vorhergehender Beitrag

Inhaltsverzeichnis

nächster Beitrag


DDR-Landwirtschaft: Vom Hungerkünstler zur melkenden Kuh

Wer das Hin und Her, das Vor und Zurück der DDR-Landwirtschaft erlebt hat, mag kaum glauben, daß hier die im Sinne der Weltverbesserer gravierendsten Umwälzungen stattfanden, die zu meiner Verwunderung selbst bis in unsere Post-DDR-Zeit Bestand haben. War der Bauer vor den Genossenschaften noch ein sogenannter ,kleiner' Warenproduzent, der weder feste Arbeitszeiten, Arbeiten nach Weisung Vorgesetzter noch regelmäßige Geldeinkünfte kannte, mußte er sich in der LPG an die koordinierte Zusammenarbeit mit anderen Bauern, Landarbeitern und Vorgesetzten, an Berufsverkehr, Schichteinsatz, Monatseinkommen und Jahresurlaub gewöhnen. Diese Umwälzung der unmittelbaren Produktionsverhältnisse war für den Einzelnen, die bäuerliche Familie und das Dorfleben insgesamt vergleichsweise viel schwerwiegender als in der Industrie.

Wie hat es begonnen?

Ganz dunkel erinnere ich mich noch an Hamsterfahrten in die Uckermark. Der größte Teil meiner Familie lebte als Umsiedler in der Börde, und als Schulkinder mußten wir dort Kartoffelkäfer sammeln und Rüben verziehen. Wenn wir aus den Ferien zurück nach Berlin fuhren, hatten wir Pappeimer mit Rübensaft, Rucksäcke mit Äpfeln und ähnliches zu schleppen.

Auf den riesigen Feldern der meist in Volkseigentum überführten Güter und Domänen konnte man Lokomobilen mit Kippflügen an Seilen oder Ketten beobachten. Soweit nicht in die Großstädte als Trümmerbahnen verbracht, gab es in einigen Volkseigenen Gütern (VEG) sogar noch Feldbahnen aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Sie fuhren entlang der Landstraßen, brachten Ton in die Ziegelei, die fertigen Mauersteine zur Bahn oder zum Hafen, Kartoffeln in die Schnapsbrennerei und Rüben in die Zuckerfabrik. Auf dem Bauernland entdeckte man nur selten einen kleinen Trecker, doch dafür öfter selbst Pferd und Ochs nebeneinander im Gespann.

In den Jugendjahren waren Ernteeinsatze patriotische Pflicht. Es folgten die Kollektivierung und die Winter mit Langlochkartoffeln (Makkaroni). Als ich Ende der sechziger Jahre - wie alle Anfänger in unserer Redaktion - das Ressort Landwirtschaft zugeteilt bekam, wurde meine Verbindung inniger. Tatsache aber ist, daß - selbst wenn mein Leben ganz anders verlaufen wäre - die Menschen in den Jahren nach dem kriegsbedingten Hunger ein sehr enges Verhältnis zu Landwirtschaft behielten und in der DDR auch bis zum Herbst 1989 behalten sollten.

Zweifellos fest steht, daß die Verteilung der Ländereien der Großagrarier die letzten Spuren des Feudalismus im Osten Deutschlands beseitigte und vielen Umsiedlern eine neue Heimat gab, auch wenn die Bodenreform heute als fremdbestimmtes Recht der Besatzungsmacht gilt. Aber wenig später - mit der Etablierung des ostdeutschen Staates - wurden der Landwirtschaft bereits planmäßig die Arbeitskräfte entzogen: Zum Wiederaufbau, für die Schaffung einer eigenen Montanindustrie usw. Denken wir nur an die Wismut, Eisenhüttenstadt und die Eisenwerke West in Calbe/Saale.

Anfang der sechziger Jahre stand der ganze Staat am Abgrund. Die Kollektivierung - entschuldigen sie bitte, wenn ich die Übersetzung aus dem Russischen verwende, weil mir Vervollgenossenschaftlichung nur schlecht aus der Feder läuft - hatte ganze Dörfer leer gefegt und den Strom der Republikflüchtlinge anschwellen lassen. Volkspolizei und Einheiten der NVA erledigten mancherorts die Feldarbeiten.

