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Schlacht unterwegs zum Untergang

Die Geschichte, die ich erzähle, handelt vom Abdruck des Buches „Die Troika" von Markus Wolf in der „Wochenpost" oder besser gesagt von den Querelen und Anfechtungen, aber auch fruchtbaren Debatten, die damit verbunden waren. Einführend sei gesagt, dass die „Wochenpost", wo der Text von Februar bis Ende September 1989 erschien, die wohl beliebteste Zeitung der DDR war, damals mit einer Auflage von fast 1,3 Millionen Exemplaren wöchentlich, die das Aufsehen, welche das Buch innerhalb und außerhalb der DDR erregte, enorm verstärkte. Es geschah ja eher selten, dass intime Kenner der inneren Verhältnisse des Realsozialismus Widersprüche und Ratlosigkeiten zu Geschichte und Gegenwart dieses so genannten Weltsystems auf eine Weise zu Papier brachten, die viele Menschen ansprach, nicht zuletzt zahlreiche Mitglieder der SED, und deren eigene Fragen reflektierte.

Die Vorgeschichte wirkt heute eher anekdotisch, ist aber wirklich nicht erfunden. Im Sommer 1986, Markus Wolf war noch Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit, kam er zu uns in die Redaktion, weil wir ihn zum 40. Jahrestag des Nürnberger Prozesses um ein Interview gebeten hatten, da er seinerzeit als Reporter länger in Nürnberg tätig war. Nach dem Interview, das mein Kollege Horst Hoffmann und ich mit ihm führten, kamen wir auf die Bedenklichkeiten in der Entwicklung der DDR zu sprechen. Jeder redete irgendwann darüber. Markus Wolf sagte ziemlich offen, dass er de facto fast aus seinem Dienst heraus ist, vor allem, weil die Arbeitsbedingungen in seinem Ministerium immer unerfreulicher würden. Es ginge einfach nicht mehr. Auf meine Frage, ob er sich jetzt etwa zur Ruhe setzen werde, erzählte er von seinem Plan, das Buch zu einem Film zu schreiben, der gar nicht gedreht worden ist. Weil sein Bruder Konrad Wolf, Akademiepräsident und Filmregisseur, der 1982 starb, über die Vorarbeiten leider nicht hinaus gekommen sei. Nach seiner Darlegung, dass es um die Geschichte einer Jugendfreundschaft gehen würde, die aber unausweichlich auch Fragen der großen Geschichte und Probleme unserer ursprünglichen Antriebe behandeln müsste bzw. das, was von ihnen erhalten geblieben ist, meldete ich spontan eine Option auf den Vorabdruck dieses noch nicht geschriebenen Buches an. Das „Die Troika" heißen sollte. Es war der 18. August 1986.

Danach hörten wir über zwei Jahre nichts voneinander, bis mir im Spätherbst 1988 zu Ohren kam, das Buch sei fertig und es würde Beunruhigung über den generellen Zustand des Sozialismus davon ausgehen. Was nicht verwundern durfte, denn inzwischen hatte sich in Moskau die Regie Gorbatschows mit all ihren hoffnungsvollen Ansätzen und ihren Widersprüchen und gegen andauernde Behinderungen etabliert, von der Führung der SED mit spitzen Zähnen zur Kenntnis genommen. Ohne für die DDR, in der sich zu wenig bewegte, irgendwelche Schlußfolgerungen zu ziehen, außer der des „Weiter so". Erich Honecker konnte sich endlich seinen Herzenswunsch erfüllen, dafür war Gorbatschow auch ihm willkommen, und bereiste im September 1987 die Bundesrepublik Deutschland. Mit der Folge, nicht nur nach meinem Eindruck, sich nunmehr endgültig unanfechtbar zu fühlen. Er traktierte auch alle, die es nicht hören wollten, immer wieder mit Einzelheiten dieser Reise. Im Herbst 1987, daran sei ebenfalls erinnert, wurde in einem beispiellosen Akt die sowjetische Zeitschrift „Sputnik" „von der Postzeitungsliste der DDR gestrichen". Der zuständige Minister erfuhr es aus der Zeitung „Neues Deutschland". Erich Honecker und Umgebung nahmen Anstoß an mehr oder weniger gelungenen Beiträgen zur jüngeren Geschichte, die in diesen Digest Eingang gefunden hatten, mit dem die „Wochenpost" übrigens einen exklusiven Vorabdruckvertrag besaß.

