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Wem gehört unser Kindergarten?
Kindergarten! Welche Gedanken verknüpfen wir mit diesem guten Wort? Da haben Menschen zwei bedeutungsvolle Wörter zusammengefügt und Bezug genommen auf Erstrebenswertes, auf Wertvolles in der menschlichen Sphäre.
Man stelle sich vor: Spielende Kinder im Garten - Kinder und Blumen! Gehört das nicht zum Schönsten im Leben der Menschen? Wir denken dabei an Sonne, Wärme, Wohlbefinden, Lachen und Freude.
Anfang der sechziger Jahre gab es in der Deutschen Demokratischen Republik noch nicht zu viele dieser Einrichtungen. Aber die meisten Frauen und jungen Mütter waren berufstätig, wollten aktiv mitarbeiten an einer neuen, besseren Gesellschaft. Was sollten sie tun mit ihren Kindern während der Arbeitszeit?
Im 2-Zimmer-Wohnbezirksklub der Nationalen Front in der Potsdamer Leninallee Nr. 15 debattierten Frauen und Männer darüber, wie man helfen könnte. Sollten die Mitarbeiter der „Staatssicherheit“, die gerade in zweijähriger Freizeitarbeit in der Gregor-Mendel-Str. 6 einen Kindergarten erbaut und der Stadt zur Nutzung übergeben hatten, nicht noch einen zweiten schaffen?
Da stellte „unser Richard“ - Vorsitzender des Wohnbezirkes 49 und von vielen respektvoll und anerkennend „ehrenamtlicher Bürgermeister“ genannt - folgende Frage: Wie wär’s, wenn wir es einmal gemeinsam anpacken würden?
Wir - das waren einige hundert Menschen, die zwischen Park Sanssouci und Havelbucht, zwischen Platz der Nationen und Schillerplatz wohnten. Es war damals nicht üblich zu fragen, ob die Mitmenschen einer Partei angehörten. Uns interessierte vor allem, wieviel Kindergartenplätze fehlten, und wo konnten wir einen Raum gewinnen für die Vorschulkinder? An bereitwilligen qualifizierten Kindergärtnerinnen zur Betreuung unserer Kinder mangelte es von Beginn an nicht. Aber Räume waren knapp; es gab noch nicht genügend Wohnungen.
Auf dem Kiewitt inspizierten unsere „Bauexperten“ zwei Ruinen. Wir erwogen deren Ausbau zum Kindergarten. Die Enthusiasten drängten. Schließlich wollten wir etwa im Zeitraum eines Jahres mit vielen Freiwilligen unser „Objekt“ fertiggestellt haben. Die Fachleute unter uns warnten. Die Realisten appellierten an unseren Verstand. Die Optimisten mobilisierten immer mehr Hilfsbereite. Und die jungen Frauen machten Druck.
Was blieb uns weiter übrig, als unseren Klub zu räumen und darin einen provisorischen Kindergarten einzurichten. Zwei Räume ohne Küche, statt Garten ein Hinterhof. Und vor dem Fenster die belebteste Hauptstraße der Stadt! Uns war klar, daß dieses Provisorium erstens nicht ausreichte und zweitens keinen langen Bestand haben konnte. Also gründeten wir einen Baustab, organisierten unzählige „NAW-Einsätze“ das heißt: freiwillige, unentgeltliche Freizeitarbeit nach Feierabend und an Wochenenden.
Wir realisierten den Abriß einer abgebrannten Tischlerei am „Havelgarten“ und bargen jeden verwertbaren Ziegelstein. Denn inzwischen hatten wir ernsthaft den Beschluß zum Bau eines neuen Kindergartens gefaßt. Da fiel uns am Saranschen Sägewerksplatz ein leerstehendes Gebäude auf, das einmal als Pferdestall, Heuboden, Gewächshaus und Kutscherwohnung gedient hatte. Das Sägewerk war inzwischen stillgelegt worden. Die Stadt begann dort mit dem Bau großer Wohnhäuser. Der Kutscher war aus der primitiven Wohnung längst ausgezogen. Wir bekamen die Genehmigung der Behörden und den „Segen“ der Grundstücksbesitzerin, um unsere gebündelten, gemeinnützigen Bemühungen auf dieses Bauwerk konzentrieren zu können.
