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Wir haben nicht umsonst gelebt

 

Ende 1953 war es endlich soweit, der Umzug nach Schuenhagen ging los. Das Umzugsgut bestand aus unserem verhältnismäßig noch kleinen Hausrat und wenigen Möbeln. Einen beträchtlichen Teil der Transportkapazität nahm unser inzwischen angeschaffter Viehbestand in Anspruch. Dazu muß man wissen, daß damals die Gehälter der Forstangestellten ziemlich gering waren. Deshalb betrieben die meisten eine individuelle Viehwirtschaft. So waren neben einer Kuh, einem Schwein und einem Schaf auch Gänse, Enten und Hühner sowie Hunde und Katzen zu transportieren.

Forst Schuenhagen, an der Barthe und südlich von Velgast gelegen, ist ein seit über hundert Jahren historisch gewachsenes reines Forstdorf. Von Velgast aus führte eine Straße wie ein Haarnetz - Loch an Loch und hält doch - durch ein Waldstück über die Barthebrücke.

Und dann standen wir zwischen haushohen Dornenhecken, die beiderseits des Kopfsteinpflasterweges wucherten. Nur das Forsthaus war zu sehen - Sitz des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes Stralsund in Schuenhagen. Es war ein würdiger Backsteinbau mit einem kleinen, etwas verwilderten Park zur Straße hin und umgeben von einer alten Rotbuchenhecke. Hinter ihm standen neben zwei Stallgebäuden eine typisch mecklenburg-vorpommersche rohrgedeckte Fachwerkscheune und mitten auf dem Hof ein gemauerter Brunnen mit Pumpe sowie ein Hundezwinger. Seitlich sahen wir eine mächtige Linde, jenseits der Straße ein Gartengelände mit vielen Obstbäumen und in Richtung Barthe einen großen Schafstall. In dieser Umgebung sollten wir also wohnen, leben und arbeiten.

Im Erdgeschoß des Forsthauses befanden sich die Wohnungen des Dienststelenleiters und einer Umsiedlerfamilie, im oberen Stockwerk die Diensträume. Das sogenannte Kutscherhaus, das „Sekretärhaus“ sowie zwei Anfang des Jahrhunderts gebaute Doppelhäuser wurden von Waldarbeitern, Forstangestellten und Umsiedlerfamilien bewohnt. In den Nebengebäuden waren unsere Forstpferde, die Schweine des Örtlichen Landwirtschaftsbetriebes1, Heu- und Strohvorräte sowie Geräte und anderes untergebracht. Das Forsthaus selbst war massiv unterkellert und bot - mit Waschküche, Kohlen- und Kartoffelkeller sowie einer großen Küche mit einem mächtigen Herd - genügend Raum.

 

Oberförsterei Schuenhagen

                                                                                      Quelle. Privatarchiv Große

Da leider alle Reviere der nächstliegenden Oberförsterei besetzt waren, arbeitete ich nach unserem Umzug in der Abteilung Waldbau. Hier hatte ich vorwiegend mit der Planung von Wiederaufforstungen, Beschaffung der dafür erforderlichen Forstpflanzen sowie mit jagdlichen Abrechnungen zu tun, da der StFB zuständiges Wildbewirtschaftungsorgan war.

Privat hatten wir uns relativ schnell eingelebt, und auch unserer Tochter gefiel es, obwohl sie in Velgast nun bereits ihre sechste Schule besuchte. „Röschen“ nahm es wie immer: gelassen und ohne Schwierigkeiten.

Neben der schönen Wohnung hatten wir auch in Schuenhagen Möglichkeiten zur Viehhaltung und bewirtschafteten ein Stück Acker, eine Wiese, eine kleine Koppel sowie einen geringen Teil des Obstgartens. Das war zwar notwendig, brachte aber neben unseren dienstlichen Aufgaben viel zusätzliche Arbeit.

Deshalb entschlossen wir uns, eine jüngere Frau als Haushaltshilfe anzunehmen. Anfangs klappte auch alles recht gut, noch dazu, weil unsere Tochter Roswitha mit ihrer Ursula zur Schule ging und beide sich gut verstanden. Unser Pech war nur, dass Ursulas Mutter vor 1945 bei einem Baron von Pachelbl als Mamsell tätig gewesen war. Sie schaffte es, daß wir uns allmählich kaum noch als Herr im eigenen Hause fühlten. Kamen wir mittags von der Arbeit, gingen wir gleich in die Küche. Hatte sie das Essen noch nicht fertig, erregten wir damit ihren Unmut. Wir mußten uns erst ins Wohnzimmer setzen und warten, bis sie anklopfte und sagte: „Es ist angerichtet.“ Nachdem sich unser Nachwuchs angemeldet hatte, bekam ich des öfteren besonderen Appetit auf Gurkensalat. Allerdings war er für mich schwer verdaulich und ich schlug vor, die Gurke nicht in Scheiben zu schneiden, sondern zu raspeln. Ihre Antwort darauf: „Nein, Herr Baron von Pachelbl aß ihn auch immer in Scheiben.“ Folglich hatte ich das nach ihrer Meinung auch so zu tun. Das alles entsprach natürlich absolut nicht unserem Lebensstil, waren wir doch, gemessen an unseren Vorgängern in Schuenhagen, die ersten „Proletarier“. Nach einiger Zeit zog die ehemalige Mamsell es aber vor, ihren Wohnsitz nach Westdeutschland zu verlegen.

Zehn Tage nach der Geburt unserer kleinen Elrud-Liane wurde ich ins Krankenhaus eingeliefert. Eine schwere Beckenvenenthrombose ließ mich vier Monate lang um mein Leben kämpfen. Danach mußte ich zunächst meine Berufstätigkeit unterbrechen, nahm aber nach einem halben Jahr auf eigenen Wunsch die Arbeit wieder auf.

Ab 1954 begann der StFB mit der Umgestaltung des anfangs geschilderten Milieus. Das Wichtigste war zunächst, einen Fuhrpark für das Holzrücken und die Holzabfuhr aufzubauen. In den nahegelegenen MAS wurden alte Traktoren vom Typ „Buldog“ aufgekauft und für anfallende Reparaturarbeiten ein Werkstattraum einschließlich Schmiede eingerichtet. Mit viel Initiative und Einfallsreichtum gelang es, aus den schrottreifen Maschinen brauchbare Zugeinheiten zu schaffen. Unter dem Motto „Forst Schuenhagen braucht Luft“ wurden dann mit dem ersten aufgebauten „Buldog“ und starken Eisenketten die bedrückenden, einengenden Dornenhecken Stück für Stück gerodet. Gleichzeitig begannen wir mit dem Bau einer Verwaltungsbaracke und etwas später mit der Errichtung eines Garagenkomplexes für den neuen Fuhrpark. Unsere wertvolle Technik - Spezialmaschinen kamen dazu - mußte unter Dach und Fach. Damit hatten wir uns für Schuenhagen sozusagen ein- für allemal den Hut aufgesetzt.