Es gehörte vor diesem Hintergrund nicht viel Phantasie zu der Vorstellung, dass das Buch dem Autor Markus Wolf buchstäblich unter der Hand noch politischer und beziehungsreicher geraten musste, als er es sowieso vor hatte.

Ich rief Markus Wolf also an und erinnerte an meine Anmeldung auf den Vorabdruck. Er sagte, da würde er sich glücklich schätzen, aber er warnte mich ausdrücklich, weil es ein problematisches Buch geworden sei, auch was die Benennung und Bewertung unserer Binnenbedingungen betrifft. Er müsse und werde das durchstehen, aber er wolle mich da nicht mit hineinziehen, denn es würde Ärger geben. Ich antwortete ihm, das könne er getrost meine Sorge sein lassen. Im übrigen mussten Einzelheiten mit dem Aufbau-Verlag geklärt werden, der die Rechte des Buches besaß.

Dies war mir nun eine Freude, denn Aufbau-Chef Elmar Faber gehörte zu den streitbarsten „Wochenpost"-Autoren, mit dem ich mich gern unterhielt. Ich wusste aus Gesprächen, dass ihm manche Entwicklungen in der DDR Beklemmungen verursachten und war daher sicher, dass wir uns mit ihm einigen würden, sofern ich endlich das Manuskript zu fassen bekam und mir ein eigenes Bild machen konnte. Bevor es mir Gotthard Erler, Cheflektor des Aufbau-Verlages, endlich aushändigte, musste ich bei Faber heilige Eide schwören, es nicht in unrechte Hände fallen zu lassen und die Sache vorerst so diskret wie möglich zu behandeln.

Dieses Bedürfnis hatte ich nach dem Lesen des Manuskripts ebenfalls. Ich fand das Buch wirklich erregend, immer an den damaligen Verhältnissen gemessen, und war dafür, alles zu tun, es möglichst unbeschädigt unter die Leute zu bringen. Was hieß, „keine schlafenden Hunde zu wecken", die sich noch vor dem Abdruck in der „Wochenpost" und dem Erscheinen des Buches Anfang März 1989 zur Leipziger Buchmesse aufgerufen fühlen konnten, es „auf Stellen" zu untersuchen, eine in der DDR gefürchtete Methode im Umgang mit Literatur. Meine Stellvertreter und ein oder zwei weitere Kollegiumsmitglieder, denen ich den Text zu lesen gab, meinten übereinstimmend, das Buch werde auf die meisten unserer Leser befreiend wirken, weil es unter anderem diesen ehernen Endstandseindruck unterminierte, den die Führung der SED zunehmend verbreitete. Wolf traf ja schon im einführenden Teil die trockene Feststellung, viele Vorzüge des Sozialismus, auch Entscheidendes, müssten in der Praxis von heute noch bewiesen werden. Einen größeren Gegensatz zur offiziellen Politik der SED konnte es nicht geben, denn dort gerierte man sich als Sieger für die Ewigkeit. Allerdings war klar, das haben wir auch im Redaktionskollegium besprochen, dass dieser Abdruck die laufenden Scharmützel mit der Abteilung Agitation des Zentralkomitees der SED, die wir seit Monaten hatten, um einiges verschärfen wurde.

