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Ernst-Jürgen Langrock
Personalkommission
Dem eigentlichen Beitrag soll ein Auszug aus dem von mir geschriebenen und am 19. Dezember 1989 gehaltenen Rechenschaftsbericht des Parteisekretärs der SED-Grundorganisation Sektion Naturwissenschaften der TH Leipzig vorangestellt werden:
„... Die Verlogenheit, Schönfärberei und die vielfältigen Pressionen seitens vieler Parteifunktionäre, aber auch vieler Staatsfunktionäre, in Verquickung und Verfilzung miteinander , habe ich schon mehr oder weniger deutlich geahnt, als ich 1987 erstmals zum Parteisekretär gewählt wurde. Damals war das Ansehen dieser Funktion schon soweit gesunken, daß die konsequentesten Karrieristen sich nicht mehr darum bemühten. Eines meiner Motive für die Übernahme war die Absicht, noch zu retten, was zu retten ist. Selbstverständlich tat ich das mit dem Ziel, das Statut unserer Partei besser durchsetzen zu wollen, was offensichtlich falsch war. Seit 1987 habe ich mir ernsthaft Gedanken über Situation und Zukunft der Sektion gemacht. Ich gestehe, dieses vorher im Interesse der fachlichen Arbeit vernachlässigt zu haben. Es war oberflächlich von mir und daher verantwortungslos, in Unkenntnis der genauen Situation diese Funktion zu übernehmen. Damals galt noch die These von der führenden Rolle der Partei, und die Verantwortung habe ich deutlich gespürt. Ich war verpflichtet, an den Sektionssitzungen teilzunehmen, und es bot sich mir ein erschreckendes Bild. Die Zerstrittenheit der führenden Physiker der Sektion war entsetzlich und schädlich zugleich ...
In der Leitungstätigkeit der Sektion, aber auch bei vielen Mitarbeitern, glaubte ich viel Negatives zu sehen. Dazu gehören:
-
zu viele eitle
Darstellungssucht außerhalb der Sektion
-
mangelnde
wissenschaftspolitische analytische Tätigkeit
-
Tendenzen der
Selbstüberschätzung in Verbindung mit Hochmut
-
häufiges Mißtrauen
-
Überreaktionen
aus verletzter Eitelkeit
-
Das Bestreben,
die Leistungen der anderen herabzuwürdigen, um sich selbst in ein besseres
Licht zu rücken.
War ich selbst frei davon? Keineswegs!
Ich möchte jedoch für mich in Anspruch nehmen, daß ich es weniger oft tat, als mancher fachlich und politisch Höherqualifizierte. Der aufrechte Mensch Markus Wolf hat schon mehrfach die Notwendigkeit von Zivilcourage versucht und weiß, wieviel Kraft so etwas kostet. Mehr hatte ich nicht. Es mag mich für diesen Fakt verurteilen wer will, er hat recht. Er wird sich aber von mir die Frage gefallen lassen müssen, woran seine eigene Zivilcourage zu erkennen ist?!
Es war ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Das Ergebnis war vorhersehbar ... Mangelnde analytische Tätigkeit in Verbindung mit ersten Anzeichen von Machtarroganz (das Gift der Macht, von dem Ruth Werner kürzlich sprach) haben mich zu dieser Narretei veranlaßt. Für mich selbst ist es wenig tröstlich, diesen Fehler mit vielen zu teilen. Es bleibt ein Fehler!
Die
Ereignisse nahmen dann den bekannten Lauf..."
*
* *
Vorbemerkung
Nun war es auch für mich soweit. Heute war ich vor die Personalkommission geladen. Ich hatte lange überlegt, ob ich überhaupt hingehen sollte. Es siegte jedoch meine Neugier. Schließlich war ich von 1987 bis 1990 ehrenamtlicher Sekretär der SED-Grundorganisation (GO-Sekretär) in der Sektion Naturwissenschaften der Technischen Hochschule Leipzig. Da war der Ausgang von vornherein klar. Jedoch neige ich in solchen Fällen dazu, gewissermaßen einen sicheren experimentellen Beweis zu erhalten. Warum also Vermutungen eingehen, wenn Fakten möglich sind. Auch andere gesellschaftliche Funktionen in DSF und SED hatte ich noch ausgeübt.