Nach Fertigstellung der Baracke zog die Verwaltung des StFB aus dem Forstamtsgebäude aus. Die Räume wurden zu modernisierten Wohnungen für Betriebsangehörige gestaltet, Küchen mit Propangasherden eingebaut und ein Gemeinschaftsbad installiert - unter damaligen Bedingungen eine ebenso große Errungenschaft wie die vier Innen-WC. Im Dachgeschoß entstand eine kleine Wohnung für eine alleinstehende, mit ihrem Kind aus Westdeutschland zurückkehrende Frau.

 

 

Leitungskollektiv der Oberförsterei Schuenhagen                                                                      Quelle: Privatarchiv Große

Aber auch danach waren im Forstamtsgebäude noch viele Arbeiten in Angriff zu nehmen, damit sich das Leben der Menschen angenehmer und leichter gestaltete und sie sich in den eigenen vier Wänden wohlfühlten. Die dafür zur Verfügung stehenden Geldmittel waren knapp, mußten deshalb sorgfältig geplant und effektiv eingesetzt werden. Ein großes Problem waren beispielsweise die Fußböden im gesamten Haus: ungleichmäßig breite Dielenbretter ohne Nut und Feder, also breiten Ritzen, aus denen bei Schritt und Tritt Staub hochwirbelte. Durchgebogen und abgetreten - Teppiche und Fußbodenbelag waren Mangelware -, wurde ihre Reinigung für unsere Frauen nach der schweren Arbeit im Wald und den anderen Produktionsstätten zu einer große Belastung. Durch gute Verbindung zum Faserplattenwerk Ribnitz-Damgarten – unser Betrieb lieferte laufend Holz dort hin - bekamen wir kostengünstig  

18 Millimeter starke „Anfahrplatten“, die wir sorgfältig auf Dielen und Treppenstufen aufnagelten. (Ein Kollege stellte dafür sogar seine Kupfernägel aus dem Westen zur Verfügung.) Nach dem Aufbringen von Ausgleichmasse konnte bald „Debolon“-Fußbodenbelag geklebt werden. Das schwere Scheuern und Schrubben hatte ein Ende.

 

Zwischen 1954 und 1990 haben in Schuenhagen außer uns - der Familie des Betriebsleiters, Forstmeisters und späteren Oberförsters Otto Große - weitere neun Familien mit 28 Familienmitgliedern sowie 16 Kolleginnen und Kollegen in Einzelhaushalten ein Zuhause gefunden (wobei der Personenkreis wechselte).

Auch die weitläufigen Kellerräume wurden mit viel Arbeit und Mühe den zeitlichen Erfordernissen angepaßt. Dabei ging es als erstes um die Einrichtung einer Werkküche, um unsere Kolleginnen und Kollegen weitestgehend mit einem warmen Mittagessen versorgen zu können. In den früheren Obstkeller wurden der große Kohle- und ein Propangasherd, die notwendigen Küchenmöbel und eine Doppelspüle gestellt - die Werkküche war fertig. Daran grenzte ein als Speisekammer eingerichteter Kellerraum mit Regalen für Eingewecktes - das stellten Köchin und Küchenhilfe selbst her - und andere erforderliche Lebensmittel. Dazu kam noch ein Keller für Einkellerungskartoffeln und Gemüse.

Da es mir nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus ohnehin schwer fiel, zum Fläschchenkochen und anderen Arbeiten jedesmal über den langen Flur und einige Treppen hinunter in die große Gutsküche zu gehen, entschlossen wir uns, sie aufzugeben und unsere Küche im sogenannten „Badezimmer“ einzurichten. Aus der ehemaligen Küche im Keller wurde ein gemütlicher Essenraum für die Kolleginnen und Kollegen, die im Wald, in Nerzfarm, Fasanerie, Forstbaumschule und anderen erreichbaren Produktionsstätten arbeiteten. Zu den entfernteren Brigaden wurde, je nach Einsatzort, das Essen hinausgefahren, oder sie nutzten die Möglichkeiten nahegelegener LPG. Was über den Höchstpreis für unser Mittagessen (1,20 M) hinausging, erhielten die Kollegen zurückerstattet.

Die vorhandene Waschküche wurde zur Gemeinschaftswaschküche umfunktioniert und mit Waschmaschinen, Wäscheschleudern sowie Spülmöglichkeiten ausgestattet. Selbst eine elektrische Bügelmaschine stellte der Frauenausschuß des StFB zur Verfügung.

Nun muß man sich vorstellen, daß es zu dieser Zeit in Forst Schuenhagen keinerlei Einkaufsmöglichkeiten gab. Das hieß: Jedes Brot, jede Flasche Milch für die Kinder, Fleisch, Butter usw. mußten zu Fuß oder per Fahrrad (wenn vorhanden) aus dem 3,5 Kilometer entfernten Velgast geholt werden. Und das bei den geschilderten Straßenverhältnissen ... Diese Schlepperei mußte ein Ende finden! Da unsere Dienstwohnung ziemlich groß war, stellten wir ein Zimmer (5 x 7 m) für die Einrichtung einer Konsumverkaufsstelle zur Verfügung. Mit Tischlermeister Gonschewski aus Velgast wurden Regale und Ladentische entworfen, gezeichnet und auch gebaut. Zu gleicher Zeit mußte mit der „Konsum-Obrigkeit“ geklärt werden, ob sich die Einrichtung der Verkaufsstelle überhaupt lohnte, wer die Kosten dafür trug, wie die Personalfrage zu lösen war usw. In der DDR, wo sich die gesellschaftlichen Verhältnisse zu einer sozialistischen Gesellschaft hin bewegten, war die Frage nach der Rentabilität einer solchen Verkaufsstelle natürlich sehr wichtig. Nach unserer Meinung mußte jedoch der Grundsatz „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ ebenso beachtet werden. Es gab einige Hürden, aber wir ließen uns nicht beirren. Um voranzukommen, bezahlten wir die Ladeneinrichtung zunächst sogar aus der eigenen Tasche. Nach längerem Kampf stimmte die Konsumgenossenschafts-Verwaltung in Stralsund zu, die Warensortimente konnten anrollen und unter stolzer Beteiligung der Bevölkerung zum Verkauf eingeräumt werden. Sogar eine Waage wurde mitgeliefert. Das Geld für die Einrichtung erhielten wir nach ca. zwei Jahren zurückerstattet.

