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Natur, Wald, Wild und Waffen

  Die Zeit ist wohl reif, über das Jagdwesen in der Deutschen Demokratischen Republik in völliger Offenheit zu schreiben, weil gerade darüber viele Verfälschungen und Unwahrheiten verbreitet wurden. Wir geben hier nur einen kleinen Einblick in das Weidwerk, wie wir es fast ein Vierteljahrhundert erlebt haben. Wir wollen keine Schilderung von Jagdszenen vornehmen, es geht uns vielmehr um das Wesen, um den Charakter der jagdlichen Praxis.

Die Geschichte der Jagd in Deutschland darf nicht allein von denen geschrieben werden, die die Kapitalhirsche, die urigen Keiler, die prahlenden Rehkronen hier erlegt und in fernen Ländern auf Bären, Büffel, Elefanten, Löwen und Tiger tödliche Schüsse abgegeben haben. Aber auch nicht von jenen - was die DDR betrifft -, die als Mitglieder des Politbüros der SED in feudaler Manier die Jagd praktizierten, indem sie vom Hubschrauber aus Rotwild bejagten, weil es im Dickicht des Schilfes an der Ostmüritz in voller Deckung stand, oder indem sie in einer Jagdsaison fünf kapitale Hirsche schossen, um die Geweihe dann an der Außenwand einer Garage verkommen zu lassen.

Wir wollen der Geschichte der Jagd in Deutschland die Erfahrungen und Erfolge der Jagdpraxis der einfachen Jägerinnen und Jäger in der DDR hinzufügen, die ihrer Passion viel bescheidener nachgegangen sind.

Im Jagdgesetz der DDR waren die Ziele des Jagdwesens eindeutig formuliert. Es ging einmal um den Aufbau und die Erhaltung eines Wildbestandes, der in seiner Artenzusammensetzung landeskulturelle Bedeutung hatte und in bestimmten Grenzen volkswirtschaftlich genutzt wurde - in der DDR wurden jährlich etwa 6.000 bis 8.000 Tonnen Wildbret erlegt. Zum anderen erforderten die Hege des jagdbaren Wildes und die Verhütung von Wildschäden in der Land- und Forstwirtschaft die Gestaltung und Verbesserung seiner Lebensbedingungen.

Indem viele Arbeitsstunden in der Freizeit von uns Jägerinnen und Jäger dafür verwandt wurden, Fütterungen, Wildäcker, Wildwiesen, Salzlecken und Suhlen einzurichten, unterstützten wir die Erhaltung eines gesunden Wildbestandes. Die Jagd war weitaus mehr als das Fangen oder Töten jagdbarer Tiere, das erst am Ende aller jagdlichen Tätigkeiten stand. Trotzdem ist die Jagd und damit die Nutzung der freilebenden jagdbaren Tiere heute notwendig, um eine Übervermehrung der einzelnen Wildarten zu vermeiden, da ja die großen Raubtiere in der freien Natur bei uns fehlen. Eine Selbstregulierung der Wildbestände würde unweigerlich zu verheerenden Krankheiten und Seuchen führen.

Weidwerk ist also mehr als Jagd, als Ansprechen, Zielen und Schießen - Weidwerk ist vor allem auch das Erlebnis der Natur, ist die innere Verbindung zwischen einem Menschen und seiner natürlichen Umwelt. Weidwerk macht erlebbar, daß der Mensch von der Natur abhängig ist und, daß die Natur in unserer Zeit unsere Hilfe braucht. Zur Jagd in der DDR gehörten aber auch die Pflege jagdlichen Brauchtums, Jagddarstellungen in der Kunst und im Kunsthandwerk sowie das Jagdhundewesen und die Falknerei.

