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Alle unsere acht Kinder erlernten einen Beruf

 

Wenn ich über unser Leben in der DDR nachdenke, dann sind das vor allem Erinnerungen an ein erfülltes Leben in der Familie, und zugleich ist dieses ganz private Leben immer auch mit dem Werden und Wirken unserer DDR verbunden. Vielleicht können die Zeilen einer einfachen Hausfrau und Mutter mehrerer Kinder manchem Leser mehr Einblick in das „Innenleben“ der DDR geben, als es amtliche Berichte und heute von gewisser Seite so gern verunglimpfende Darstellungen vermögen.

Im Januar 1948 haben mein Mann und ich geheiratet, und schon im Juli dieses Jahres wurde unser ältester Sohn geboren. In einer großen Wohnung hatten wir damals nur einen Raum mit Küchenbenutzung. Mit einem Kleinstkind ein großes Problem. Nach langem Suchen fanden wir eine etwas größere Kellerwohnung. Wir waren ja froh, erst einmal allein zu wohnen. Das war bei der riesigen Wohnungsnot nach dem Krieg schon viel. Möbel hatten wir noch nicht viel beisammen, als sich bereits das zweite Kind anmeldete. Nun stand bald wieder die Suche nach einer größeren Wohnung an. Im November 1949 wurde unser Sohn Klaus geboren. Da mein Mann damals Dienst bei der Kasernierten Volkspolizei in Prenzlau tat, konnte er nicht jedes Wochenende kommen, ich hatte für vieles selbst zu sorgen. Nette Nachbarn halfen mir oft. Wenn ich Besorgungen zu machen hatte, wußte ich die Kinder in guter Obhut.

Im Herbst 1950 bezogen wir ein kleines Haus in den Oderwiesen, dazu gehörten ein Garten und ein großer Hof mit Spielplatz für die Kinder. Hier wurde unsere erste Tochter, ein Sonntagskind, im Dezember 1950 geboren. Wieder hatten wir freundliche Nachbarn, darunter eine ältere Dame, die sehr kinderlieb war, mit unseren Kindern spielte, ihnen manches zusteckte und sich freute, wenn sie „Oma“ gerufen wurde.

Mein Mann wurde bei der Polizei entlassen, da er in westlicher Gefangenschaft gewesen war. Sehr hart waren damals diese uns oft unverständlichen Bestimmungen! Er - mein Mann - bekam Arbeit im neu entstandenen Eisenhüttenkombinat Ost. Unsere „Großen“ gingen in den Kindergarten, und mein Mann hatte die nötige Ruhe nach der Nachtschicht. Im Oktober 1952 wurde unser Rolf und im März 1954 der Dieter geboren. Schließlich habe ich im Oktober 1955 unser sechstes Kind, die Karin, zur Welt gebracht. Bei ihr übernahm entsprechend dem Gesetz der DDR unser Staatspräsident Wilhelm Pieck die Ehrenpatenschaft. Wir freuten uns sehr über die Urkunde, das Sparbuch und die Erstausstattung. Dies alles wurde uns in einer Feierstunde übergeben, an die wir gern zurückdenken.

Nun hieß es in die Stadt umzuziehen, in der mein Mann Arbeit hatte. Ein paar Wohnungen hatten wir uns schon angesehen. Im Oktober 1958 war es dann soweit, unsere neue Adresse war die Straße der Jugend in Stalinstadt1. Im Haus lebten viele Kinder. Unsere Vierzimmer-Wohnung war ausreichend, auch der Schulweg war nicht weit. Hier fühlten wir uns mit unseren sechs Kindern sehr wohl. Damals bekam unsere Karin eine Kur in einer Einrichtung an der Ostsee. Zuerst hatten wir Bedenken, doch die vier Wochen an der Ostsee haben ihr sehr gut getan. Die netten Schwestern dort schrieben uns immer, wie es unserer Kleinen ergeht. Als kinderreiche Familie spürten wir sehr deutlich, wie sich der Staat um seine Jüngsten sorgte.

Natürlich konnte ich bei der großen Kinderschar nicht arbeiten gehen. Ich blieb zu Hause und hatte mit Haushalt und Familie täglich ein volles Pensum. Doch es machte mir Freude. Da waren die Schularbeiten zu erledigen. Ehrlich gesagt, ich lernte wieder neu mit. Das gelang mir sogar bei der Hilfe in der russischen Sprache. Natürlich war nicht immer alles eitel Freude, es gab auch Ärger und Kummer, wenn es mit dem einen oder anderen unserer Kinder in der Schule nicht so gut lief. Wir fanden aber viel Rat und Hilfe in den Elternversammlungen. Da hieß es oft auf mehreren „Hochzeiten“ zugleich zu sein, wenn z. B. am gleichen Abend drei Elternversammlungen stattfanden und mein Mann im Schichtdienst war. Er hat aber stets im Elternbeirat mitgearbeitet, so daß unsere Familie eine enge Beziehung zur Schule hatte. Und dann der Sport. Alle unsere Kinder waren begeisterte Sportler. Ob Handball, Turnen und Gerätesport, überall machten sie mit. Irgendeins unserer Kinder hatte immer Training, so daß es an den Nachmittagen bestimmt keine Langeweile gab.