Sehr schnell stellte sich heraus, daß die Schaffung der Verkaufsstelle sowohl für die Konsumgenossenschaft als auch für die Schuenhagener ein voller Erfolg war, was der rege Zuspruch, verstärkt durch den Durchgangsverkehr, bestätigte. So kam es zwangsläufig sehr bald dazu, daß die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten. Da die Entwicklung im ländlichen Raum fast überall ebenso rasch voranging wie bei uns, stand die Konsumgenossenschaft vor der Notwendigkeit, vielerorts größere Verkaufsmöglichkeiten zu schaffen und beschloß ein Programm zur Aufstellung der sogenannten „Sternberger Verkaufskioske“. So wurde im Jahre 1961 auch in Forst Schuenhagen zwischen dem StFB Stralsund und der Konsumgenossenschaft ein Nutzungsvertrag für Grund und Boden abgeschlossen und ein „Sternberger Kiosk“ aufgebaut. (Im Forsthaus wurde damit wieder Wohnraum für alleinstehende Kolleginnen frei.) Der StFB stellte das Material für den Leergutschuppen zur Verfügung, den unsere Kollegen in Feierabendarbeit und unentgeltlicher Hilfe errichteten. Die Zusammenarbeit mit der Konsumgenossenschaft klappte inzwischen ganz prima. Zwei vom StFB gebaute Doppelhäuser (4 WE) und ein gleiches im individuellen Wohnungsbau (2 WE) führten zum Zuzug neuer Einwohner und natürlich auch zur Erhöhung der Kundenzahl für die Verkaufsstelle.

Ende der fünfziger Jahre wurden in der DDR zentrale Beschlüsse zur allgemeinen Steigerung der Produktion sowie für ein Massenbedarfsgüterprogramm gefaßt. Daraus ergaben sich auch für uns neue Aufgaben. Vom StFB wurde ich mit dem Aufbau einer ca. 14 Hektar großen Forstbaumschule, einer Nerzfarm mit anfangs 200 Tieren und einer Champignonzuchtanlage in den Kellern der ehemaligen Schnapsbrennerei Richtenberg beauftragt. Für den Aufbau einer Fasanerie wurden 1.000 Zuchttiere (Ringfasan und mongolischer Jagdfasan) zur Aufstockung der Niederwildbestände aus Rumänien eingeflogen. Dazu kam noch eine Hähnchenmastanlage mit Brutmaschinen für die Kükenaufzucht. Aber nicht zuletzt wuchsen in den Revieren der Oberförsterei Schuenhagen die forstwirtschaftlichen Aufgaben in Holzeinschlag (ca. 25.000 fm/Jahr), Flächenräumung, Wiederaufforstung (ca. 120 ha/Jahr), Kulturpflege u. a. m., was neue Arbeitskräfte erforderte. Die Frauen im Ort und den umliegenden Dörfern sagten: „Wir möchten ja gerne arbeiten, aber wohin mit unsern Kindern ?“ Meine Antwort: „Dann müssen wir eben einen Kindergarten bauen !“

Gesagt - getan. Zwei HOMA-Fertigteilhäuser wurden als Gruppenräume anvisiert, dazwischen war ein massiver Teil für Küche, Wirtschaftsräume und Sanitäranlagen vorgesehen. Für mich ergab sich daraus natürlich eine erhebliche Mehrarbeit neben meinen beruflichen und familiären Pflichten. Als Mitglied der Gemeindevertretung Velgast, Abgeordnete und ehrenamtliches Ratsmitglied des Kreistages Stralsund fühlte ich mich darüber hinaus besonders zur Mitarbeit und Initiative verpflichtet. So hatte ich dafür zu sorgen, daß neben der Organisation der täglichen Arbeiten auch immer das benötigte Material zur Verfügung stand, was unter den damaligen Bedingungen schon allein viel Kraft und Zeit in Anspruch nahm. Außerdem mußte laufend alles, jede einzelne Rechnung, „sachlich und rechnerisch richtig“ abgezeichnet und auch abgerechnet werden, um nicht den Überblick zu verlieren.

Die Fundamente waren fast fertig, als der Kreisbaudirektor bei uns erschien. Seine Meinung: „Das ist zu klein. Wenn wir bauen, dann bauen wir richtig, größer!“ Nach Eintreffen seiner Pläne und Bauunterlagen erweiterten wir die begonnenen Fundamente, so daß sie ein 10 x 25 Meter großes, massives Gebäude tragen konnten. Das schwierigste Problem war die Finanzierung - wir lebten schließlich im August 1960 und hatten Planwirtschaft. Um überhaupt mit der Arbeit beginnen zu können, wir brauchten ja Material, stellte unsere kleine Gemeinde Schuenhagen-Hoevet die ersten 1.000 Mark zur Verfügung.

Alle Kolleginnen und Kollegen in und um Schuenhagen und natürlich auch die übrigen Bürger wurden zur Mitarbeit im Rahmen des Wettbewerbes zum Nationalen Aufbauwerk (NAW) 1960 aufgerufen. Da das Interesse an der Unterbringung der Kinder und der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses groß war, kam es zu einer regen Beteiligung: freiwillig, ohne Bezahlung, nach Feierabend, an Wochenenden und an Feiertagen, so, wie jeder konnte. Und es waren immer genügend Helfer da. Es war eine großartige Zeit des Aufbruchs, es ging langsam aber stetig voran, im Großen wie im Kleinen.

Für die weitere Finanzierung steuerte unser Betrieb 2.000 Mark aus dem Kultur- und Sozialfonds bei, ebenfalls 2.000 Mark kamen vom DFD-Kreisvorstand Stralsund.

Und obwohl es schwierig war, stellte der Rat des Kreises Stralsund im zweiten Halbjahr 1960 30.000 Mark und 1961 weitere 25.000 Mark zur Verfügung. Mit diesen insgesamt 60.000 Mark, gepaart mit der heute unvorstellbaren Leistungsbereitschaft zahlreicher Bürger, mit Beharrlichkeit, guter Organisation und vielfacher Zusammenarbeit entstand innerhalb eines Jahres unser am Wald und an der Barthe gelegener schöner Kindergarten mit Kinderkrippe, der weit und breit seinesgleichen suchte. Große Hilfe, beispielsweise bei Transportleistungen und Materialbereitstellung, hatten uns auch die umliegenden Landwirtschaftsbetriebe gewährt. Trotzdem ging natürlich nicht alles glatt. Es gab viele Schwierigkeiten, und noch heute erinnere ich mich mancher Episode.

