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Das muß einmal deutlich gesagt werden!

Mein ganzes bisheriges Berufsleben habe ich in der Landwirtschaft verbracht, davon vierunddreißig Jahre in der DDR. Man könnte sagen, das war mir schon in die Wiege gelegt, denn meine Eltern hatten im Dorf Menz, damaliger Kreis Ruppin, einen Hof mit 12 Hektar Land. Sie waren nicht reich, wie manche Großbauern im Dorf, aber für die Familie mit drei Kindern reichte es. Meine ältere Schwester verstarb leider bereits mit 18 Jahren, und der ältere Bruder litt an Kinderlähmung. So war ich, der Jüngste (Jahrgang 1941), als der künftige Erbe vorgesehen.

Wie das so war in den kleinen Familienbetrieben: Schon von Kind an lernte ich die verschiedenen Arbeiten auf einem Bauernhof kennen. Das begann mit dem Kühehüten, und als Zwölfjähriger war ich richtig stolz, daß ich in der Ernte mit vier Pferden einen Binder bedienen durfte. Die Arbeit machte mir Freude, man war als junger Mensch eng mit der Natur verbunden, und wenn ich so zurückdenke, wuchs die Liebe zur Landwirtschaft schon auf dem väterlichen Hof. Als junger Mensch ist man jedoch, durch mancherlei Einflüsse bedingt, oft noch schwankend in der Berufswahl. Wie so mancher Junge gern Lokomotivführer geworden wäre, so wollte auch ich zu einem bestimmten Zeitpunkt mit anderen Schulfreunden unbedingt ins Stahlwerk Brandenburg. Die damalige Propaganda für die Großindustrie, die viel Nachwuchs brauche, hat mich schon beeinflußt. Doch nach Abschluß der 8. Klasse im Jahre 1955 stand es dann fest: Meine Zukunft heißt Landwirtschaft!

Im Familienrat wurden alle Perspektiven für mich abgewogen. Mein Vater hatte klar erkannt, daß die Entwicklung in Richtung Großraumwirtschaft gehen würde. So manche der damaligen LPG waren zwar nicht gerade Werbung für die genossenschaftliche Bewirtschaftung, doch weitsichtige Fachleute hatten klar nachgewiesen, daß mit den vielen kleinen Einzelbauernhöfen keine Ertragssteigerung mehr möglich war. So begann denn meine landwirtschaftliche Lehre in Wentow (Kreis Gransee), wo erst kurz zuvor eine landwirtschaftliche Schule eingerichtet worden war. Unter der Regie von Meister Günter Wilke haben wir jungen Lehrlinge nicht nur theoretisch viel für den künftigen Beruf gelernt. So manche meiner damaligen Lehrkollegen traf ich später wieder, als sie in leitenden Funktionen auf dem Gebiet der Landwirtschaft tätig waren. Uns war nichts geschenkt worden, und die uns in Wentow vermittelten Kenntnisse waren der Grundstein für das praktische Umsetzen im Betrieb. Überhaupt möchte ich hier anmerken, daß es mit dem ständigen Lernen und Erweitern der Kenntnisse nie aufhörte. Wenn von einer „Diktatur“ die Rede ist, dann war es eine „Diktatur des Lernens“. Und ich gestehe, der habe ich mich zeitlebens gestellt und sie für notwendig befunden.

