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Martina
Liedke
Arzt in eigener Praxis
Hier sind meine Erlebnisse, die die Umwandlung vom angestellten Arzt in einer Poliklinik zum Unternehmer, sprich Arzt in eigener Praxis, schildern.
Betonen möchte ich, dass es sich ausschließlich um meine Erfahrung handelt und, mit Sicherheit, jeder Umwandlungsprozess der Kollegen anders verlaufen ist.
Begonnen hat es mit der Tatsache, dass niemand wusste, was mit unserer Poliklinik geschehen würde. Mutmaßungen und Spekulationen waren im Umlauf. In unserer Abteilung arbeiteten fünf Internisten und die sonst so unterhaltsamen Frühstücksrunden wurden immer stiller. Keiner ließ sich mehr in die Karten gucken, Praxisräume wurden gesucht und gefunden, Mietverträge geschlossen und so ging einer nach dem anderen. Von den Internisten war ich allein übrig geblieben, was mit meiner Unentschlossenheit und meinem Abwarten zusammenhing, sich aber im Nachhinein als Standortvorteil herausstellte. Die Patienten suchen immer noch in „ihrer Poliklinik“ nach einem Arzt und schätzen auch das vielfältige Angebot unter einem Dach.
Nun hatten die verbleibenden Kollegen genug Platz, es konnte an die Raumverteilung gehen.
Und es war an der Zeit, eine ganz neue, vorher unbekannte Berufsgruppe kennen zu lernen, einen Praxisberater. Unbedingt notwendig, unabdingbar, wurde einem suggeriert. So übertrug ich die Praxisplanung, den Umbau der Räume, die Verhandlungen mit den Banken einem jungen Mann mit korrekten Manieren, tadellosem Anzug und wichtiger Miene. Woher sollten auch meine Erfahrungen kommen, bis dahin hatte ich als Arzt mit bescheidenem Einkommen wenig mit Krediten in Viertelmillionenhöhe, Praxiskonzepten, eigenen Angestellten und Finanzierungsproblemen zu tun. Man war froh, nicht mit allem ganz allein dastehen zu müssen, auch wenn der Umbau den Wert eines kleinen Häuschens zu DDR-Zeiten entsprach und einem das Fell stückchenweise über die Ohren gezogen wurde. Der Sprechstundenbetrieb musste schließlich weitergehen.
Eines Tages kam mein Praxisberater mit einem ganzen Stapel Versicherungspolicen, und ich schloß bei ihm ab, da mir einfach die Zeit für aufwendige Vergleiche fehlte.
Der Praxisausbau war eine Sache, die einen mit Stolz erfüllte. Ich suchte die Einrichtungsgegenstände wie für mein eigenes Wohnzimmer aus, und zur Zeit der Eröffnung gab es kein Stück in den Räumen, welches nicht farblich harmonierte, alles war total durchgestylt. Davon ist jetzt (nach über zehn Jahren) leider nur noch das Grundgerippe geblieben, Sachen mussten ersetzt werden und die fehlenden finanziellen Mittel erlaubten mir manchmal keine andere Wahl.
Wenn ich an die damalige Zeit denke, fällt mir immer wieder die Anteilnahme meiner Patienten ein. Neugierig und interessiert verfolgten sie den Umbau, erwarteten ungeduldig den Tag der Eröffnung und erfreuten sich gemeinsam mit mir und meinem Team an dem Resultat.
Für mich begann eine Zeit härtester Arbeit, mit der Last der Kredite im Hinterkopf erlaubte ich mir keine Ruhepausen, arbeitete zwölf bis vierzehn Stunden ohne Unterbrechung. In den Schließzeiten für Schwestern und Patienten fuhr ich Hausbesuche. Ich glaube, wenn das so weitergegangen wäre, hätte ich mein physisches und psychisches Ende schon selbst programmiert.
Wir wurden eben alle in heißes, nein, kochendes Wasser geworfen, keiner hatte einem beigebracht, mit dieser Doppelrolle - Arzt und Unternehmer - fertigzuwerden. Zur eigentlichen Arbeit kamen ja noch ganz andere - völlig neue - Aufgaben hinzu: Buchführung, Finanzhaushalt, Leitung von Angestellten, ganz zu schweigen von organisatorischen Problemen wie Reinigung der Praxis und Beschaffung von diversen Materialien. Wenn ich das alles niederschreibe, wird mir selber ganz schwindlig, und ich bin erstaunt, dass mir und den meisten meiner Kollegen das einigermaßen geglückt ist. Und damit nicht genug, wir müssen uns ständig mit wechselnden Bewertungsmaßstäben, Budgetierungen, drohenden Regressen herumschlagen. Es gehört schon eine ordentliche Portion Optimismus, Liebe zum Beruf und ein gewisses Maß an Selbstvertrauen dazu, um sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Hier ins Detail zu gehen würde vielleicht den Rahmen sprengen, doch ich glaube, wenn ich nicht zu den meisten meiner Patienten eine tiefe und fast freundschaftliche Verbundenheit hätte, würde ich dem äußeren Druck, den Zwängen der jeweiligen Gesundheitspolitik, nicht standhalten können.
Zum Schluss eine wahrscheinlich allgemein interessierende Frage, natürlich von meinem Standpunkt aus betrachtet: In welchem System hatten Arzt und Patienten mehr Möglichkeiten, was das Gesundheitswesen betrifft?
Ich ganz persönlich möchte das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Die Arbeit in der eigenen Praxis bietet mir die Chance, mich fachlich voll zu entfalten, mein Arbeitsspektrum nach meinen Interessen auszubauen. Zu DDR-Zeiten kann ich mich noch deutlich an eine bestimmte Rang- und Hackordnung erinnern, die es „Parteilosen“ nicht gerade einfach machte.
Leichter - nein, leichter ist die Arbeit heutzutage bestimmt nicht. Zum Beispiel das Arzneimittelbudget bringt einen manchmal ziemlich an den Rand der Verzweiflung. Ich habe als Arzt die ethische Aufgabe, meinen Patienten bestmöglich zu helfen, doch dann kommt immer wieder diese Finanzierungsfrage!
In dieser schwierigen Zeit habe ich Kollegen erlebt, die mit Frustration und Berechnung reagiert haben und damit die Patientennähe verloren, jedoch auch immer wieder Ärzte, die aufopferungsvoll ihr Bestes geben.
Ich selbst versuche, in erster Linie
Arzt zu sein, meine finanziellen und administrativen Probleme außen vor zu
lassen. Berechnung war noch nie meine Stärke - wahrscheinlich kann ich es
einfach nicht - und ich hoffe einfach, dass sich meine Praxis für mich, meine
Schwestern und meine Patienten noch ein bisschen über Wasser hält, welcher
Sturm sich auch zusammenbraut.
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