So wollten wir eigentlich eine Dachkonstruktion aus Balken unserer eigenen Produktion, aber der Kreisbaudirektor bestand auf einem Brettbinderdach. Er war der Meinung, daß in einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaftsordnung Dachausbauten nicht mehr notwendig seien. Also fuhren die Kollegen mit der Zugmaschine nach Stralsund, luden die Brettbinder auf einen Langholzhänger und machten sich auf den Rückweg. Allerdings mußten sie an der Velgaster Eisenbahnunterführung feststellen, daß sie - bei 3,90 Meter Durchfahrtshöhe - mit ihrer Ladung nicht durchkamen. Es blieb nichts anderes übrig, als aus allen Rädern des Hängers die Luft rauszulassen, ca. 30 Meter so zu fahren und schließlich mit dem Kompressor wieder Luft aufzupumpen. Zum Glück war an der Bereifung kein Schaden entstanden.

Voller Stolz konnten wir unser großes Gemeinschaftswerk am 7. Oktober 1961 den Kindern übergeben. Das Gebäude war mit allen erforderlichen Möbeln, Kinderbettchen und Liegen komplett eingerichtet. Die Küche und den Sanitärraum mit den Kinderbadewannen, Toiletten und Waschbecken hatten wir gefliest. Außerdem gab es ein Arztzimmer für Mütterberatungen, Impfungen und Arztsprechstunden sowie zwei je 50 Quadratmeter große Gruppenräume mit Vorraum und anderes mehr. Die Gruppenräume sowie ein Aufenthaltsraum für die Erzieherinnen waren mit Parkettfußböden ausgestattet. Ein Nebengebäude für Brennmaterial und dergleichen sowie ein komplett eingerichteter Spielplatz vervollständigten das Ensemble.

Die erste Leiterin war Erika Ahlgrimm. Alle Erzieherinnen waren gut ausgebildet und übernahmen mit viel Liebe und Freude, zusammen mit einer Köchin und einer Reinigungskraft, die Betreuung der Kinder. Es ist heute kaum zu glauben, daß die Mütter damals dafür jedes Kind ganze 0,50 Mark pro Tag bezahlten. Am Vormittag gab es Milch und Obst, zum Mittag ein abwechslungsreiches Essen und nachmittags nochmals Milch. Die Köchin Christa Labahn, Mütter der Kinder und weitere Bürger stellten aus ihrem Garten Gemüse und Obst zum Einwecken zur Verfügung.

Über dreißig Jahre verlebten hier die Kinder - zeitweilig bis fünfzig, weil sie auch aus Velgast mit dem Bus gebracht und wieder abgeholt wurden - eine herrliche, sorglose Zeit. Und die Mütter wußten während ihrer Arbeit die Kinder gut aufgehoben. Leider erfolgte Mitte des Jahres 1991 die endgültige Schließung des Kindergartens Schuenhagen. Das frohe Kinderlachen ist verstummt.

Da der Spielplatz des Kindergartens nicht von den älteren Kindern des Dorfes benutzt werden konnte, entschlossen wir uns zum Bau eines zweiten an der Straße nach Wolfshagen. Auch er wurde mit Sandkasten, Karussell, Klettergerüst und anderen Spielgeräten ausgestattet, und so war wieder ein Problem gelöst.

Wenn im Winter der Schnee kam und die Kinder ihre Rodelschlitten herausholten, traf ich sie oft die Böschung zur Barthe hinabfahrend an. Erschrocken machte ich sie mehrmals darauf aufmerksam, wie gefährlich es war, am Ende in der Barthe zu landen. „Aber wo können wir denn sonst rodeln?“ „Ihr bekommt einen Rodelberg auf dem Spielplatz, da ist genug Platz.“ Zu dieser Zeit liefen in Karnin Straßenbauarbeiten an der F 105. Auf unsere Bitte lud der Straßenbaubetrieb das angefallene Erdmaterial kostenlos auf dem Spielplatz ab. Die Raupe unserer Oberförsterei schob zusammen, planierte - und mit Hilfe weiterer Kollegen war bald ein schöner Rodelberg fertig, der auch vom Kindergarten genutzt werden konnte. Eingeweiht wurde er von den begeisterten Kindern erst mal mit dem Fahrrad - der Schnee kam später.

Als wir 1953 in Schuenhagen ankamen, fanden wir es als verträumtes Forstdorf vor, so wie es in vielen anderen Dörfern Mecklenburgs auch der Fall war. Straßen und Wege befanden sich in sehr schlechtem Zustand. Wenn die Bauern ihre Milch zur Molkerei nach Velgast fahren wollten, reichten oft zwei Pferde nicht aus, und ein drittes oder viertes mußte zusätzlich vorgespannt werden. Um in die damalige Kreisstadt Stralsund zu kommen, mußte man die vier Kilometer zum Bahnhof Velgast zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad bewältigen. Und das bei jedem Wetter, auch im Winter und bei Schneeverwehungen. Die Straße von Schuenhagen nach Velgast war für uns die wichtigste Verbindung zur Außenwelt, auch zur Post, zum Einkaufen und zu vielem anderen. Auf unser Drängen hin wurde sie endlich repariert. Gleichzeitig bemühten wir uns um Anschluß Schuenhagens an den Busverkehr, und auch das hatte schließlich Erfolg: Nach entsprechender Überprüfung erteilte der Rat des Kreises dem VEB Kraftverkehr die Genehmigung, den bereits laufenden Busverkehr ab Karnin nach Velgast und die umliegenden Dörfer einschließlich Schuenhagen zu erweitern. Durch Abriß eines Giftschuppens wurde ein Buswendeplatz geschaffen. Danach hatten wir dreimal täglich eine direkte Verbindung nach Stralsund, und auch das Problem des Schülertransportes war gelöst. Welch großer Schritt vorwärts das war, kann nur ermessen, wer damals auf dem Lande lebte.

Ein weiteres Problem war die Wasserversorgung, die im wesentlichen durch Schachtbrunnen mit Handpumpen erfolgte. Lediglich im Oberförstereigebäude stand eine Hydrophoranlage - aus dem ältesten Brunnen gespeist - so daß hier immerhin „Wasser aus der Wand“ kam. Es war aber sehr eisenhaltig, also braun, was sich beim Wäschewaschen, Kochen, Baden usw. sehr unangenehm auswirkte. Aber auch hier wurde nach und nach Abhilfe geschaffen. Zunächst bauten wir neben der Hydrophoranlage eine Enteisungsanlage ein. Durch den Neubau von zwei Doppelhäusern und den stetig steigenden Verbrauch der Nerzfarm - dort hatten wir bis zu 5.000 Tiere -, wurde es notwendig, einen Brunnen von 48 Meter Tiefe niederzubringen. Danach konnten die meisten Haushalte und der neu gebaute Kindergarten mit relativ gutem Wasser versorgt werden. Die restlichen zwei Doppelhäuser erhielten eine eigene Hauswasserversorgung. Ende der siebziger Jahre wurde Schuenhagen an das zentrale Wassernetz angeschlossen. Damit war unser Wasserproblem endgültig gelöst.

