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War die SED katholisch?

Von 1961 bis 1990 war ich Mitglied der SED. Ich habe die längste Zeit für den ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst - staatliche Nachrichtenagentur der DDR) in Berlin, Frankfurt/Oder und Magdeburg sowie fünf Jahre als Betriebszeitungsredakteur gearbeitet 1986 erteilten mir Parteiorgane Berufsverbot Nach einem Jahr im Hauskundendienst einer Teppichreinigung eröffnete ich unter dem Namen meiner damaligen Frau einen eigenen Reinigungsbetrieb, der mit der Wende unterging Seitdem hungere ich mich als freier Schreiber durch.

Mein Streben und auch meine Erwartungen wurden wesentlich durch die Nachkriegszeit, die Erzählungen über Krieg und Faschismus und den Kampf gegen beide geprägt.

Ich wurde 1943 am Stadtrand von Berlin in einem kirchlichen Heim für ausgebombte, ledige Soldatenmutter geboren. Mein Vater war Berufsoffizier und in Rußland vermißt, ehe er erfuhr, daß er mich gezeugt hatte.

Meine Mutter, Jugendfürsorgerin aus einer katholischen schlesischen Handwerkerfamilie, fand danach in Eberswalde bei der Stadtverwaltung Arbeit. In den Tagen des Einmarsches der Sowjetarmee wurden wir erneut ausgebombt. Meine Mutter war eine der wenigen Stadtbediensteten, die sofort wieder zur Arbeit erschienen und am Tag nach dem Einmarsch 300 Selbstmorde registrierten. Unter der Leitung einer Kommunistin baute sie das Jugendamt wieder auf und führte es bis 1949. Dazu zählte vor allem die Sicherung eines Minimums an Nahrungsmitteln für die Kinder, die Erfassung und Unterbringung der Waisen aus den Flüchtlingstrecks sowie die Unterstützung der Familien mit Kindern. Unter ihrer Anleitung wurden Kinderheime und Tagesstätten geschaffen. Ich selbst war dort oft Gast, wenn sie dienstlich unterwegs war.

Ihre wichtigste Unterstützung fand sie dabei im Demokratischen Frauenbund (DFD) zu dessen Mitbegründerinnen sie zählte. Ebenso hob sie in unserer Stadt den Kulturbund und die DSF (Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft) mit aus der Taufe. 1946 wurde sie Mitglied der SED. Ab 1949 arbeitete meine Mutter als Kulturdezernentin der damals kreisfreien Stadt und nach der Gebietsreform 1952 als Direktorin der Kreisvolkshochschule. Tausende von Kriegsheimkehrern und Angehörige der bis dahin unterprivilegierten Schichten erwarben hier ihre Schulabschlüsse, die sie zu weiterführenden beruflichen Laufbahnen bzw. zum Hoch- und Fachschulstudium befähigten. Als sie 1974 mit 61 Jahren Rentnerin wurde, war sie geehrt in der Stadt und bis zu ihrem Tode im Januar 2000 als .Aktivist der ersten Stunde' fast jedes Jahr im Heimatkalender erwähnt oder interviewt.

Das Streben nach Frieden, Antifaschismus und das Wirken für eine sozialistische Zukunft haben mich in der Kindheit und Jugend geprägt. Ich habe diese Dinge sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Unabhängig von den äußeren Bedingungen sollen die Konflikte, die mich berührten und die meiner Meinung nach auch ohne äußeres Zutun zum Untergang der DDR beitrugen, Inhalt dieses Beitrags sein.

Ich war selbstverständlich ein begeisterter Pionier und FDJler und trat noch als Oberschüler der SED bei. Von Stund an mußte ich feststellen, daß zwischen Theorie und Praxis eine große Lücke, sogar ein Widerspruch bestand. Ich bin heute noch ein Mensch, der gern das Maul aufreißt und es sich dementsprechend oft verbrennt. Bereits als Schüler schrieb ich Gedichte, die auch die Kreiszeitung abdruckte. Allein, daß ich nicht Journalistik studieren durfte, obwohl ich beste Zeugnisse hatte und FDJ-Sekretär unserer Oberschule war, zwang mich, mich über ein ungeliebtes Studium der Betriebsökonomie, das ich nach drei Jahren an den Nagel hängte, als Druckereihilfsarbeiter, Redaktionsassistent und redaktioneller Mitarbeiter an den Beruf ,heranzuschleichen'. Allerdings streifte ich in dieser Zeit den Heiligenschein der Kritiklosigkeit ab, mit dem ich mein Land und seine Gesellschaft selbst umgeben hatte.