Wenn dies auch nicht der einzige Grund war, folgte logischerweise der Mauerbau vom 13. August '61. Damit war die DDR zwar noch nicht aus dem Schneider, doch die größte Gefahr war gebannt. Es kamen drei Jahre mit enormen Versorgungslücken, sogar die Rationierung der Grundnahrungsmittel mußte wieder eingeführt werden, nachdem 1959 die Lebensmittelkarten als Symbol der Kriegs- und Nachkriegswirtschaft abgeschafft worden waren. Doch es gab auch das Chemieprogramm, das in Schwedt und Leuna II Potenzen entstehen ließ, die zum Teil noch heute Bestand haben.

Als ich 1968 nach dem Armeedienst meine ersten Nachrichten über Landwirtschaft verfaßte, konnte ich eine aufkeimende Zuckerrübe nicht von einem Tabakpflanzchen unterscheiden.

In meiner Unwissenheit, gepaart mit jugendlichem Elan, schmiß mich der LPG-Vorsitzende von Worin(Kreis Seelow), Bernhard Grunert, Ur-Kommumst aus Oberschlesien, ehemaliger KZ-Häftling und Mitglied des ZK der SED, mit den Worten aus dem Stall: „Jetzt kommt ihr Zeitungsschreiber wohl schon jeden zweiten Tag, um zu messen, wieviel die Schweine dicker geworden sind!"

1967 liefen in Schönebeck/Elbe, meiner heutigen Heimatstadt, die ersten neuen Traktoren der ZT 300-Sene vom Band. Es folgten aus anderen Werken der Mähdrescher E 512, die Kartoffelkombines und als letztes dazu die Rübenkombine. Ludwigsfelde lieferte in den nötigen Stückzahlen geländegängige Lastwagen. In Golzow im Oderbruch erlebte ich die Ablösung der Raupenschlepper durch die Leningrader Radschlepper K700.

Die trotz übelster Kriegsschäden schon immer reichen Bauern des Oderbruchdorfes setzten sich hin und entwickelten gemeinsam mit den Experten vom Bodenbearbeitungsgerätewerk Leipzig einen siebenschaarigen Pflug für den ,Kasimir' den sogenannten Golzower Pflug. Der Vorsitzende Arthur Klitzke, ein ehemaliger Gegner der Genossenschaft, sagte mir: „ Wenn schon LPG, dann wollen wir auch etwas daraus machen."

Noch bevor ich Mitte der siebziger Jahre meinen Arbeitsort nach Magdeburg mit Wohnsitz in Schönebeck verlegte, waren auch die ersten Erfolge dieses unermüdlichen Ringens vieler ehrlicher Mitarbeiter im Partei- und Staatsapparat und in der zuliefernden Industrie absehbar.

Es war ein Ringen um Herz und Verstand der Bauern und Bäuerinnen. Es begann mit der ,Winterakademie' die sich später noch hochtrabender ,Landwirtschaftsakademie' nannte. Gleich wie hochgestochen die Bezeichnungen waren - die Mehrzahl der Genossenschaftsbauern und Landarbeiter erhielten zu der Eigentumsurkunde ihrer Neubauernstelle zwanzig Jahre später ein Diplom als Facharbeiter, Meister oder gar Akademiker - meistens von zeitweiligen Schnellpressen - zugegeben! Aber als diese bewahrten Praktiker mit den zwar schnell, aber nicht leicht erworbenen Diplomen fünf oder zehn Jahre später einen Gang zurückschalteten oder sich gar zur Ruhe setzten, da standen junge, bestausgebildete Akademiker und Wissenschaftler bereit, die Führung zu übernehmen. Das sind übrigens die Doktoren und Diplomer, die heute in der Nachfolge der LPG die großen Landwirtschaftsbetriebe in unserem Bördekreis recht erfolgreich über die Wende gebracht haben.