Nach damals zweijähriger Lehre und einem Abschluß mit sehr guten Noten konnte ich mich Facharbeiter für Landwirtschaft nennen. Nun begann die Praxis. Für ein Jahr lang war ich auf dem Volkseigenen Gut (VEG) in Güldenhof Gespannführer. Ich muß wohl meine Sache ordentlich gemacht haben (einige von uns Facharbeitern verließen das VEG), denn ich wurde vom Betrieb zur Fachschule Genshagen, südlich von Berlin, delegiert. Hier waren die Anforderungen höher, und Disziplin im Zusammenleben junger Leute war auch wichtig. Als junger Mann von 18 Jahren hatte ich damit - wie so mancher andere auch - meine Probleme. Das gab Ärger und Auseinandersetzungen. Kurz gesagt: Ich mußte die Fachschule unterbrechen. Nach nur einem Jahr Studium hieß es für mich nun erst einmal, in der LPG Gröben Hilfe zu leisten. Das Ganze nannte sich damals „FDJ-Aufgebot zur Unterstützung der jungen LPG“. Ruckblickend kann ich heute sagen, daß dieses als „Erziehung“ gedachte Jahr in der Praxis für mich wirklich entscheidend war. In dem Sinne nämlich, daß ich ernster über mich nachdachte und im besten Sinne reifer wurde. Das Jahr in Gröben war zugleich hart, was die Arbeit betraf. Es gab ja 1959 noch nicht die vielen technischen Erleichterungen. So erinnere ich mich noch heute an die 25 bis 28 Milchkühe, die ich zweimal täglich mit der Hand melken mußte. Mein „Melkerjahr“ war aber in anderer Hinsicht ergebnisreich für mich, denn vom guten Lohn konnte ich mir endlich mein erstes Motorrad, eine Sport-Awo, kaufen. Im Umgang mit den Genossenschaftsbauern lernte ich viele gute Menschen kennen, die mit ihrer fleißigen Arbeit und lebens- und zukunftsbejahenden Haltung mehr zu meiner Entwicklung beitrugen, als es ein FDJ- oder Parteilehrjahr vermocht hätte. Gern denke ich an meine damalige Melkermeisterin, die mir meine vielen Fragen geduldig beantwortete und die mich hier in der LPG als Kandidaten für die SED überzeugte und gewann. Mein Entschluß dazu war freiwillig, weil ich sah, wie die Genossen nicht nur Worte machten, sondern mit gutem Beispiel vorangingen. Ich wende mich entschieden gegen die nach der „Wende“ aufgestellte Behauptung, daß wir jungen Leute per Zwang in die Partei mußten, um Karriere zu machen. Ich kenne viele Mitstudenten, die immer parteilos blieben und trotzdem später in höheren leitenden Stellen verantwortlich waren.

In der LPG Gröben erlebte ich im Frühjahr 1960 mit, wie die letzten Einzelbauern Mitglied der Genossenschaft wurden. Für uns in der Milchwirtschaft war das mit einer großen Umstellung verbunden. Die bisher in engen Ställen lebenden Kühe der Einzelbauern konnten sich einfach nicht an die Weide gewöhnen. Es war schon eine richtige Qual, mit anzusehen, wie die Tiere im besten Grünfutter standen, nichts fraßen und täglich schwächer wurden. Wir mußten die Kühe wieder in die Ställe zurückführen und Futter bereiten, sonst wären sie uns buchstäblich verhungert. An diese Episode kann ich mich genau erinnern, und ich habe sie später oft erzahlt, wenn mancher „Fachmann“ mir sagen wollte, daß ich von Viehwirtschaft wenig verstünde.

