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Unser Zeichen war die Sonne
Schon kurz nach meiner Übersiedlung aus Westdeutschland im Jahre 1956 wurde ich Org.-Leiterin und später ehrenamtliche FDJ-Sekretärin im VEB(K) Schlachthof Potsdam. Dort mußte ich zunächst vieles lernen. Begriffe wie „Jugendförderung“ oder „Arbeite mit, plane mit und regiere mit“ waren für mich Neuland und füllten sich erst allmählich mit Inhalt. Aber ich war nun mit dafür verantwortlich, daß alle Jugendlichen, nicht nur die FDJ-Mitglieder, zu ihrem Recht kamen. Aus dem Jugendförderungsplan des Betriebes wurden uns jährlich 800 Mark zur Verfügung gestellt. Das machte es für mich unerläßlich, an Betriebsleitungs- und Gewerkschaftssitzungen teilzunehmen, um mit zu planen und Entscheidungen zu treffen. Denn dort wurde über Anträge Jugendlicher beraten sowie entschieden, in welcher Höhe finanzielle Zuschüsse zur Fortbildung der Lehrlinge gezahlt wurden.
Als FDJ-Gruppe machten wir eine Exkursionsfahrt ins Kunstseidenwerk Premnitz. Hier konnten wir sehen, wie die Kunstseide hergestellt wurde. Es war ein wunderbarer und erlebnisreicher Tag. Nach einem gemeinsamen Abendbrot in Brandenburg besuchten wir noch das Frühlingsfest in Potsdam. Wir hatten auch ein Theateranrecht beim Hans-Otto-Theater Potsdam.
Zu unserer alljährlichen Weihnachtsfeier luden wir Soldaten der NVA sowie Arbeiterveteranen ein. Mit einem bunten Teller und einem kleinen Geschenk bedankten wir uns für ihre Hilfe. Wir hatten Patenschaften zur Sprachheilschule, einer Grenztruppe der NVA sowie zu einer Komsomolgruppe der Roten Armee. Von allen wurden wir ebenfalls zu Feierlichkeiten eingeladen.
Als Pausensport wurde Federball gespielt. Unsere Gruppe sorgte auch regelmäßig dafür, daß der Platz für den Pausenaufenthalt immer sauber und frei von Unkraut war. Dieser war gleich an der Havel und zum Verweilen ideal.
Aber es gab größere Aufgaben für unsere Jugendorganisation, die von jedem vollen persönlichen Einsatz verlangten. Die FDJ übernahm viele volkswirtschaftliche Projekte in Eigenregie, so beim Bau des Rostocker Hafens und der Sosatalsperre, in der Märkischen Wische und im Rhin-Havel-Luch-Gebiet.
Mitte Februar 1960 vertauschte auch ich meinen betrieblichen Arbeitsplatz für vier Wochen mit dem im Rhin-Havel-Luch. Wir zehn FDJ-Mitglieder aus der FDJ-Kreisorganisation trafen uns früh in der Kreisleitung Potsdam. Ich war die einzige Frau. Nach einer kurzen Einweisung bestiegen wir frohgelaunt den bereitstehenden Bus. Wir waren eine lustige Truppe. Selbst das schlechte Wetter änderte nichts an der Stimmung. Unser Ziel war Ziethenhorst in der Nähe von Nauen. Durch den Busfahrer erfuhren wir, was uns dort erwartete: Die Wege aufgeweicht und überall Matsch; beim vorhergehenden Durchgang hatte man einen Traktor aus dem Morast ziehen müssen. Trotz solcher Aussichten verloren wir unsere frohe Laune nicht. Endlich waren wir am Ziel angekommen. Alles fanden wir auch so vor, wie es uns erzählt worden war. Vom Bus aus sahen wir eine Baracke, die nun für vier Wochen unser Zuhaue sein sollte. Nach der Begrüßung durch den Lagerleiter erhielten wir erst einmal Gummistiefel, um den Ausstieg überhaupt wagen zu können. Es wurde uns auch freigestellt, wieder mit nach Hause zu fahren. Wir bleiben jedoch alle dort. Im Quartier erfolgte dann die Zimmer- und Arbeitseinweisung. Als einzige Frau wurde ich für die Küche eingeteilt. Die Köchin war aus dem Ort. Der Essenraum diente zugleich als Aufenthaltsraum mit Fernsehgerät und Radio. Morgens zogen die Jungen nach dem gemeinsamen Frühstück mit den notwendigen Geräten in die Wiesen. Die Köchin und ich kamen bald überein, daß ich für das Frühstück und Abendbrot sorgen sollte. Somit hatte sie dann mehr Zeit für ihre Familie. Das Mittagessen bereiteten wir beide. Die Jungen waren uns aber auch eine große Hilfe. Sie holten die Feuerung in die Küche, und den großen Topf mit den Kartoffeln gossen sie uns auch immer ab. Oft klopfte es spät abends an meine Zimmertür, wenn der eine oder andre noch Hunger verspürte. Immer ging ich dann noch einmal in die Küche und gab vom übriggebliebenen Essen etwas heraus. Denn es blieb ja auch täglich etwas Fleisch vom Mittag übrig.