Was in der Umwälzung jener Zeit gar keine Aufmerksamkeit fand, war die Tatsache, dass die Partei von ihren Mitgliedern besonderes Engagement bei der Wahrnehmung ehrenamtlicher Funktionen verlangte. Das hing nicht nur mit der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei zusammen, sondern mit einer immer stärker werdenden Abneigung der DDR-Bürger gegenüber ehrenamtlichen Funktionen. Ein nicht geringer Teil der Parteiarbeit bestand für einen GO-Sekretär darin, die GO-Mitglieder für ehrenamtliche Funktionen zu gewinnen. Übrigens kam dieser Teil meiner Arbeit in der Kommission nicht zur Sprache.
Und noch eine Besonderheit muß erwähnt werden. Ich hatte Dr. Michael Rommel gefragt, ob er sich meine Befragung mit anhören wollte. Michael war ein Bauingenieur, der unter meiner Anleitung erfolgreich über die Anwendung radioanalytischer Methoden im Bauwesen promoviert hatte und anschließend eine Stelle in meiner Gruppe Radiochemie erhielt. Als ich ihn in früherer Zeit in einem Unter-Vier-Augen-Gespräch als SED-Mitglied gewinnen wollte, sagte er mir schlicht nein, da wären ihm zu viel Rindviecher (er meinte beim klärenden Nachfragen Opportunisten und Karrieristen) drin. Ich meinerseits verblüffte ihn mit der Äußerung, ich würde das genau so sehen. Er könne aber durch seinen Eintritt das Verhältnis um den für ihn möglichen Beitrag verbessern. Ich schilderte ihm, wie ich in die Partei gekommen war. Während meiner Beschäftigung in der Leunaer Ammonsulfatfabrik fragte mich Werner Kunze einmal, ob ich mit Erich Langrock verwandt sei. Ich antwortete wahrheitsgemäß mit ja. „Und da bist du nicht in der Partei?“ Nein, antwortete ich, ich hielte das nicht für nötig. Überall würde ja stehen, der Sozialismus siegt und die vielen Karrieristen würden schon das Nötige für den Sieg tun. Na, da hatte ich was gesagt. Mitten im Speisesaal brüllte er mich an: „Hast Du Dir schon mal überlegt, was aus der Partei wird, wenn die Kinder unserer alten Genossen uns im Stich lassen?“ Ich überlegte mir das tatsächlich und bat dann nach einigen Wochen um den Kandidatenbogen.
Seit dieser Zeit vertrat ich die Auffassung, das ganze sozialistische System könne noch kippen und man müsse alles zu seiner Stärkung tun. Ich erklärte das zwar nur im kleinen Kreis, aber es gab Leute, die sich noch nach der Umwälzung daran erinnerten.
Nun, Michael trat nicht in die SED ein und wir bewahrten bis zur Wende Stillschweigen über das Gespräch. Danach konnte ich nicht verhindern, dass er es gelegentlich da und dort erwähnte. (Wohl um mich in ein anderes Licht als die damals üblichen Pauschalisierungen zu rücken.) Wir kamen aber überein, er könne bei meiner Befragung nur zuhören und müsse sich, was immer auch zur Sprache kommen würde, in Schweigen hüllen.
Wer war denn diese Personalkommission? Sie setzte sich zusammen aus der Personalkommission der Hochschule und der entsprechenden Kommission der Sektion.
