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Wann hatten Bauern jemals solche Bedingungen?

  Am 25. Januar 1932 wurde ich als erstes Kind meiner Eltern in Deimehöh, Kreis Labian/Ostpreußen, geboren. Mein Vater arbeitete als Schweizer (Rinderzüchter) auf dem Gut Sanditten, und meine Mutter war als Krankenpflegerin tätig. Später wohnten wir im nahegelegenen Krakau/Ostpreußen, wo auch meine drei Geschwister geboren wurden. Mein Vater wurde mit Kriegsbeginn im September 1939 zum Militär eingezogen.

Auf Drängen der Schule besuchte ich ab 1942 die Oberschule in der Kreisstadt Labian und war dort mit anderen auswärtigen Schülern internatsmäßig bei einer Familie untergebracht. Im Jahr 1944 kam der Unterricht zum Erliegen, weil Flüchtlinge und Militär die Schulen beanspruchten. Im Januar 1945 gelangte unsere Familie mit einem Bahntransport nach Welzow/NL und erlebte dort das Kriegsende.

Auf Anschlagtafeln lasen wir, daß die Deutschen aus den Ostgebieten auf Grund alliierter Beschlüsse nicht mehr in ihre Heimat zurückdurften. Deshalb faßte meine Mutter den Entschluß, bei der Bodenreformkommission in Wolkenberg eine Siedlerstelle zu beantragen. Danach erhielten wir und drei andere Familien aus Welzow je eine Siedlerstelle auf der Gribona. So nannte man einen zwei Kilometer vom Ort entfernten Ausbau mit einem einzigen Haus auf 35 Hektar Fläche und rundherum nur Wald.

Laut Urkunde war meine Mutter nun Eigentümerin von sieben Hektar Land und fünf Hektar Wald. Gemeinsam mit den drei übrigen Siedlern kaufte sie für Wohn- und Wirtschaftszwecke eine ehemalige Militärsanitätsbaracke, in der jeder Familie 64 Quadratmeter zur Verfügung standen.

Der Anfang war schwer. Aber die 1945 gegründete „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“ (VdgB) organisierte das Saatgut und den Maschineneinsatz zur Feldbestellung. Im Juli 1946 kam unsere erste Kuh, die im August kalbte.

Da wir vom Deutschen Roten Kreuz die Nachricht erhielten, daß sich mein Vater in sowjetischer Gefangenschaft befand (er kehrte erst 1949 zurück), war ich als ältester Sohn in unserer Neubauernwirtschaft unabkömmlich. Ich konnte also weder an einen weiteren Schulbesuch noch an den von mir angestrebten Försterberuf denken, sondern mußte mir als Vierzehnjähriger, zugleich lernend und arbeitend, die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Landwirtes aneignen.

Gleichzeitig integrierte ich mich in das gesellschaftliche Leben der Gemeinde. Damals erstand das durch Faschismus und Krieg unterdrückte kulturelle Erbe, vor allem das sorbische Brauchtum, in all seiner Vielfalt wieder. Es wurde aktiv gefördert und gelebt. Seine Träger waren außer der Gemeinde vor allem VdgB, Feuerwehr und FDJ, deren Sekretär ich bis 1950 war. Mitglied der SED wurde ich bereits Ende 1947, also mit knapp 16 Jahren.

Die Gründung der DDR erlebte unsere Familie in ihrem bereits 1948 fertiggestellten kombinierten Wohn- und Stallgebäude. Es war unser Eigentum und auf Befehl 209 der Sowjetischen Militäradministration gebaut worden. Viele Helfer hatten dazu beigetragen. Inzwischen gab es auch die MAS/MTS, die uns Bauern beim Pflügen, Säen, Dreschen und anderen schweren Arbeiten unterstutzten.

Im Juni 1950 heiratete ich die Tochter eines alteingesessenen Landwirts mit einer Fünf-Hektar-Wirtschaft, die wir 1953 übernahmen. Im gleichen Jahr erwarb ich den Führerschein für Traktoren und half als „Freundschaftsfahrer“. Diese Periode der einzelbäuerlichen Wirtschaft zeichnete sich durch vielfältige gegenseitige Hilfe und Unterstützung aus, z. B. beim Dreschen, bei Gespanndiensten und beim Ausleihen von Landmaschinen. Darüber hinaus nutzte ich die vielfältigen Weiterbildungsmöglichkeiten der VdgB-Winterschulungen, z. B. auf dem Gebiet des landwirtschaftlichen Neuererwesens. Aber es zeichnete sich schon ab, daß einem kleinen Betrieb Grenzen gesetzt waren.

Als meine Frau im Frühjahr 1958 starb, blieb ich mit unseren drei kleinen Kindern allein, mußte sie betreuen und gleichzeitig die Wirtschaft führen. Trotz mancher hilfsbereiten Nachbarn und Freunde war das für mich eine sehr schwere Zeit.

