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Diese Schule war unser gemeinsames Werk
Mit meinem Wechsel an die Oberschule in Michendorf zum 1.9.1959 wurden nicht nur ein neuer Lehrplan, sondern auch ein komplexes Lehrplanwerk eingeführt, das unsere Schuler zu allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten heranbilden sollte. In diesem Zusammenhang gab es an den Schulen eine fast revolutionäre Umgestaltung, in der alle Mittelschulen in der DDR zu polytechnischen Oberschulen aufgewertet wurden. Das bedeutete die verstärkte Einführung eines detaillierten Fachunterrichtes, vor allem eine gute und präzise Ausbildung in den Naturwissenschaften. Dadurch erhielt jeder entwicklungsfähige junge Mensch eine vielseitige, umfassende und hohe Allgemeinbildung. Allerdings waren die materiellen Bedingungen noch nicht überall vorhanden, und auch in Michendorf gab es fast unlösbare Probleme mit den Räumlichkeiten, ihrer Ausstattung und Größe. Wir versuchten also erst einmal unter großen Mühen, die vorhandenen Zimmer den Erfordernissen entsprechend zu Fachräumen für mehrere Naturwissenschaften, wie z. B. Physik und Chemie, umzugestalten. Das Fach Biologie war bisher in den Klassenzimmern vermittelt worden. Nun stellte der Rat der Gemeinde Michendorf dafür neue Räumlichkeiten, überall im Ort verstreut, zur Verfugung, und wir Lehrer taten danach jahrelang bei Wind und Wetter unser Bestes für die Gesundheit (oder auch nicht), indem wir oft auf Achse waren.
Ein Schulneubau war bereits zur Zeit meines Dienstantritts im Gespräch gewesen. Wir wurden auch immer wieder von der Schulleitung und der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises darauf vorbereitet. Es gab viele Beratungen, Diskussionen und auch manches Gerücht, aber dann geschah doch wieder nichts.
Veranstaltungen der einzelnen AG (Musikgruppe, Sport, Chor u. a.), Spenden und Arbeitseinsätze von Lehrern und Schülern führten dann endlich dazu, daß Ende 1973 (!) grünes Licht für den Schulneubau gegeben wurde. Wie sehr neben uns Lehrern auch die Schüler dafür motiviert waren, möchte ich an einem Beispiel schildern.
Im Schuljahr 1972/73 war ich als stellvertretender Klassenleiter für einen Kollegen eingesprungen, der beurlaubt worden war, um sein Fernstudium erfolgreich zu beenden. Für diese Klasse 7a hieß es dann eines Tages: „Nach dem Unterricht großer Einsatz auf der Baustelle!“ Holz und Unrat sollten beseitigt werden, um Baufreiheit für die neue Schule zu schaffen.
Von 12.45 Uhr bis 13.30 Uhr hielt ich die letzte Stunde in dieser Klasse. Nach der kurzen Besprechung organisatorischer Fragen wurde Biologie unterrichtet. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, und gegen 13 Uhr entlud sich ein Gewitter, dessen Wassermassen seit langer Zeit ihresgleichen suchten. Den fragenden Augen meiner Schüler begegnete ich schließlich mit den Worten: „Wenn es aufhört zu regnen, treffen wir uns auf alle Fälle an der Baustelle, zieht euch zweckentsprechend an.“
Offensichtlich hatte Petrus Mitleid mit uns: Zum Stundenende schien wieder die Sonne, aber alles war sehr, sehr naß.
Deshalb war ich doch erstaunt, als ich auf dem Wege zum Einsatzort von vielen Schülern meiner Klasse per Rad überholt wurde mit den Worten: „Herr Grund, da sind wir, wir warten.“ Als ich an der Baustelle ankam, war meine Klasse fast vollständig versammelt, die restlichen Schüler trafen nur Minuten später ein. Auch die anderen Klassen waren beinahe vollständig anwesend.
Daß mit großem Hallo, mit Elan und Begeisterung das nasse und zum Teil stark verschmutzte Material bereits nach eineinhalb Stunden auf dem dafür vorgesehenen Platz sauber geschichtet zum Abtransport bereitlag, möchte ich nur am Rande erwähnen. Denn wir Lehrer, auch ich, waren vor allem stolz auf unsere Schüler.
Der Schulneubau begann im Herbst 1973. Zunächst wuchs der Plattenbau in die Höhe. Lehrer und die Schüler blickten mit Freude und wachsender Zufriedenheit auf das, was da täglich mehr und mehr Gestalt annahm. Erst zum Ende des Schuljahres 1973/74 begann der von außen kaum sichtbare Innenausbau. Da ich als zuverlässig galt, betraute mich der Direktor mit der Aufgabe, die Interessen der Schulleitung mit den Bauleitern und den Gewerken abzustimmen. So hatte ich vor allem in den acht Wochen Sommerferien alle Hände voll zu tun.
Ab 6 Uhr früh war ich in der zukünftigen Schule. Die Zusammenarbeit mit den Bauschaffenden lief problemlos, sie war sehr gut. Unser Direktor fuhr währenddessen in der gesamten DDR herum, um Möbel, Lehrmittel und technische Ausrüstungen zu bestellen und heranzuschaffen. Ab 20 Uhr waren dann Schüler und Kollegen bereit, um auszuladen, was der Chef, manchmal auch ein Möbelwagen, mitbrachten. Oft wurde es 21 Uhr und später, bis er wiederkam. Ich bewunderte Kollegen und Schüler, die geduldig warteten und dann noch mit Elan und Akribie ausluden.
