich von dieser Seite aus für die Reparatur oder Instandsetzung kleiner, kaum denkmalwerter und z. T. ruinöser Gebäude interessiert. Also musste nun für jede der vier Kirchgemeinden (später wurden es fünf, am Ende acht) ein - wenn auch noch so bescheidenes - Konzept entwickelt werden. Mit den aktivsten Gemeindemitgliedern musste eine Perspektive für ein kirchliches Leben in ihrem Ort gesucht werden. Mit zwingender Notwendigkeit stellte sich sofort heraus, dass ein solch anspruchsvolles Programm nur bei Bündelung aller Kräfte, einem gemeinsamen solidarischen Vorgehen und unter Ausnutzung rationeller Mittel und Methoden angegangen werden konnte. Eine ausgewogene Mischung von Zentralisierung und Dislozierung der kirchlichen Struktur erwies sich als unbedingt notwendig. Als erstes beschlossen die Kirchenvertreter, dass sich die einzelnen Gemeinden trotz bleibender Eigenständigkeit zugleich als ein „Kirchspiel" verstehen, das gemeinsame und übergreifende Aufgaben zu lösen hat. Z. B. die Glaubensunterweisung der Kinder. Als der junge Pfarrer nach K. kam, spielte sich die Christenlehre noch in den Klassenzimmern der an einigen Orten vorhandenen Dorfschulen ab. Das war unbefriedigend und uneffektiv. Zuerst mit dem Pkw Trabant 500, später mit einem Genex-Wartburg und in den letzten Jahren sogar mit einem Kleinbus Barkas B 1000 wurden nun die Kinder aus den einzelnen Orten abgeholt und in dem zuerst renovierten und zweckentsprechend ausgestatteten Kirchgemeindesaal in der Muttergemeinde unterrichtet. Die als Töpferin ausgebildete Frau des Pfarrers ergänzte ihren kirchlichen Unterricht an den Kindern durch Basteln und Gestalten und organisierte eine zwischen Unterricht und Beschäftigung gelegte Teepause, zu der manche Kinder Kuchen von zuhause mitbrachten. So entwickelten sich monatliche „Christenlehre-Nachmittage" für ein bis maximal drei, bei entsprechender Zahl manchmal sogar einzelne Klassenjahrgänge. Nicht nur, dass die Unterweisung viel lebendiger und praxisbezogener sein konnte - selbst die Rundfahrt durch das Kirchspiel wurde zum begleitenden Erlebnis, und das Zusammengehörigkeitsgefühl über Kirchturmgrenzen hinaus konnte ebenfalls wachsen. Die töpfernde Pfarrfrau, die gleichfalls Theologie studiert hatte, konnte als Katechetin die Gestaltung dieser Nachmittage schon Mitte der siebziger Jahre selber übernehmen, so dass der Pfarrer nur der Kraftfahrer zu sein brauchte und die frei werdende Zeit für anderes einsetzen konnte. Und da gab es genug zu tun. Neben den herkömmlichen Tätigkeiten, der Predigtvorbereitung, der Seelsorge, der Gestaltung von Gottesdiensten, der Leitung von Gemeindekreisen und der ausufernden Verwaltung hatte er sich ja vor allem seinem großen Ziel zu widmen, und das hieß z. B.: mit dem Trabi vier Sack Zement herbei karren, wenn die Baustoffversorgung der BHG gerade mal zwischen drei und vier Uhr nachmittags einen Waggon davon zugeteilt bekam; auf dem VEB Holzhandel für einen mühsam ergatterten Bezugsschein ein paar Quadratmeter Schalbretter für die Kirchendachreparatur zu erstehen; mit dem 500er in einen Ort in der Nahe von Berlin zu fahren, um dort eine per Annonce georderte selbstgebaute Kreissäge für die zahlreichen Bauvorhaben abzuholen. Die Dinge entwickelten sich jedenfalls dahin, dass die Engagierten in der Muttergemeinde quasi einen kleinen Bauhof einrichteten. Und die nötigen Arbeiten konnten am besten planvoll und kostengünstig ausgeführt werden, wenn es gelange, einen halben, einen ganzen und später sogar zwei kirchliche Bauhandwerker unter Vertrag für dieses Programm arbeiten zu lassen. Dazu war es erforderlich, Geld für den Lohn zusammenzubringen. Da die bisherigen Klingelbeutel oder Einzelspenden bei weitem nicht ausreichten, wurde in jeder Kirchgemeinde ein Fördererkreis eingerichtet. Die Leute verpflichteten sich dazu, freiwillig neben der so genannten Kirchensteuer (die in Wirklichkeit auch nur eine freiwillige Gabe war) einen monatlichen Spendenbeitrag zwischen 50 Pfennig und fünf Mark aufzubringen, um damit diesen „Fünfjahrplan" (oder mehrere) des Bauens und Renovierens zu finanzieren.
