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Wolfgang Wünsche

 Meine Sicht auf Geschichtsaufarbeitung und Kriegsberichterstattung

 12 Jahre nach dem 3 10 1990 ziehe ich eine persönliche Bilanz als ehemaliger DDR-Bürger, den es nicht danach drängte, ein zweites Mal im Kapitalismus zu leben.

Materiell geht es mir gut, obwohl ich Strafrentner (für die letzten 15 Dienstjahre in der Nationalen Volksarmee der DDR) bin. Ich schätze die Meinungsfreiheit, obwohl ich ihren Mißbrauch durch einige Medien sehe. Daß Führungseliten durch Wahlen abgelöst werden können, halte ich für eine positive Tatsache, obwohl ich sehe, daß die Nachfolger in der Regel die prinzipiell gleiche Politik betreiben. Schließlich: wem gefallen nicht eine weltweit anerkannte Währung, weltweite Reisemöglichkeiten und das riesige Warenangebot.

Aber da gibt es das systemimmanente Gebrechen des Kapitalismus, die Arbeitslosigkeit, von dem auch meine Familie betroffen ist. Und da gibt es Korruption in den Führungsspitzen, schon gar nicht zu reden von Privilegien, die mich erbittern angesichts der Versuche, mir als ehemaligem NVA-Offizier ebenfalls welche zu unterstellen. Was mich allerdings am nachhaltigsten bewegt, ist die sogenannte Aufarbeitung der DDR-Geschichte und die Fernsehberichterstattung über die Kriegsführung der USA in Jugoslawien und Afghanistan. Manchen Neu-Bundesbürgern sind die Demagogie oder/und die Inkompetenz derer, die dieses Geschäft betreiben, nicht erkennbar, oder wenn doch, so gehen sie ihnen nicht unter die Haut. Mir schon, denn ich meine, auf beiden Gebieten wird Volksverdummung betrieben Natürlich gibt es Historiker und Journalisten, die um die Wahrheit bemüht sind Aber sie befinden sich in der Minderheit. Ich möchte keine allgemeine Studie über diese Problematik schreiben, sondern über eigene Erlebnisse berichten.

1996 bekam ich die Expertise „Die NVA 1956-1990“ in die Hand, die Peter Joachim Lapp gemäß eines Vertrages vom 24 3 1993 mit dem Deutschen Bundestag für die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ zu Papier gebracht hatte. Allein schon die unwissenschaftliche Methodik brachte mich zu dem Urteil, daß der Autor, dem wissenschaftliche Arbeit nicht fremd ist, den politischen Absichten und Maßgaben konservativer Politiker Folge geleistet hatte. Die Expertise ist ein Konglomerat von Negativaussagen über die NVA, über die Kaderpolitik, besondere Vorkommnisse, Kastengeist im Offizierkorps, Bausoldatendienst u. a. Sie enthält keinerlei Bewertung des Auftrages, der Motivation und des Ausbildungsstandes der NVA. Sie steht im Zusammenhang mit der Tatsache, daß es trotz krampfhafter Recherchen nicht gelungen war, einen Waffeneinsatz der NVA 1989/1990 gegen die Bevölkerung nachzuweisen. Nun sollte Lapps Expertise das gewünschte Negativbild schaffen.

Im Vorwort zu dem Buch „Rührt Euch! Zur Geschichte der NVA“ habe ich deshalb geschrieben, daß es sich bei Herrn Lapps Pamphlet nicht um ein wissenschaftliches Gutachten, sondern um die Erfüllung eines politischen Auftrags handelt Lapp wollte wegen dieser Bewertung gerichtlich einen Auslieferungsstopp des Buches erwirken. Ich erklärte ihm daraufhin, daß ich die Formulierung „politischer Auftrag“ zurücknehme und statt dessen formuliere: „Der Autor wußte, welche Erwartungen in ihn gesetzt wurden.“ Lapp verzichtete auf einen gerichtlichen Entscheid. Das war 1998.

Einige Zeit später wurde Gregor Gysi bei einer Rede im Bundestag mit dem Zwischenruf unterbrochen:„ Warum sind Sie nach Prag marschiert?“ Gemeint war, die NVA sei im August 1968 in die CSSR einmarschiert. Tatsächlich hatten eine Erklärung der Warschauer Vertragsstaaten (außer Rumänien) und die DDR-Medien den Ein druck erweckt, daß dem so war. Aber dann hatten BRD-Journalisten die ČSSR durch streift und fieberhaft feldgraue Uniformen gesucht und nicht gefunden, so daß im Westen die Meinung aufkam, die NVA habe sich in sowjetischen Uniformen versteckt. 1990 und in den folgenden Jahren wurde dann in wissenschaftlichen Veröffentlichungen nachgewiesen, daß zwei NVA-Divisionen zwar bereitgestellt, aber nicht einmarschiert waren. Die Frage ist: wußte das der Zwischenrufer (ein CDU-Mitglied) nicht oder wollte er es nicht wissen?