Nun zu den Feiern zur Jugendweihe. Das waren echte Höhepunkte im Familienleben, genaugenommen schon „kleine Hochzeiten“. Unser Wohnzimmer wurde ausgeräumt, der Betrieb lieh uns die nötigen Tische und Stühle. In der bekannten Gaststätte „Aktivist“ war die Mittagstafel gerichtet. Von dort kamen auch die leckeren Abendbrotplatten. Nur den Kuchen buken wir selbst, der schmeckte uns so am besten. Heute reden wir öfter über die viele Arbeit mit dem Abwasch bei diesen Feiern. Doch viele Hände machten der Arbeit bald ein Ende.

Dann kam die Zeit der Auswahl der Berufe für unsere Kinder. Das war damals kein Problem, denn Arbeit gab es genug. Unser Großer wurde Lehrling im Fischkombinat Rostock. Er war danach Hochseefischer in der Fangflotte der DDR, kam viel in der Welt herum und freute sich immer wieder sehr, wenn er zu Besuch im Elternhaus sein konnte. Der zweite Sohn arbeitete lange Jahre in der Schiffswerft. Unsere Ingrid lernte im Fernmeldeamt. Als sie ausgelernt hatte, bekam sie ein Diensttelefon nach Hause verlegt. Viele Wege wurden uns danach erspart, weil es dieses Telefon gab.

Ich möchte für den Leser ergänzen, daß in den Jahren 1962 und 1966 noch zwei Jungen unsere große Familie vervollständigten. Da gab es natürlich immer Probleme mit dem vielen Waschen. Ein halbes Jahr nach der Bestellung konnten wir unseren „Halbautomaten“ abholen. Leider fehlte das Geld dafür. Da sprang der Betrieb mit einem Darlehen ein. So kam zur Waschmaschine auch gleich unser erstes Fernsehgerät dazu. Das war ein Freudentag für die Familie. Jeden Monat wurde ein kleiner Betrag vom Lohn abgezogen, wir merkten es nicht. Die schwere Arbeit in der Waschküche war für mich vorbei. Die Kinder erlebten das Kinderfernsehen, ohne Sandmännchen ging es nicht zu Bett.

Ja - das liebe Geld! In den ersten Jahren war der Lohn gering, doch da die Lebensmittel auf Marken billig waren, reichte es. Trotzdem mußte gut eingeteilt und gewirtschaftet werden. Da ging es ja nicht nur um das Essen und die Bekleidung, vor allem fehlte immer was in der Wohnung. Viel Wert legten wir auf zugleich gutes und haltbares Spielzeug. Unsere Kinder haben sehr viel und gern gebastelt. Da war ein richtiges Wetteifern im Gange. Nicht nur die Jüngsten, auch die Großen machten da mit. Der Garten unserer Oma war eine große Hilfe für die Familie. An jedem Wochenende halfen ihr zwei unserer Kinder im Garten und kamen dann mit Obst und Gemüse beladen zurück. Später kauften wir für einen zinslosen Kredit Doppelstockbetten und Fahrräder. Mit den Rädern ging es oft in den Wald zum Pilzesammeln und Beerenpflücken. Das nützte der Familie und war zugleich ein schönes Naturerlebnis.

Bald beendeten weitere drei unserer Kinder die Schule, übrigens alle nach Abschluß der 10. Klasse. Ein Sohn wurde Maurer, der andere lernte im Zementwerk, und das Mädchen wurde Holzfacharbeiter in den Möbelwerken. Die beiden Nachzügler machten sich ebenfalls gut in der Schule. Sportlich waren sie in der Leichtathletik, beim Tauchen und beim Ringen sehr aktiv. Beide lernten Schlosser und Schweißer im Eisenhüttenkombinat.

Dann gab es die ersten Hochzeiten. Heute freuen wir uns über mehrere Enkelkinder, immerhin achtzehn an der Zahl. Alle unsere acht Kinder sind inzwischen verheiratet, einige auch zum zweiten Mal, wie das Leben so spielt. Inzwischen gibt es sogar schon eine Urenkelin. Fast alle kamen sie zu unserer Goldenen Hochzeit im Januar 1998. Wie schön war es für uns als Eltern und Großeltern, einmal die ganze Familie beisammen zu haben.

