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Das Auto hielt direkt auf uns zu

(Magdeburg)

 

Als Sekretär der Stadtbezirksleitung Magdeburg-Mitte der FDJ hatte ich an diesem Tag eine Beratung in der FDJ-Kreisleitung. Am Vormittag wurde diese unterbrochen und mitgeteilt, daß die Schwermaschinenbaubetriebe Südost streiken. Der Streik gehe vor allem von den Thälmannwerkern aus und stehe im Zusammenhang mit den Ereignissen in Berlin. Die Streikenden zogen von Südost zum Hasselbachplatz und weiter zum Zentrum Magdeburgs. Als nach dem Mittag sowjetische Panzer in die Stadt einrückten und sich an wichtigen Punkten postierten, lösten sich die Ansammlungen weitgehend auf, und es kehrte allmählich Ruhe ein. In Rothensee, Alte Neustadt, Neue Neustadt und anderen Stadtteilen fanden meines Wissens keine Arbeitsniederlegungen statt. Die Beschäftigten erfuhren erst auf dem Heimweg von den Ereignissen des Tages.

Als wir am Nachmittag zu zweit einen Rundgang durch unseren Stadtbezirk machten, kamen wir am Gebäude der „Volksstimme" Magdeburg vorbei und sahen, dass Randalierer im Gebäude Verwüstungen anrichteten. In der FDJ-Bezirksleitung hatte man Akten aus dem Fenster geworfen und vor dem Haus in Brand gesteckt. In der SED-Stadtbezirksleitung Mitte erwartete uns das gleiche Bild. Hier waren Plünderer am Werke. Unser Rückweg führte über die Karl-Marx-Straße und den Alten Markt zum Schleinufer. Es war menschenleer. Doch plötzlich tauchte hinter uns ein kleiner LKW auf, vollbesetzt mit grölenden Menschen. Das Auto hielt direkt auf uns zu. Wir rannten, was wir konnten, in Richtung einer Dienststelle der Transportpolizei im Elbbahnhof und erreichten im letzten Moment den Eingang. Das Auto raste nahe vor bei. Aber die Genossen hatten den Vorgang beobachtet und uns rechtzeitig die Tür geöffnet.

Es war ein schlimmes Erlebnis, das man niemals vergißt.

Leo Schneider 


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