Um die Jugendlichen aus den Gemeinden zu einer Jungen
Gemeinde zusammen zu führen, bot sich eine
wundervolle Voraussetzung an: Unter dem Pfarrhaus, das die frühere
Propstei eines Klosters war, entstand ein „Keller der Jungen Gemeinde",
der nach einer abenteuerlichen Phase der Rekonstruktion und Gestaltung
Ambiente und Gelegenheit zu Gespräch und Diskussion, zu Spiel und Gesang hergab.
Hier versammelte sich z. B. im Jahre
1968 eine Runde jugendlicher Hitzköpfe, die sich nach konträrer
Diskussion und konkreter Information zu einer Eingabe an die Volkskammer-Kommission
entschloss, die den damaligen Verfassungsentwurf überarbeiten sollte.
Die Keller der Jungen Gemeinde
Wie staunten seine jungen Mitstreiter und der Pfarrer selber, als sie Wochen nach dem Abschluss der öffentlichen Aussprache und dem Vorliegen des neuen Verfassungstextes feststellen konnten, dass etwa ein Drittel der von ihnen vorgeschlagenen Veränderungen oder Ergänzungen dem Sinne nach Eingang in das Papier gefunden hatten! (Die Tatsache, dass tatsächlich insgesamt hunderttausend oder mehr Eingaben aus allen Volksschichten diese Korrekturen bewirkt hatten, schmälerte den kleinen „Erfolg" in ihren Augen keineswegs.) Der bisher übliche wöchentliche Konfirmandenunterricht wurde in Teamarbeit mit einem Kollegenehepaar zu Konfirmanden-Wochenenden umgeformt. Eine solche seminarartige Arbeit an einem Wochenende oder in den Schulferien über einige Tage hinweg erforderte natürlich auch die Schaffung von Schlafgelegenheiten und dazugehörigen Funktionsräumen: Küche, Duschräume, Toiletten. All das wurde peu á peu in Pfarrhaus und Nebengebäuden eingebaut, so dass daraus ein Gemeindezentrum entstand, in dem im Laufe der Jahre - auch unter dem „profanen" Gesichtspunkt, investierte Mittel wieder hereinzuholen - viele andere kirchliche Gruppen zu Rüstzeiten bzw. Freizeiten einkehren konnten. Im Jahre 1975, in dem in der DDR an die 450 Jahre zurückliegende frühbürgerliche Revolution erinnert wurde, gab der Ortspfarrer seinem Zentrum den Namen „Thomas Müntzer" - auch gegen mögliche kirchliche Bedenken. Der damalige Bischof Braecklein verteidigte diese Namensgebung gegen bestimmte Kritiker aus dem innerkirchlichen Bereich.
Wie war es überhaupt möglich geworden, innerhalb einer evangelischen Kirchenorganisation, die sich nach ihrem Urheber „Lutherisch" nennt, den Namen seines zeitweiligen Mitstreiters, aber am Ende schärfsten Widersachers, aufs Panier zu bringen?