Wortführer der Hochschulkommission war Dr. Markus Reichel. Er hatte eine Gemeinschaftspromotion zustande gebracht. Ich hatte sie mir vorab mal in der Deutschen Bücherei angesehen. Für Leipziger ein probates Verfahren, wenn man sich ein Bild über promovierte Leute machen wollte. (Auch Angela Merkels Promotion habe ich mir dort zu Gemüte geführt. Sie hat m. E. richtig gehandelt, in die Politik zu gehen.) Zweifelsohne versuchte er sich ein Profil als Linkenabklatscher zu erwerben, um damit als Akteur der „demokratischen Hochschulerneuerung“ seine Daseinsberechtigung im Hochschulwesen zu sichern. Als weiteres Mitglied der zentralen Kommission ist mir noch Prof. Michel in Erinnerung. Er kam von der Sektion Physik der Leipziger Universität, die damals noch einen ehrenvollen Namen trug, der für das, was von ihr übriggeblieben ist, nicht mehr berechtigt wäre. Auch an Prof. Dr. Ing. habil. Goeben erinnere ich mich noch. Als gesellschaftlicher Vertreter war noch Pfarrer Haefner anwesend.
Jetzt zur Personalkommission der Sektion. Ihr Wortführer war Dr. W. Singer.
Er hatte vor langen Jahren als Mitautor eine in Buchform erschienene Aufgabensammlung verfaßt und sich dabei intellektuell offensichtlich so verausgabt, daß er nahezu voll in Lehraufgaben aufging, ohne sich besonders um die Forschung zu scheren oder gar ständig Diplomanden zu betreuen. In einer Vorläuferin der TH Leipzig erfüllte er denn auch zur allgemeinen Zufriedenheit seine Ausbildungsaufgaben. Zu seinem Unglück wurde die Bildungspolitik der DDR auf Hochschulebene zielstrebiger. Man legte Fachhochschulen zusammen und verlieh ihnen universitären Charakter (Verstärkung des Forschungsprofils, Erweiterung des Personalrahmens, Promotionsrecht u. Ä.). Viele nutzten diese neuen Gegebenheiten zu einer Promotion B (damalige Form der Habilitation). Singer gehörte nicht zu ihnen.
Ein anderer aktiver Physiker in der Sektionskommission war Dr. G. Gattermann. Er war stärker gesellschaftlich engagiert (Gewerkschaft, Kampfgruppe) und nicht so von sich eingenommen wie Dr. Singer. Aber hinsichtlich Forschung und Diplomandenbetreuung stand er auf ähnlichen Positionen wie Dr. Singer
Schließlich muß ich noch Prof. Dr. rer. nat. habil. K. Fritzsche als Mitglied der Sektionskommission erwähnen. Er war seit über zehn Jahren Hochschullehrer und schien sich nicht sehr wohl in seiner Haut zu fühlen. Schließlich war er langjähriges SED-Mitglied gewesen, hatte allerdings nie Parteifunktionen ausgeübt. Er war im Kulturbund aktiv, was für diesen feinsinnigen Menschen sicher auch kein reines Vergnügen gewesen ist.
Weiterhin sind mir Herr Dipl Ing U Zwirner, Herr B. Weißwange sowie Frau Dipl Chem K. Rosenbaum als Mitwirkende erinnerlich
Somit kann
abschließend hierzu festgestellt werden, daß aus dem Arbeitskollektiv (für
Wessis: aus dem Team) des Lehrstuhls beziehungsweise des Wissenschaftsbereiches,
dem ich angehörte, kein
einziger Mitarbeiter dieser Personalkommission angehörte.
