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Wolfgang
Kaul
Mein Leben nach der Wende.
Die
Freidenker - Erwartungen und Wirklichkeit
Bei allem Nachdenken über mein Leben fallen mir immer wieder jene Überlegungen ein, mit denen Martin Walser seinen Roman „Ein springender Brunnen“ begonnen hat. „Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird. Wenn etwas vorbei ist, ist man nicht mehr der, dem es passierte. Allerdings ist man dem näher als anderen.“
Es fällt mir eben nicht leicht, mir Wichtiges aus meinem Leben so zu schildern, wie ich es einmal erlebte. Das aber geht wohl jedem Menschen so.
Mit der Wende und der Auflösung der DDR wurde ich in den Vorruhestand versetzt. Das geschah etwa zwei und ein halbes Jahr vor dem üblichen Beginn des Ruhestandes. Mit diesem plötzlichen Wechsel in gesellschaftliche Unverbindlichkeit konnte ich mich nicht abfinden, ich war meinen Arbeitsgebieten sehr verbunden. Neben Aufgaben, die unseren Lebensabend gestalten sollten, suchte ich mir Aufgaben, denen ich mich geistig wie auch fachlich verbunden fühlte. Das war einmal die politische Tätigkeit, bestimmt durch die Mitgliedschaft in der PDS. So wirkte ich etwa sechs Jahre im Landesparteirat Mecklenburg-Vorpommerns mit. Zudem nahm und nehme ich mündlich wie auch schriftlich am christlich-marxistischen Dialog teil. Das war zum anderen meine aktive Mitarbeit im „Deutschen Freidenker-Verband“ (DFV), dem ich mich aus vielerlei Gründen sehr verbunden wußte. Und darüber will ich in gebotener Kürze berichten. Dem sollen jedoch einige stichwortartige Informationen vorangestellt werden:
Aus der Geschichte der Freidenker-Bewegung:
-
Erste Anfänge im England des
ausgehenden 17. Jahrhunderts. Zusammenhang mit einsetzender europäischer Aufklärung
und industrieller Revolution. Zunächst wissenschaftlich gebildete
Religionskritiker - Auffassung vom
selbstbestimmt handelnden Menschen -, bald Handwerker und Bürger anderer
Schichten. Persönlichkeiten: MOLINEUX, LOCKE, TOLAND, CHUBB. Der Begriff „freethinkers“
(Freidenker) entsteht.
- In Deutschland erste aus dem „Bund freireligiöser Gemeinden“ hervorgehende Vereinigungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zuwachs durch proletarische Kräfte. Persönlichkeiten: DEMMLER, HASENCLEVER, VAHLTEICH, WILHELM LIEBKNECHT. Bedeutende Wissenschaftler gründen eigene Vereinigungen, so ERNST HAECKEL 1906 den „Deutschen Monistenbund“
- 1905 gründen 12 Sozialdemokraten den „Verein der Freidenker für Feuerbestattung“. Ursprünglich bot er seinen Mitgliedern preisgünstige würdevolle Feuerbestattungen an. Nach dem Ersten Weltkrieg entsteht auf dieser Grundlage, besonders in den wachsenden Städten, ein entwickeltes Verbandsleben mit hohem Mitgliederbestand. 1930 Namensänderung in „Deutscher Freidenkerverband e. V. Im März 1933 hatte allein dieser Verband viele hunderttausend Mitglieder. Er wurde von den Nazis liquidiert.
Nach dem Ende der faschistischen Diktatur in Deutschland bemühten sich überlebende Freidenker um Wiederbelebung dieser geistigen Bewegung. Erste lokal begrenze Verbände entstanden im Westen bereits in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre. Sie setzten inhaltlich unterschiedliche Schwerpunkte ihres Wirkens, obwohl sie alle sich in der Tradition eines humanistischen, von Toleranz geprägten Denkens stehend, bezeichnen. Sie gehen in der Praxis mitunter sehr kontrovers bestimmt miteinander um. Als Sammelbezeichnung für die nach gesicherten Untersuchungen etwa neunzig Verbände wird der Begriff „Freigeistige Bewegung“ gebraucht. Auch im Osten Deutschlands gab es in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre vereinzelt gleichartiges Mühen, es wurde offenbar unterbunden.