Meine zweite Frau - wir heirateten im Juni 1959 - brachte ein viertes Kind in die Ehe mit, und bald wurde unsere finanzielle Decke zu kurz. Ich mußte mich entscheiden: entweder als „Rucksackbauer“ in der Industrie arbeiten oder in die LPG eintreten. Die damals laufende Werbeaktion erleichterte meine Entscheidung. Im März 1960 wurde ich Mitglied der LPG Typ III in Wolkenberg und bald ihr Vorsitzender.

Die ersten Jahre waren sehr schwer, aber mit der Zeit stellten sich Erfolge ein. Neben dem Fleiß und der Tatkraft unserer LPG-Mitglieder verdankten wir sie auch der allseitigen Unterstützung unserer Patenbrigaden aus der Industrie. Die Arbeiter sorgten sich gemeinsam mit uns um die Probleme und halfen besonders in Spitzenzeiten tatkräftig mit. Allmählich entwickelte sich auch in der Landbevölkerung eine neue Einstellung zu den gesellschaftlichen Problemen, und die Bereitschaft zur Mitgestaltung nahm zu.

Unsere LPG wuchs ebenfalls weiter und besaß im Jahr 1974 etwa 700 Mitglieder sowie 5.200 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in dreizehn Gemeinden. Die sozialen, kulturellen und finanziellen Bedingungen verbesserten sich ständig. Wir konnten die Praxis „monatlicher Vorschuß/Endauszahlung am Jahresende“ beenden und gingen, wie in der Industrie, zur vollen Auszahlung von Monatslöhnen über. Erstmalig wurde ein Grundurlaub von 18 Tagen gewährt, dazu kamen bis zu 5 Tage Zusatzurlaub. Die Genossenschaftsbauern waren sozialversichert - mit den gleichen Rechten wie alle Arbeiter und Angestellten. Eine Urlaubskommission vergab preiswerte Ferienplätze für sämtliche Gegenden der DDR. Unser Statut und die Betriebsordnung sahen die besondere Würdigung langjähriger Tätigkeit sowie der persönlichen Feste und Ehrentage vor. Die Durchfuhrung von jährlich vier Vollversammlungen sowie die Mitarbeit im Vorstand und in den Kommissionen garantierten das Mitspracherecht aller Genossenschaftsbauern. Auch die Qualifizierung der Mitglieder und Lehrlinge war gesichert, der Achtstundentag - außer in der Ernte und bei den Herbstarbeiten -grundsätzlich gewährleistet. Unsere Genossenschaft unterstützte den Eigenheimbau (mit einem Zuschuß von 15.000 Mark je Mitglied) sowie den Ausbau von Wohnraum. Darüber hinaus entstanden unter ihrer Regie weitere Eigenheime und Wohnungen für unsere LPG-Mitglieder.

Wann wurden deutschen Bauern jemals solche Bedingungen geboten?

Ab 1979 war allerdings ein Wermutstropfen dabei: die Trennung unserer Genossenschaft in Tier- und Pflanzenproduktion. Diese Teilung ging oft durch die Familien: Der Mann arbeitete in der Pflanzen- und die Frau in der Tierproduktion, oder umgekehrt. Da die Pflanzenproduktion staatlicherseits besser gefördert wurde, waren Konflikte unausbleiblich und der Streit im Kooperationsrat vorprogrammiert. Das machte meine Aufgabe als stellvertretender Vorsitzender und Parteisekretär nicht gerade einfach. Im Unterschied zu den LPG anderer Territorien wurden wir auch stark durch den Bergbau beeinflußt, dem im Laufe der Jahre einige Gemeinden unseres Kooperationsbereiches weichen mußten. Das brachte viel zusätzliche Aufregung und Probleme. Denn es tröstete niemanden, wenn vor dem eigenen Dorf zunächst sechs andere abgebaggert wurden.

Trotzdem nahmen beide LPG bis 1989 eine gute Entwicklung. Danach vereinten sie sich wieder zu einer Genossenschaft. Diese Struktur hat noch zehn Jahre nach dem Ende der DDR Bestand. Obwohl die Abbaggerung weiterer Dörfer vorgesehen ist, setzen die Bauern der Ökologischen Landwirte GmbH ihre Arbeit bisher auch unter den Bedingungen der Marktwirtschaft erfolgreich fort.

Die Rentner und Veteranen der alten LPG werden alljährlich zu einer Weihnachtsfeier eingeladen. Dort geben ihre Nachfolger ihnen nicht nur Einblicke in die aktuelle Entwicklung der GmbH, sondern auch das Gefühl, nicht umsonst gearbeitet und gelebt zu haben.

  Manfred Stange 


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