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Woran ich mich beim Stichwort „Unser Verhältnis zur Sowjetunion" erinnere

 Meine erste Begegnung mit Sowjetbürgern hatte ich als knapp Zehnjähriger etwa am 15. Februar 1945, als uns in Niebusch (Bergenwald, Schlesien) die Front überrollte. Nachdem der Kampflärm verhallt und die Reste der Naziwehrmacht vertrieben waren, kam es zu den ersten Kontakten zwischen den Rotarmisten der siegreichen Konew-Armee und der verängstigten Zivilbevölkerung aus dem besiegten Reich der großdeutschen Welteroberer. Entgegen den Prophezeiungen der Nazipropaganda krümmten uns die „Sowjets" kein Haar. Sie interessierten sich für Uhren, Alkohol und besonders für junge Frauen. Zu Alten und Kindern waren sie ausgesprochen freundlich. Sie verhielten sich zumeist weit menschlicher als es Soldaten der Deutschen Wehrmacht vier Jahre lang gegenüber Sowjetbürgern getan haben.

Quelle: Bildarchiv der Märkischen Allgemeinen Potsdam

Sowjetische Erntehelfer

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Am 17. Juni 1953 genügte in Eisenhüttenstadt (damals noch Stalinstadt) eine kleine Einheit der Sowjetarmee, um einige hundert politisch irregeleitete „Konterrevolutionäre" zu zerstreuen und ihnen deutlich zu machen, daß acht Jahre nach der Niederlage des deutschen Faschismus die Zeit noch nicht gekommen war für die Restauration der Macht der Banken und Monopole und die Liquidierung der Bodenreform in Ostdeutschland. 

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Alljährlich fanden Freundschaftstreffen zwischen Angehörigen der in der DDR stationierten Streitkräfte der Sowjetarmee und der bewaffneten Organe der DDR statt. Oft wurden die Familienangehörigen beider Seiten einbezogen. Im Mittelpunkt standen sportliche und kulturelle Wettbewerbe, wobei die „Sowjets" sehr ehrgeizig um den „Sieg" kämpften. Beide Seiten bemühten sich, gute Gastgeber zu sein.

Uns Deutschen fiel dabei auf, daß die sowjetische Seite noch häufiger ihre Teilnehmer auswechselte als die DDR-Seite. Und wir fragten uns natürlich, ob das Zufall oder gewollt war. Vielleicht sollten sich keine längerfristigen Verbrüderungen entwickeln?

Später wurde mehr oder weniger klar, daß politisch Verantwortliche so manche Vorbehalte hatten. Die sowjetischen Soldaten waren geradezu spartanischen Lebensbedingungen unterworfen. Auch sollten wohl die Offiziere vor der Gefahr gegnerischer Einflußnahme geschützt werden. Dazu kam die Furcht vor alkoholischen Exzessen mit ihren Gefahren. Eine Reihe von Widersprüchen und Komplikationen, die der Entwicklung freier, ungezwungener Freundschaftsbeziehungen abträglich waren, hingen gewiß auch damit zusammen, daß der Lebensstandard der Sieger von 1945 weit unter dem der Besiegten lag.

Dennoch werden mir zahlreiche Beispiele herzlicher Freundschaft unvergessen bleiben. Das ist das Verdienst echter charakterstarker Freunde auf der sowjetischen und der deutschen Seite. „Nichts und niemand wird vergessen."

Sa naschu druschbu! (Für unsere Freundschaft!) 

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An einem Parkplatz an der B 179 bei Märkisch Buchholz steht im Wald, umgeben von einer kleinen Anlage, ein Gedenkstein mit folgender Inschrift:  

Quelle: Privatfoto

Der Soldat A. N. Jakowlew starb an den schweren Verletzungen, die er sich bei der Bekämpfung des Feuers zugezogen hatte.

(In dieser Inschrift fehlt das Wort „SOWJETS", war aber in der verwitterten Erstbeschriftung vorhanden. Die jetzige Beschriftung wurde kurz vor dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte angebracht.)

Das Denkmal wird auch heute noch in Ordnung gehalten. 

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In den fast fünfzig Jahren der sowjetisch-ostdeutschen Beziehungen gab es natürlich auch Kriminalität, die durch Personen beider Seiten verursacht wurde. Hier soll keine Aufrechnung erfolgen. Die DDR-Seite hat sich bis zum Schluß bemüht, Straftaten der auf DDR-Territorium stationierten sowjetischen Militärs nicht in der Öffentlichkeit bekannt werden zu lassen. Aber die zuständigen DDR-Organe führten genau Buch darüber. Zu den Straftaten gehörten nicht nur schuldhaft verursachte Verkehrsunfälle mit Personen- und erheblichen Sachschäden, Diebstähle oder Brandstiftungen, sondern auch kapitale Verbrechen wie Mord, Totschlag und Vergewaltigungen. Beachtliche Schäden wurden verursacht durch Bomben-Fehlabwürfe, Fehlschüsse mit schweren Waffen von Truppenübungsplätzen aus, sowie durch Belastung der Umwelt (z. B. Tankstellen in Trinkwasserschutzgebieten) und illegale Entsorgung von Umweltgiften (Schweröl u. a.). Sehr verbreitet war die Wilderei, die von einigen Offizieren begangen wurde. Nicht selten fuhren Schützenpanzerwagen nachts mit aufgeblendeten Scheinwerfern über die Felder der LPGen und feuerten mit Schnellfeuerwaffen auf alles Wild, das durch Scheinwerferlicht geblendet wurde. Es kam auch vor, daß die Forellen- und Karpfenteiche der DDR-Fischzuchtbetriebe durch „Kommandos" der CA (Sowjetskaja Armija) geplündert wurden. Diese „Beschaffungskriminalität" wurde von DDR-Bürgern damit erklärt, daß die Lebensmittelversorgung der Sowjetsoldaten zu wünschen übrig ließ.

