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Johannes Weiß

Brief an J. S.

 

Lieber Jürgen,

vielen Dank für Deine Zeilen und Deinen Beitrag zum Band V. Ich habe ihn sofort gelesen und - eigentlich ohne großes Erstaunen - in Deiner Schilderung so viele Parallelen gefunden zu meinem eigenen Erleben wie auch zu Positionen und Verhaltensweisen ehemaliger Leiter und selbsternannter „Kommunisten".

Du weißt, ich mag mich ausführlicher nicht äußern in dieser SPURENSICHERUNG zum Lande DDR ... Ich müßte, wie sicher auch andere Eurer Autoren, ein ganzes eigenes Buch schreiben. Der Mangel an Bedürfnis, dies zu tun, geht ganz klar einher mit dem Übermaß an Enttäuschung, daß dieses Land DDR seine Lebenskraft verlor, und dies insbesondere, weil es von seinen eigenen Bürgern aufgegeben wurde. Aufgegeben wie ein sinkendes Schiff, weit allerdings vor dem Zeitpunkt, da das Sinken tatsächlich nicht mehr zu verhindern war.

Meine Eltern - ich glaube, Du weißt es - waren in der Zeit des Faschismus beide zum Tode verurteilt. Durch den Zufall, daß Bomben ihr Zuchthaus trafen, konnten sie sich retten und kamen mit dem Leben davon. Sie widmeten beide all ihre Kraft dem Aufbau dieses Landes, von dem sie sich die Erfüllung menschlicher Ideale versprachen.

In diesem Sinne erzogen, verstand auch ich mein Arbeitsleben. Arbeit, die wirklich Berufung war.

Ich habe übrigens in unmittelbarer Nähe Deiner Arbeitsstelle gewirkt, in der Clara-Zetkin-Straße 93, dem Komitee der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion, in dem ich mich - bis zur leidlichen „Abwicklung", die man wohl eher als ein Davonjagen der Mitarbeiter bezeichnen sollte, das ohne jegliche soziale Rücksichten, ohne geringste menschlich integre Umgangsformen geschweige denn einen Pfennig finanzieller Abfindung vor sich ging - als Leiter der Inspektion Gesundheits- und Sozialwesen um die sozialen Belange „unserer" Menschen bemüht habe ... Letztlich in der Endphase der DDR völlig unsinnig und umsonst, da ja bekanntlich über 90 Prozent in der ersten „Freien Wahl" die das kapitalistische System repräsentierenden Parteien (40 Prozent CDU) gewählt haben, um möglichst schnell BRD-Bürger werden zu können.

Bis heute lebe ich als Fremder im eigenen Land und werde, analog zu Dir, niemals wirklich ankommen. So recht und schlecht mußte ich jedoch nach dem Stoß ins kalte Wasser der „freien" Marktwirtschaft noch 10 Jahre rudern, um mir und meiner Familie das Überleben zu sichern und mich - Jahre zu früh - in die Rente zu retten.

 

Dein Beitrag hat mir ausgezeichnet gefallen.  

Herzliche Grüße, Hannes


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