Unser Baustab war zuerst einmal der WBA 49. Dieser scharte eine große Anzahl von Helfern um sich. Dazu gehörten Männer und Frauen, Ältere und Jüngere, Atheisten und Christen, Politische und „Unpolitische“, Ruhige und Laute, Verheiratete, Geschiedene und Ledige, Besonnene und Besserwisser, Gewissenhafte und Geltungsbedürftige; darunter Pädagogen, Juristen, Arbeiter, Handwerker, Hausfrauen, Verkäuferinnen, Gewerbetreibende, Polizisten, Angestellte, Studenten, Lehrlinge, Krankenschwestern, Rentnerinnen und Rentner.
Schnell wurde uns klar, daß uns etwas Wichtiges fehlte: ein Architekt und ein Baustab mit Fachleuten. So gewannen wir den jungen Architekten Peter, der mit seiner Frau und seinen vier Kindern an der Erlöser-Kirche wohnte. Peter hatte es nicht leicht, wenn er nach Feierabend „zum Bau gehen“ wollte. Schließlich stellte seine große Familie berechtigte Ansprüche an ihn. Peters Arbeit wurde wesentlich unterstützt durch den rüstigen, kurz vor dem Ruhestand stehenden Bauingenieur Max aus dem „Beyertblock“. Peter und Max ergänzten sich freundschaftlich. Peter projektierte und leitete unser Freizeit-Bauvorhaben.
Nun könnte ich lang und breit und authentisch berichten über die Stärken und Schwächen, über die Charaktere und Leistungen von mehr als vierhundert Menschen, die sich unserem waghalsigen Unternehmen zur Verfügung gestellt hatten. Mancher würde sich vielleicht mehr für sachliche Fragen und Antworten interessieren, wie zum Beispiel: Was hat das alles gekostet? Wie wurde das Material beschafft? Wer hat die Facharbeiten ausgeführt? Wie viele Stunden, Tage, Wochen oder sogar Monate Freizeitarbeit hat welcher Mensch geleistet? Wer gehörte zum „Stab“? Welche Widersprüche mußten gelöst werden? Was gab es zu lachen, oder flossen auch Tränen? Gab es auch Unfälle? Von den dreijährigen Höhen und Tiefen unserer Bemühungen zeugen heute noch Fotos und verschiedene andere Dokumente.
Schließlich zählen folgende Fakten: Am 2. Mai 1965 wurde der Kindergarten nach drei(!)-jähriger Bauzeit unter dem Namen „Kosmos“ durch die Potsdamer Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke eingeweiht. In drei hellen, sonnigen Gruppenräumen mit viel Spielzeug und kindgerechtem Mobiliar tummelten sich fortan unbeschwert Mädchen und Jungen im Vorschulalter. Siebenundzwanzig Jahre lang hat Frau Richter mit engagierten Erzieherinnen diesen wärmespendenden Kindergarten geleitet. Da alle 62 Plätze ständig genutzt wurden, kann sich jeder ausrechnen, wie viele Kinder dort Geborgenheit und Fürsorge erfahren haben. In der Nacht vom 1. zum 2. Mai 1965 pflanzten Erbauer des Kindergartens zwei Birken. Diese leben noch und überragen das Gebäude heute um einige Meter.
Über welche wunderbaren Menschen könnte man doch etwas mehr berichten: Die Lehrerin Gerlind hat einen herausragenden Anteil am Erfolg dieser „Bürgerinitiative“. Sie arbeitete nicht nur mit Hand, Kopf und Herz mit. Sie half, die Kräfte zu bündeln, Entmutigte wieder aufzurichten und gewann immer wieder neue junge und ältere Helfer. Dabei vergingen drei Jahre, und ihre beiden eigenen Kinder kamen in die Schule, bevor sie diesen Kindergarten nutzen konnten. (Vielleicht ist es kein Zufall, daß diese beiden nach 1989 von vielen Potsdamer Wählern als Abgeordnete in das Stadtparlament gewählt worden sind!).