Die Anhörung
Schon beim Eintritt in den Senatssaal, wo die Anhörung stattfand, bewirkte ich eine kleine Verblüffung, da ich mit einem Begleiter erschienen war. Die Anhörung begann mit der Feststellung der Personalien. Nach meiner Erinnerung wurde die ganze Anhörung von Dr. Reichel geleitet. Zuerst wurde ich befragt, wie ich meine Tätigkeit in der Partei selbst bewertete. Offensichtlich war hier Gelegenheit gegeben, daß man sich in der Art von Schabowski von seiner Biografie lossagen konnte. Ich hingegen führte aus, daß ich bei allen selbst erlebten Mängeln in der DDR der Auffassung war, es sei notwendig, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Es sei mir nicht entgangen, dass in der letzten Zeit viel Dinge geschehen seien, die man nicht gutheißen kann. Ich persönlich war bemüht, die von mir als vernünftig angesehenen Vorgänge und Prinzipien, die es in der DDR in überreichem Maße gab (Recht auf Arbeit, Sozialpolitik) voranzutreiben und Dinge, die ich als unvernünftig fand, nicht zu beachten. Während ich den Eindruck hatte, daß die Mitglieder der Sektionskommission meine Ausführungen akzeptierten, wurden mir an verschiedenen Stellen von Dr. Reichel primitive Propagandaparolen serviert (die Partei hat immer Recht und dergleichen mehr) die so nie über meine Lippen gekommen sind.
Durch die Art von Dr. Reichel war mir bereits klar, daß es hier um die pauschale Ablehnung und Verurteilung eines ehrenamtlichen SED-Funktionärs ging und nicht um eine sorgfältige Einzelfallprüfung. Ich nahm mir daher vor, auf die weiteren Fragen nur knappste Erläuterungen zu geben. Verstärkt wurde diese Grundhaltung noch durch eine Bemerkung von Dr. Singer. Er meinte, er könne verstehen, wenn jemand nach 1945 in die Partei eingetreten wäre, nicht aber Ende der 60 er Jahre. Ich wies ihn darauf hin, daß seine Bemerkung voll auf meinen Vater zuträfe, der 1946 als SPD-Mitglied freiwillig (welch ein Pech für mich, daß er nicht gezwungen wurde) in die SED eintrat. Ich hatte mich in der Tradition meines Vaters gesehen. Sofort kam von Herrn Zwirner oder Herrn Weißwange die Frage, warum ich dann nicht in die SPD nach der Wende eingetreten wäre. Ich antwortete ihnen, daß ich die sozialdemokratische Richtung in der DDR für ein ursprüngliches MfS-Konstrukt gehalten habe. Wie der Fall des Ibrahim Böhme gezeigt hat, wäre das wohl nicht gänzlich falsch gewesen. Im nachhinein muß ich konstatieren, daß diese Antwort von mir taktisch unüberlegt war, verscherzte ich mir doch dadurch einige eventuelle Sympathien der SPD-nahen Mitglieder der Kommission. Aber Heucheln und Abducken will eben auch gelernt sein! Nun fuhr Dr. Singer schweres Geschütz auf und erläuterte (für wen wohl?) wie sehr ihn die Lektüre des Buches von Wolfgang Leonhard beeindruckt hatte und machte daran seine gegenwärtigen politischen Ansichten fest. Er forderte mich auf, mich zu Leonhards Buch zu äußern, da saß ich natürlich etwas in der Klemme. Ich hatte mich durch das Buch dieses Schwätzers und Kreml-Astrologen hindurchgequält, ohne seine Schlußfolgerungen nachvollziehen zu können. Wie sollte ich das nun Dr. Singer beibringen? Ich habe in knappen Worten ein wenig geeiert und die Anhörung wandte sich anderen Fragen zu. Die nächste Frage stellte Herr Reichel, indem er mir servierte, daß ich in den Augen der Kollegen als besonders linientreu gelten würde. Hierauf konnte ich nur erwidern, daß ich im Kollegenkreis stets meine konkreten Wahrnehmungen über die „Perestroika“ in der Sowjetunion (ich habe drei Jahre in der Sowjetunion gelebt und bin bis zum heutigen Tag mindestens einmal im Jahr im Institut für Kernforschung in Dubna) dargelegt habe. Meine damalige Meinung war: in der Sowjetunion muß in Folge der langanhaltenden Stagnation etwas passieren. Man sollte aber erst abwarten, was dabei heraus kommt, ehe man dieses und jenes übernimmt. Bekanntlich wollte die Mehrheit unserer Bevölkerung, wollten auch meine Anhörer nicht warten, um sich sobald wie möglich der blühenden Landschaften zu erfreuen.
