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Holzhammer wurde nie beiseite gelegt

(Berlin)

 

Am Vormittag des 16. Juni 1953, einem Dienstag, standen plötzlich zwei Bauarbeiter von der Stalinallee vor meinem Schreibtisch. Ich arbeitete damals in einer Außenstelle des „Neuen Deutschland", die sich die Redaktion eigens in unmittelbarer Nähe der riesigen Baustelle zugelegt hatte, um hautnah beim Aufbau der „Prachtstraße" dabeisein zu können. Die Verbindung zu den Bauarbeitern sollte so eng wie möglich sein. Und war es auch.

Die Besucher an diesem Vormittag wedelten mit der Ausgabe des ND vom vorausgegangenen Wochenende. Mein Kollege Siegfried Grün und ich hatten darin einen Artikel veröffentlicht unter dem Titel „Es wird Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen". Denn obwohl alle angekündigten Preiserhöhungen am 11. Juni zurückgenommen worden waren, an der mit ganz miesen Methoden durchgepeitschten zehnprozentigen Normerhöhung wollte man festhalten. Vorschläge von Seiten der Bauarbeiter für eine bessere Arbeitsorganisation, für eine Erleichterung der Arbeit durch ein paar primitive Hexen, die die Hucker hätten entlasten können, wurden vom Tisch gewischt. Es kam schon vor dem 17. Juni zu Streiks einzelner Brigaden. Und wenn die Bauleiter nicht weiter wußten, weil die Arbeiter sich in den Baubuden verschanzten, riefen sie auch mal nach mir. Ich war jung, eine halbe Portion, mich verprügelte keiner. So bekam ich Einlaß in die Baubuden und erfuhr so manches über erzwungene und gelinkte Normerhöhungen, über Drohungen der Funktionäre, daß man in den Brigaden, die sich gegen Normerhöhungen wehrten, die RIAS-Agenten schon ausheben werde.

Als ich unserem Chefredakteur Rudolf Herrnstadt von der brisanten Situation in der Stalinallee berichtete, gab er uns sofort grünes Licht für unseren Artikel. Wir legten los, immer in der Hoffnung, damit einen vernünftigen Dialog zwischen Arbeitern und Funktionären anregen zu können. Nun standen die beiden Bauarbeiter vor mir. „Du bist richtig", sagte einer, „jetzt komm mit, wir sind schon auf der Straße." Ich muß in diesem Augenblick selten dämlich ausgesehen haben. Alle meine Hoffnungen auf eine friedliche Lösung, das begriff ich sehr schnell, konnte ich unter Ulk abbuchen. Es war zu spät. Durch den Artikel wurde das Feuer eher angefacht.

Was blieb mir übrig? Ich ging mit auf die Straße, lief einem Dackel ähnlich neben den Demonstranten her, immer noch von der blödsinnigen Vorstellung beherrscht, die Bauarbeiter zur Umkehr bewegen zu können. Heute weiß ich, daß ich damals eher die Rolle eines Don Quichote übernommen hatte. In der Leipziger Straße, vor dem Gebäude, in dem sich heute die Treuhand beschäftigt, riefen die Bauarbeiter nach Walter Ulbricht. Minister Fritz Selbmann kam heraus, aber den wollte keiner sehen. Wutentbrannt gingen die Bauarbeiter auseinander, nicht ohne mir vorher gönnerhaft auf die Schulter zu klopfen und zu versichern: „Morgen geht es weiter."

Wenig später erzählte ich in der Redaktion von dieser Drohung. Wieder klopfte man mir gönnerhaft auf die Schulter, diesmal, weil mir niemand glaubte. Wie weit wir schon damals von den Arbeitern entfernt waren, bewies der Abend des 16. Juni. Die SED beschäftigte sich auf altbekannte Weise mit der Situation, indem sie ad hoc eine Parteiaktivtagung einberief. Im Friedrichstadtpalast sprach Otto Grotewohl, und alle Teilnehmer machten sich Mut beim Singen der Internationale. Meine Skepsis verflüchtigte sich nicht. Am nächsten Morgen war ich um sieben auf der Baustelle. Keiner arbeitete, alle waren schon unterwegs. Unter den Linden sah ich die Bauarbeiter wieder, vor den Panzern der sowjetischen Armee, auf denen junge Soldaten saßen, die hilf- und verständnislos in die aufgebrachte Menge starrten.

Die Berliner Bezirksleitung der SED, die in unserem Artikel nicht gerade mit Honig begossen worden war, behauptete umgehend, daß „dieses Machwerk" die Ereignisse des 17. Juni ausgelöst habe. In den Wochen nach dem Arbeiteraufstand trat schließlich zutage, daß im Politbüro der SED ein Machtkampf gegen Walter Ulbricht geführt worden war, den Rudolf Herrnstadt und mit ihm eine knappe Hälfte dieses Gremiums verloren hatte. Damit war auch der Schuldige für unseren Artikel gefunden. Rudolf Herrnstadt wurde als Intrigant abgestempelt, als Auslöser des 17. Juni belastet, aller seiner Ämter enthoben und in das Staatsarchiv nach Merseburg abgeschoben. Zwar wurden die Normerhöhungen nun sofort zurückgenommen, aber im übrigen sonnten sich so manche Funktionäre der Berliner SED-Bezirksleitung - in anderen Orten wird es ähnlich gewesen sein - in ihrer Unschuld an den Ereignissen um den 17. Juni. Eine Analyse der Situation verpaßte ihnen zudem noch eine weiße Weste, schuld war einzig die Hetze aus dem Westen und eben das ND.

Mein Kollege und ich kamen als „mißbrauchte Werkzeuge Herrnstadts" unter dem Regen davon. Wohl fühlten wir uns dabei nicht, hatten aber zuviel Achtung vor den alten Genossen, die erst wenige Jahre zuvor aus Konzentrationslagern und Zuchthäusern zurückgekommen waren. Sie nahmen uns nun zur Brust, um uns auf den „richtigen Weg" zu bringen.

Ende der achtziger Jahre, als die SED schon in Anhänger und Bekämpfer Gorbatschows gespalten war, erinnerte mich die aufgeladene Atmosphäre an meine „Baubuden-Zeit". Ich hatte den Artikel, der uns soviel Ärger eingebracht hatte, einfach verdrängt. Jetzt besann ich mich darauf, las noch einmal unsere Appelle für einen respektvollen Umgang mit der Bevölkerung, wie etwa: „Das Gefährlichste ist, daß wir bei diktatorischer und administrativer Einführung von Maßnahmen unsere Werktätigen abstoßen, anstatt sie immer fester an uns zu binden." Wie wahr, dachte ich nun, aber gelernt hatten wir auch später nichts. Der Holzhammer wurde nie beiseite gelegt. Und so haben wir weiter fleißig an dem Ast gesagt, auf dem wir saßen.

Käthe Stern


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