Nach dieser wertvollen Praxis absolvierte ich dann weitere zwei Jahre die Fachschule mit dem Ergebnis „Gut“ und war Staatlich geprüfter Landwirt. Auf meinen Wunsch hin kam ich in den Heimatkreis Gransee zurück. Mein Gesprächspartner und neuer Leiter war der schon legendäre MTS-Direktor Gustav Prieb von der MTS Schulzendorf. Den kannten wir alle in unseren Dörfern, vor ihm hatten die Bauern hohe Achtung - vor allem, weil er was von der Landwirtschaft verstand und sich von manch anderem „Phrasendrescher“ unterschied. Gustav Prieb gab mir den guten Rat, in der LPG „Glück auf“ in Schönermark bei Gransee zu arbeiten. So wurde ich zunächst probehalber für ein Jahr als Assistent eingestellt. Wieder hatte ich echtes Gluck, denn mein neuer Chef war der weit über den Kreis hinaus bekannte Vorsitzende Erich Klemt. Am einfachsten wäre der Begriff „Assistent“ mit „Madchen für alles“ zu charakterisieren. Doch das wäre längst nicht präzise. Ich bekenne, daß Erich Klemt für mich das große Vorbild war. Bei diesem Mann habe ich für mein ganzes späteres Berufsleben viel lernen können. Unser Verhältnis war herzlich und auch kritisch. Letzteres ergab sich aus der Erfahrung und dem Können des älteren Praktikers und dem Eifer des schnell das Fachschulwissen umsetzen wollenden Anfängers, der ich war. Erich Klemt brauchte eigentlich keine Buchhaltung. In dem schon legendären kleinen Notizbuch, das er immer bei sich trug, hatte er alle Zahlen notiert und wußte immer, wie es um seine Genossenschaft stand. Bei Dienstbesprechungen zog er das Büchlein und sagte, was zu tun sei und was man besser unterlassen solle. Als Mitglied der Demokratischen Bauernpartei war Erich Klemt einer der ersten Träger des Vaterländischen Verdienstordens im Kreis. Damit machte er aber gar nichts her, wie er überhaupt als sehr bescheidener Mensch in Erinnerung bleibt. Als praktizierender Christ, der jeden Sonntag in die Kirche ging, lebte uns Erich im täglichen Beisammensein vor, wie man vernünftig und menschlich miteinander umgeht. Wie oft habe ich erlebt, daß er sich nach dem Kirchgang am Sonntag umzog und zu uns auf den Acker kam, um beim obligatorischen Steinesammeln zu helfen. Da war er sich nicht zu fein. Und solch ein Verhalten überzeugte mehr als die beste Schulung.

Nach dem Probejahr durfte ich bleiben. Nun folgten weitere Praxis- und zugleich Lehrjahre in Schönermark. Das hieß zunächst Viehzuchtbrigadier und dann Feldbaubrigadier. Die Genossenschaftsbauern wählten mich zum Stellvertreter des Vorsitzenden. Als unser immer wieder neue Herausforderungen suchender Erich Klemt 1966 die sehr zurückgebliebene LPG Baumgarten übernahm, begann für mich eine besondere Verantwortung. Ich war 25 Jahre jung und wurde von etwa 100 Genossenschaftsbauern zum Vorsitzenden gewählt.

Wir bewirtschafteten in dem Jahr etwa 800 Hektar Acker- und Weideland, hatten 400 Milchkühe, 1.500 Schweine, 500 Jungtiere und 200 Bullen in den Ställen - und vor allem keine Schulden. Der damalige Maßstab der Leistungen war die Arbeitseinheit (AE). Es gab LPG, denen der Staat Zuschüsse zahlte, weil sie noch in den roten Zahlen waren. Unsere LPG Schönermark hatte einen Stand der AE von immerhin 11 Mark selbst erarbeitet. Alles in allem ein guter Start für mich. Ich wußte, daß ich natürlich immer an Erich Klemt gemessen werden würde. Das war Last und Herausforderung zugleich. Dem habe ich mich gestellt.

Mit der weiteren Konzentration und Spezialisierung der Landwirtschaft entwickelte sich die Kooperative Abteilung Pflanzenproduktion (KAP) Sonnenberg, der ich danach angehörte. In dieser KAP übte ich bis 1975 die Funktion des Produktionsleiter aus und wurde danach KAP-Leiter. Doch es kam in diesen Jahren der Versuche und oft unverständlichen Experimente in der Landwirtschaftspolitik bald wieder etwas Neues. Die Vollversammlung der neugegründeten LPG Pflanzenproduktion Sonnenberg wählte mich als Vorsitzenden. Diese Aufgabe habe ich bis zum Jahr 1989 als besondere Herausforderung verstanden. Denn jetzt waren von rund 280 Mitgliedern und Beschäftigten immerhin über 7.000 Hektar zu bearbeiten. Die Flächen der umliegenden sieben Dörfer waren einbezogen.

