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Jonny
Haegebarth
Beigetreten, aber nicht vereint
Im Winter 1989/90 verstärkten sich die Anzeichen für die Auflösung der DDR und das Auseinanderfallen der SED. Strukturen und Organisationen des Staates und der Gesellschaft verloren ihren Einfluß. Ich arbeitete damals noch in der Stadtbezirksleitung der SED in Magdeburg Südost. In diesem Industriegebiet gab es über 12 000 Mitglieder der SED, sowie eine hohe Organisiertheit in der Gewerkschaft und anderen Verbänden. Besonders im Januar und Februar 1990 kam es zu massenhaften Austritten. Ganze Parteiorganisationen lösten sich auf und stellten ihre Tätigkeit in den Kombinaten und Betrieben ein. Danach wurden im Februar auch die Stadtbezirke der Partei aufgelöst und der Stadtleitung unterstellt.
Angesichts dieser Situation und den Stapeln der zurückgegebenen Dokumente kam bei vielen bewährten Genossen Kleinmut und Ängstlichkeit auf. Besonders wenn die Medien ihre Attacken gegen Funktionäre, Parteien und die gesamte DDR und den Sozialismus losließen. Es war aber damals von großer Bedeutung, daß es Kräfte gab, die eine Erneuerung und Reorganisation der SED zur PDS betrieben und schrittweise durchsetzten. Mit Gregor Gysi gab es auch einen Vorsitzenden, der den Anforderungen gerecht wurde.
Ich nahm also meine Arbeit wieder im VEB Fahlberg-List auf. Eigentlich sollte ich entsprechend meiner Ausbildung als Schichtleiter arbeiten. Aber daraus wurde nichts und so arbeitete ich als Anlagenfahrer. Eines Tages im März, vor der Volkskammerwahl, kam meine Frau nach Hause und sagte, daß in der Stadt diverse Stände der Firma „Jägermeister“ aufgebaut werden und kostenlos deren Kräuterlikör ausgeschenkt wird. Außerdem sei die Stadt schon voller Menschen, denn am Nachmittag spreche der Bundeskanzler Helmut Kohl. So setzte sich die direkte Einmischung der Bundesrepublik in die Angelegenheiten der DDR fort. Bereits seit November 1989 stellte ich fest, daß bei politischen Veranstaltungen stets Bürger der BRD anwesend waren. Ob bei den Montagsgebeten im Dom oder auch bei anderen Veranstaltungen. Besonders fielen mir Angehörige der Jungen Union auf. Diese parkten bei uns in der Straße und hielten sich mit lauten Äußerungen nicht zurück.
Da mein Interesse an der politischen Entwicklung nicht erloschen war, ging ich zur Veranstaltung auf dem Domplatz. Das Ganze war als eine große Show aufgezogen. Außer von einigen FDJlern gab es keinen Widerspruch. Herr Kohl nahm sein Bad in der Menge. Auf der Tribüne standen die Vertreter der „Allianz für Deutschland", so die Herren Schnur und Eppelmann. Durch riesige Lautsprecher unterstützt, hielt Helmut Kohl eine sehr populistische Rede, die den Drang nach der D-Mark förderte und Illusionen von einem sorgenfreien Leben weckte. Mitten in der Rede begannen die Glocken des Domes zu läuten, was ein Novum war. Denn noch niemals hatte zu einer parteipolitischen Veranstaltung so etwas stattgefunden. Mit „Helmut“-Rufen ging die Veranstaltung zu Ende und Magdeburg wurde für die CDU-Politik vorbereitet.
Natürlich versuchten auch andere Parteien sich bekannt zu machen. Doch die finanzielle Kraft und der Kanzlerbonus lagen auf Seiten der CDU/CSU.
Als nach der Währungsreform die Betriebe in Stadt und Land Probleme mit ihrer Wirtschaftlichkeit bekamen, gehörte ich ebenfalls zu den Kollegen, die über Kurzarbeit zum Altersübergang und dann zur Rente kamen. In dieser Zeit fanden große soziale Kämpfe statt. Man spricht heute von Gewinnern und Verlierern der Einheit. Die rein materielle und finanzielle Seite kann man in Zahlen ausdrücken. Doch der Mensch hat auch so etwas wie Würde und moralische Ansprüche. Der Kampf um Eigentum, Löhne, Renten, Bildung, Kultur, Arbeit, Gesundheit, Wohnen und Sicherheit im Leben hörte in den vergangenen 10 Jahren nicht auf und wird im „wiedervereinigten“ Deutschland, besonders im Osten, zum Alltag gehören. Viele Bürger resignieren, einige laufen den rechten Parolen hinterher, doch das bringt keine Verbesserung der Situation. In Sachsen-Anhalt haben wir entsprechende Erfahrungen gemacht und stellen fest, daß 50 Prozent der Bürger der Landtagswahl fernbleiben und Demagogen Stimmen erhalten.
Ich habe meinen eigenen Kampf für Gerechtigkeit geführt und daraus viele Erfahrungen für unser organisiertes Auftreten gewonnen. Seit 1990 arbeite ich nun ehrenamtlich für die PDS. So in der Basisorganisation, in der Arbeitsgemeinschaft der Senioren der Stadt Magdeburg und des Landes Sachsen-Anhalt sowie neuerdings auch als Vertreter der PDS in der Seniorenvertretung unserer Stadt. Ich bin seit 1949 parteilich organisiert und weiß: der Kampf der PDS ist in keiner Weise mit der Arbeit in der SED zu vergleichen. Das betrifft die Organisation, die Struktur und auch die Inhalte. Wichtig ist zu erkennen, daß in der PDS nur das geschieht, was man selbst anpackt. Also: der weise Uhu, der einen Apparat in Gang setzen konnte, ist hier nicht gefragt.
Persönlich habe ich viele Aktionen
mitgemacht. Neben der umfangreichen Seniorenarbeit habe ich die Wahlarbeit in
Ost und West unterstützt. So hat mir die gemeinsame Arbeit mit den Genossen in
Hannover, Bremen und Bremerhaven gefallen. Die Betrachtungsweise der Probleme
ist im Westen doch eine andere als bei uns. Wir sind gegenüber dem
kapitalistischen Staat noch immer etwas zu naiv. Nicht nur die einfachen Bürger
und Genossen. Auch unsere Leute in leitenden Positionen haben diesen Hang.
Dagegen fehlt unseren Genossen im Westen noch oft eine breitere Basis in der Bevölkerung.
Je mehr wir uns als einfache Bürger über unsere Arbeit für Frieden und
soziale Gerechtigkeit austauschen und engagiert wirken, desto besser können wir
die Einheit der Menschen in Deutschland voranbringen. Eigentlich sind wir erst
dann in der BRD „angekommen“, wenn die Politik und das Großkapital den
Osten nicht mehr wie eine Kolonie des reichen Westens behandeln, und wenn
gleiche Chancen, Rechte und Möglichkeiten eines Lebens in Frieden für jeden
Bundesbürger, egal welcher Hautfarbe, Religion, nationaler und sozialer
Herkunft erstritten sind.
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