Hier muss ich nun ein Stück aus dem innerparteilichen SED-Leben in der „Wochenpost" und im Berliner Verlag anschließen, in dem die Zeitung erschien. Im Herbst 1988 gab es Wahlen innerhalb der SED, und in der Wahlversammlung der Abteilungsparteiorganisation der „Wochenpost" am 24 Oktober 1988 war es robust zugegangen. Massiv kritisiert wurde unter anderem eine Genossin aus dem Redaktionssekretariat, weil sie sich in belehrender Weise politische Urteile über Manuskripte respektive über Formulierungen darin erlaubte und Änderungen einklagte Der Genosse, der die Kritik anbrachte, führte dafür Beispiele an, die von ihm nicht akzeptiert worden waren und sagte wörtlich, dass wir in dieser Redaktion „keine Lordsiegelbewahrer der Parteilichkeit" benötigen. Zum Verständnis füge ich hinzu, dass im Redaktionssekretariat zwei Kolleginnen arbeiteten, die vor dem Aufbau der Seiten und ihrer Belichtung alle Texte einer Ausgabe sprachlich und orthografisch sowie auf Fakten und Zahlen, auch auf die Stimmigkeit historischer Daten, noch einmal überprüften, was sich durchaus als notwendig erwies. Heute werden solche Fachleute unter dem Rubrum „Schlussredakteure" geführt. Sie waren auch in der „Wochenpost" nicht dazu aufgerufen, politische Zensuren zu erteilen und diese noch unsympathisch vorzutragen. Deshalb erhob sich aus der Versammlung heraus kein Widerspruch zu der Kritik. Im Schlusswort zur Diskussion, um das mich der (ehrenamtliche) Parteisekretär gebeten hatte, habe ich, so entnehme ich meinen Notizen von damals, wohl unter anderem gesagt, dass die SED ihre Chancen nur verbessern kann, wenn sie von den Ideen aller Mitglieder lebt und deshalb ist es nicht richtig, wenn sich welche zu Übergenossen oder Übergenossinnen stilisieren

Die zusätzliche Schwierigkeit bestand nun dann, dass die kritisierte Genossin, die sich in der Versammlung nicht überzeugend verteidigt hatte, die Frau des stellvertretenden Abteilungsleiters Agitation im Zentralkomitee der SED war, der zu allem Unglück als speziell Verantwortlicher für die gedruckten Medien firmierte. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Eine Woche nach der besagten Parteiversammlung wurde ich aus dem Hause des ZK angerufen und für den 2 November 1988 zum Gespäach mit dem Abteilungsleiter Heinz Geggel „eingeladen". Der Abteilungsleiter empfing mich mit einem Exemplar der laufenden Ausgabe vor sich, die offiziell erst am 4 November 1988 erschien. Es war geschmückt mit mehreren angeklebten, mit Schreibmaschine geschriebenen Zetteln, von denen er mir unumwunden sagte, es handele sich um die Zuarbeit des stellvertretenden Abteilungsleiters, die er mir vortrage. Die Vorwürfe, die er erhob, bezogen sich nur auf Artikel, die von der kritisierten Genossin nicht gelesen worden waren, sondern von ihrer Kollegin.

Und sie waren so hanebüchen, dass ich ständig zwischen Wut und Depression darüber hin- und hergerissen wurde, hier wegen höchst fragwürdiger Sachen Zeit und Nerven zu verlieren. Unter anderem verfiel beispielsweise in einem Beitrag über Georg Büchner ein Zitat von Christa Wolf der Inkriminierung, in dem das Wort „Gewissen" vorkam. Wenn überhaupt mit diesem Wort hantiert wurde, erfuhr ich zu meiner Überraschung, dann sei die Partei das Gewissen! Unfassba.r Es ging auch um die Rezension der Aufführung des sowjetischen Theaterstückes „Der Brester Frieden" von Michail Schatrow am Maxim-Gorki-Theater, wo sich von Sophie Hoffmann der Satz fand „Und wir machen es uns wohl oft zu einfach mit unseren Alltagsanalysen, bei denen wir das Ergebnis heimlich schon vorher wissen." Das war, gemessen an den Realitäten, eigentlich noch nett gesagt. Es folgten weitere Vorwürfe ähnlichen Kalibers. Hatten wir keine anderen Sorgen? Kein Leser würde an diesen Stellen auch nur den geringsten Anstoß nehmen, eher im Gegenteil, er sähe sich bestätigt Ich habe mich zu verteidigen versucht, wie man sich verteidigt, wenn sich langsam das Gefühl einstellt, auf einem fremden Stern zu verweilen.