In der DDR wurden jedoch seit Mitte der fünfziger Jahre, gestützt und getragen von der sozialistischen Staatsmacht, Elemente dieser Bewegung wiederbelebt. Direkte Bezüge zu den Ursprüngen wurden sehr zurückhaltend behandelt. Besondere Aufmerksamkeit erlangte die Jugendweihe. In den auf diesen Höhepunkt im Leben Jugendlicher vorbereitenden Jugendstunden wurden jedoch auch wesentliche Inhalte humanistischen Denkens vermittelt. Daneben bemühte man sich, wenn auch zögerlich, Neugeborene in einer Feier zur Namensgebung zu begrüßen oder zur Eheschließung entsprechende Feiern zu gestalten. Etwa zeitgleich wurde außerdem begonnen, Verstorbene ohne von Kirchen getragenes Zeremoniell, also in einer ,weltlichen’ Trauerfeier, zu bestatten. Während die Jugendweihe von einem Zentralausschuß mit Filialen in allen Kreisen getragen wurde, blieben die anderen Formen der Feiergestaltung mehr in der Verantwortung territorial wirkender Organe.
Der sich ausformende, sich stabilisierende sozialistische Staat wollte auf diese Weise seiner Sozialisierungsfunktion gerecht werden, und in bestimmtem Maße gelang ihm das auch. Vor allem aber wurde in diesen Entwicklungen eine sich intensivierende Abkehr der Bürger von den Kirchen und Religionsgemeinschaften gesehen. Wahrscheinlich hat es in keinem vom Christentum geprägten Land Europas eine solche massenhafte Abwendung von der christlichen Religion in der Vielfalt ihrer Ausprägungen gegeben.
Die Jugendweihe habe ich seit ihrem Beginn unterstützt. An einer großen Schule gestaltete ich beispielsweise von 1980 bis 1990 jährlich eine Reihe von Jugendstunden wie auch die Feierstunden. Meine letzte Ansprache hielt ich 1991. Und seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre habe ich bis in die unmittelbare Vergangenheit etwa dreihundert Trauerfeiern mitgestaltet.
Die zunehmende Abwendung von den Kirchen wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen. Wenig beachtet wurde hingegen ein zunehmendes Bedürfnis nach klärenden, weltanschaulich orientierenden Gesprächen, Denkanstößen für die individuelle Lebensgestaltung. Darauf machten bereits die während der sechziger Jahre am damals existierenden ,Lehrstuhl für Wissenschaftlichen Atheismus’ der Universität Jena ausgeführten religionssoziologischen Untersuchungen aufmerksam. Es konnte seinerzeit nicht ermittelt werden, welche weltanschaulichen Denkinhalte an die Stelle religiöser Einstellungen getreten waren, der Lehrstuhl wurde aufgelöst. Die an einer Hochschule in Rostock während der siebziger Jahre wieder aufgenommenen Untersuchungen stellten zwar den gleichen Sachverhalt fest, aber auch sie konnten dazu keine belegbaren Erkenntnisse liefern. Das war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß sich diese Arbeiten ausschließlich auf Daten stützten, die die Kirchen erhoben und auf verschiedene Weise veröffentlichten. Eigenständige Datenerhebungen gab es nicht. Dennoch wurden diesbezügliche Defizite deutlicher erkennbar. Die Annahme, daß allein eine massenhafte Abkehr von Kirchen und Religionsgemeinschaften, die Lösung vom christlichen Glauben, als eine unverzichtbare Voraussetzung für die Gestaltung einer sozialistisch geprägten Gesellschaft gelten muß, erwies sich als nicht ausreichend. Es hatte sich sowohl in der Geschichte der Arbeiterbewegung als auch in der Gegenwart der DDR gezeigt, daß sich Christen durchaus überzeugend und engagiert für eine sozialistische Gesellschaft einzusetzen bereit sind.
