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Es hat auch Spaß
gemacht
Geboren wurde ich 1953 als erstes von drei Kindern. Meine Eltern: Mutti Verkäuferin, später Verkaufsstellenleiterin; Vati Kraftfahrer. Beide parteilos.
Als ich fünf Jahre alt war, kamen ich und mein ein Jahr jüngerer Bruder in den Kindergarten, mein jüngster Bruder in die Krippe. Mutti ging wieder arbeiten.
Eigentlich mochte ich den Kindergarten, nur nicht die warme süße Suppe zum Frühstück. Manchmal praktizierte ich ein Haar in die Suppe. Suppe mit Haaren muß man nicht essen. Zu Hause gab es Stulle zum Frühstück.
An meinen ersten Schultag im September 1960 erinnere ich mich insoweit, als er mir für zehn Schuljahre den Spitznamen „Quark“ einbrachte. Der Direktor, der uns aufrief, konnte meinen Nachnamen nicht aussprechen.
In der 1. Klasse wurde ich Pionier.
In der 7. Klasse wurde ich FDJler.
In der 8. Klasse hatte ich meine Jugendweihe.
Aufgewachsen bin ich mit Pioniernachmittag, Pionierhaus und Arbeitsgemeinschaften. Probleme hatte ich damit nicht. Höchstens mit der Zeit, die nie reichte, alles, was es für uns gab, unter einen Hut zu bringen. Ich las gern und war stundenlang in der Bibliothek zu finden. Es kostete nichts, und meine Eltern hätten mir ja nie so viele Bücher schenken können.
Ich gestaltete gern Wandzeitungen. Es machte mir Spaß, und es brachte auch Punkte, wenn es in der Schule sonst mal nicht so klappte.
Bis zur 4. Klasse war ich Hortkind. Meine damalige Hortnerin, Frau Klamt, betreute 25 Jahre später auch meinen Sohn. Er besuchte meine alte Schule. Seltsam, wenn ich zu seinen Elternversammlungen ging, beschlich mich manchmal so ein Gefühl wie früher, wenn ich etwas ausgefressen hatte, irgendwie die gleiche Unruhe.
Sicher war ich kein einfaches Kind. Manches Mal prügelte ich mich auch, um meine jüngeren Brüder oder andere kleinere Kinder zu verteidigen.
Eins tat ich nie - die Schule schwänzen. In all den zehn Jahren habe ich nie geschwänzt, habe keinen Tag und keine Stunde unentschuldigt gefehlt oder „krank gemacht“. Von unseren Eltern wurde uns beigebracht, was Arbeitsmoral heißt. Den Ärger zu Hause hätte ein Bummelvergnügen nie aufgewogen.
Etwa ab der 5. Klasse war ich einen Kopf größer als der Rest der Schüler in meiner Klasse. Ich sah immer irgendwie aus, wie schon zwei Jahre sitzengeblieben. Das machte mich oft auch ein bißchen zur Einzelgängerin. „Wir haben dich immer für einen Streber gehalten“, sagte mir später eine etwas ältere Kollegin, die in die gleiche Schule gegangen war. „Ein Buch, eine Stulle und irgendein kleineres Kind an der Hand, dem du helfen mußtest.“ So hatte sie mich in Erinnerung.
Mit der 8. Klasse, Jugendstunde und Jugendweihe begann auch die Diskussion zum Thema „Was will ich werden“ ernsthaft an mich heranzutreten.
Drei Wünsche standen für mich zur Debatte:
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Kraftfahrer wie Vati; Fernfahrer fand ich romantisch.
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Koch; da ich gern viel und gut aß.
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Krankenschwester, vielleicht Schiffsschwester; das fand ich toll.
Krankenschwester bin ich geworden. Nun ja, meine schulischen Leistungen - Abschluß mit „Gut“ - reichten erst einmal für Krankenschwester. Da in unserer Republik chronischer Schwesternmangel herrschte, wurde ich auch angenommen.