Zufällig hatte ich ein ganz privates Fenster auf diese zweite Bildungsrevolution, die meines Wissens in der DDR stattfand. Meine Mutter war von 1952 bis 74 Direktor der Kreisvolkshochschule Eberswalde. Der erste große Ruck in der Bildung betraf vor allem die aus dem Krieg Heimkehrenden, begann bei den Volkshochschulen und führte über das dort erworbene Abitur bzw. die Arbeiter-und-Bauernfakultäten bis an die Universitäten. Die zweite Bildungsoffensive - unter der Landbevölkerung - konnte erst richtig nach der Kollektivierung einsetzen, weil es erst jetzt die Möglichkeit der geregelten Arbeit und des Urlaubs (einschließlich Bildungsurlaub) für die Bauern gab. Das war eine soziale Umwälzung für die Landbevölkerung, die selbstverständlich Auswirkungen auf alle Lebensfragen der Dörfer hatte.

Und es gab natürlich auch Episoden, die fast abenteuerlich anmuten: Anfang der siebziger Jahre - es war noch die Zeit der alten Mähdrescher nach dem Vorbild des ,Stalinez' - fuhren Hunderte oder Tausende Mähdrescher mit Lkw im Vorspann durch die Republik, um, wenn in Sachsen das Getreide vom Halm war, den Rest in Mecklenburg zu erledigen. Der Aufwand war enorm, doch die agrotechnisch günstigsten und auch wettermaßig gescheiten Termine wurden eingehalten. Die Ernte war gerettet. Das ging mehrere Jahre so.

In den gleichen Jahren plagte einmal Brandenburg eine Dürre. Der Mais war wegen Trockenheit im Osten nicht gewachsen. Von der Rinderhaltung und deren kontinuierlicher Produktion hing die Versorgung mit Fleisch- und Milchprodukten ab und eine zu diesem Zeitpunkt wegen Futtermangel zu früh geschlachtete Milchkuh wächst erst binnen drei Jahren wieder nach. Da hatten die LPG und Agrochemischen Zentren ihre Kipper zu satteln und vor die Hänger zu spannen. Die Autobahn von Magdeburg bis Frankfurt/Oder stank, denn die ganze rechte Spur war erfüllt von Trucks mit Maissilage aus den Bezirken Halle und Magdeburg.

Mein Beispiel Golzow - bestimmt haben Sie auch das interessante Filmexperiment Die Kinder von Golzow gesehen - war vielleicht ein Vorzeigedorf, aber kein Einzelfall: Mitte der siebziger stand in dem Dorf bereits das zweite nach 1945 erbaute Kulturhaus. Wenige Jahre später finanzierte die LPG auch ein 25-Meter-Hallenschwimmbad. Das war vor 30 Jahren!

Zum 25. Jahrestag der DDR im Jahre 1974 begleitete ich verschiedene Delegationen aus beiden Himmelsrichtungen durch Landwirtschaftsbetriebe. Interessant war dabei, daß die Damen und Herren aus Skandinavien - recht unvoreingenommen - sich über Positives auch positiv äußerten. Unsere südlichen Nachbarn aus der CSSR betrachteten die Dinge mit Kennerblick, fanden Schwachstellen heraus, weil sie offenbar selbst wußten, was in kollektiver Landwirtschaft machbar ist und was nicht. Unsere ,Freunde' aus dem Osten lobten alles überschwenglich, machten aber einen verdammt mißtrauischen Eindruck.

In Schulzendorf, Kreis Bad Freienwalde, ließen sich hochrangige Leute in die Wohnung des LPG-Vorsitzenden führen, weil sie glaubten, man habe das zuvor gesehene Büro mit den Prunkmöbeln des Chefs ausgestattet. In einer Kooperativen Abteilung Pflanzenproduktion baten sie, sofort den anderen Technik-Stützpunkt sehen zu dürfen, weil sie mißtrauten, man habe die gesamte Technik des 7.500-ha-Betriebes an einem Ort zusammengezogen. Offensichtlich glaubten diese Genossen selbst nicht an die Lebensfähigkeit der Kolchosen.

Dies war für mich ein schwarzer Tag, mir blutete das Herz. Meine Mutter war mit ihrem klapprigen DKW F8 von 1952 bis 1960 vor allem im Winter von Dorf zu Dorf gefahren und hatte mit dem Buch „Neuland unter dem Pflug" von Michael Scholochow wie ein Missionar mit der Bibel den Glauben an die Kollektivwirtschaften verbreiten wollen. Ich selbst war als Halbwüchsiger oft dabei. Es hat noch Jahre gebraucht, ehe ich begriff, daß eigentlich nur wir in der DDR, die Tschechen und Slowaken und teilweise auch die Ungarn die LPG wirklich zum Laufen gebracht haben.