Unsere Oberförsterei besaß in Schuenhagen und Umgebung insgesamt 54 Werkwohnungen, die nicht nur laufend instandgehalten, sondern nach Möglichkeit Schritt für Schritt modernisiert werden mußten Besondere Schwerpunkte waren Dacherneuerungen, aber auch der Einbau von Bädern - in einigen Fällen sogar einer Zentralheizung - bzw der Anbau von Veranden (als zusätzlicher Wohnraum im Sommer).

Eine besonders gelungene Aktion war die Erneuerung der Doppelfenster mit gemauerten Rundbögen im historischen Forstamtsgebäude. Normalerweise standen nur rechteckige Normfenster zur Verfügung, d. h. der Rundbogen hätte zugemauert werden müssen. Damit konnten und wollten wir uns nicht abfinden, und unser altbewährter Tischlermeister war auch bereit, die Original-Rundbogenfenster anzufertigen. Aber das wurde natürlich teurer, und die Finanzmittel für Wohnungsinstandsetzungen waren bei uns mehr als knapp. (Kein Wunder bei den minimalen Mieten für Werkwohnungen: Die niedrigste betrug für eine Zweieinhalb-Zimmer- Altbauwohnung - man glaubt es kaum - ganze 5,90 Mark!) Das anfängliche Zögern der Leitung des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes Stralsund hatte also gute Gründe, aber dann kam es doch zu einem Kompromiß: Die Fenster wurden schrittweise über einen längeren Zeitraum und teilweise sogar von einem Tischler unseres Betriebes angefertigt. Diesem Umstand ist es zu verdanken, daß sich das äußere Erscheinungsbild des heute denkmalgeschützten Forstgebäudes in seiner ursprünglichen Schönheit darbietet.

Und immer wieder mußten neue Aufgaben gelöst werden. Von Schuenhagen nach Wolfshagen führte ein Feldweg, der „es in sich hatte“. Nach Regenfällen oder im Winter bei Schnee und Schneeverwehungen war ein Durchkommen fast unmöglich. Besonders den Kindern vom oberen Teil Schuenhagens - einem ehemaligen Vorwerk der Domäne Velgast - fiel es schwer, die Bushaltestelle zu erreichen. Trotz Gummistiefeln blieben sie oft im Schlamm stecken. Deshalb beantragten wir von einem Fünfjahrplan zum anderen bei der Kreisplankommission Stralsund immer wieder den Straßenbau nach Wolfshagen - und mußten immer wieder einsehen, daß die Erschließung des nördlichen Kreisgebietes noch dringender war. Denn dort gab es von alters her fast keine Verbindungen zwischen den Dörfern, und es mußte nun viel im Straßenbau geleistet werden.

Mittlerweile warteten wir schon fast zwanzig Jahre auf die Straße nach Wolfshagen. Auch der Frühsommer 1981 kam, diesmal hatte man uns den Bau versprochen, aber es bewegte sich wieder nichts. Zufällig sah ich dann eines Tages eine Gruppe von Vertretern des Rates des Kreises und des Straßenbauamtes diskutierend an der Brücke stehen. Natürlich ging ich gleich hin und erfuhr: Die Straße nach Wolfshagen sollte wieder nicht gebaut werden! Ich fand es unmöglich, daß man eine derart wichtige Entscheidung ohne den Rat der Gemeinde und den Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb getroffen hatte und sagte das den Beteiligten auch unmißverständlich. Und als dann auch mein Mann - der zuständige Oberförster - hinzukam, gingen wir gemeinsam auf die Barrikade und drohten mit Revolution im Dorf. Bisher hatten wir den Bürgern die Notwendigkeit des Verzichts einigermaßen erklären können, jetzt aber würden wir unser Gesicht verlieren, jetzt mußte die Straße gebaut werden! . . Und sie wurde gebaut! Es ging ja nicht allein um „Klein-Schuenhagen“, denn mit dem 2,5 Kilometer langen Straßenabschnitt wurde auch der Ringverkehr über Richtenberg nach Stralsund und zur F 105 geschlossen. Aber wir hatten damit sogar etwas erreicht, wovon wir damals noch nichts ahnten: Im März 1982 kam es zum Ausbruch der Maul- und Klauenseuche (MKS) im Raum Velgast. Das bedeutete, daß das gesamte Gebiet unter Quarantäne gestellt werden mußte. Nun wurde „unsere“ so heiß erkämpfte Straße nach Wolfshagen für uns zur Lebensader. Die Versorgung mit Lebensmitteln, Krankentransporte und alle anderen lebenswichtigen Fahrten wurden über sie gesichert.

Und weiter ging es. Vom Wege- und Straßenbau in der Umgebung übriggebliebene Betonplatten wurden herangeholt und entlang der Vorgartenzäune als Gehweg verlegt Zu gleicher Zeit nahmen wir ein anderes, längst überfälliges Projekt in Angriff.

Seit jeher war es in Schuenhagen nach Einbruch der Dämmerung stockdunkel. Nun stellten wir den Antrag, im Ort eine Straßenbeleuchtung zu installieren. Dem wurde stattgegeben, und schnell fand sich auch ein Elektrobetrieb, der die Arbeiten übernahm, die Masten besorgte und die Installation ausführte. Welch ein Ereignis war es dann für alle Dorfbewohner, als unser mehr als hundert Jahre altes Schuenhagen eines Abends das erste Mal im vollen Licht erstrahlte! Für uns alle ein bewegender Augenblick.

Am Ortseingang war durch die Entnahme von Sand vor vielen Jahrzehnten ein oft übelriechendes Wasserloch mit Schwärmen von Mücken und anderem Ungeziefer entstanden. Im Zusammenhang mit den rasant steigenden Weltmarktpreisen für Erdöl wurde Kraftstoff zur Mangelware und die Müllabfuhr auf dem Lande stark eingeschränkt. Danach entstanden überall illegale Müllablagerungen, und auch am Wasserloch wurde abgeladen. So kamen wir auf den Gedanken, aus der Not eine Tugend zu machen und die örtliche Müllbeseitigung auf das Zuschütten des stinkenden, wild umwucherten Wasserloches zu konzentrieren. Zunächst war der Anblick natürlich keine Visitenkarte für Forst Schuenhagen. Aber die Kollegen des Wegebauzuges und der Rücketechnik schoben zuverlässig jedesmal, wenn sie zum Feierabend vorbeikamen, die tagsüber neu angefallen Müllhaufen ins Loch. Zwischendurch wurde mit der Raupe planiert und befestigt. Schließlich fuhren die Straßenverwaltung und umliegende Betriebe die bei verschiedenen Baustellen angefallene überschüssige Erde zur Abdeckung heran. Nach gewissenhafter Verfestigung und Planierung durch unsere Kollegen findet man an dieser Stelle heute einen schönen Rastplatz, in den die ca. 200 Jahre alte Eiche mit einem mächtigen Wulst um den Stamm (Umfang ca. 7 m) als Naturdenkmal einbezogen wurde. Die vom Forstverein Mecklenburg-Vorpommern 1998 aufgestellte Gedenktafel für den verdienstvollen Forstwissenschaftler und Praktiker Oberforstmeister Heinrich Ludwig Smalian fand hier einen würdigen Platz.2