Im Redaktionskollegium sind wir am nächsten Tag die Einwände durchgegangen und zu dem Schluss gelangt, uns nichts vorwerfen zu müssen. Wir haben das Ganze eindeutig als Retourkutsche geortet und waren uns einig, unsere Worte in Gegenwart der erwähnten Genossin wohl künftig mit Bedacht wählen zu müssen. Niemand empfand es als besonders glücklich, dass sich unser Verhältnis zur Abteilung Agitation langsam in Richtung Vereisung bewegte. Aber wir hatten keine Idee, wie man das hatte ändern können. Unser im Grunde schlichtes Bemühen, sich an möglichst vielen Gesprächen zu beteiligen, die die Leser führen bzw. solche Gespräche auch anzuregen, brachte eine immer längere Konfliktlinie hervor. Der Ausweg wäre nur gewesen, völlig darauf zu verzichten, den Lesern etwas zu denken zu geben. Und das ging nicht, selbst wenn man es gewollt hatte. Die Kollegiumsmitglieder gehörten übrigens alle der SED an.

Dabei lag das Schlimmste noch vor uns. Am 6 November 1988, einem Sonnabend, fand die SED-Delegiertenkonferenz des Berliner Verlages statt, die zu einer verstörenden Veranstaltung geriet. Der Rechenschaftsbericht des Parteisekretärs des Berliner Verlages und auch die Diskussion liefen darauf zunächst nicht hinaus, sie waren durchaus auch kritisch, aber von gegenseitigem Respekt bestimmt. Doch dann kam die Rede eben jenes stellvertretenden Abteilungsleiters, der uns in den letzten Tagen schon genug frustriert hatte. Er wiederholte alle seine Vorwürfe in Richtung „Wochenpost" nochmals, ohne natürlich zu sagen, dass die Chefredaktion die Kritiken nicht akzeptiert. Und er ergänzte sie durch Details aus Gesprächen und Debatten, die wir in der Redaktion führten, ohne ausdrücklich auf die „Wochenpost" hinzuweisen, aber wir erkannten uns sehr wohl wieder. Es war infam. Alles zum Beweis mangelnder Parteilichkeit In ähnlicher Weise bürstete er die „NBI" und die Genossen des „Eulenspiegel" sowie weitere Redaktionen ab, zum Beispiel die „Berliner Zeitung". Hingegen erließ er sich eingehende Bemerkungen zu den Widersprüchen der DDR-Wirklichkeit, die eine Rolle gespielt hatten und zu kritischen Worten an die Abteilung Agitation. Am verheerendsten war, dass er alles in einem eiskalten, staatsanwaltlichen Ton vortrug, gipfelnd in der Feststellung, all die Dinge, die er geißelnd aufgeführt hatte, hätten nicht in der Westpresse gestanden, sondern in Blättern des Berliner Verlages.

Man kann über die DDR-Medien und die DDR-Journalisten zu Recht viel Nachteiliges sagen: Aber der dort versammelte Kreis schlug sich konfliktreich täglich mit der Schwierigkeit herum, die Anforderungen des „großen Hauses" und die Realitäten in der DDR irgendwie zum Ausgleich zu bringen, was immer schwieriger wurde. Und dafür fand man sich dann höchstrichterlich mit Leuten in eine Reihe gestellt, die die DDR in den meisten Fällen vorsätzlich nieder schrieben. Eigentlich enthielt die Rede die Aufforderung, sich um die tatsächliche Lebenswelt der Menschen nicht zu scheren, sondern den Sozialismus unabhängig davon zu preisen.