Angesichts der hier nur anzudeutenden Situation wurde Ende der achtziger Jahre die Bildung eines Freidenker-Verbandes vorbereitet. Ich hatte mancherlei Zugang zu den Vorbereitungsarbeiten, begrüßte und unterstützte sie. Der ‚Verband deutscher Freidenker – VdF’ wurde am 13. Januar 1989 in Berlin gegründet. Im Zusammenhang mit der sich vollziehenden Wende wurde der Name bereits im Sommer 1990 in ‚deutscher Freidenker-Verband – DFV’ geändert. Damit war eine Möglichkeit intensiven Zusammenwirkens mit dem in den alten Bundesländern arbeitenden .’Deutschen Freidenker-Verband – DFV’ (Sitz Dortmund) gegeben. Bereits ein Jahr später wurde die Vereinigung vollzogen.
In einer zum 1. Verbandstag am 7. Juni 1989 erstmals erschienenen Broschüre, einer Vorläuferin des geplanten Journals „Freidenker“ (davon gab es leider nur fünf Hefte) werden eingangs wesentliche Grundsätze der beabsichtigten Verbandsarbeit kurz gefaßt und deshalb einprägsam und verständlich benannt.
„Unsere erklärte Absicht ist es, Toleranz zu üben und einen kulturvollen Streit um alle Fragen zu führen, die die Menschen bewegen. ... Auch uns wird man an unseren Taten und nicht nur an der Wissenschaftlichkeit unserer Weltanschauung, guten Vorsätzen und schönen Programmen messen. Freies Denken setzt Verantwortung voraus. Frieden und Humanismus sollen von sozialistischem deutschen Boden ausgehen. Das ist unsere Verantwortung. ... Das Streben nach sozialem Kontakt, nach sozialer Wärme und Geborgenheit stellt ein Grundbedürfnis des menschlichen Lebens dar.“
Mit diesen Vorsätzen begann der Verband sein Wirken, sie entsprachen genau den Bedürfnissen, die aus religionssoziologischen Untersuchungen abzuleiten waren. Das war für mich ein entscheidender Grund für mein weiterführendes Engagement, über mein bisheriges Mitwirken an Jugendweihe und weltlicher Bestattungskultur hinausgehend.
Der 1989 gegründete ostdeutsche Freidenker-Verband erlebte nur einen kurzzeitigen Aufschwung; bedingt durch die Wende wurde anfängliches Interesse sehr rasch verdrängt. Die Hoffnungen, der Verband würde bei der Befriedigung der in breiteren Schichten der Bevölkerung erkennbar gewordenen Bedürfnisse nach weltanschaulicher Auseinandersetzung, bei der Klärung entsprechender Fragen behilflich sein können, lösten sich schnell auf. Statt dessen gelangte die sich stetig verringernde Mitgliederzahl nach dem Zusammenschluß mit dem westdeutschen Verband in eine Fülle von Auseinandersetzungen und Querelen. Auf die dabei gesammelten Erfahrungen, auf die Einblicke in Streitigkeiten der Verbände untereinander, hätte ich gern verzichtet. Ich denke dabei an die Versuche der ,Freigeistigen Bewegung’ in den zwanziger Jahren, die zahlreichen Verbände in einem neu zu gründenden Dachverband zusammen zu schließen. Einzelne Funktionäre westdeutscher Verbände traten mit unerträglicher Arroganz auf.
Andererseits gab es Verbände und Verbandsfunktionäre, die um der von ihnen vertretenen Sache willen in einer menschlichen, freundlichen Art den Kontakt zu uns Ostdeutschen suchten, ihn ausbauten und pflegten. Es entstanden manche persönliche Freundschaften. So wurden Interessenten aus den neuen Ländern von der ,EKKBOOM GESELLSCHAFT’, später nur noch ‚Gesellschaft für freigeistige Kultur’, zur Mitarbeit eingeladen. In den ersten neunziger Jahren hatten sie Anteil an den letzten Büchern, die von diesen Freunden herausgegeben wurden. Es entstanden „Unser Sterben im Leben“ und „Geh deinen Weg. Ein Buch zur Jugendweihe“. Inzwischen hat sich diese kleine Gesellschaft wegen der nur wenigen jungen Mitglieder und der fortschreitenden Überalterung aufgelöst. Etwa zur gleichen Zeit löste sich auch der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern im DFV wegen des Mitgliederschwunds auf. Derartige Tendenzen sind wohl auch in anderen der etwa neunzig Verbände denkbar. Niemand spricht öffentlich über die tatsächlichen Mitgliederbestände. Hinter vorgehaltener Hand wird von weit weniger als insgesamt einhunderttausend ‚Freigeistern’ getuschelt. Verglichen mit der Größe der in den zwanziger Jahren wirkenden Vereinigungen sind das äußerst geringe Wirkungsmöglichkeiten.