Die Vorgärten der betriebseigenen Grundstücke mit ihren Werkwohnungen zeigten sich schon längst immer von ihrer besten Seite. Die Bewohner wetteiferten untereinander um Blumenpracht, Ziersträucher und insgesamt für eine schöne, saubere Wohnumwelt, in der man sich wohl fühlen konnte. Alle unsere Anstrengungen hatten sich gelohnt und fanden ihre Krönung mit der Auszeichnung des Dorfes Forst Schuenhagen als „Schönes Wohngebiet des Bezirkes Rostock“ im Oktober 1987.

Neben meiner forstlichen Arbeit nahm die gesellschaftliche Tätigkeit einen großen Raum ein. In den vielen Jahren in Schuenhagen bis zur „Wende“ 1989 war ich nicht nur Mitglied der Gemeindevertretung (jahrelang außerdem ehrenamtliche Bürgermeisterin), sondern auch in wechselnder Folge Kreistagsabgeordnete und ehrenamtliches Mitglied der SED-Kreisleitung sowie später der Bezirksleitung Rostock. Dabei bemühte ich mich nach Kräften, die vor der gesamten Gesellschaft stehenden Aufgaben auch in Schuenhagen voranzubringen. Das war vor allem in den ersten Jahren nicht immer einfach. So erinnere ich mich, daß in den fünfziger Jahren auch in Schuenhagen eine LPG gegründet wurde. Aber sieben unserer Einzelbauern hatten sich noch nicht zum Beitritt entschließen können. Ich war Kreistagsabgeordnete und sah es als meine Aufgabe an, mit ihnen ausgiebig über die Vorteile der Gemeinschaftsarbeit zu sprechen. So erklärte ich ihnen u. a., daß die schwere Arbeit des Mähens mit der Sense entfiele, wenn erst Mähdrescher über die weiten Felder fahren und gleichzeitig ernten und dreschen könnten. Im Frühjahr 1960 war dann endlich auch „das Fähnlein der sieben Aufrechten“ der LPG beigetreten. Nun wollte es der Zufall, daß der darauffolgende Sommer in überaus reichem Maße mit Regen gesegnet war. Das Wasser stand auf den Feldern, das Getreide war reif und mußte geerntet werden, aber die Mähdrescher konnten auf den schweren Boden nicht zum Einsatz kommen. Also mußten wir mit den Genossenschaftsbauern doch darüber diskutieren, wenigstens die Vorgewende und besonders die nassen Stellen mit der Sense zu mähen. Prompt kam das Argument: „Frau Große hat gesagt, in der LPG brauchen wir keine Sense mehr zu schwingen.“ Am Ende erwiesen sich aber alle als verantwortungsbewußte Bauern, und mit Hilfe der Patenbetriebe und der Freiwilligen Feuerwehr, die mit ihren Schläuchen stellenweise das Wasser von den Feldern pumpte, wurde die Ernte doch noch ohne größere Verluste eingebracht. Das war natürlich ein schwieriger Anfang für die Gemeinschaftsarbeit in der Landwirtschaft. Aber gemeinsam waren wir stark!

Ich war Vorsitzende der von mir 1954 gegründeten DFD-Gruppe und arbeitete auch im DFD-Kreisvorstand sowie im Kreisvorstand der DSF mit. Gern erinnere ich mich an die Freundschaftstreffen mit Delegationen sowjetischer Bergleute, Pädagogen usw. sowie mit verschiedenen Schiffsbesatzungen, deren Schiffe in der Volkswerft Stralsund - weil dort gebaut - zur Überholung lagen. Unsere DFD-Gruppe „Mildred Harnack“ war immer aktiv. Neben den Versammlungen führten wir verschiedene Zirkelabende durch. Aber auch gemeinsame Ausflüge, Frauentagsfeiern u. a. m. standen auf dem Programm. Da die Mitgliedsbeitrage gering waren, versuchten wir unsere Kasse anderweitig aufzufüllen. So richteten wir eine Sekundärrohstoff-Annahmestelle in der ehemaligen Schmiede ein. Das kam gleichzeitig der Volkswirtschaft und unserer DFD-Kasse zugute. Unser „Kundenkreis“ erstreckte sich bald nicht nur auf Schuenhagen, sondern auch auf die umliegenden Dörfer einschließlich der Großgemeinde Velgast. Für unsere einsatzfreudigen Frauen artete die Beschäftigung oftmals in Arbeit aus. Trotzdem waren sie unermüdlich dabei. Dies galt auch für eine von uns betriebene Annahmestelle des DLK für Chemische Reinigung, Wäscherei und Reparaturen verschiedener Art. Alles funktionierte so gut, daß unsere Gruppe vom Rat des Kreises Stralsund mehrfach für gute Ergebnisse bei der Sekundärrohstofferfassung ausgezeichnet wurde.

Da ich bereits 1956 die Jagdeignungsprüfung abgelegt hatte, war ich auch Mitglied der Jagdgesellschaft Schuenhagen, die sich mit einem finanziellen Zuschuß des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes Stralsund und der Unteren Jagdbehörde in vielen freiwilligen Arbeitseinsätzen eine schöne Jagdhütte am Waldrand von Papenhagen baute. Sie steht noch heute und kann von erlebnisreichen Stunden erzählen.

Die Kulturarbeit in Schuenhagen erreichte zwischen 1953 und 1960 ihren Höhepunkt. Einige Kollegen waren auf den Gedanken gekommen, eine forsteigene Blaskapelle zu gründen. Die Instrumente finanzierten wir aus unserem betrieblichen Kultur- und Sozialfonds, ein Velgaster Musiklehrer übernahm die Leitung. Durch regelmäßiges fleißiges Üben entstand bald eine Blaskapelle, die sich sehen und hören lassen konnte. Welch ein stolzes Gefühl war es, als wir alle am 1. Mai 1955 zum ersten Mal mit Marschmusik, Fahnen und Transparenten nach Velgast marschierten, um dort am Festumzug teilzunehmen! Außerdem konnte ein gemischter Chor gegründet werden, der unter der Anleitung eines Gesanglehrers der Musikschule Stralsund tüchtig probte und bald öffentlich auftrat. Wir schlossen uns auch dem Theaterring an und fuhren jedes Mal gemeinsam mit Angehörigen des VE-Gutes und der LPG Velgast mit einem Bus zu Theaterbesuchen nach Stralsund. Sport trieben zumindest wir Frauen. Nach Gründung unserer Gymnastikgruppe kam eine Sportlehrerin aus Velgast einmal wöchentlich nach Schuenhagen zur Anleitung.