Doch wer da glaubt, daß im Hause nun Ruhe eingekehrt sei, der irrt. Da helfen wir z. B. aus, wenn die Enkel mal krank sind. Dann werden sie von uns betreut. Die Worte Ruhe und arbeitsfrei kennen wir eigentlich gar nicht. Dafür steht schon unsere gesellschaftlich nützliche Arbeit, die wir beide gern leisten. Ich bin seit 1981 gewählte Vorsitzende einer Ortsgruppe der Volkssolidarität. Da ist immer was zu tun, ob nun Sorge und Hilfe für ältere Bürger, wie auch die Gestaltung von Jubiläen und anderen Feiern für die älteren Menschen.

Die Mieter unseres Hauses wählten mich 1966 zur Hausvertrauensfrau. Das Kümmern um notwendige Reparaturen am Haus oder das Rasenmähen auf dem Hof und auch mal ein offenes Gespräch mit uneinsichtigen Mietern gehörten ebenso zu meinen selbstübernommenen Pflichten wie die Gestaltung eines interessanten Gemeinschaftslebens. Für unsere freiwillige Arbeit zur Verschönerung bekamen wir vom Vermieter ja etwas Geld. Davon wurde manches für die Hausgemeinschaft angeschafft. Zwei- bis dreimal im Jahr gab es eine „Grille“. Alle Mieter halfen bei der Vorbereitung mit, und manchmal besorgten wir dafür sogar ein Spanferkel. Einer der Höhepunkte unseres Gemeinschaftslebens war die Fahrt nach Berlin. Im „Palast der Republik“ erlebten wir ein hervorragendes sowjetisches Kulturensemble, das mit Musik, Gesang und wirbelnden Volkstänzen einen unvergeßlichen Abend gestaltete. Um alles gut „verdauen“ zu können, beschloß unsere Hausgemeinschaft den Tag in Berlin mit einem Besuch in der bekannten Gaststätte „Lunik“. Nicht nur zu den Grillfesten, auch an manchem lauen Sommerabend saßen wir zum kleinen Schwatz in unserem kleinen schönen Garten beisammen. Gab es Regen, dann trafen wir uns oft auf dem Wäscheboden, der von unseren Männern vorbildlich geweißt worden war. Dieses Leben in der Hausgemeinschaft gehört zu den schönsten Erinnerungen an die DDR.  

Quelle: Privatarchiv Münch

Berlin, die Hauptstadt der DDR, war ein beliebtes Reiseziel von Arbeitskollektiven und Hausgemeinschaften aus allen Bezirken der DDR - oben: Blick auf den Marx-Engels-Platz mit Palast der Republik, dahinter Fernsehturm, unten: das im Zweiten Weltkrieg zerstörte und von der DDR 1950-1955 wieder aufgebaute

Gebäude der Deutschen Staatsoper Unter den Linden

  Abschließend noch ein paar Sätze zum gesellschaftlichen Wirken meines Mannes. Er gehörte seit 1953 den Kampfgruppen an, war mit Freude dabei und sah diese Aufgabe als für den Schutz des Landes sehr notwendig an. Er hatte im Leben manche Probleme. Nach einem Unfall 1959 war er zwei Jahre lang in Krankenhäusern. Das Bein sollte ihm abgenommen werden. Der Betrieb stellte das Fahrzeug zum Transport ins Krankenhaus. In der Berliner Charité wurde mit nur einer Operation das Bein gerettet. Auf Grund dieser Behinderung war mein Mann danach in der Kampfgruppe Innendienstleiter und hat seine Aufgaben zur Zufriedenheit erfüllt. Ich denke gern an die Aufmerksamkeiten zurück, die mir zuteil wurden. Zum 10. Jahrestag der Kampfgruppen erhielten die Ehefrauen der Kämpfer mit mehreren Kindern wertvolle Geschenke. Ein wunderschönes Kaffeeservice, das ich damals erhielt, wird nur bei besonders lieben Gästen aus dem Schrank geholt. Zu einem weiteren Jubiläum kamen eine wertvolle Vase und ein Kerzenhalter im Zwiebelmuster dazu. Das war ein kleines Dankeschön an die Frauen für ihr Verständnis, wenn die Männer in ihrer Freizeit Dienst in den Kampfgruppen taten. Es war eben unsere Zeit, und darum hängt zur Erinnerung daran die Uniform meines Mannes noch immer im Schrank, als kleines Andenken an unsere Deutsche Demokratische Republik.

Insgesamt gesehen, war es eine manchmal schwere, aber doch schöne Zeit, unser Leben in dem Staat, der den Sozialismus als Ziel hatte, das Ziel aber nicht erreichte.

 

Alice Lindemann


1 Stalinstadt - heute Eisenhüttenstadt.


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