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Gemeinsam im Heu - und doch noch allein

Von guten Freunden wurde ich gebeten, etwas Anmerkungswürdiges zum Thema Spurensicherung aufzuschreiben.

Meine Biografie ist einfach, öffentlich und unkompliziert.1 Deshalb ist es meine Pflicht, der guten Ordnung halber gleich zu Beginn darauf zu verweisen, dass es keine großen Revolutionen in meinem Leben gab, und da ich auch schon über 50 Jahre bin, wird von meiner Seite keine Revolution mehr ausgelöst.

Trotzdem habe ich mich entschieden, mitzuwirken, da es die großen und die kleinen Geschichten sind, die etwas über Zeitverläufe berichten können - ohne den Anspruch erfüllen zu müssen, vollkommen zu sein.

Meine Geschichte spielt Anfang der achtziger Jahre. In dieser Zeit war die Bildung der großen landwirtschaftlichen Kooperationsgemeinschaften abgeschlossen und die Arbeitsteilung zwischen der Pflanzen- und Tierproduktion auf dem Höhepunkt. Die Probleme lagen in der Bewältigung der täglichen Arbeit - der Kooperationsrat sollte über den Kooperationsvertrag den Interessenausgleich durchsetzen. Eine schwer zu lösende Aufgabe, da die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Partner oftmals ganz andere waren. Es zeigte sich schnell, dass Kooperation nicht vom grünen Tisch aus zu machen ist. Die Verantwortung für den eigenen Betrieb, für das eigene genossenschaftliche Eigentum und das Wohlergehen der eigenen Mitglieder stand an erster Stelle. Ich denke, das war auch richtig so, obwohl es von offizieller Seite als nichtsozialistisches Verhalten diffamiert und bekämpft wurde. Egoismen gehören aber zu einem guten Führungsstil. Wer sich nicht für seinen Betrieb einsetzte, konnte auch nicht erwarten, dass seine LPG-Mitglieder sich für ihre Genossenschaft „zerrissen". Und bis heute gilt: Wer nichts von sich verlangt, kann auch nicht andere fordern.

Diese Art der Kooperation und Arbeitsteilung war mit dem „hehren" Ziel entstanden, die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aus dem eigenen Aufkommen zu sichern - und das noch zu niedrigsten Verbraucherpreisen. Zählt man alles zusammen, was sich hinter dieser Zielstellung an gesellschaftlichen Besonderheiten verbarg, dann konnten die DDR-Bürger mittags Eisbein mit Sauerkraut und abends Lammhaxe essen. Dennoch bleibt ein Eisbein ein Eisbein. Und eine Mark eine Mark. Das Interesse, zu welchen Produktionskosten - besonders für die Beschaffung von Rohstoffen und Material - Nahrungsmittel produziert werden konnten, ging bei dieser Gleichmacherei verloren.

Die Finanzen eines Landes können nicht stimmen, wenn seine Bürger den Staat ausnutzen - oder umgekehrt: von ihm ausgenutzt werden.  

        Bei der Ernte

      Quelle Bildarchiv der Märkischen Allgemeinen Potsdam

  Ich habe mir in diesem Zusammenhang meine Arbeitskalender dieser Jahre (nebenbei bemerkt, ich habe sie noch alle) nochmals genauer angesehen, um heraus zu bekommen, was war damals meine Hauptbeschäftigung und wofür wurde ich bezahlt. Sie bestand aus den immer wiederkehrenden Weidebonituren - aus Messen, Wiegen, Schütteln, um den Aufwuchs auf einem Quadratmeter Grundfläche festzustellen, aus Futterproben nehmen und Wiegekarten sammeln und schließlich zum Monatsende aus dem Verhandeln der streitbaren Abrechnung. Die Losung dafür hieß: „Täglich vergleichen - das Beste erreichen". Unter diesem Motto wurden auch die Heuernten, die Strohernte, Rübenernte und sogar die schwere Arbeit des Steinesammelns organisiert. Es gab zusätzlich Geld und Naturalien für die Genossenschaftsbauern, und in den Wettbewerbsprogrammen verpflichteten wir uns dazu, die Kooperation voll in den Dienst des erforderlichen Leistungszuwachses zu stellen.

Gemeinsamkeit war für die Kooperation zwischen den Tierproduzenten und der Pflanzenproduktion angesagt. Doch die Spannungen waren groß, so dass die Kooperationsratssitzungen sich oftmals zu Schlichtungsveranstaltungen entwickelten. Dadurch wurde die Freude, Landwirt zu sein, zunehmend getrübt. Und damit wollte verständlicher Weise keiner auf Dauer leben.

Die Nachfrage nach Futtermitteln war groß. Vor allem Getreide, Silage und Raufutter waren lebensnotwendige Waren für die Tierhaltungsbetriebe. Doch leider befanden wir uns in einer mächtigen Schieflage. Es wurde zu wenig produziert, und das wenige nicht immer qualitätsgerecht. Die eine Hälfte der Kooperation hatte - weil die staatliche Tierbestandsvorgabe mehr zählte als die Tierleistung - zu viele Tiere in zu vielen schlechten Ställen. Und die andere Hälfte hatte gar keine Tiere und war trotz Spezialisierung auf Pflanzenproduktion nicht in der Lage, das erforderliche Futteraufkommen für den überhöhten Tierbesatz der Kooperation bereitzustellen.

Die Landwirtschaft fußt auf Naturkreisläufen, folglich muss sie diesen entsprechen und verlässlich sein. Ansonsten wird jede Weiterentwicklung auf den Kopf gestellt. Und genau das trat ein.

Sicher wird mancher Leser dieser Zeilen fragen, warum ich gerade diese Geschichte aus meinen Erinnerungen herausgekramt habe, und nicht eines meiner vielen schönen Erlebnisse in der DDR. Der Grund dafür ist, dass mich die Suche nach den Ursachen für den sang- und klanglosen Untergang des Staates, für den ich stand und den ich wollte, bis heute beschäftigt. So bitter die Erkenntnis auch sein mag, steht für mich fest: dieser von mir geschilderte Auswuchs der damaligen Politik war einer von vielen Sargnägeln der DDR. Die Ehrlichkeit mit mir selbst und gegenüber anderen verbietet mir, die Vergangenheit zu verklären. Tatsächlich ist Nostalgie kein guter Ratgeber bei der Suche nach gesellschaftlichen Alternativen, zu der ich mich als demokratische Sozialistin verpflichtet fühle.

Christel Fiebiger



1 Gelernte Rinderzüchterin, Diplom-Agraringenieurökonom, 1971 bis 1982 Leiterin der LPG (T) Premslin, 1982-89 leitende Funktion beim Rat des Kreises Perleberg, seit 1989 Vorsitzende der LPG (T) Groß Warnow, heute Produktivagrargenossenschaft e.G., 1990-99 Mitglied des Landtages Brandenburg, ab 1999 Mitglied des Europäischen Parlaments.

   


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