Dazu ein weiteres Erlebnis. Im Oktober 1998 gab es in der Staatsbibliothek I eine Ausstellung zum Thema „Zeitzeugnisse. Deutsche Außenpolitik von 1870 bis heute.“ Eine Tafel war der Außenpolitik der DDR „gewidmet“. Nun gibt es genügend Zeitzeugen für den Friedenscharakter der DDR-Außenpolitik. Die Organisatoren hielten es jedoch für richtig, auf der Tafel zu vermerken, daß die NVA 1968 an einer Intervention teilgenommen habe. Mein Kollege Dr. Knoll wandte sich daraufhin an den Schirmherrn der Ausstellung, BRD-Außenminister Kinkel, mit der Bitte (verbunden mit dem Hinweis auf Literaturquellen), die Falschaussage zu korrigieren. Der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Auswärtigen Amtes verwies in seiner Antwort (der Minister sei überlastet) auf den Autor der Textstellen, Prof. Dr. Schöllgen von der Universität Erlangen, den er gebeten habe, Dr. Knoll zu antworten. Schollgen berief sich in seinem Brief auf Veröffentlichungen der Warschauer Vertragsstaaten, der CSSR-Regierung und des ND im August 1968 und beharrte auf der Richtigkeit seiner Angaben. Ein Brief von Dr. Knoll an ihn mit der Empfehlung, des Historikers Pflicht sei es, die neuesten Quellen auszuwerten, wurde nicht beantwortet.

Im August 1998 beantwortete die „Berliner Morgenpost“ die Leserfrage, ob NVA-Truppen vor dreißig Jahren in die CSSR einmarschiert seien, bejahend. Nach Informationen von Geheimdiensten (die nicht genannt wurden), waren drei NVA-Divisionen beteiligt gewesen. Für die Auslandsspionage gibt es in der BRD den Bundesnachrichtendienst. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er die Quelle dieser Ente war. Die Redaktion hat m. E. vorsätzlich gelogen. Und das in einer Zeitung, die als seriös gilt!

Zur DDR-Geschichte einschließlich der bewaffneten Organe: In der BRD hat es seit eh und je staatlich geförderte Forschungsaufträge zur DDR und ihren bewaffneten Organen gegeben. Nach Öffnung der DDR-Archive stieg die Zahl der Veröffentlichungen zur DDR-Geschichte sprunghaft an. Zahlreiche Publizisten, Journalisten, aber auch Wissenschaftler und Politiker erkannten in den Archivöffnungen eine Doppelchance.Wer schnell genug war, konnte kurzfristig seinem Verlag ein honorarträchtiges Manuskript mit „Neuigkeiten“ anbieten und in Wissenschaft und Politik Aufsehen erregen. Es gibt unter diesen Veröffentlichungen Anerkennenswertes, aber viele Autoren blieben bei der Wertung der Dokumente und Tatsachen ihren im Kalten Krieg entstandenen Klischees über die DDR verhaftet. Und etliche Akteure des Anschlußprozesses hielten es für nötig, in Büchern ihre Erlebnisse zu schildern, in denen kaum ein gutes Wort über DDR-Verhältnisse zu finden ist.

Geschichte hat stattgefunden. Man kann sie durch Aufarbeitung nicht verändern, wohl aber verschieden interpretieren. Geschichtsschreibung deutet die Geschichte, und da wird es immer wieder unterschiedliche, z. T. sogar gegensätzliche Ansichten geben. So verschwand die DDR, die im Kalten Krieg entstanden war, nach 40 Jahren Existenz. Aber das, was viele ihrer Bürger auf sozialem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet leisteten, kann man nicht verschwinden lassen. Ebensowenig, daß die NVA für den bewaffneten Schutz der DDR tätig und die einzige deutsche Armee des 20 Jahrhunderts war, die keinen Krieg geführt hat bzw. an einem solchen beteiligt war.

Und wie verhält es sich mit der Bundeswehr? Tatsache ist, daß sie bis Anfang der neunziger Jahre weder an einer Intervention noch an einem Krieg beteiligt war. Nach dem Anschluß der DDR an die BRD änderte sich das. Siehe zweiter Golfkrieg, Somalia Bosnien, Serbien (Teilnahme an Luftangriffen), Kosovo, Mazedonien. Mit dem Mandat für die Teilnahme am Afghanistankrieg durch den Bundestag wurde der Weltöffentlichkeit demonstriert: die BRD ist nicht nur eine politische und ökonomische Großmacht, sie hat auch militärische Weltgeltung. Was mich betroffen macht, ist die Tatsache, daß es keinen Massenwiderstand gegen diese militärische Außenpolitik gab und gibt. Ich habe nur eine Erklärung dafür: Die Irreführung über die tatsächlichen Ziele und Hintergründe dieser Politik, dieser militärischen Handlungen, ist so perfekt, daß sie massenhaft glaubwürdig erscheint. Ich komme auf dieses Thema noch zurück.