Urkunde für aktive Helfer beim Kindergartenbau |
Quelle
Privatarchiv Jäkel |
Dem ehemaligen Offizier, PGH-Vorsitzenden und Abgeordneten Horst haben es die Kindergartenbauer im besonderen zu verdanken, daß so viele Potsdamer Handwerker mit Sach- und finanziellen Leistungen zur Ausführung von speziellen Facharbeiten beigetragen haben. Der Dachdecker und Abgeordnete Herbert litt an einer berufsbedingten Asthmakrankheit. Dennoch stellte er durch seine fleißige und gewissenhafte Arbeit unter Beweis, daß er ein echter Volksvertreter war. Die „Zeitungsfrau“ Scholz hat sich als Mutter von sechs Kindern immer Zeit genommen und wesentlich zum Gelingen des Vorhabens beigetragen.
Gern würde ich noch mehr schreiben über den Buchhalter Erich, den Richter Werner, den Postingenieur Wilfried, den Pädagogikprofessor Jochen, den Rentner Fritz, die Schneiderin Klara, den Kraftfahrer Otto, den Soldaten Hans, die Malergebrüder Gerdaus und viele andere.
Inzwischen sind mehr als drei Jahrzehnte vergangen. Und ein kalter Wind weht aus dem Westen herüber. Mehr als zwanzig Kindergärten wurden in der schönen Stadt Potsdam stillgelegt, geschlossen oder sogar abgerissen, weil nicht mehr genügend Kinder da sind. Unzählige Frauen wurden arbeitslos. Ihr Vertrauen in diese Marktgesellschaft ist so stark in Frage gestellt, daß sie um die Zukunft ihrer Kinder fürchten. Wie sonst sind die Geburtenrückgänge zu erklären?!
„Geld, Geld, Geld!“ - so schallt es aus westlicher Richtung. Die Jagd nach Immobilien ist in vollem Gange. Kein Wunder, daß zwei junge Männer aus Lemgo in Westfalen, die am Tage der Kindergarteneinweihung 1965 noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt hatten, mit einem Stück Papier auftauchten, das sie als Grundstückseigentümer ausweist. Die Stadt Potsdam, der 1965 der Kindergarten „Kosmos“ zur Nutzung übergeben worden war, schloß 1993 fünfzehn Kindergärten, darunter auch den hier beschriebenen. Für die aus Bremen gekommene Stadträtin C.-S. („Beigeordnete“ für Soziales) war es wohl nicht zu verstehen, wie dieses Stück Volkseigentum in der DDR entstehen konnte. Sie entließ den Kindergarten aus der Verantwortung der Stadt, bevor sie sich selbst Ende 1996 resignierend wieder in Richtung Westen davonmachte.
Natürlich lebt die „Bürgerinitiative“ Kindergarten immer noch und hat dafür gesorgt, daß sie nun als Bürgerinitiative Seniorenfreizeitstätte fortgeführt wird. Aber noch zahlen wir monatlich über 2.000 DM Miete für das, was mehr als vierhundert Menschen in Potsdam in ihrer Freizeit unentgeltlich geschaffen haben.
Die Gesetze der BRD sehen kein Volkseigentum vor. Sie schätzen und schützen den ererbten Grund und Boden höher. Dürfen wir „Ostmenschen“ nicht wenigstens nach einem Wertausgleich für das fragen, was wir geschaffen haben?
So wie es ist, muß und wird es nicht ewig bleiben. Die Welt ist veränderbar. Die Menschen werden gründlicher darüber nachdenken, was sie richtig oder falsch gemacht haben. Sicher gibt es ohne Kampf keinen dauerhaften Sieg. Und es ist von vielen noch viel zu tun, bis die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint. Vielleicht werden, wenn es endlich erreicht ist, dann die „KITAs“ wieder zu Recht Kindergarten genannt sein dürfen. Kindergärten sind soziale und kulturelle Einrichtungen einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Kindertagesstätten (KITAs) der BRD sind leider nur kurzzeitige Aufbewahrungsstätten für Kinder, deren Eltern dafür - ganz im Gegensatz zur DDR - eine Menge Geld berappen müssen.
Den Wert einer Gesellschaftsordnung erkennt man nicht zuletzt daran, was diese ernsthaft und ausdauernd für ihre Kinder, ihre Jugend, ihre arbeitenden Menschen leistet. Wer Kinder und Gärten schützt, dem wird die Zukunft gehören.
Horst Jäkel
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