Mir ist bekannt, daß in den letzten Jahren des Bestehens der DDR in enger Zusammenarbeit zwischen Staatssicherheit, Kriminalpolizei, Militärstaatsanwaltschaft und Staatlicher Versicherung regelmäßig Analysen über Straftaten und Schadensverursachung, die auf das Konto der GSSD (Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland) gingen, erstellt worden sind. Und ebenso regelmäßig wurden hochrangige Repräsentanten der DDR (z. B. Egon Krenz) in Wünsdorf beim Oberkommando der GSSD und in der Botschaft der UdSSR vorstellig, um gemeinsam Abhilfe zu schaffen. In den Medien wurde darüber so gut wie nie berichtet.

Selbstverständlich gab es „Sowjets", die ehrlich an einer Kriminalitätsbekämpfung interessiert waren. Aber die gaben zum Schluß nicht mehr den Ton an. 

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Bei der Bewertung der von Sowjetbürgern auf dem Territorium der DDR begangenen kriminellen Handlungen muß man natürlich die Anzahl der Straftaten und Fehlhandlungen ins Verhältnis setzen zur Gesamtzahl der hier stationierten Militärangehörigen. Wenn man davon ausgeht, daß es zu jeder Zeit etwa eine halbe Million waren, so haben sich infolge des periodischen Austausches in einem halben Jahrhundert mehrere Millionen sowjetischer Soldaten in der DDR aufgehalten. Die übergroße Mehrheit verhielt sich korrekt und beging keine Straftaten. Das Andenken an den Friedensdienst der Sowjetbürger soll durch obige Ausführungen in keiner Weise geschmälert werden.

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Die Historiker sind sich wohl darüber einig, daß die DDR ein Geschenk der Sowjetunion war, desgleichen ihre Errettung im Juni 1953.

Ob die DDR 1989/90 durch den großen „Bruder" als Spekulationsobjekt behandelt, preisgegeben, verkauft, verschenkt oder einfach nur verraten wurde, das beschäftigt und interessiert noch immer die Menschen in Ost wie West - vor allem aber die Männer und Frauen in allen Ländern, die sich für Frieden, soziale Gerechtigkeit, Völkerfreundschaft und gegen Krieg, Ausbeutung und Unrecht engagiert haben.

Bestimmte Tatsachen können nicht bestritten werden. So kreiste die sowjetische Weltraumstation MIR (Frieden, Welt) etwa 15 Jahre um die Erde und ermöglichte den Aufenthalt von insgesamt 107 Menschen aus 14 Ländern im Weltraum. Der erste Deutsche im Kosmos war der DDR-Bürger Siegmund Jähn. Solche Erfolge waren nur durch enorme wissenschaftlich-technische, ökonomische, finanzielle und organisatorische Spitzenleistungen möglich. Daraus leiten viele Menschen heute die berechtigte Frage ab: Weshalb wurde dieses hervorragende Potential nicht auf breiter Basis zum Wohle der Völker der UdSSR und der sozialistischen Bruderstaaten eingesetzt?

Zweifellos haben Millionen Bürger der UdSSR, der DDR und der anderen sozialistischen Staaten ehrlich und aufopferungsvoll für eine bessere menschliche Gesellschaft gearbeitet, gelebt, gekämpft, gestritten. Gerade deshalb ist es unverzeihlich, daß die Bürger dieses großen Landes den Sieg über einen längeren Zeitraum hinweg verschenkt haben. Die großen materiellen und moralischen Möglichkeiten der UdSSR blieben am Ende ungenutzt, um der Welt den erträumten ewigen Frieden und ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die politische Führung der Sieger über die faschistischen Invasoren hat zugelassen, wo nicht bewirkt, daß die Sowjetgesellschaft zerrüttet, ihr Staat zerstört, ihr Reichtum von einer korrupten Oberschicht vereinnahmt oder an Kriminelle verschleudert worden ist. Und eine große Schar intellektueller Besserwisser hat gewollt oder ungewollt dazu Beihilfe geleistet. In maßloser Selbstüberschätzung haben bestimmte - nicht alle - „Berater", Diplomaten, Schriftsteller, Künstler, Offiziere und Wissenschaftler ihr Geltungsbedürfnis befriedigt und die Interessen der arbeitenden Menschen, welche die materiellen Grundlagen für die Gesellschaft schufen, preisgegeben.

Die Führung der KPdSU hat erbärmlich versagt. Das wird niemand bestreiten, der sich ernsthaft mit den klugen Gedanken von Marx und Lenin identifiziert hat

Wer kämpft, der kann verlieren. Wer nicht kämpft, der hat schon verloren.

Der Kampf geht weiter! 

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Diese bruchstückhaft aufgeführten eigenen Erlebnisse und Erkenntnisse erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sollen frei von einer anmaßenden Bewertung sein. Sie wurden lediglich aufgeschrieben unter dem Gesichtspunkt:

„So habe ich das erlebt".

Kurt Mahling


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