Schnee und Regen machten uns nichts aus, und wir waren an jedem Wochenende stolz, wenn wir unsere Zielstellung erfüllt hatten. Vier Wochen waren für uns keine lange Zeit, aber wir wurden ja in unseren Betrieben auch wieder gebraucht. So hieß es also, dem Rhin-Havel-Luch im März 1960 Lebewohl zu sagen.
Wir schrieben das Jahr 1974. Mein jüngster Sohn war Schüler der vierten Klasse, als er eines Tages freudestrahlend aus der Schule kam. Er holte aus seiner Mappe eine Querflöte und einen Aufhahmeantrag für den Deutschen Turn- und Sportbund heraus und legte beides auf den Tisch. Erst zögerte ich, den Antrag auszufüllen. Ich hatte Sorge, daß die zusätzliche Aufgabe den schulischen Leistungen schaden könnte. Aber dann unterschrieb ich doch, und so wurde mein Sohn Mitglied des DTSB, Sektion Spielleute.
Er gehörte nun der
Betriebssportgemeinschaft DEFA Babelsberg an. Jede Woche hatte er eine Übungsstunde.
Doch das blieb nicht die einzige Überraschung für mich. Zuerst war es nur eine
Querflöte, dann kamen eines Tages die Pauke und danach die Becken ins Haus.
Nach mehreren Übungsstunden gab es bald die ersten Auftritte. An manchen
Wochenenden, wenn meine Arbeit es zuließ, ging ich als Begleitperson mit. Die
Spielleute umrahmten Kinderfeste, spielten in ihrer farbenfrohen Kleidung am 1.
Mai oder an Wahltagen auf, immer sorgten sie für gute Stimmung. In jedem Jahr
ging es dann auch in andere Städte zur Bezirksmeisterschaft der Spielleute. Wir
Eltern konnten unsere Kinder stets begleiten. Das Repertoire reichte vom
Volkslied bis zum Marsch oder Walzer. Wie groß war aber meines Sohnes Freude,
als bekannt wurde, die Spielleute würden am Deutschen Turn- und Sportfest in
Leipzig teilnehmen. Nun wurde noch mehr geübt. Dann ging es erst einmal für
drei Wochen ins Trainingslager nach Dessau. Hier war auch die Generalprobe mit
allen anderen Spielleuten der DDR. Endlich war es soweit: Die Messestadt Leipzig
empfing ihre jungen Gäste. Ich verfolgte dieses Geschehen am Fernseher. Über
3.000 Musiker nahmen am Einmarsch in das große Stadionrund teil. Es war
herrlich, die verschiedenen Klangkörper sehen und hören zu können. Aber
einmal geht auch alles Schöne zu Ende. Froh und aufgeregt kam mein Sohn wieder
nach Hause. Das Auspacken der Kleidung und kleiner Erinnerungsstücke konnte
warten. Denn erst einmal mussten die Erlebnisse von Dessau und die aus Leipzig
erzählt werden. Noch Tage, ja Wochen waren sie Gesprächsthema.
Quelle: Privatarchiv
Zastrow
Musikkorps des DTSB Potsdam
Die Jahre gingen dahin, und die Begeisterung meines Sohnes für den Spielmannszug blieb. Doch dann kam das Jahr 1989, die „Wende" in unserem Land. Hin und wieder gab es noch einen Auftritt. Es fehlten jedoch die finanziellen Mittel und außerdem auch die Freizeit. Nun mußte jeder zuerst an seine Arbeit denken, wollte er diese nicht verlieren. Einige sind zwar noch dabei, doch mein Sohn mußte Abschied von den Spielleuten nehmen.
Doris Zastrow
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