Als Ursache sehe ich dafür zwei Dinge:

Die technische Versorgung mit Investitionsgütern, Ersatzteilen, Schmier- und Treibstoffen sowie Baumaterial mußte halbwegs gesichert werden. Industriemäßige Produktion in der Landwirtschaft bedeutet vor allem Mechanisierung, Automatisierung und Chemisierung - auch wenn diese Begriffe unter Umweltaspekten neu zu überdenken sind. Sie an heutigem Bio-Bauerntum zu messen ist nicht relevant, denn ein sich öffentlich bekennender Feldbaubrigadier einer LPG mit Ambitionen für alternative Anbaumethoden wäre z. Z. der DDR innerhalb von 24 Stunden von der Bildfläche verschwunden gewesen. Dies aber der DDR anzulasten ist ebenso unsinnig, denn bevor „Bio" als Alternative erkannt werden konnte, mußte erst einmal in Ost und West die Umwelt verschmutzt werden.

Doch wie sah es tatsächlich beim ,großen Bruder' aus, dessen ,Vorbild' zu Zeiten auch die DDR stark prägte? Viele Menschen, Traktoren, Mähdrescher, Maiskolben oder Schweine auf einem Fleck bedeuteten für die Erbsenzähler aus den Parteibüros Großproduktion - Leitbild des Sozialismus/Kommunismus schlechthin. Man fühlt sich an „Nieten in Nadelstreifen" von Günter Ogger erinnert, der unter anderem das Totwachsen (west) deutscher Konzerne in den achtziger Jahren beschreibt.

Gigantomanie auf sowjetrussisch: Beispielsweise gab es die sogenannten Neulandgebiete in Kasachstan. Hier gab es alles - genug Menschen, Maschinen, Saatgut und vor allem Land ohne Ende - nur nicht genügend Tankwagen und damit auch keine Treibstoffe. Selbst wenn genügend einsatzbereite Mähdrescher vorhanden waren, zog sich dadurch die Getreideernte solange hin, daß die letzten Halme von Kombines mit Schneeketten geschnitten werden mußten.

Bei allem Großkopfetentum und dem ewigen Getöse von Kommandowirtschaft aus dem Westen - die Leute in den Landwirtschaftsabteilungen der Räte der Kreise und der SED-Kreisleitungen wußten recht gut, daß sie gegen den Willen ihrer besten Bauern nicht an konnten. Gerade die starken Betriebe der LPG und VEG hatten doch aus der gesichtslosen Masse der Einzelbauern starke Gestalten als Leiter und Spezialisten aufsteigen lassen. Nur so ist es zu verstehen, daß zwar in manchen Genossenschaften gekungelt wurde, bis es den Staatsanwalt interessierte, die Genossenschaften in der Masse aber sich selbst regierten und soweit es überhaupt machbar war, innergenossenschaftliche Demokratie und damit ein allgemeines Einverständnis mit der Genossenschaft als Produktionsform bestand. In den achtziger Jahren konnten sogar mit stiller Duldung Individualisten wieder als Einzelbauern wirtschaften.

Eine gewisse Logik fand die Entwicklung mit ihrer Fortsetzung in der Verarbeitungsindustrie. Höhepunkt war die Errichtung des Mast-, Schlacht- und Verarbeitungskomplexes inkl.. Futtermischwerk in Eberswalde. Stellen sie sich vor, sie bauen in einem Wald in der Uckermark eine Aufzuchtanstalt, eine Schweinemast, ein riesiges Mischfutterwerk mit eigenem Hafen, einen Schlachthof und die größte computergesteuerte Räucherkammer unseres Kontinents, dazu bestimmt, ganz Berlin mit Fleisch- und Wurst bester Qualität zu versorgen.

Im Weichbild von Eberswalde lebten mehr Schweine als Menschen in Stadt und Umgebung!