Es mögen im Durchschnitt etwa 44.000 Frauen und Männer gewesen sein, die mit rund 13.000 leistungsgeprüften Hunden das Weidwerk in der DDR ausgeübt haben. Gemessen an 17 Millionen Einwohnern ist das ein hoher Anteil. Niemals vorher war in Deutschland die Zahl der Menschen so hoch, die die Jagd ausübten. Anders ausgedrückt: Noch zu keiner Zeit lernten so viele einfache Menschen die Natur, das Leben in ihr, den ständigen Wechsel von Entstehen und Vergehen, die Lebensgewohnheiten von Vögeln und Säugetieren, von Schlangen und Reptilien - von allem, was da kreucht und fleucht - so gut kennen und lieben, wie in diesen vierzig Jahren. Hier wurden Menschenrechte verwirklicht, z. B. das auf Bildung, auf Erholung, das Recht der freiwilligen Teilnahme am kulturellen Leben. Die entscheidende Voraussetzung dafür war, möge das manchem passen oder nicht, daß die Jagd und das Wild Volkseigentum waren, daß kapitalistische Methoden der Jagdausübung keinen gesellschaftlichen Boden mehr hatten.

Wir bejagten alle Arten des heimischen Schalenwildes einschließlich des Muffelwildes. Zu zweit hatten wir 200 Hektar Waldgebiet als unser Jagdrevier zur versorgen. Die Jagdgruppe bewirtschaftete mehr als 2.000 Hektar. Da hatten die drei Frauen und dreizehn Männer ganz schön zu tun. Diese geringe Zahl von Jägerinnen war typisch für alle Jagdgruppen in der DDR, bedauerlicherweise. Aber woher sollte die werktätige Frau ihre Beziehung zur Jagd auch haben? Dazu hätte es sicher größerer Zeiträume bedurft.

Wenn wir uns zur Jägerversammlung einfanden, dann waren unsere Tischgenossen Waldarbeiter, Forstleute, LPG-Bauern, Angestellte, Intellektuelle. Diese Zusammensetzung entsprach der Bevölkerungsstruktur. Das war völlig normal und demokratisch. Jagdleiter war ein Schlosser, auch normal. Neben uns saßen SED-Mitglieder, Parteilose und Blockfreunde - ebenfalls vollständig normal. Alle hatten für die Jagdausübung die gleichen Bedingungen und Richtlinien zu erfüllen, hatten die gleichen Rechte und Pflichten nach dem Gesetz. Die Beziehungen zwischen uns waren kameradschaftlich, solidarisch und ehrlich. Natürlich gab es Kritik bei Fehlabschüssen oder bei anderem Fehlverhalten. Auch in scharfen Tönen! Hin und wieder gab es auch gröbere Verstöße gegen die Jagdmoral. Einmal z. B. wurde ein Rothirschgeweih bewußt falsch bewertet und auch kein Protokoll darüber angefertigt, weil einigen Leuten wohl doch der Jagdneid die sachliche Einschätzung trübte. Die Trophäe wurde dem Schützen ungerechtfertigt entzogen. Nach Jahren - in der Regierungszeit von Hans Modrow - wurde diese Entscheidung durch die Forstverwaltung korrigiert, und der Schütze von damals freut sich noch heute über seinen stärksten Hirsch.

In unserer Jagdgruppe hatten wir auch des öfteren Gäste aus dem Flachland. Dort gab es kein Rotwild, keine Mufflons und kein Damwild. Wir luden auch den Präparator unserer Widderhäupter zur Jagd ein, auch ein General der NVA war bei uns zur Hasenjagd. Ja, und dann kamen regelmäßig Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere der Sowjetarmee zur Jagd zu uns. Auch sie machten völlig gleichberechtigt ihre Strecke. Als sich diese Tradition gefestigt hatte, gingen sie nicht mehr auf eigene Faust in unsere Reviere.

Wir selbst haben mehrere Jagdhunde geführt. Harry K. aus Jänickendorf mit seinen reichen Erfahrungen bei der Abrichtung von Hunden hat sie für die Hundeprüfungen fit gemacht. Es waren Hunde der Rasse Deutsche Wachtelhunde, für unser Jagdgebiet hervorragend geeignet. Im Jagdgesetz der DDR war übrigens genau festgelegt, wie viele leistungsgeprüfte Jagdhunde in der Jagdgesellschaft vorhanden sein mußten. Das war sehr wichtig; denn wir stehen auch heute noch auf dem Standpunkt, daß zu jedem Jäger ein guter Hund gehört.