Wenn ich an diese Jahre zurückdenke, erinnere ich mich an eine richtige Aufbruchstimmung, die uns wohl alle erfaßt hatte. Inzwischen waren viele junge Fachleute durch Fach- und Hochschulen ausgebildet und bewährten sich bei uns in der Praxis. Jetzt Namen zu nennen, wäre ungerecht, könnte man dabei doch jemanden vergessen. Es waren junge Leitungskader, die zum großen Teil aus ehemaligen großbäuerlichen Betrieben kamen, die Erfahrungen von Generationen fleißiger Bauern mitbrachten und nun in der Groß-LPG wirklich zeigen konnten, „was sie auf dem Kasten hatten“. Ich möchte hier gleich einflechten, daß einige meiner ehemaligen Kollegen heute als Wiedereinrichter die väterlichen Betriebe führen und dort erfolgreich das umsetzen, was sie jahrelang in der Genossenschaft an Erfahrungen sammelten. Wenn es auch schmerzlich ist, solche wertvollen Menschen heute nicht mehr im Betrieb zu haben, so gebietet es die Fairneß, ihre heutigen Leistungen in der privaten Landwirtschaft zu würdigen.

 

Quelle: Bildarchiv d. Mark. Allgem.

Durch den konzentrierten Einsatz moderner Technik kam das Getreide der LPG rechtzeitig vom Halm

 

Ich erwähnte schon die ständige Weiterbildung und die „Diktatur des Lernens“. Da war ich natürlich nicht ausgenommen. Über vier lange Jahre habe ich ein Fernstudium an der Hochschule für Landwirtschaft Meißen absolviert. Jeder, der ein Fernstudium machte, erinnert sich gewiß an die Doppelbelastung: Betrieb und die Wochenenden voller Selbststudium, die vielen Seminare und Zwischenprüfungen. Es war wahrlich kein leichtes Brot. Der lange Titel „Diplomagrar-Ingenieurökonom“ nach Studienabschluß steht für langes und hartes Lernen.

Nun werden heute, sozusagen im Sinne des herrschenden „Zeitgeistes“, das Leben in der LPG, die Mitarbeit der Mitglieder und des Vorstandes und die in der LPG gefaßten Beschlüsse als „undemokratisch“ abqualifiziert. Was stimmt da, was stimmt nicht? Natürlich gab es immer wieder Versuche des Hereinredens von außen. Dem war wohl in der DDR jeder Betriebsleiter ausgesetzt. Manche Vorschläge und Ratschläge, die von außen - etwa dem Rat des Kreises oder der SED-Kreisleitung - kamen, schienen nützlich für das Fortkommen der LPG. Doch eines steht fest: Jede Entscheidung und jeder Beschluß zur Betriebsführung usw. mußte vor der Vollversammlung begründet und von ihr beschlossen werden. Und da es zumeist ums Geld der Mitglieder, um das von ihnen eingebrachte Inventar oder die Felder ging, konnte ein Antrag nur mit Mehrheitsbeschluß die Vollversammlung passieren. Das ist aus den Protokollen nach wie vor ersichtlich

Ich weiß natürlich, daß in nicht wenigen LPG manchmal recht diktatorisch und über die Köpfe der Mitglieder hinweg vom Vorstand entschieden wurde. Für unseren Vorstand möchte ich eine solche Arbeitsweise jedoch verneinen. Wir schrieben immer schwarze Zahlen, und der Wert der Arbeitseinheit blieb stabil. Ich möchte deshalb an einem von mehreren Beispielen konkret zeigen, wie eine Familie in der LPG verdiente, welche zusätzlichen Einnahmen es gab und welchen Wohlstand sie sich damals leisten konnte. Das war, gemessen am Durchschnittsverdienst im ganzen Kreis, sehr respektabel. Und ich füge hinzu: Im Vergleich zum früheren Verdienst, z. B. von Landarbeitern auf den Gütern des Adels, hatte sich ein wahrhaft revolutionärer Wandel vollzogen. Doch hier nun eine Familie, die durchaus nicht zu den Spitzenverdienern in unserer LPG gehörte: der Mann in der Feld- und die Frau in der Viehwirtschaft tätig. Da kam allein nur durch die Verrechnung der Arbeitseinheiten im Jahr ein Verdienst von 16 000 bis 20 000 Mark zusammen. Sie erhielten als Deputat Naturalien in Form von Getreide und Kartoffeln, um die private Hauswirtschaft fuhren zu können. Im Stall standen etwa fünf bis zehn Schweine, die im Verkauf etwa 1 000 Mark je Stück brachten. Die meisten Familien zogen Bullen auf, die immerhin jeweils 5 000 zusätzliche Mark in die Haushaltskasse brachten. Da diese beiden Mitglieder eigenes Land in die Genossenschaft eingebracht hatten, bekam die Familie als „Bodenanteil“ jährlich pro Hektar einen von der Vollversammlung beschlossenen Betrag Geld, das auf die „hohe Kante“ kam, bis es für den Autokauf oder andere größere Anschaffungen gebraucht wurde.