Das Ziel der Versorgung ganz Berlins hat sich aus politischen Gründen zwar nicht erfüllt, aber immerhin konnten mehrere aus der Zeit vor der Jahrhundertwende stammende Schlacht- und Verarbeitungsstätten geschlossen oder umgebaut und spezialisiert sowie endlich einmal auch in den Sommermonaten das Angebot an Rohwurst für die gesamte DDR stabilisiert werden. Von Eberswalder Würstchen und Vorderschinken in Blech will ich gar nicht reden.

Daß am Rande der 50.000 Einwohner zählenden Industriestadt Eberswalde die Schweine in Etagenkäfigen gehalten wurden und daß es ein zunehmendes Gülleproblem gab - wenn der Wind aus Nordwesten, das ist die Hauptwetterrichtung, wehte, stank die ,grüne Waldstadt' Eberswalde von Finow bis Ostende nach Schweineschei... -

Sicher, aber das ist fast 30 Jahre her!

Genau so lange ist es aber auch her, daß wir es in der kleinen DDR wie höchstens noch zwei der sozialistischen Länder geschafft haben, überhaupt die Landwirtschaft in Ordnung zu bringen. Das hat natürlich die Begehrlichkeit der hungrigen (und die meine ich hier auch) Nachbarn geweckt. Hatte Nicolae in Bukarest seine Kolchosen mal wieder gegen die Wand gesteuert und war ihm der Weizen verhagelt, rannte er einfach heulend nach Moskau, bettelte und zeigte auf die glückliche DDR, die in ihrer Blödheit auch noch nach Chrustschowschem Vorbild übertriebene Ertragszahlen hinaustrompetet hatte. (Tatsache ist, daß die Agitationskommission und das Presseamt oder meinetwegen der Genosse Wagner - wir unten wurden meist nur hinter vorgehaltener Hand über die Urheber der taktischen Hinweise informiert - uns Ende der siebziger Jahre erst sporadisch - später fast dauernd - verboten, über die landwirtschaftlichen Erträge zu berichten, „... damit man sich in Moskau oder anderen östlichen Hauptstädten keine Zahlenspiele einfallen lassen kann, wieviel man der Republik dieses Mal abzwacken will..."

Natürlich kam der große Bruder selbst dahinter, wie bequem sich die dumme Kuh namens DDR melken ließ. Man konnte nämlich an einer Schaltstelle in Moskau alle Faktoren selbst bestimmen: Man verordnete der DDR-Volksarmee neue Waffen, legte den Preis selbst fest und schon tappte der russische Bär in den mühsam gefüllten Tante-Emma-Laden namens DDR, nahm sich was er wollte und bezahlte womit er wollte. Da Waffen leider auch keinen anderen Nutzen haben als für ihre Aufbewahrung, Pflege und den unwahrscheinlichen Gebrauch stets weiter Nationaleinkommen zu verbrauchen, ist unser Staat weder an seinen hier wie da unfähigen Führern noch an seinem überzogenen Sozialprogramm oder der Unwirtschaftlichkeit der Wirtschaft allein zugrunde gegangen - es waren auch fremde Hände, die aus unserem Portemonnaie die Hochrüstung bezahlten.

Mir als Reisendem hat man im Zug bei Brest jeden Apfel und jede Banane abgenommen, denn es durften keine rohen Lebensmittel in die UdSSR eingeführt werden. Daß weite Teile der Kombinate Industrieller Mast (KIM) ständig Fleisch, Geflügel, Eier nach Rußland lieferten - es hätte ja schon genügt, daß wir die bei uns stationierten Soldaten durchfütterten - wurde nie an die große Glocke gehängt. Das machte aber die DDR-Landwirtschaft stets zur Exportwirtschaft, nur daß wir dafür nichts Brauchbares zurück bekamen. Wir überdüngten unseren Boden, verseuchten die Umwelt mit Exkrementen und bekamen im Gegenwert Panzer und Flugzeuge, die uns nur noch mehr kosteten.

