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Ärger mit der Zollverwaltung der DDR

 

Wie jeder normale Staat besaß auch die DDR eine Zollverwaltung. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges zählte zu ihren Aufgaben nicht nur die Erhebung von Zöllen auf Handelswaren mit dem Ziel des Schutzes der eigenen Wirtschaft. Sie entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer Zensurstelle bei der Einfuhr von Druckereierzeugnissen aller Art.

In Südafrika hatte ich in der Zeit meiner Emigration Freundschaft mit einem englischen Jungkommunisten geschlossen, der mir nach meiner Rückkehr in die DDR zur Aufrechterhaltung meiner Kontakte zur britischen Arbeiterbewegung das Organ der KP Großbritanniens, den „Daily Worker“, schickte. Nachdem ich einige Exemplare erhalten hatte, kam von der Zollverwaltung ein Beschlagnahmeprotokoll - die Einfuhr des Organs einer Bruderpartei war verboten. Zu dieser Zeit, Ende 1949, gab es keinerlei mir bekannte ideologische Differenzen zwischen unseren Parteien. Ich schämte mich, meinem Freund mitzuteilen, daß seine Zeitungen als „subversiv“ eingestuft wurden, und brach die Verbindung mit ihm ab. Das Gesetz ermöglichte zwar den Widerspruch gegen die Beschlagnahme, jedoch ist mir kein Fall bekannt, daß das Erfolg gehabt hätte. Dagegen hatte selbst das reaktionäre Südafrika die Einfuhr kommunistischer Literatur aus der damaligen sowjetischen Besatzungszone nicht behindert.

In der Zeit der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Maoismus wurden wir Sinologen aufgefordert, aktiv durch entsprechende Publikationen daran teilzunehmen, jedoch erhielten wir nicht einmal das Zentralorgan der chinesischen KP, Renminribao, geschweige denn andere politische Publikationen aus der VR China.

Im Verlauf meiner Beschwerde gegen diese sinnlosen Beschränkungen wandte ich mich an die Zollbehörde und erfuhr im Laufe eines Gespräches mit dem zuständigen Zollrat, daß mehrere Büchersendungen aus China, die mir vom Fremdsprachenverlag Peking übersandt worden waren, ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Beschlagnahme-Protokolle zurückbehalten wurden. Es handelte sich dabei u. a. um Bücher der bekannten Journalistin Anna Louise Strong, die kaum maoistisches Gedankengut enthielten, jedoch auch nicht ausdrücklich gegen die chinesische Politik polemisierten.

Meine Erfahrung war, daß viele Mitarbeiter der Zollverwaltung keinerlei Qualifikation besaßen, um zu beurteilen, was „subversiv“ war, und deshalb vorsichtshalber alles beschlagnahmten, was über die Grenze kam. Es wurde zwar behauptet, daß sie sich von Fachleuten auf den jeweils vorkommenden Gebieten beraten ließen, aber das erschien nach den praktischen Erfahrungen eher unwahrscheinlich.

Besonders hatte der Zoll es auch darauf abgesehen, unsere zarten Seelen vor dem Gift westlicher Krimmalromane zu bewahren So wurde ein englischsprachiges Exemplar des Romans „Der ABC-Mörder“ von Agatha Christie zu der Zeit beschlagnahmt, als die Verfilmung des Romans in unseren Kinos lief. Auf mein Argument, daß das doch ein Widerspruch sei, wurde behauptet, daß Film und Buch nicht identisch seien, was allerdings nicht zutraf. Und wie viele Deutsche hatten wohl diese englische Version lesen können?

Im Verlauf der Diskussion erwähnte ich beiläufig, daß mir der vorhin genannte Zollrat im Gespräch gesagt hatte, daß entgegen den gesetzlichen Regelungen für mich bestimmte Büchersendungen aus der VR China ohne Beschlagnahme-Protokoll einbehalten worden waren. Obwohl unbeabsichtigt, ergaben sich daraus für diesen Zollrat größere interne Schwierigkeiten. Die entsprechenden Mitarbeiter der Zollverwaltung waren sich also bewußt, daß sie gegen die Gesetze verstießen.

Als Rentner besuchte ich in den siebziger Jahren öfters meine Tante in Westberlin. Bei dieser Gelegenheit kaufte ich auch sinologische Fachliteratur von dem Geld, das mir ein Verwandter in den Niederlanden geschenkt hatte. Es gelang mir, diese Bücher unter Umgehung der Zollkontrolle in die DDR einzuführen. Eines Tages hatte ich mir im Westberliner Reisebüro der VR Ungarn eine Anzahl von Prospekten besorgt, da ich beabsichtigte, das Land zu besuchen und es weder in Leipzig noch Ostberlin ein solches Reisebüro gab. An der Grenze wurde ich wie üblich gefragt, ob ich Druckerzeugnisse einfuhren wolle. Als ich verneinte und dann auf Weisung meine Tasche öffnete, beschlagnahmte der Zöllner die Prospekte und beschuldigte mich, gelogen zu haben. Ich versuchte zu erklären, daß Reiseprospekte der befreundeten VR Ungarn in meinen Augen keine Literatur waren, die der Beschlagnahme unterläge. Der Zöllner bestand auf seiner Meinung, und unsere Auseinandersetzung fiel seinem Vorgesetzten auf. Er kam heran und erkundigte sich, worum es ging, und sagte dann nur kurz, ich könne das Material wieder einstecken und mitnehmen. Das war ein weiterer Beweis dafür, wie die Bürger der DDR der Willkür von Mitarbeitern der Zollverwaltung ausgesetzt waren, die nicht fähig waren zu beurteilen, welche Literatur „subversiv“ war oder für wissenschaftliche Arbeiten nötig bzw. welche Druckerzeugnisse „harmlos“ waren.

Abgesehen davon war und bin ich der Ansicht, daß die Einfuhr der „Bildzeitung“ oder des „Telegraph“ die Grundfesten unserer demokratischen Ordnung auch nicht erschüttert hätte, zumal viele Bürger der DDR regelmäßig die Sendungen des Westrundfunks oder -fernsehens empfingen. Unter diesen Umstanden trug die geschilderte Handlungsweise nur zur Verärgerung der Bevölkerung bei, die sich willkürlich bevormundet fühlte oder, wie wir Sinologen, bei der Erfüllung unserer Aufgaben behindert wurden. Während ich noch bereit bin einzusehen, daß die Beschränkung der Reisefreiheit auf Grund der beschränkten Devisen vertretbar war, kann ich derartige Maßnahmen der Zollbehörde nicht nachvollziehen. Hier gab es doch die Möglichkeit, geschenkweise wichtige Literatur zu beschaffen, für die unsere Devisen nicht ausreichten. Auf diesem Gebiet halte ich den entstandenen materiellen und politischen Schaden für beträchtlich.

Es sei nicht bestritten, daß sich die Tätigkeit der Zollverwaltung auf Anordnungen der Regierung der DDR stützte, aber hier wurden unvollkommene Anordnungen auch noch schlecht in die Praxis umgesetzt.

Dr. Günter Lewin 


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