Ich habe den Herren weiterhin ausgeführt, daß ich mich selbst nicht als linientreu gefühlt habe. Allerdings war ich bemüht, das Statut der SED inhaltlich durchzusetzen. Will sagen, zwischen Geschriebenen und der praktizierten Realität gibt es immer Unterschiede, das war insbesondere damals der Fall, als Verkrustungen und falsche Kaderpolitik zu einem gravierenden Vertrauensschwund der SED führten. Nebenbei bemerkt sind solche Diskrepanzen zwischen Idealvorstellungen und Realität kein Einzelfall sondern eher die Regel. Es ist mir fast zu billig, als Gegenwartsbeispiel auf das Grundgesetz der BRD und seine häufige Nichtbeachtung durch die Bundesregierung (z B Kriegseinsätze der Bundeswehr) hinzuweisen. Zwischen Idealvorstellung und gelebter Realität wird es immer Unterschiede geben Es kommt nur darauf an, wie man damit umgeht.
Ich will noch erwähnen, daß ich im Januar 1990 einen Rechenschaftsbericht der Parteileitung allein verfasst habe. Zwei Leitungsmitgliedern war das Parteibuch nach dem ersten Windstoß schon aus der Hand gefallen und zwei weitere waren „zu beschäftigt“, als daß sie zur Mitarbeit hätten herangezogen werden können. In diesem Rechenschaftsbericht habe ich noch einmal sehr kritisch die Situation an der TH Leipzig aus meiner Sicht dargelegt. Ich hatte auch ein Exemplar dem amtierenden Sektionsdirektor Prof. L. Beyer für die staatliche Leitung übergeben. Dabei amüsierte es mich etwas, daß Prof. Beyer mir die Entgegennahme wunschgemäß quittierte, aber schriftlich hinzufügte, daß er dies als staatlicher Leiter tue. Es hätte gut sein können, daß die Kommission diesen Bericht bei der Befragung mit verwendet hätte. Sie tat es nicht! Das hätte ja zu einer differenzierten Einzelfallprüfung geführt. Statt dessen wurde mir als einziges Papier eine von mir unterschriebene Stellungnahme serviert, wo ich zu dem DSF-Austritt einer Kollegin erklärt hatte, daß die Mitarbeiter des Kollektivs diesen Schritt verurteilen. Das war natürlich im Jahr 1988 längst nicht mehr so. Ich erinnerte mich, daß meine Stellungnahme zweimal hin und her gegangen war, weil sie der zentralen Parteileitung zu lasch erschien. Schließlich gab ich entnervt auf und schrieb, was sie hören und lesen wollten. Da gab es kein Wackeln, zu diesem Fehlverhalten mußte ich mich bekennen. Andere Gesprächspassagen sind mir nicht mehr erinnerlich. Wohl gab es noch einige verbale Anschuldigungen, auf die ich nur knapp reagierte, ohne einen Dialog anzustreben.
Mir war klar, diesen Leuten ging es um einen der wenigen Plätze, die nach der für Herbst 1992 vorgesehenen Schließung der TH Leipzig in der neu zu gründenden HTWK (einer Fachhochschule) zu besetzen gab. Da mußte man schon ein paar Skalpe am Gürtel haben. Ich beantwortete dann die restlichen Fragen ziemlich einsilbig und man kam zum Schluß.
Draußen machte mir Michael, der noch empörter als ich über diesen deutschen McCarthyismus zu sein schien, Vorwürfe, daß ich mich nicht besser geschlagen hätte. Ich sagte ihm, daß die Meinung über mich schon vorher feststand. „Aber Du hättest doch wenigstens sagen können, daß Du in der Kirche bist!“ warf er mir vor. Darauf erwiderte ich ihm: „Das bin ich um meiner selbst willen {,Kommt zu mir, die Ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken’) und nicht für die."