Es war zuviel. Er bekam kaum Höflichkeitsapplaus. Die „Wochenpost" hatte 16 Delegierte gewählt, darunter auch die Frau des Redners, die fast alle an einem großen Tisch saßen. Am Ende der Rede wollte sie sofort Beifall klatschen, aber als sie bemerkte, dass sich an diesem Tisch keine Hand rührte, ließ sie es bleiben. In der anschließenden Pause haben einige Genossinnen aus der Redaktion geweint. Zum Trost sagte einer meiner Stellvertreter, dass er sicher sei, der Mann habe sich heute um sein Amt geredet.

Aber der Zirkus ging weiter. Bereits am Montag früh vor Acht rief mich der ebenfalls sichtlich genervte und kreuzunglückliche Parteisekretär des Verlages an und teilte mit, dass eben jener Redner schon wieder am Draht gewesen ist. Er möchte noch heute die Termine aller selbstkritischen Parteiversammlungen gemeldet bekommen, die ja wohl nötig seien. Das gab mir nun die Gelegenheit, meinen Fehler vom Sonnabend wieder gut zu machen, den ich mir vorwarf: diese Rede nicht auch öffentlich sofort zurückgewiesen zu haben. Ich sagte dem Parteisekretär also, er möge ausrichten, mit mir fänden überhaupt keine Parteiversammlungen mehr statt, schon gar keine selbstkritischen, da ich nicht bereit sei, unter diesen idiotischen Bedingungen weiter zu arbeiten. Für das Wort „idiotisch" kann ich mich verbürgen. Zwei Stunden später rief der Parteisekretär zurück mit der Nachricht, er habe keine Einzelheiten gemeldet, nur die Totalverweigerung, und ich möchte am Nachmittag erneut im ZK erscheinen. Ich bat ihn, zu informieren, dass ich mit beiden anwesenden Stellvertretern komme, denn sie würden vermutlich einen kommissarischen Chefredakteur brauchen.

Wir fanden uns dann zu viert am Tische wieder, der Parteisekretär des Verlages war auch geladen. Abteilungsleiter Geggel und sein Stellvertreter erwarteten uns. Es wurde eine lange, teilweise laute und zwischenzeitlich überaus kontroverse Debatte, die erste eigentlich, die ich in diesem Hause als wirklich substanziell empfand. Der Stellvertreter war weiter voll auf Kollisionskurs, erkannte die Kritik an seiner Rede nicht an und verlangte praktisch unsere Bereitschaft, den Sozialismus ohne jeden Zwischenton zu feiern, denn um mehr ging es uns ja gar nicht. Ich habe ihm gesagt, für die Zeitung, die ihm vorschwebt, müsste sich das Leben ändern. Es ginge nicht an, den Lesern eine Wirklichkeit zu malen, die nicht vorhanden ist, das schadet der SED mehr als es ihr nützt. Denn wir waren alles andere als Feinde der DDR, wir wollten ja eine parteiliche Zeitung machen, aber was das eigentlich ist, darüber konnten wir uns offensichtlich nicht mehr einigen. Da auch meine beiden Stellvertreter vehement in diese Richtung fochten, namentlich der, der Parteisekretär der Redaktion war, stand schließlich, so hart formuliert, das Problem im Raum, dass sie uns rausschmeißen müssen, wenn sie eine andere „Wochenpost" wollen als die, die wir vorlegen können.