Meine Ausbildungseinrichtung „Praxis“ war das Kreiskrankenhaus Spremberg, meine Ausbildungseinrichtung „Theorie“ die Medizinische Schule am Bezirkskrankenhaus Cottbus.
September 1970 - mein erster Lehrtag. Um 7 Uhr mußten wir bei der Oberin sein, Hausbegehung, Begrüßung durch Herrn Chefarzt, Stationseinteilung, Einkleidung. Das bedeutete: blaugraue Schwesternkleider maxi (als mini modern war), weiße Einknöpfkragen, weiße Schürzen und die Kastenhaube. Faltenhauben dürfen nur Schwestern tragen.
Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Wir lernten als erstes putzen, waschen, aufräumen, pünktlich zum Dienst sein; aber beendet ist der Dienst erst, wenn die Arbeit fertig ist, Überstunden gibt es nicht, „sozialistische Hilfe“ nennt man das.
Der Schwesternberuf ist Berufung, sagt man jetzt, und viele ältere Schwestern arbeiten heute noch so. Man kann den Kollegen doch nicht mit der Arbeit sitzen lassen, sagten wir, lernten wir damals auch.
Lehrjahre bedeuteten, halbjährlich das Kollektiv zu wechseln, alle Stationen durch. „Kollektive der sozialistischen Arbeit“. Wir Lehrlinge wurden in die Wettbewerbsarbeit einbezogen.
Das hieß: Ihr Jungen macht mal jetzt die Wandzeitung! Damit hatte ich keine Probleme.
Oder - eigentlich hatte ich frei, aber Subbotnik war angesagt: Na, ihr Jungen werdet euch doch nicht drücken!
Kreissportfest: Da muß die Jugend ran!
Es war zwar immer ein „Muß“, aber es hat auch Spaß gemacht.
1. Mai: Wer nicht Dienst hat, geht zur Demo. Im Anschluß Maibowle auf Station! Ich weiß, daß viele heute sagen, sie hatten Probleme damit. Mir hat es Spaß gemacht, es war ein Feiertag, der für mich schon als Kind in der Familie und später im Kollektiv irgendwie ein Höhepunkt war.
Brigadebuch schreiben; was wurde darüber gestöhnt. Aber viele Kollektive haben jetzt, zehn Jahre nach der „Wende“, noch ihre Brigadebücher im Schrank, und manchmal schaut einer beim Aufräumen hinein, erinnert sich an alte Kollegen, längst vergessene Feierstunden, auch Beschönigungen, auch Kritiken.
Als ich Lehrling und später junge Schwester war, gab es in unserem Krankenhaus eine FDJ-Gruppe, einen Singeklub und eine Tanzgruppe. Geld dafür stellte die BGL aus dem Kultur- und Sozialfonds zur Verfügung. Wir hatten im Haus einen Kulturraum, der an festen Tagen oder nach Voranmeldung bei der Oberschwester genutzt werden konnte. Leiter unseres Singeklubs war ein junger Arzt; zum 1. Mai, am Wahltag usw. hatten wir Auftritt.
Habe ich vorhin geschrieben, Lehrjahre seien keine Herrenjahre, so erinnere ich mich heute, nach fast dreißig Jahren noch gern an meine Lehrzeit. Manches Mal war es schwer, manches Mal war die Arbeit schrecklich, manches Mal hätte man am liebsten alles hingeworfen, weil man nicht funktionierte, wie die „Alten“ es wollten. Jedesmal war dann unser Lehrjahr das schlechteste seit Jahren; die nach uns waren auch nicht besser, hieß es später.
Mein erstes Lehrlingsentgelt betrug 65 Mark, mein erstes Gehalt 480 Mark; bei drei Schichten und zwei gearbeiteten Wochenenden. Trotzdem war ich glücklich und zufrieden. Es ist nicht die „Abgeklärtheit des Alters“ die mich sagen läßt:
Ich hatte eine ruhige, gute und schöne Kindheit und eine geordnete und behütete Jugend. Ich habe einen Beruf gelernt, der mich ernährt, den ich liebe, der mir liegt und den ich hoffentlich noch lange ausüben kann.
Petra
Koark
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