Ich nenne das alles, weil man entgegen den dummen Lügen „von den ausgebeuteten und versklavten Genossenschaftsbauern“ die Wahrheit über die LPG sagen muß. Und das ist ja alles nachprüfbar. Man muß nur die jetzt arbeitslosen ehemaligen Mitglieder fragen. Schließlich unterstützten wir auch den Hausbau junger Mitglieder. Ich denke da an ein Ehepaar, das heute im Eigenheim wohnt, für das jeder der Eheleute 5 000 Mark Unterstützung von unserer LPG erhielt, vom freien Transport usw. gar nicht zu reden. In Schönermark bauten wir einen Wohnblock mit 18 modernen Wohnungen für Mitglieder, die von den Ausbildungsstätten neu zu uns kamen. Was früher schier undenkbar war, das gab es doch tatsächlich: Urlaub auch mitten im Sommer. Wir unterhielten eigene Ferienheime. Der Bungalow im Harz oder das Hausboot auf den Seen bei Dorf Zechlin waren immer begehrt, genauso wie das gemeinsam mit dem VEG Wendefeld an der Ostsee bei Sellin eingerichtete Ferienlager für unsere Kinder. Gemeinsam mit der befreundeten LPG bei Kohn in der ČSSR nutzten wir ein Ferienheim im Riesengebirge. Bei den regelmäßigen Betriebsausflügen an die Ostsee, in den Spreewald oder nach Polen lernten wir viele Verwandte unserer Mitglieder kennen, die unseren Zusammenhalt wie eine große Familie empfanden. Das alles bezahlten die Genossenschaftsbauern, und es bleibt ihnen ganz sicher als gute Erinnerung an das Leben in der Genossenschaft. Erinnert sei auch an Brigadefeiern, Sportfeste in unseren sieben Dörfern, die zum Einzugsbereich gehörten.

Seit Ende der siebziger Jahre war unsere LPG Schönermark Hauptausrichter des zentralen Erntefestes im Territorium, gemeinsam gestaltet von der Kooperation aller Betriebe und dem Gemeindeverband. Da erlebten Tausende Besucher aus unseren sieben Dörfern und vor allem aus der nahen Kreisstadt ein richtiges Fest bäuerlichen Lebens. Ausstellungen unserer Landtechnik, sportliche Wettkämpfe und jedesmal ein ausgewähltes Tourneeprogramm mit Spitzen der DDR-Unterhaltungskunst. Ich kann rückblickend sagen, daß ich in der kurzen Ansprache jedesmal von erreichten guten Ergebnissen sprechen konnte Da waren keine Phrasen nötig, die Schwierigkeiten verdecken sollten, nein, wir durften uns über die selbstgeschaffenen Erfolge und guten Ernteergebnisse ehrlich freuen.

Die Unruhen und Spannungen zur Zeit der „Wende“ im Jahr 1989 gingen natürlich auch an unserer LPG nicht vorüber. Da waren wir bestimmt keine „Insel der Glückseligen“. Zu viel Ärger mit Ämtern und Leitungen, die sich zu viel einmischen wollten, hatte sich angestaut.