Zugleich muß auf das unermüdliche Wirken vereinzelter kleiner Gruppen hingewiesen werden. Beispielsweise hat ein Verlag im Raum Hannover Autoren um sich geschart. Unter den von ihnen erarbeiteten Veröffentlichungen gewinnt das „Lexikon freien Denkens“ besonderen Stellenwert. Inzwischen ist ein zweiter Band dieser Lose-Blatt-Sammlung erschienen. Etwa gleichzeitig mußte der Verlag die Herausgabe seiner Vierteljahres-Zeitschrift einstellen. Nicht wenige aus dieser kleinen Autorengemeinschaft hatten daran mitgearbeitet. Aber mit der Auflösung der ‚Gesellschaft für freigeistige Kultur’ und der zugleich erfolgenden Kündigung des Bezuges durch den Vorstand des ‚Fachverband(es) für weltliche Bestattungs- und Trauerkultur’ war das eigentlich sehr anregende Blatt nicht mehr zu halten.
Unter den der ‚Freigeistigen Bewegung’ zuzuordnenden Gemeinschaften wirken einige trotz der allenthalben erkennbaren Mitgliederprobleme unverdrossen weiter. Dazu gehören beispielsweise die zum ‚Bund freireligiöser Gemeinden’ zusammengeschlossenen, auf den Südwesten der Bundesrepublik konzentrierten Gemeinschaften. Aber auch die Vereinigung ‚Deutsche Unitarier – Religionsgemeinschaft’ muß genannt werden. Nach meiner Kenntnis kann der ‚Humanistische Verband Deutschlands – HVD’, insbesondere sein Landesverband Berlin, auf eine beachtenswerte Ausstrahlung in die Gesellschaft verweisen. Diese jetzt als Landesverband wirkende Vereinigung mußte etwa Mitte der neunziger Jahre den ursprünglichen Namen „Deutscher Freidenkerverband – DFV“ ablegen, nachdem der gleichnamige Verband mit Sitz in Dortmund ein entsprechendes Gerichtsurteil erwirkt hatte. Seine Ausstrahlung in die Gesellschaft wird in beeindruckender Weise in seinem Wirken für das an den Schulen in Berlin unterrichtete Fach ,Lebenskunde’ deutlich. Weit über zwanzigtausend Schüler nehmen daran teil. Über die Langzeitwirkung dieses Mühens kann man gegenwärtig nur Vermutungen anstellen. Zugleich belegt dieser Verband eine Reihe von für die Gesellschaft wichtigen Arbeitsgebieten. Sie reichen bis hin zur Mitgestaltung der Hospizbewegung, also der Betreuung Sterbender und ihrer Angehörigen. Beachtung verdient auch das Wirken der ,Humanistische(n) Akademie’ und der mit ihr verbundenen Zeitschrift „humanismus aktuell“. Beide stehen für ernsthafte wissenschaftliche Arbeit.