In den Studien- und Lehrjahren erfuhren wir mit dem sogenannten Neuen Ökonomischen System ausgesprochen beflügelnde Zukunftsaussichten. Der Tod von Apel und die Niederschlagung jeder Selbstverwaltung in der Wirtschaft und ihr Ersetzen schließlich durch die völlig unlogische Losung vom .Überholen ohne einzuholen' waren ein Feiertag der Geistlosigkeit. Dazu konnte ich nicht schweigen. ((Vgl. hierzu den nächsten Beitrag))

Dieser Text soll keine Analyse sein. Ich will nur darstellen, was mir völlig gegen den Strich ging. Ich, der sich heute noch wie ein in der Wolle gefärbter Roter vorkommt, mußte mir ständig kleinbürgerliche Allüren vorwerfen lassen, weil ich mich gern modisch kleidete oder lieber Leute mit ,Sie' als dem plump-vertraulichen ,Du' ansprach. (Und dann gab es auch noch das drohende ,Genosse, Du ...' mit dem erhobenen Zeigefinger.) Mir wurde ein mangelndes Verhältnis zur Arbeiterklasse vorgeworfen, weil ich Wert auf Bildung und gepflegte Sprache legte oder gar ,die Sprache des VIII. Parteitages' nicht inbrünstig genug lobte. Wenn ich die eine oder andere Losung als den Unsinn darstellte, den sie bedeutete, mußte ich mich vor der Parteigruppe wegen mangelnder Parteiverbundenheit verantworten.

Nach der Wende fand ich in meiner Stasi-Akte mehrfach den Vorwurf, daß ich damals stolz gewesen sei, Journalist zu sein, ja, ich hatte sogar meinen Ehefrauen dieses Gefühl übermittelt. Ja, ich war stolz darauf, mir meine eigene Meinung als Kommunist bilden zu können und diese im Rahmen der Möglichkeiten auch zu veröffentlichen, selbst wenn es mir das ständige Mißtrauen der Vorgesetzten eintrug und der Karriere nicht förderlich war.

Irgendwann am Ende der siebziger fand dann in Berlin eine Nachrichtenkonferenz im Hause des ADN statt. Als Sprecher der Bezirksredaktion Magdeburg war ich sogar noch angespornt worden, meine Meinung zu sagen. Der Kernsatz meiner Rede über mehr Offenheit in der Nachrichtengebung war folgende Frage: Warum erfahren wir nicht mehr über die führenden Genossen? Die Biographie von Wilhelm Pieck lernten wir noch in der Schule. Von Erich Honecker weiß man nicht einmal, oh er noch verheiratet ist ... wir wissen über Helmut Schmidt mehr als über unsere führenden Leute! Die Vertreter von ZK und Presseamt wurden blaß. Beim ADN wurde ich unter fadenscheinigen Gründen hinauskomplimentiert und trat darauf eine Stelle als Betriebszeitungsredakteur an. Ich war vom Regen in die Traufe geraten, denn nun gehörte ich zum Parteiapparat, gegen den ich von Tag zu Tag mehr Groll hegte.

Irgendwann kam man dann darauf, mich zur ,Festigung meiner Grundpositionen' zu Internatslehrgängen an die Bezirksparteischule zu delegieren. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, was das sollte, schließlich hatte ich mit guten Noten bereits zwei Mal das Grundlagenstudium an Universitäten durchlaufen. Aber da ich nicht meine Klappe halten konnte, kam ich von jedem der Lehrgange mit einer neuen Parteistrafe zurück. Schließlich begann bei einer solchen Gelegenheit auch das Verfahren, das mir 1986 das Berufsverbot als Journalist eintrug.

Und das geschah so: Parteiorganisator in unserer Seminargruppe war ein Sektorenleiter von der Bezirksleitung. Mit diesem ,Mitschüler' kam ich - aber nicht allein - in einen Streit über den Seminargegenstand. Selbst die Lehrerin war schon unglücklich, weil der ,hochverehrte' Genosse von der BL offensichtlich im Unrecht war. Ungewollt eignet man sich diese eigentlich unfaire, dogmatische Art, mit Autoritätsbeweisen jemanden niederzuringen, an. Als ich meinem Widersacher auf diese Weise - d. h. mit einem Klassikerzitat seinen Denkfehler bewies, erklärte er dem staunenden Publikum, er habe in den letzten 20 Jahren wegen seiner verantwortungsvollen Funktion keine Zeit gehabt, die Klassiker zu studieren, jedoch sein Klassenstandpunkt habe ihn stets befähigt, richtig zu handeln. No comment...