Mit seiner Ausgangsüberlegung, dabei zu helfen, dass aus der vorfindlichen Kirche eine bessere Kirche würde, übertrug jener junge Theologe seinen „historischen Optimismus" auch auf das Verhalten gegenüber der sozialistisch geformten Gesellschaft und ihrem Staat. In den ersten Jahren seines Bürgerseins in K. versuchte er bei regelmäßiger Anwesenheit in Bürgerversammlungen und Einwohnerforen, durch Beschwerden und Eingaben an verschiedene staatliche Stellen Missstände in der Infrastruktur und Beschwernisse im Zusammenleben beseitigen zu helfen. Nach einer „großen" Staatsratseingabe wurde sogar der kommunalpolitisch unfähige SED-Bürgermeister K. abgelöst. In der darauf einsetzenden Aufbruchstimmung im Ort, bei der mit dem neuen Bürgermeister W. erste wichtige Fortschritte errungen wurden, nahmen seine Einsicht und die Bereitschaft zu, solche Verantwortung auch auf der Ebene des Landkreises zu wagen. Er trat aus diesem Grunde in die CDU ein, weil diese Partei nur eigene Mitglieder auf dem gemeinsamen Wahlvorschlag der Nationalen Front einreichen wollte. Auf diese Weise kam es zur ehrenamtlichen Tätigkeit als Abgeordneter in einer ersten und später zwei weiteren Legislaturperioden des Kreistages von A. Dass die CDU der DDR Christen im Engagement für eine sozialorientierte Innen- und eine friedenstiftende Außenpolitik vereinte, registrierte der nun parteilich gebundene Pfarrer mit Befriedigung, denn in der Bergpredigt hatte ihn Jesus mit seinen Worten dazu ermutigt: „Selig sind die Frieden stiften, sie werden Gottes Kinder heißen." (Matthäus 5,9) Er bekam aber auch zunehmend Gelegenheit, als arbeitendes Mitglied seiner Kommission UWE (Umweltschutz/Wasserwirtschaft/Erholungswesen), neben allen Erfolgen die Mängel und Gebrechen im Alltag des Landes kennenzulernen. Sein „Sprechstundenblock" für Abgeordnete war immer schnell mit Beschwerden und Wünschen von Mitbürgern vollgeschrieben, die ihr Leben an dieser oder jener Stelle verbessert sehen wollten. Bald war er als der Abgeordnete mit der höchsten „Eingabendichte" im Kreis bekannt, und bei manchen natürlich auch als Nörgler und Querulant verschrien. Dennoch konnte er feststellen, dass er mit den Jahren hohe Achtung und viel Vertrauen genoss.
„Selig
sind, die Frieden stiften" - dieses Motto hatte sich auch eine
innerkirchliche oder
besser zwischenkirchliche Friedensorganisation auf die Fahnen geschrieben, die der
Dorfpfarrer durch einen Kollegen kennenlernte. Aus einem ersten Hineinriechen wurde
bald aktive Mitarbeit in dieser „Christlichen Friedenskonferenz" (CFK).