Sehr guten Kontakte unterhielten wir zu Schule, Hort und Kindergarten in Velgast. Sie hatten Patenschaftsvertrage mit verschiedenen Brigaden unserer Oberförsterei, und Kinder dieser Einrichtungen übernahmen oft die kulturelle Umrahmung unserer Veranstaltungen. Gruppenweise halfen sie uns auch bei den jährlichen Wiederaufforstungen in den Revieren und in der 14 Hektar großen Forstbaumschule.

Nach dem Abriß der ehemaligen Verwaltungsbaracke in Schuenhagen, in der wir auch einen schönen Kulturraum hatten, mußte für ihn ein Ersatz gefunden werden. Ich machte den Vorschlag, an den Aufenthaltsraum der Nerzfarmbrigade einen neuen, massiven Kulturraum mit Küche und Speisekammer anzubauen. Im Frühjahr 1988 war die Grundsteinlegung, und bereits im Herbst konnten wir einen schönen, voll ausgestatteten und gemütlichen Kulturraum einweihen. Auch für Familienfeiern unserer Betriebsangehörigen stand er zur Verfugung. Die Finanzierung des Baus war staatlicherseits gesichert, aber er wurde im wesentlichen ebenfalls in Feierabendarbeit und an Sonn- und Feiertagen errichtet. Seitdem hat er uns viele schöne Stunden der Gemeinsamkeit ermöglicht.

Die gesellschaftliche Tätigkeit war nicht nur mit Arbeit verbunden, sondern gab auch manchen Anlaß zur Erheiterung. Da fuhren wir einmal nach Stralsund. An der Kreisleitung der SED vorbeikommend, sahen wir am Eingang den Ersten Kreissekretär mit seinen Mitarbeitern stehen. Wie sich herausstellte, warteten sie auf den Minister der kubanischen Regierung, Blas Roca. Neugierig geworden, blieben wir ebenfalls stehen. Kurze Zeit später fuhr der hohe Gast vor. Der Minister sah uns in unseren Forstuniformen, kam schnellen Schrittes auf unsere Gruppe zu und begrüßte uns strahlend mit einem Händedruck und den Worten: „Companeros, ich freue mich, bei euch zu sein.“ Wir „Zaungäste“ waren darauf nicht vorbereitet und einfach sprachlos. Der Erste Kreissekretär und seine Mitarbeiter trugen es mit Würde.

In all den Jahren wurde auch sehr viel für die Gesunderhaltung unserer Kolleginnen und Kollegen getan. So gab es z. B. in allen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben die Impfpflicht gegen Tetanus. Da unsere Werktätigen das ganze Jahr über Wind und Wetter ausgesetzt waren, fand jährlich eine freiwillige Grippeschutzimpfung statt, an der fast alle teilnahmen. Ebenso wurden sämtliche Kolleginnen und Kollegen in der Produktion, Sommer wie Winter, kostenlos mit der notwendigen Arbeitsschutzkleidung versorgt. Jährlich fuhr auch ein Röntgenzug über die Dörfer, um jedem die Möglichkeit zu geben, sich durch vorbeugendes Röntgen vor Tbc zu schützen. Uns Frauen wurde die Teilnahme an Krebsvorsorgeuntersuchungen ermöglicht.

Eine weitere Errungenschaft war die umfassende Einführung des „Arbeitertransportes“. Während die Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu Fuß oder per Fahrrad unter schwierigsten Wegeverhältnissen und bei jedem Wetter die weit auseinanderliegenden Arbeitsorte erreichen mußten, wurde in den sechziger Jahren begonnen, den Brigaden Arbeitertransportfahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Das waren Fahrzeuge der Typen Barkas, rumänische Geländefahrzeuge M 461 (GAS später ARO) und B-1000. Für die Großbrigaden im Holzeinschlag wurden sogar W 50-LKW für den Personentransport umgerüstet. Morgens wurden die Kolleginnen und Kollegen von zu Hause oder bestimmten Treffpunkten abgeholt, mittags fuhren sie zum Essen in die Betriebsküche oder nahegelegene LPG-Küchen, und zum Feierabend wurden sie wieder nach Hause gebracht. Mit Genehmigung des zuständigen Leiters durften diese Fahrzeuge auch für Brigadeausflüge und zu anderen kulturellen Anlässen genutzt werden. Jede Brigade hatte eine beheizbare, transportable Schutzhütte zur Verfugung, und für die Belegschaft der Nerzfarm wurde ein Fertigteilhaus als Aufenthaltsraum aufgestellt. Alle diese sozialen Maßnahmen waren gegenüber den vorherigen Arbeits- und Lebensbedingungen ein großer Fortschritt.

Wie überall, wurde auch in der Staatlichen Forstwirtschaft die vielseitige Qualifizierung der Arbeiter und Angestellten sehr ernst genommen. (Heute spricht man wieder von „Frauenförderungsplänen“, aber zu DDR-Zeiten waren sie in jedem größeren Betrieb Pflicht und Selbstverständlichkeit zugleich.) So wurden immer wieder Qualifizierungslehrgänge für unsere Kolleginnen und Kollegen durchgeführt, die als ungelernte Arbeitskräfte und Hausfrauen zu uns gekommen waren und mit großem Elan ihre Aufgaben erfüllten. Sie erhielten danach ihren Forstfacharbeiterbrief. Außerdem wurden weitere Lehrgänge für Brigadeleiter, Motorsägenführer und für das Führen forstlicher Spezialmaschinen durchgeführt.

Auch in unserer Familie klopfte die Weiterbildung an die Tür und zerstreute unsere Familie erst mal wieder in alle Winde. So ging mein Mann nach einem fünfjährigen Hochschulfernstudium im Herbst 1960 zum Institut für Forstökonomie an der TU Dresden, Sektion Forstwirtschaft, nach Tharandt, um dort sein Hochschuldiplom zu erhalten.

Wie mein Mann hatte ich seinerzeit die Forstfachschule Sachsen-Anhalt in Ballenstedt mit der „Förster“-Prufung abgeschlossen. Inzwischen gab es die Möglichkeit, nach einem eineinhalbjährigen Weiterbildungsstudium die Prüfung als „Forstingenieur“ abzulegen. Voraussetzung war allerdings ein Mindestalter von 45 Jahren. Da ich nicht noch sieben Jahre warten wollte, nutzte ich eine DFD-Veranstaltung in Stralsund und wandte mich an die anwesende Genossin Edith Baumann aus Berlin. Auch sie verstand diese Festlegung nicht und setzte sich für mich ein, so daß ich schließlich doch noch zum Lehrgang in Ballenstedt zugelassen wurde und 1961 meine Prüfung als Forstingenieur ablegen konnte.