Ich fühlte mich immer als ein Leiter, der aus eigener Kraft und dank eigener Leistung diese Funktion ausübte, also nicht, wie in vielen Fällen üblich, als von der Partei eingesetzter Kader. Deshalb war ich schon enttäuscht, als während meiner Abwesenheit zur Kur einige Mitglieder in der LPG Unterschriften sammelten, die meine Ablösung als LPG-Vorsitzender verlangten. Ins Gesicht hatten mir diese „Sammler“ ihre Meinung und Kritik leider nicht gesagt. So erwartete mich denn nach Rückkehr von der Kur eine unangenehme Überraschung. Das war - nach so viel aus meiner Sicht ehrlicher Arbeit für den Betrieb und die Mitglieder - schon sehr enttäuschend. Auf einer Vollversammlung stellte ich die Vertrauensfrage. In einer geheimen Abstimmung sprachen sich über 90 Prozent der LPG Mitglieder für mein Verbleiben als Vorsitzender aus und stellten sich hinter mich. Auf einmal war es schwer, jemanden zu finden, der vorher dagegen war.

Wie wohl alle ehemaligen DDR-Bürger habe ich die aufgedeckten Fehler der Partei- und Staatsführung mit Entrüstung zur Kenntnis genommen. Es war für mich zugleich aber unfaßbar, wie nun auch alle guten Seiten der DDR-Erfahrung pauschal als schlecht oder unrecht dargestellt wurden. Manche Zeitgenossen, die vorher für den Sozialismus Hurra geschrieen hatten, schmissen sich den neuen Herren regelrecht an den Hals. Das war meine Sache nicht. Ich hatte in meinem Leben bislang nichts anderes kennengelernt. Als die DDR gegründet wurde, war ich im dritten Schuljahr Alles, was wir uns erarbeitet hatten, oft unter sehr schweren Bedingungen, das sollte plötzlich unnütz und umsonst gewesen sein?

Weitsichtige Politiker der Bundesrepublik mahnen zwar regelmäßig in guten Reden an, wie wichtig es ist, die Biographien der Bürger in den neuen Bundesländern zu achten und als kostbares Gut zu begreifen. Es sei unwürdig und für die innere Einheit schädlich, die Lebensleistung ehemaliger DDR-Bürger zu verunglimpfen. Richtige Worte. Die bitteren Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre führen diese guten Worte leider ad absurdum.

Leistung bleibt Leistung. Und da muß man sich dafür nicht immerzu rechtfertigen müssen, warum man an die Richtigkeit des Sozialismus glaubte, in der DDR blieb und nicht in den Westen abhaute, sondern hier nach besten Kräften mit vielen anderen Bauern einen neuen Weg in der Landwirtschaft ging. Mit sogenannten Analysen von „Fachleuten“, die zumeist von westlich der Elbe stammen, will man nachweisen, was wir alles falsch machten und daß der ganze Weg unrecht war. Ich bin mir sicher, die ehemaligen Genossenschaftsbauern haben in der Überzahl dazu ihre eigene Meinung, und sie lassen sich nicht gern sagen, wie sie eigentlich gelebt haben sollten. Kurz gesagt, die geistige Trennmauer zwischen Ost und West wird noch lange bestehen, weil es eben so unterschiedliche Lebenserfahrungen in den beiden deutschen Staaten gab.

So, wie hier mein Lebensweg in der Landwirtschaft kurz skizziert ist mit allem Auf und Ab, mit Freuden und auch Ärgernissen in all den Jahren, so stehe ich dazu. Und so beantworte ich auch die Fragen meiner zwei Töchter und meiner drei Enkelkinder.

Seit einigen Jahren bin ich gewählter Geschäftsführer der Agrar GmbH Sonnenberg in Schönermark. Wir stellen uns als Bauern, die wir geblieben sind, den neuen, oft unbekannten Anforderungen. Die Freude am Beruf ist geblieben. Sehr vieles, was wir in der sozialistischen Genossenschaft über Jahrzehnte lernten und praktizierten, das kommt uns heute zugute. Vor allem das Nicht-Aufgeben und das Meistern manchmal schwieriger Probleme. Wir haben gelernt, uns am Markt zu behaupten.

Und der Unterschied zu früher? Haben wir uns damals oft über die ständigen Einmischungsversuche übergeordneter Leitungen ins Wirken der LPG geärgert, so hat heute eigentlich nur einer etwas wirklich zu sagen: die Bank. Doch das ist nun schon ein nächstes Kapitel meiner Lebensgeschichte.

Dieter Wolff


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