Dies alles war dem Abteilungsleiter Geggel, soviel wurde schnell deutlich, zu heikel und zu dramatisch. Ich möchte fast vermuten, ihm ist die Vorstellung nicht geheuer gewesen, eventuell erklären zu müssen, dass und warum ausgerechnet die Leitung der „Wochenpost" das Weite gesucht hatte. Jedenfalls bemühte er sich, ohne nun seinen Stellvertreter gänzlich preiszugeben, die erbitterte Schärfe aus der Debatte zu bekommen, allerdings länger vergeblich. Am Schluss drehte er den Spieß nahezu um, indem er sagte, jede Woche würden sich die Leute um diese Zeitung schlagen, das sei doch der beste Beweis für die Qualität unserer Arbeit, und er verstehe die ganze Aufregung nicht recht. Wenn wir keine selbstkritische Versammlung einberufen wollten, dann finde eben keine statt. Das entschieden doch immer die Genossen selber, wie es im Statut steht. Eine Wende, die auf ihre Art auch wieder unheimlich war und nur zeigte, das wir längst in unberechenbaren Verhältnissen gelandet waren, wo gar nicht mehr in der Sache entschieden wurde, sondern nur noch nach Opportunität und zum Zwecke der Ruhigstellung der Front.

Vor dem Haus danach fragte uns der Verlagsparteisekretär, wie wir das alles einschätzen. Einig waren wir uns darüber, dass die nun wenigstens wussten, uns nicht beleidigen zu dürfen. In der Tat hielt sich in der Folgezeit der Bedarf an persönlicher Konfrontation bei der Gegenseite eine Weile in Grenzen. Aber er sollte sich wieder einstellen, als wir die Ausreiseproblematik endlich und viel zu spät thematisierten.

Ich habe das alles eingeflochten, weil es sich um das unmittelbare zeitliche Umfeld handelte, in dem wir uns entschieden, die Veröffentlichung der „Troika" zu betreiben, in unfroher Erwartung des nächsten Skandals also. Unser Ziel war es, die ersten vier, fünf Folgen unbeschadet über die Runden zu bekommen. Wenn das zu erwartende bewegte Leserecho eingesetzt hatte, wäre es praktisch unmöglich gewesen, gegen Markus Wolf, gegen die „Wochenpost" und den Aufbau-Verlag und gegen das breite Leserinteresse das Buch oder wenigstens den Abdruck in der Zeitung noch zu verbieten. Da es aber gerade diese ersten Folgen inhaltlich in sich hatten, gingen wir mit regelrecht konspirativer Umtriebigkeit zu Werke gegen die Gefahr, dass die Genossin aus dem Redaktionssekretariat Alarm auslöste, um uns vor einem weiteren politischen Fehler zu bewahren. Denn das war ihre Sicht auf die Dinge, was die Sache nicht einfacher machte.

Der Kreis der mit der Veröffentlichung Befassten wurde also bewusst klein gehalten und der Text nur nach Bedarf Folge für Folge erfasst, nicht wie sonst bei Fortsetzungs- bzw. Fließsatztexten vollständig und sofort, denn das hätte Einblicke ermöglicht. Der Aufbau der Seiten, obwohl sie so genannte unaktuelle waren und sonst mit als erste fertig gestellt wurden, erfolgte sehr spät, damit sie nicht so lange zum Zugriff bereit lagen. Die Kollegin des Redaktionssekretariats, die die Seiten vorher las, tat dies möglichst zu Hause, um in dem fraglichen Arbeitszimmer nicht mit dem Manuskript zu Gange sein zu müssen. Alle waren aufgefordert, das Material, auch die Bilder, so sie nicht gebraucht wurden, unter Verschluss zu halten. Ich habe zudem aus der Ausgabe vor dem Start des Vorabdrucks einen Beitrag mit hohen Verärgerungspotential herausgenommen und auf später verschoben, um nach den ganzen Unversöhnlichkeiten mit der Obrigkeit kein zusätzliches Reizklima zu schaffen.