Ich hatte, offen gesagt, auch keine Lust, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten, wo ohnehin die Forschung an Fachhochschulen ziemlich unterbelichtet ist.
Am nächsten Tag las ich eine Mitteilung der Personalkommission an der Wandzeitung, wo die Personen aufgeführt waren, gegen deren Weiterbeschäftigung man keine Bedenken hatte. Erwartungsgemäß fehlte mein Name darauf.
Nun begann ich mit aller Kraft in der freien Wirtschaft eine Stelle zu suchen. Am ersten Juli war es soweit; ich trat eine Stelle als Produktspezialist bei der Mallinckrodt Medical GmbH an.
Es gibt viele
in ähnlicher Situation, die sich erfolgreich um einen Verbleib im sächsischen
Hochschulwesen bemüht haben. Ich habe für sie alle Verständnis. Persönlich
lege ich jedoch Wert auf
die Feststellung, selbst mein Arbeitsverhältnis aufgelöst zu haben.
Nachbemerkung
Erwartungsgemäß wurden Dr. Reichel und Dr. Singer an der Leipziger Fachhochschule Professoren. An Fachhochschulen muß man sich dafür nicht habilitieren. Prof. Fritzsche wurde übernommen und hatte sogar noch das Glück, später zum C 3 Professor heraufgestuft zu werden. Dr. Gattermann hatte etwas Pech. Er hätte zwar auch Professor werden können, aber möglicherweise erschien er den Machern der demokratischen Umgestaltung des Sächsischen Hochschulwesens doch nicht ganz koscher. Auch die Herren Weißwange und Zwirner haben eine Stelle an der HWTK Leipzig erhalten.
An Forschungsergebnissen am dortigen Fachbereich wird häufig das LIDAR-System genannt. Kaum jemand führt sich vor Augen, daß diese Entwicklung schon zu Zeiten der TH Leipzig begonnen wurde.
Ich habe es fünf Jahre bei Mallinckrodt ausgehalten. Heute führe ich selbstständig ein Forschungsbüro. Die Solidarität einiger Kollegen von der Philipps-Universität in Marburg, einiger bei Mallinckrodt und nicht zuletzt die meiner Kooperationspartner in Dubna hat es mir erlaubt, meine Forschungstätigkeit im Bereich der Grundlagenforschung fortzusetzen.
Kürzlich hatte ich Gelegenheit, Einsicht in mein Anhörungsprotokoll zu nehmen. Das war natürlich interessant. Am Schluß waren folgende Einschätzungen möglich:
-
geeignet
-
bedingt geeignet
-
nicht geeignet
Die dazugehörigen Abstimmergebnisse waren geschwärzt. Aber das Resultat Nicht geeignet war deutlich lesbar. Dann hatten die Kommissionsmitglieder unterschrieben. Die Unterschriften Reichel und Singer fehlten. Manchmal denke ich darüber nach, warum sie fehlen.
Wenn ich meine Anhörung so detailliert geschildert habe, so geschah das, weil es an authentischen Darstellungen mangelt, während Erzählungen und Romane über jene Zeit Konjunktur hatten.
Daher auch die konkreten Namensnennungen. Ich trage keinem dieser Akteure etwas nach. Gewiß ließe sich alles noch ausführlicher darstellen. Ich könnte auch mit starken Worten meine Eindrücke über diesen und jenen wiedergeben. Dann müßte ich jedoch Grenzen überschreiten, die ich mir selbst gesetzt habe.
* * *
Etwa ein Jahr und vier Monate nach dieser Anhörung, als ich längst in der freien Wirtschaft tätig und alle freigewordenen Stellen an der Fachhochschule Leipzig neu besetzt waren, erhielt ich vom sächsischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, den hier faksimilierten Brief, den ich nicht weiter kommentieren will.
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