Unsere Tochter Roswitha erhielt nach ihrem Abitur die Möglichkeit, ein fünfjähriges Auslandstudium aufzunehmen und ging nach Leningrad ans Stomatologische Institut, wo sie 1965 ihr Diplom als Stomatologin erhielt.

„Übriggeblieben“ war als jüngstes Familienmitglied unsere damals fünfjährige Tochter Elrud-Liane. Sie hatte sich längst zur „Telefonistin“ qualifiziert. (Eines Tages, sie hatte wieder einmal selbst den Telefonhörer abgenommen, hörten wir sie gerade sagen „Ach, sagen Sie doch nicht immer Sie zu mir, ich bin doch noch ein ‚Es’.“) Nun mußten wir sie während unserer Weiterqualifizierung eine Zeitlang zu Oma und Opa in das schöne Harzgerode schicken. In den siebziger Jahren hat sie dann ein Medizinstudium an der Universität Greifswald mit dem Diplom für Neurologie/Psychiatrie abgeschlossen.

Selbstverständlich waren unser Studium und alle übrigen Qualifizierungsmaßnahmen für den einzelnen kostenlos, da sie von unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat bezahlt wurden.

Nach der Einrichtung zentraler Großbaumschulen wurden die Forstbaumschulen des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes Stralsund aufgelöst. Danach ging endlich mein langgehegter Traum, ein eigenes Revier, in Erfüllung. Ich blieb zwar weiterhin für die Betreuung der Werkwohnungen zuständig, übernahm aber 1967 das neugebildete Revier Jakobsdorf der Oberförsterei Schuenhagen. Das war ein Mischwaldrevier mit relativ zusammenhängenden Waldflächen und erstreckte sich etwa sechs Kilometer östlich von Schuenhagen über die Gemeinde Jakobsdorf hinaus in Richtung Steinhagen. Waldbaulich war es sehr interessant, da fast alle wichtigen standortgerechten Holzarten wie Eiche, Buche, Esche, Linde, Ahorn, Erle sowie Fichte, Kiefer und Lärche vorhanden waren. Auf großen Flächen handelte es sich um grundwassernahe Böden. Ein Spatenstich tief genügte oft schon, und das Pflanzloch hatte sich mit Wasser gefüllt.

Meine Brigade setzte sich fast ausschließlich aus Frauen zusammen, die alle Arbeiten, wie Flächenräumung, Wiederaufforstung und Waldpflege, ausführten. (Der Holzeinschlag wurde durch eine Spezialbrigade des Betriebes durchgeführt.) Der Kern der Brigade bestand aus Frauen, die ihre Männer im Krieg verloren hatten oder alleinerziehende Mütter waren. Sie mußten mit ihrer Hände Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder verdienen. Es waren, ohne zu übertreiben, Frauen, die ihre Auszeichnung „Aktivist der sozialistischen Arbeit“ voll verdient hatten. Sie zeigten jederzeit und in jeder Situation hohe Einsatzbereitschaft, Pflicht- und Verantwortungsbewußtsein. Sie verstanden sich untereinander gut. Es war in all den Jahren immer eine Freude, mit ihnen die gemeinsamen Aufgaben zu erfüllen. Wenn eine Kollegin aus Altersgründen ausschied, nahm eine jüngere ihren Platz ein.

Auch meiner Brigade stand neben einer beheizbaren transportablen Schutzhütte ein Arbeitertransportfahrzeug „Barkas“ und später ein „B-1000“ zur Verfügung. Mit Erlaubnis der Betriebs- und Betriebsgewerkschaftsleitung durften die Frauen freitags ab 15.00 Uhr einkaufen fahren, da sie sonst wenig andere Möglichkeiten hatten. Ich selbst benutzte zur Erfüllung der Dienstaufgaben meinen Privat-PKW Trabant, wofür mir monatlich eine Fahrzeugpauschale gezahlt wurde. Fiel das Brigadefahrzeug einmal aus, sprang ich als „Taxifahrerin“ ein. Ich erinnere mich, daß eines Tages dabei der Auspuff meines Trabi defekt wurde, was bei den schwierigen Wegeverhältnissen im Revier keine Seltenheit war. Mit gewaltigem Knattern näherten wir uns Schuenhagen. Die Kollegen Revierförster, die mit meinem Mann in einer Besprechung zusammenstanden, meinten: „Jetzt kommt die Olsenbande!“ „Nee, das ist Liselotte mit ihren Frauen“, sagte mein Mann, und alle mußten herzlich lachen.

Unser Revierkollektiv konnte für gute Arbeit und Planerfüllung mehrmals als „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet werden. Hervorzuheben ist auch die gute kollegiale Zusammenarbeit mit den anderen Revierförstern unserer Oberförsterei und dem Oberförster. Das hat mir immer sehr geholfen.

Die fünfzehn Jahre im Revier Jakobsdorf gehören zu meinen schönsten beruflichen Erinnerungen. Mit Erreichung des Rentenalters übergab ich am 30.6.1982 das Revier an meinen Nachfolger.

Dieser Rückblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es waren jedenfalls schöne, interessante Jahrzehnte, auch wenn mein Leben reich an Arbeit und nicht immer leicht war. Das Geschilderte könnte den Eindruck erwecken, ich sei eine „Multifunktionärin“ gewesen. Man muß aber bedenken, daß sich dieser Bericht über einen Zeitraum von fast vier Jahrzehnten erstreckt. In meine Funktionen wurde ich gewählt, weil ich mir durch tägliche Arbeit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, meiner Kolleginnen und Kollegen erworben hatte. „Die Probleme der anderen sind auch meine“, war meine Devise.

Wenn ich heute, im Alter von 79 Jahren, feststellen kann, daß mir auch nach der „Wende" viel Vertrauen, Zuneigung und Freundschaft entgegengebracht wird, so empfinde ich Dankbarkeit und ein großes Glücksgefühl. Ein erfülltes Leben liegt hinter mir, und keine von allen Stunden, nicht die guten, aber auch nicht die schlechten, möchte ich aus meinem Gedächtnis streichen.

Liselotte Große


1 Örtlicher Landwirtschaftsbetrieb - Vorläufer der späteren LPG

2 Erwähnenswert ist außerdem, daß die am 3. 5. 2000 erfolgte feierliche Übergabe des sogenannten „Preußenwaldes" vom Bund an das Land Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls an diesem Ort stattfand. (Es handelt sich dabei um 45 000 ha Forstfläche aus dem ehemaligen Preußenvermögen.)


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