Auch über den Verlauf der Kampfhandlungen gab es manipulierte Informationen. So wurde z. B. nach den ersten Bombardements der USA-Luftstreitkräfte gegen Bodenziele in Afghanistan gemeldet, daß die Luftabwehr der Taliban ausgeschaltet worden sei. Den Nachrichtensprechern war die Genugtuung über eine scheinbare militärische Leistung anzumerken. Aber im Fernsehen sah man keine Originalaufnahmen der Bombardements, sondern nur Ausschnitte aus Lehrfilmen. Die Lüge wird offenbar, wenn man weiß, daß die Taliban kein modernes Luftverteidigungssystem hatten.

Die Medien versuchten auch den Eindruck zu erwecken, die USA-Streitkräfte hätten frühzeitig mit Bodentruppen Kampfhandlungen durchgeführt. Tatsächlich haben die USA erst dann größere Kontingente Bodentruppen per Lufttransport abgesetzt, als die Nordallianz - ausgerüstet mit russischen (sowjetischen) Waffen - den größeren Teil des Territoriums besetzt und einige Regionalfürsten, die auf der Talibanseite standen, gegen USA-Dollars die Fronten gewechselt hatten.

Die USA-Kriegsberichterstattung, die von den deutschen Medien übernommen wird, ist zutiefst verlogen, und es ist widerwärtig, wenn dann noch den High-Technology-Waffen der USA Bewunderung entgegengebracht wird.

Zur Kriegsberichterstattung von Staaten, die Angriffskriege vorbereiten, gehört es, die eigene Bevölkerung und die internationale Öffentlichkeit zu täuschen - über die Gründe des Angriffs, die tatsächlichen Kriegsziele, die realen militärischen Ergebnisse und über die unmenschlichen Folgen für die Zivilbevölkerung des angegriffenen Staates.

Die Vorbereitung und Ausführung der Aggression gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 waren seitens der USA, der BRD und anderer NATO-Staaten das Musterbeispiel eines Medienkrieges für imperialistische Ziele. Die politischen und ökonomischen Interessen der angegriffenen Staaten wurden in den Massenmedien nicht sichtbar. Im Mittelpunkt der Informationen standen die Kriegsverbrechen der Serben, die der Kroaten und Kosovo-Albaner kamen kaum vor. Für mich war unbegreiflich, wie führende Sozialdemokraten und Grünen-Politiker die Beteiligung der BRD an diesem Krieg rechtfertigten. Manches erinnerte mich an die massenpsychologische Vorbereitung der deutsch-faschistischen Aggressionen, z. B. an den angeblichen polnischen Überfall auf den nahe der Grenze zu Polen befindlichen Sender Gleiwitz, der am 31.8.1939 von SS-Leuten in polnischen Uniformen durchgeführt wurde. Sie ließen einen mitgebrachten toten KZ-Häftling am Tatort zurück.

Da man Jugoslawien Angriffspläne und -handlungen gegen NATO-Staaten nicht nachweisen konnte, wurden andere Szenarien geschaffen. Da war das „Massaker von Racak" (angebliche Massenerschießung von Kosovo-Albanern durch serbische Polizei), aus dem Verteidigungsminister Scharping und Außenminister Fischer folgerten, es gelte einen Völkermord zu verhindern, was auch die Beteiligung der BRD an einem von den USA politisch und militärisch geführten Krieg notwendig mache.

Und es folgten die Greuelmärchen. Herr Scharping behauptete, serbische Milizen hätten die Föten albanischer Frauen auf dem Grill geröstet und mit den Köpfen getöteter Albaner Fußball gespielt. Dann verkündete er die Existenz eines sogenannten Hufeisen-Planes, der die Massenvertreibung und Massenausrottung der Kosovo-Albaner durch die Serben vorsah, den die Öffentlichkeit jedoch niemals zu sehen bekam.

Zu Herrn Fischer: Ein Freund rief mich empört an und berichtete, der Außenminister habe gerade vor der Fernsehkamera die Stirn gehabt, den Einsatz deutscher Soldaten in Jugoslawien mit dem Kampf der Internationalen Brigaden 1936-39 gegen die faschistische Francodiktatur in Spanien zu legitimieren und in diesem Zusammenhang den unvergessenen Arbeitersänger Ernst Busch zu erwähnen, der in Spanien den Interbrigadisten ihre - seine - heute noch lebendigen Lieder sang („Spaniens Himmel breitet seine Sterne“; „Die Herren Generale“ und viele andere). Die Fernsehsendung wurde nicht wiederholt.

Ob Ernst Busch, wäre er noch am Leben, wohl im Kosovo aufgetreten und den NATO-Soldaten anspornende Kampflieder gesungen hätte?

Solche verlogene Stimmungsmache wurde von der Mehrzahl der BRD-Medien massenhaft verbreitet. Das erinnerte mich an Max Liebermanns Aussage zur faschistischen Propaganda, er könne gar nicht soviel essen, wie er kotzen möchte. Für mich war manche Fernsehsendung - sprich Angriffskrieg bejahende Propaganda - unerträglich.

Das erste Opfer eines Angriffskrieges ist immer die Wahrheit. 


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