 

Mit diesen Maßgaben näherten wir uns der Ausgabe Nummer 7 des Jahres 1989, wo die Veröffentlichung beginnen sollte. Das war im Sinne Elmar Fabers, der meinte, nicht zu früh vor der Buchmesse zu starten, um kein kurzfristiges Verbot des Buches anzustoßen, aber auch nicht zu spät, weil das Geschäft mit dem Beginn des Vorabdrucks noch angekurbelt werden sollte. Bei der Planbesprechung für die Ausgaben Nummer 6 und 7 in Anwesenheit der schwierigen Genossin kam es dann doch noch zu einer kleinen Panne. Am Ende dieser Besprechung fragte die Redaktionssekretärin immer, was wir auf der Rückseite der laufenden Ausgabe aus der nächsten vorankündigen wollen, also aus jener ominösen Nummer 7. Blitzschnell nannte eine Kollegin ein Material ihres Ressorts. Da meldete sich ein Kollege, der nicht immer an diesen Besprechungen teilnahm und nicht vorher informiert worden war, und schlug, journalistisch völlig in Ordnung, für diesen Platz „Die Troika" vor.

Das wäre nun Selbstmord gewesen. Wer ein risikoreiches, also lebensnahes Material in die Zeitung bugsieren wollte, musste streng darauf achten, die Abteilung Agitation wenigstens im Stande der Unschuld, also des Nichtwissens, zu halten. Das brachte den Verantwortlichen dort zwar aus dem Politbüro mitunter den Vorwurf ein, nicht unterrichtet zu sein, wo in den Redaktionen wieder gezündelt wird. Aber es war für sie immer noch besser als eingestehen zu müssen, vorher etwas gewusst zu haben oder, beispielsweise über eine kleine Vorankündigung, etwas gewusst haben zu können. Deshalb retteten sie in solchen Fällen in der Regel nur noch ihre Haut, und die Beiträge wurden mit allen Mitteln unterdrückt. Dieser ganze riesige Apparat funktionierte in den letzten Jahren der DDR wirklich nur als Verhinderungsstelle. Ermutigung ging davon überhaupt nicht mehr aus. Während also der Kollege unter dem Tisch von seiner Nachbarin bearbeitet wurde, hier keine unliebsamen Debatten vom Zaune zu brechen, sagte ich zu dem Vorschlag sehr beiläufig „Das möchte ich nicht." In der Regel wurde die Chefredaktion dann zu einer Erklärung genötigt, was diesmal freilich unterblieb.

Wir erreichten so auf leisen Sohlen unbeanstandet den Start des Vorabdrucks, was uns sehr erleichterte. Das Leserecho war von Anfang an überwältigend, wie wir es erwartet hatten. Mir völlig unbekannte Menschen, oft Genossinnen, riefen an, um ihre Eindrücke auszutauschen und von mir zu erfahren, wie es in dem Buch weiter geht. Es standen ständig welche von uns am Gerät, um für Leser, die telefonisch oder brieflich darum gebeten hatten, eine Folge zu kopieren, weil es denen nicht gelungen war, eine Zeitung zu ergattern. Schriftsteller, die mit ihren eigenen Texten unterwegs waren, kamen nicht umhin, statt dessen über „Die Troika" zu debattieren. Die Veranstaltungen mit Markus Wolf hatten teilweise beängstigenden Zulauf. Beim späteren Solidaritätsbasar der Journalisten, wo wir 20 signierte Exemplare anboten, ist uns fast der Stand eingedrückt worden.

Ich denke an diese Zeit mit Bewegung und mit Trauer. Die Menschen waren so dankbar für jedes Zeichen, dass wir das Gesicht endlich unseren tatsächlichen Problemen zuwenden wollen. Viele SED-Mitglieder, sicher längst nicht mehr alle, manche hatten seelisch und geistig schon abgerüstet, wären bereit gewesen, sich zu stellen, auf andere zuzugehen und notfalls auch ökonomisch und politisch unpopuläre Schritte wie Brot- oder Mietpreiserhöhung zu vertreten und sie verständlich zu machen. Es ist immer noch unbegreiflich, wie dieses Potential regelrecht verschleudert wurde. Es stand der nach der Wende erfolgten Verschleuderung des materiellen Vermögens der DDR in nichts nach. Im Grunde sind alle Investitionen der DDR, zum Beispiel in die Bildung, niemals richtig abgerufen worden, weil an einem bestimmten Punkt über die Denkgrenzen des Politbüros nicht mehr hinaus gegangen werden durfte. An diesem gigantischen Selbstverarmungsprozess, denn darum handelte es sich, sind die Medien entscheidend beteiligt gewesen, da schließe ich die „Wochenpost" ausdrücklich ein. Wir hätten uns viel entschiedener und nachdrücklicher von dem lebensfernen Widersinn emanzipieren müssen, den man uns zumutete.

Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass unsere konspirativen Maßnahmen wenigstens teilweise Früchte trugen. Denn schließlich wurde der Parteisekretär des Berliner Verlages von der Abteilung Agitation aufgefordert, jede Woche die Andruckseiten herüber zu bringen, damit man wisse, was „Markus Wolf nächste Woche in der Wochenpost loslässt". Aber der Parteisekretär weigerte sich mit dem Argument, dass er Markus Wolf und der Leitung der „Wochenpost" jederzeit soviel Verantwortungsgefühl zutraue, zu wissen, was sie tun. Und deshalb wolle er sich an Misstrauenskundgebungen nicht beteiligen. Aus den Sitzungen der Abteilung Agitation, an denen er jede Woche teilnehmen musste, berichtete er mir, es würde wegen jeder Folge Grummeln geben und teilweise verächtliche Bemerkungen.

Es erschien dann, als der Vorabdruck schon lief und die kritische Phase fast überstanden war, in der Zeitung „Neues Deutschland" eine ganzseitige Rezension des Buches, die zwar windungsreich, aber abgrundtief böse war, was nach DDR-Lesart hieß, dass der gute Genosse sich mit diesem Werk nicht handgemein machen sollte. Auch die „Wochenpost" durfte sich wieder geohrfeigt fühlen. Aber das erreichte nur noch wenige, wahrscheinlich hat dieser Artikel den unerhörten Zuspruch für „Die Troika" noch erhöht. Besonders zynisch fand ich eine Passage, in der die Brüder Markus und Konrad Wolf einander gegenüber gestellt wurden, und man musste herauslesen, dass uns im Zweifel die toten Genossen lieber sind als die lebenden, so sie sich beunruhigend und gegen den erwünschten Trend äußerten. Es artikulierte sich nach meinem Verständnis der dringende Wunsch nach Friedhofsruhe. Diese Rezension war Anlass für einen der wenigen Kontakte, die wir in der Abdruckzeit mit Markus Wolf hatten. Er empörte sich am Telefon aber über ganz andere Sachen in diesem Artikel.

Problematisch wurde es noch einmal nach einem Interview im Westfernsehen, das Markus Wolf gegeben hatte und in dem er u. a. sagte, er hätte die Sache mit der Zeitschrift „Sputnik" auf keinen Fall so entschieden. In der wöchentlichen Besprechung der Chefredakteure am Donnerstag formulierte der Abteilungsleiter daraufhin choram publico: „Auch ein Generaloberst darf seine Heimat nicht beleidigen." Manche Kollegen Chefredakteure, nicht alle wünschten einem nur Gutes, sagten mir nach dieser Sitzung ziemlich deutlich, dass wir ja wohl vor einem Abbruch ständen. Ich habe daraufhin laut und in der Hoffnung auf Weitergabe geäußert, wenn das von uns verlangt würde, stände das gesamte Redaktionskollegium vor dem Schreibtisch von Erich Honecker. Es ist, wohl weil man nun auch höheren Orts langsam die Sorgen bekam, die viele schon lange hatten, zu dieser Forderung aber nie gekommen.

Wenige Monate später wussten wir, dass der Kampf um „Die Troika" letzten Endes kaum mehr war als eine Schlacht unterwegs zum Untergang.

Brigitte Zimmermann


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