Es fanden sich in den nächsten Monaten - und das ist ein weiterer Punkt, der mir in der späten DDR immer mehr aufstieß - Menschen ohne bedeutenden geistigen Hintergrund, die mich durch eine Intrige zu Fall brachten. Immerhin hatte die DDR und damit die SED seit 1949 die Bildungshoheit. Doch sie vertraute den Leitern nicht mehr, die sich die Partei selbst erzogen hatte. Dagegen setzte sie ihre halbgewalkten Absolventen von Parteischulen und Industrieinstituten.

Ich will diese Menschen nicht schlecht machen und keinen weiteren Graben ausheben. Diese Leute waren ja nicht dumm, aber sie waren zuallererst zum Gehorsam gegenüber der Partei und erst in zweiter Linie als Fachleute gebildet und erzogen worden. Sie verdankten - nicht der Partei, sondern den Sekretariaten und deren Mitgliedern - alles und sangen deshalb ihr Lied ohne Bedenken. Das war nicht das Schlimmste, doch diese Leute hatten vielfach einen verbogenen Charakter, denn sie erlaubten sich keine eigene Meinung mehr - wie konnten sie auch.

Noch schlimmer war, daß dadurch die ohnehin stets vorhandene Zahl von meinungs- und gewissenlosen Karrieristen in Parteifunktionen anwuchs. Ich habe als Redakteur an Parteileitungssitzungen teilgenommen, in denen erst beim Tagesordnungspunkt .Verschiedenes' Interesse erwachte, wo überwiegend von Autos, Wohnungen, Lauben und Garagen gesprochen wurde und niemand traute sich, dem ein Ende zu bereiten, quasi ,die Wechsler aus dem Tempel zu jagen', denn jeder wollte ja, daß seine 'Pfründe' auf der nächsten Leitungssitzung ,glatt durchging'. Ehrliche Kommunisten waren froh, wenn sie ihre Leitungsfunktionen abgeben konnten, um sich nicht wegen des dort Gehörten schämen zu müssen. Andere wurden korrumpiert und verloren ihre Ehrlichkeit, weil man sie still, klamm und heimlich an den Vorzügen teilhaben ließ.

Verschärfend kam hinzu, daß die ,Honeckersche Wirtschafts- und Sozialpolitik' die Ergebnisse der ,Parteierziehung' extrapolierte. Wir verkonsumierten unsere Investitionsmittel. Der Spruch: So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben! war leider vergessen. 1981 war praktisch der Investitionsstop da, doch der hauptamtliche Parteiapparat bastelte sich seine Erfolge weiterhin zusammen.

Ehe ich es vergesse: Die Parteischulen erinnerten mich immer an Klosterschulen. Es gab zwei wichtige Erziehungsziele: Disziplin und Dogmatik. Von Dialektik oder gar Diskutier- und Streitkultur gab es keine Spur. Mir, dem Lernen und Bilden stets Freude bereiteten, kam dieses Studium wie eine Strafe vor. Aus diesem Grunde - weil mich die Parteihierarchie derart an den katholischen Klerus erinnerte - ermahne ich jeden aufrichtigen Bürger, den Mächtigen stets auf die Finger zu sehen, denn Macht macht süchtig nach Macht, sie korrumpiert ihre Inhaber. Nur schlimm, daß - und ich habe es wirklich geahnt - wir nach Honecker auch ,den Kanzler der Einheit' als Ehrlosen, von der Macht Beherrschten erkennen mußten.

PS.: Können sie sich noch an die Nachrufe in den Zeitungen erinnern? Ein aufrechter, der Partei stets ergebener, furchtloser usw. Genosse war von uns gegangen. Schön und gut! Vielleicht war der Mann wirklich so? Aber in der Partei hatten diese Veteranen längst ausgedient. Sie hingen als Götzen an der Wand. Und außerdem: Was für einen Charakter muß ein Mensch gehabt haben, der jeden Parteibeschluß von Luxemburg über Thälmann und KOMINTERN, Pieck, Ulbricht bis zu dem (sprachlichen) Polterer Honecker freudig begrüßt und frisch, fromm und frei durchgesetzt hat? Fazit: Schade um die schöne DDR - sie war so gut gemeint!

Ekkehart K. Heisig 


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