Meine besondere Hinwendung galt seit der Gründung des ostdeutschen Freidenker-Verbandes der weltlichen Bestattungs- und Trauerkultur. Abgesehen von meinem persönlichen Wirken und den dabei gewonnenen Erfahrungen verdankte ich der theologischen Fachliteratur wichtige Denkanstöße. Ich bemühte mich seit Beginn der achtziger Jahre auf verschiedene Weise, ein wenig korrigierend auf dieses Geschehen einzuwirken. Mir berichteten weltliche Bestattungsredner mit Stolz, daß sie mitunter bis zu fünfzehn Beisetzungen an einem Tag bewältigten. Gleiches erfuhr ich gelegentlich auch über die Aktivität von Pastoren. Der erste und einzige Kontakt zu den Hinterbliebenen ergab sich auf dem Friedhof wenige Minuten vor der Trauerfeier. Die Ansprache wurde aus vorgefertigten Versatzstücken zusammengestellt. Derartige und vergleichbare Arbeitsweisen führten dazu, mich im Rahmen des ostdeutschen Freidenker-Verbandes für einen würdigen Umgang mit diesem Teil des menschlichen Lebens einzusetzen. Der Verbands-Vorstand unterstützte diese Absicht. So konnte am 31. März 1990 in Berlin gemeinsam mit weiteren Initiatoren der dem Freidenker-Verband zugehörende ‚Fachverband für weltliche Bestattungs- und Trauerkultur’ gegründet werden. Ich wirkte bis 1994 als Vorsitzender, dann zog ich mich auf eigenen Wunsch aus dieser Verantwortung zurück. Ich meinte, daß nunmehr jüngere Verbandsfreunde diese Arbeit erfolgreich weiterführen sollten. Man machte mich zum Ehrenvorsitzenden. Jetzt bewerte ich diesen Entschluß als vorschnell, als falsch.
Wir gewannen sehr rasch Kontakte zu etwa dreihundert Sprechern, vorwiegend aus den neuen Bundesländern. Dort soll es jedoch etwa eintausendfünfhundert gegeben haben. Damit erklärt sich eine von Anbeginn erkennbare eingeschränkte Wirkungsmöglichkeit des Fachverbandes. Wir luden zu Veranstaltungen ein; dazu waren auch jene Sprecher geladen, die dem Verband nicht angehörten. Wir suchten Breitenwirkung. Noch im Frühsommer 1990 boten wir mehrere zweiwöchige Kurse an. Wissenschaftler aus der Philosophie, der Religionswissenschaft, der Psychologie, der Kultur-, Literatur- und Sprachwissenschaft, Praktiker aus der Sprecherziehung, dem Friedhofswesen und so weiter hielten Einführungsvorträge, gestalteten Seminare und Gesprächsrunden. Zu den Referenten gehörte auch ein namhafter Krankenhaus-Seelsorger, seine Vorträge fanden besondere Zustimmung. Daneben bereiteten wir jeweils für Herbst und Frühjahr der folgenden Jahre Wochenend-Seminare vor. Unsere Angebote wurden gern angenommen.
Wir orientierten eindringlich darauf, sofort nach Erhalt eines Auftrages persönlich mit den Hinterbliebenen Verstorbener Verbindung aufzunehmen. Ausgesprochenes, aber auch nur Erfühltes aus dem Leben der Familie und aus dem Zusammenleben einander nahestehender Menschen sollte in taktvoller, hilfreicher Weise in die Traueransprache aufgenommen werden. Die könnte auf solcher Grundlage einfühlsam, mithin hilfreich auf die bevorstehende Phase der zu leistenden Trauerarbeit wirken. Deshalb sollte unbedingt der Text der Ansprache den Hinterbliebenen nach der Feier übergeben werden.
Auf solchen, hier nur andeutungsweise zu beschreibenden Grundzügen weltlich, also freigeistig bestimmter Bestattungskultur war dann angedacht, auch helfend den Prozeß der sich anschließenden Phase innerer Ablösung von Verstorbenen, die mitunter sehr schwer zu leistende Trauerarbeit, zu beeinflussen. Es war an die Bildung und die Betreuung von Gesprächsgruppen gedacht. Schließlich setzt eine besondere Form des Trauerns mitunter bereits vor dem eigentlichen Tod eines Menschen ein. Manchmal leiden Sterbende wie auch deren Angehörigen an den Formen eines menschenunwürdigen Sterbens, wenn beispielsweise eine moderne Medizin den Sterbevorgang in schwer erträglicher Weise hinauszögert. Die Hospizbewegung vermittelte Denkanstöße für ein weiterführendes Handeln, auch bezogen auf selbstbestimmtes würdevolles Sterben.
Das alles sollte in das Wirken des Fachverbandes aufgenommen werden. Er sollte hilfreich auf die in geistiger Verwandtschaft wirkenden Verbände ausstrahlen, schrittweise zu gestaltendem gemeinsamem Handeln anregen.