Ich möchte noch drei Kurzporträts hinzufügen:

Willy Jäger, Eickendorf

Auf seinem Land wurde 1934 (damals im Besitz der Witwe Haberhauffe, Großmutter von Jäger) vom Reichsfinanzministerium die höchste und damit zum Standard erklärte Bodenwertzahl von 100 festgestellt. Ausgehend von der Marxschen Definition der Bodenrente wurden neben Fruchtbarkeit auch Verkehrsanbindung, Produktionsmethoden und Technisierungsgrad u. a. Kriterien hinzugezogen. Die Bodenbewertung diente vor allem der Steuertaxierung.

Nach 1945 durfte der junge Jäger nicht seinem Wunsche entsprechend Bauer auf seinem ererbten Hofe werden, denn dieser besaß zwei Hektar zuviel Land, so daß Jäger nicht als ,werktätiger Bauer' behandelt worden, sondern als einer der angeprangerten ,Kulaken' dem Staat ein Dorn im Auge gewesen wäre.

Jäger verzichtete deshalb auf die Bewirtschaftung des Hofes, studierte Landwirtschaft und arbeitete - paradoxerweise - die längste Zeit als diplomierter Landwirt in der Abteilung Landwirtschaft des Rates des Kreises Schönebeck.

Obwohl längst Rentner, ist Willy Jäger noch berufstätig - aber nicht ,schwarz'. Er ist immer noch ehrenamtlicher Bodenschätzer im Auftrage des Finanzamtes und er unterhält mit Unterstützung des Bundesfinanzministeriums im früheren Pferdestall das „Museum für Bodenschätzung".

 

Peter Belitz, Bollenkönig von Calbe/Saale

Seit mehr als 400 Jahren werden die wichtigsten einheimischen Gewürzpflanzen unweit des Zusammenflusses von Elbe und Saale bevorzugt angebaut. Früher - als Zwiebelzöpfe beim Trocknen der Siebenhäutigen noch Sinn machten - hingen sie in Calbe unter allen Vordächern und Traufen. Noch nicht ganz so lange, aber schon seit LPG-Zeiten, nennt man den Traktoristen Peter Belitz hier den Bollenkönig. Belitz trägt weder Talar noch Mantel, eher die Wattejacke, aber wenn es um Zwiebeln geht, fragen auch die diplomierten und höher graduierten Akademiker aus der Geschäftsleitung der Agrargenossenschaft Calbe bei ihm an.

Auf 225 Hektar - durchschnittliche Bodenwertzahl 90 - wachsen hier Zwiebeln. Bei den noch immer nicht ganz verinnerlichten marktwirtschaftlichen Verhältnissen schwankt es ja von Jahr zu Jahr und man kann es nicht so ganz genau sagen, doch Peter Belitz und seine Kollegen erzeugen im Jahr etwa 6.000 Tonnen, was bedeutet, daß in jedem in Deutschland verkauften 5-Pfund-Gebinde eine Zwiebel aus Calbe dabei ist. Peter Belitz hat sie vom ersten Keimen bis zur Verpackung begleitet - ein Genossenschaftsbauer aus der DDR, der auch heute seinen Mann steht.

Ute Bethge

„Der BSE-Skandal wäre hier vor der Wende unmöglich gewesen, denn jeder ernährte die Tiere mit selbst angebautem Futter", versichert mir Ute Bethge. Sie weiß, wovon sie spricht, denn sie war bis 1990 als Diplom-Agraringenieur (Uni Halle) für die Futterwirtschaft der LPG Pflanzenproduktion Mühlingen verantwortlich. „Es gab in der Nahrungskette keine Produkte aus der Tierkörperverwertung. Tierische Futterzusätze konnte allein das Kombinat Industrielle Mast (KIM) einsetzen. Dabei handelte es sich um Fischmehl."

Ute Bethge betreibt heute mit ihrer Familie im Kreis Schönebeck drei Dorfläden. Aus eigener Nebenerwerbslandwirtschaft und von ortsansässigen Erzeugern kommen die Frischprodukte.

„Der Laden gehört wie die Kirche und die Kneipe ins Dorf!" ist ihre Überzeugung und so macht sie unermüdlich weiter.

(Die drei Kurzporträts stammen aus meinem Buch SCHÖNEBECKER PROFILE I und dem Manuskript für den zweiten Band.)

Ekkehart K. Heisig


vorhergehender Beitrag

Inhaltsverzeichnis

nächster Beitrag