Ein ganz „heißes Eisen“ war im Jagdwesen der DDR die Handhabung bei den Jagdwaffen. Die staatlichen Waffen standen beim Jagdleiter unter Verschluß. Es gab ausreichend Kugel- und Schrotwaffen. Jedes Mitglied der Jagdgruppe bekam bei der Anmeldung zur Jagd, seiner Einweisung und Belehrung ein Jagdgewehr - entweder Drilling, Bockbüchsflinte (Kugel- und Schrotlauf) oder Schrotflinte - und die dazu notwendige Munition, die natürlich vom Jäger zu bezahlen war (sehr preiswert). Hierbei gab es gelegentlich Ärger, weil einige höherrangige Forstleute es für selbstverständlich hielten, daß ihnen die Kugelwaffen zustanden. Deshalb stellten diese Jäger auch keine Anträge auf eigene Waffen. Das war seit den sechziger Jahren möglich. Wie wurde das gehandhabt?

Nach einem Politbürobeschluß der SED zur Förderung der Intelligenz wurden vor allem Mediziner großzügig mit solchen Eigentumswaffen versorgt, hin und wieder auch Pädagogen oder leitende Mitarbeiter. In diesem Zusammenhang erhielten auch wir unsere Eigentumswaffen, was schon einem gewissen Privileg gleichkam. Die „Waffenfrage“ löste häufig Erregung, Empörung, Kritik und auch Resignation aus. An einem Beispiel wollen wir das verdeutlichen:

H. G. war ein tüchtiger Arbeiter in seinem Betrieb, einen zuverlässigeren Mann konnte man sich kaum vorstellen. Er besaß einen tüchtigen Jagdhund und erfüllte seine jagdlichen Verpflichtungen vorbildlich. Nach 20 Jahren Jagd stellte er den Antrag, eine eigene Jagdwaffe führen zu dürfen. Abgelehnt! Ein Jahr später dasselbe, nur mit anderer Begründung. Das war eine große Ungerechtigkeit. Unser Versuch, diesen vorbildlichen Jäger zu unterstützen, endete mit der schroffen Bemerkung: Seid still, ihr habt eure Waffen!

Bei der Kennzeichnung des Jagdwesens in der DDR spielt die finanzielle Seite eine bedeutende Rolle. Der Jahresbeitrag wurde entsprechend der Höhe der Löhne oder Gehälter festgelegt. Wir bezahlten jeder etwa 100 Mark. Kaum jemand in unserer Gruppe zahlte mehr. Für die Erlegung von Wild - auch nicht für den stärksten Trophäenträger - gab es keine weitere Kostenerhebung. Wer in einem Jagdjahr also neben einem starken Rothirsch noch einen guten Widder zur Strecke brachte, mußte dafür nicht einen Pfennig bezahlen. Unsere Jagdmoral allerdings gebot uns, solche Abschüsse in der Jagdgruppe abzusprechen. Heute müssen für einen Sechzehnender mit 6,5 Kilogramm Geweihmasse vermutlich etwa 10.000 DM auf den Tisch geblättert werden. Wer kann sich das leisten? In der DDR bekamen die Erleger von Wildtieren - je nach Wildart - am Jahresende pro Kilogramm eine finanzielle Vergütung. Bei manchem war das mehr als ein Monatsgehalt. Der Balg eines Winterfuchses brachte 25 Mark.

Es gibt also keinen Zweifel, daß die Ausübung des Weidwerks in der DDR überhaupt nicht vom Einkommen, der Höhe des Bankkontos oder der gesellschaftlichen Stellung eines Bürgers abhängig war. Jäger in der DDR zu sein, das war Freude und Verpflichtung zugleich. Es erforderte hohe Disziplin und Zuverlässigkeit im Umgang mit Jagdwaffen, viele Stunden sinnvolle Freizeit und manche körperliche Anstrengung. Der schönste Lohn war immer das Erlebnis der Natur und - hin und wieder - eine gute Trophäe.

Ruth und Reinhold Rahsen 


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