Das alles geschah nicht. Der Fachverband schrumpfte, er funktionierte sich zu einem Verband der Redenschreiber um. In einer Mitgliederversammlung im Jahr 2001 wurde eine erschreckende Hilf- und Ratlosigkeit hinsichtlich inhaltlicher Probleme der ‚Freigeistigen Bewegung’, insbesondere bezüglich der an sie zu richtenden Erwartungen, erkennbar. Statt dessen schien der Zusammenschluß mit einem in den alten Bundesländern entstandenen Verein angedacht, der sich in gesellschaftlicher Unverbindlichkeit gefällt.
Dem Ehrenvorsitzenden wurde
verweigert, an Vorstands-Sitzungen mit beratender Stimme teilzunehmen. Deshalb
habe ich meine Mitgliedschaft gekündigt.
* * *
Ich hatte in das Wirken der ,Freigeistigen Bewegung’, insbesondere auch in das des ‚Deutschen Freidenker-Verbandes - DFV (Sitz Dortmund)’ große Erwartungen gesetzt. Ich war bereit, die erkennbaren Aufgaben dieser Bewegung lösen zu helfen, angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen und Veränderungen neue, angemessene Aufgaben suchen zu helfen. Ich wurde über die Jahre zunehmend enttäuscht. Das mag an mir liegen. Wir leben abgeschieden auf dem Lande, persönliche Kontakte sind stets mit Reisen verbunden. Die aber habe ich, haben wir auf uns genommen. Meine Enttäuschung mag auch altersbedingt sein. Dagegen könnte ich einwenden, daß wir, also meine Frau und ich, uns sehr darum bemühen, Tragfähiges, Entwicklungsfähiges in der sich stetig verändernden Gesellschaft zu erkennen. Dazu verhilft uns nicht zuletzt der intensive Umgang mit unserer großen Familie, zu der neben unseren vier Kindern immerhin neun Enkel und vier Urenkel gehören. Das ist ein „weites Feld“, es will weiter bedacht werden.
Der Soziologe Gerhard Schulze legte eine Tiefenstudie zum Denken und Verhalten der Bürger der Bundesrepublik Deutschland vor. Er nannte sie „Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart“ (Campus 1996). Nach meiner Einsicht beschreibt er zutreffend Ursachen dafür, daß angesichts massiv wirkender manipulierender vielfältiger, jedoch stets auf Profit ausgerichteter Kräfte zunehmend eine geistige Desorientierung der Masse der Bevölkerung einsetzte und weiterwirkt. Die sich ständig verdichtenden alltagsästhetischen Episoden bewirken „die rasche Ablösung traditioneller Definitionen von Lebenssinn durch die subjektorientierte Definition der Erlebnissuche.“ (S. 538). „Es kommt zu einer Entkollektivierung von Wirklichkeitsmodellen. ... Wo Erlebnisse zum beherrschenden Thema werden, beginnt man, sich vor allem mit sich selbst zu beschäftigen.“ (Seite 541). „Der Erlebnismarkt hat sich zu einem beherrschenden Bereich des täglichen Lebens entwickelt. ... Gleichmütig registriert das Publikum den unablässigen Strom der Mutation von Erlebnisangeboten ...“ (S. 542).
Angesichts dieser hier nur
anzudeutenden Befunde erscheint es verständlich, daß für die Angebote von
Verbänden der ,Freigeistigen Bewegung’ immer weniger Interesse zu gewinnen
ist. Zudem werden von den Auswirkungen einer derartigen Entwicklung
offensichtlich auch Freigeister erfaßt, wie mir am Beispiel des Fachverbandes
erkennbar zu sein scheint. Der amerikanische Professor für Pädagogik Neil
Postman resümiert in seinem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“: Die
Menschen in ,Schöne neue Welt’ leiden nicht daran, daß sie lachen statt
nachzudenken, sondern daran, daß sie nicht wissen, worüber sie lachen und
warum sie aufgehört haben, nachzudenken.“ (S. 198). Was bleibt mir zu
tun? Ich mache im Rahmen meiner sich stetig einschränkenden Möglichkeiten
weiter.
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