Entstanden war sie auf dem Höhepunkt des
Kalten Krieges als Versammlung von Theologen und kirchlichen Amtsträgern aus Ost und West, die eine nukleare
Katastrophe aus christlicher Verantwortung abzuwehren helfen wollten. Im Laufe
der Jahre wuchs diese kleine Gesprächsgruppe zu einer international und
vor allem kirchlich beachteten ökumenischen
Bewegung. Es bildeten sich schließlich auch analog den westeuropäischen
CFK-Strukturen in der DDR so genannte Basisgemeinden bzw. -gruppen, die in der
CFK korporativ mitarbeiteten. Die Gruppe von K. war, wenn ich mich recht
erinnere, die fünfte in einer Reihe von über zehn Gemeindegruppen. Diese neue
christliche und zugleich
Friedensarbeit brachte noch einen weiteren „Schwung" in die kirchliche
Gemeindearbeit, nämlich durch Teilnahme von Kirchgemeindevertretern bei
Friedenstagungen und Konferenzen in der DDR und international, aber auch durch den
Empfang von weitgereisten Gästen aus allen Erdteilen und das Gespräch mit ihnen,
das Hören auf ihre Erfahrungen. Im Rahmen dieses Organisierens und Mühens um
jene mehrmals jährlich zu empfangenden Gäste, vielfach aus Westeuropa,
besonders aus der BRD, kam es auch zu
jenen Arbeitskontakten und -gesprächen, die dem „Friedenspfarrer" nach der Unterwerfung der DDR zum beruflichen
Verhängnis wurden. Kein Argument, keine Verständnis erheischende Darlegung,
keine Versicherung des Pfarrers, auch
in diesen Gesprächen seine seelsorgerische Verschwiegenheit gewahrt zu haben,
konnte die kirchlichen Ankläger und Richter in den Jahren von 1992 bis 1997
auch nur einen Millimeter von ihrem Generalverdikt abbringen, er habe die Kirche
„verraten", habe „die Seiten gewechselt", sei seiner Berufung
untreu geworden. Noch heute grüßt
vor der mit viel Schweiß erneuerten Kirche von K. eine Friedenssäule,
die japanische Christen in den achtziger Jahren über die Ozeane in das kleine thüringische Dorf schickten. In den vier Sprachen Japanisch, Russisch,
Englisch und
Einweihung der japanischen Friedenssäule
Spuren in die Zukunft?
Auch heute gibt es an verschiedenen Orten kirchliche Gemeindekreise, die sich um Toleranz zwischen Religionen und Kulturen sowie um Zusammenarbeit für humane Fortschritte mühen. Auch heute finden sich Gruppen von Christen zusammen, um über den Dienst an der gequälten Menschheit nachzudenken, um Migranten zu schützen oder sich um den Schutz der Umwelt zu sorgen, um gegen faschistische Umtriebe aufzutreten oder ein soziales Projekt zu unterstützen. Aber an den mir am wichtigsten scheinenden zwei Ebenen wird heute m. W. in den großen Kirchen kaum noch gearbeitet: am Suchen nach einer gerechten und solidarischen Gesellschaft, also nach dem Sozialismus, und am Kampf um Frieden durch Abrüstung, internationale Zusammenarbeit im Sinne der UNO-Charta und die Aufdeckung imperialistischer Anschläge auf die Menschheit. Immerhin: die Spuren sind eingedrückt in die Geschichte der DDR-Kirchen. Auch wenn ganze Planierraupen-Geschwader der Geschichtsvergessenheit und Vergangenheitsverfälschung diese Spuren zuschieben wollen - sie lassen sich nicht verwischen. Irgendwann werden neu vom Geist des Menschensohnes Jesus Bewegte kommen und in die Fußstapfen derer treten, die sich redlich gemüht haben.
Es gibt jedoch auch noch die andere Kirche, die Verrat übt an dem armen Mann aus Nazareth und zugleich an jenem Gott, dem zu dienen sie vorgibt: durch Fortführung der Militärseelsorge, die Beweihräucherung politischer Großereignisse der Herrschenden, die privilegierte Inanspruchnahme der Großkirchen für schulischen Religionsunterricht, die Rechtfertigung von Kriegen (Irak war eine löbliche Ausnahme), die Akzeptanzverbreitung für Sozialabbau und die Teilhabe an ungerechtfertigten Privilegien, die aus feudaler Vergangenheit herrührend bis in alle Ewigkeit verlängert werden sollen. Es bleibt eine Aufgabe der Kirchenmitglieder, dagegen aufzustehen und für eine wahre Kirche in der falschen Kirche zu streiten. Da können die Versuche derer in der DDR, die einen besseren Sozialismus und ein besseres Christentum erstrebten, hilfreich und vorwärtsweisend sein: eben Spuren in die Zukunft.
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