Selbst an den Ferienwochenenden war ich schwer beschäftigt. In der Turnhalle mußten Tische und Stühle zusammengeschraubt werden, die in Teilen geliefert wurden. Oft wollte mich mein Direktor nach Hause scheuchen, aber ich ließ nicht locker, da wir diese Möbel ab 1. September brauchten und während der Woche andere Aufgaben zu bewältigen waren. An einem Freitagnachmittag stellte ich fest, daß mir zum Weiterarbeiten einige Packungen Schrauben und Zubehörteile fehlten. Also ging ich zur alten Schule, und unser Hausmeister eilte sofort zu den Sekretärinnen, um sich Geld aushändigen zu lassen. Aber es war bereits 16 Uhr, die Frauen hatten ihre Abrechnung gemacht, wollten nach Hause und die Kasse war geschlossen. Da legten der Hausmeister und ich kurz entschlossen unser Bargeld zusammen. Er, als der bessere „Fachmann“, kaufte das Fehlende und dann wurde übers Wochenende weiter „geschraubt“.
Am 1. September 1974 war es dann soweit. Unmittelbar nachdem das Schuljahr 1974/75 an der alten Schule in der Poststraße mit dem damals üblichen Fahnenappell eröffnet worden war, zogen Lehrer und Schüler der Oberstufe zur neuen Schule am Wolkenberg und nahmen von ihr Besitz.
Wir hatten zum 25jahrigen Jubiläum der DDR alle gemeinsam eine neue Schule geschaffen. Neben vielen Kollegen, Eltern und Einwohnern Michendorfs, und nicht zuletzt unseren Schülern hatte auch ich mein Bestes dafür getan, und so war diese Schule, unsere Schule, auch meine Schule.
Neu für alle war der Kabinettsbetrieb. Für jedes Fach gab es wenigstens einen speziellen, entsprechend ausgestatteten Fachraum. Die Kollegen konnten darin ihren Unterricht vorbereiten und durchführen. Sie liefen nicht mehr mit ihren Lehr- und Unterrichtsmitteln von Raum zu Raum, sondern die Schüler kamen jetzt zu ihnen. Die „Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen“ in unserem Staat war auch bei uns Tatsache geworden.
Zum Inhalt unseres Bildungs- und Erziehungsauftrages gehörte neben der Vermittlung von Wissen und Können auch die Erziehung zu hohen ethischen Werten, wie z. B. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit und auch die Pflege der Kultur in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Um alle diese Werte bleibend vermitteln zu können, muß man selbst als Vorbild wirken können.
Wir Lehrer waren verpflichtet, unsere Schüler im Sinne der Verfassung der DDR zu bilden und zu erziehen. Das galt selbstverständlich auch für den in Artikel 20 verankerten Grundsatz der Gewissens- und Glaubensfreiheit.
Ich hatte in jeder Klasse Kinder aus sehr christlich gesinnten Elternhäusern. Sie kamen den Forderungen der Schule oft besser nach als mancher Schüler, dessen Eltern in der SED, einer Blockpartei oder die Wissenschaftler waren. Sie wurden im Schülerkollektiv weder „hochgehoben“ noch „in die Ecke gestellt“, sondern als sogenannte „Andersdenkende“ genau so behandelt wie jeder im Klassenverband. Ich habe mich dafür eingesetzt, daß auch diese Schüler entsprechend ihren Leistungen die EOS besuchen konnten. Das Verhältnis zu den Eltern dieser Schüler war ebenso herzlich wie zu den anderen. Bei Hausbesuchen hatten Toleranz und gegenseitige Achtung oberste Priorität.
Und dann kam 1989, die „Wende“. Ich warf mein Parteibuch nicht weg wie alle anderen „Genossen“ Oberstufenlehrer unserer Schule. Sicher ist es vor allem diesem Umstand zuzuschreiben, daß damals eine regelrechte Hetzkampagne gegen mich gestartet wurde, die mich außerordentlich belastete und eine fruchtbringende Arbeit mit den Schülern nahezu unmöglich machte. Auch deshalb hielt ich es für ratsam, zum 1. September 1991 auf ein Angebot einzugehen, das älteren Kollegen ein Ausscheiden aus dem Schuldienst und die Inanspruchnahme des Altersübergangsgeldes nahelegte.
Fachliche Gründe gab es dafür nicht, obwohl unsere ehemalige POS zum Gymnasium umfunktioniert wurde. Immerhin besitze ich die Staatsexamenszeugnisse für die Lehrbefähigung in den Fächern Chemie und Astronomie bis Klasse 10 und Biologie bis zum Abitur. Aber als ich, um die letzten meiner Bücher zu holen, an einem Augusttag 1991 nochmals den Bio-Vorbereitungsraum betrat, herrschte mich der neue stellvertretende Direktor - ein langjähriger Kollege - an: „Mach, daß du hier verschwindest. Das ist jetzt Gymnasium!“
Übrigens: Weder dieser Herr noch andere, die sich erstaunlich rasch „wendeten“ und nun die Geschicke unserer Schule bestimmen, hatten sich 1974 an unseren Einsätzen für den Neubau beteiligt und gehörten auch später nicht zu den Eifrigsten, wenn Not am Mann war.
Um meine Schule, an der ich mehr als dreißig Jahre lang unterrichtete und junge Menschen im Geiste des Humanismus erzog, mache ich seit jenem Augusttag 1991 einen großen Bogen. Aber es kommt gelegentlich vor, daß mir ehemalige Schüler, inzwischen selbst erwachsen geworden, mit einem schlichten „Dankeschön, Herr Grund!“ begegnen.
Friedrich
Grund
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