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Dokument mit Gesicht

(Wismar)

 

Meine Urlaubstage im Frühsommer 1953 verlebte ich auf der Insel Usedom im „Seebad der Werktätigen Heringsdorf', das man heute wieder zu den „Kaiserbädern" zahlt. Es war meine erste Urlaubsreise mit dem Feriendienst der Gewerkschaften. Den Platz hatte ich als Prämie für gute Arbeit kostenlos erhalten. Trotz zeitgemäßer, d. h. bescheidener, Verpflegung und Unterkunft war dieser Aufenthalt ein großes Erlebnis. Wir waren in einem früheren Nobelklasse-Hotel untergebracht, welches für uns in der Vergangenheit niemals zugänglich gewesen wäre - es sei denn als Hausdiener oder Reinigungskraft. Seit der „Wende" können wir und viele andere ehemalige DDR-Bürger uns derartige Häuser auch wieder nur von außen ansehen.

Nach Rückkehr an meinen Arbeitsplatz - ich war damals als Betriebsassistent im Bereich Schiffbau der Mathias-Thesen-Werft Wismar eingesetzt - wurde im Betrieb viel über die Beschlüsse des SED-Politbüros für einen Neuen Kurs in der Politik gesprochen. Mit ihnen wurden einige Maßnahmen, die zur Verschlechterung des Lebensstandards der Bevölkerung geführt hätten, unwirksam. Es ging u. a. um bestimmte Preiserhöhungen und die administrative Erhöhung von Arbeitsnormen. Diese Fehler hatten auch in der Küstenregion zu Unzufriedenheit geführt. Deshalb kam es am 17. Juni mancherorts zu Demonstrationen sowie Arbeitsniederlegungen. Wir Wismarer bemerkten davon allerdings nicht viel. Zwar war in einer von unserem Parteisekretär geleiteten Pausendiskussion auch der Einfluß des Nordwestdeutschen Rundfunks spürbar. Aber die von den Westsendern verbreiteten Streikaufrufe zeigten weder in der Werft noch in anderen Betrieben der Stadt Wirkung. Um trotzdem möglichen Ausschreitungen vorzubeugen, wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Die Arbeiter der Werft erhielten Passierscheine. Da sich die Sperrzeiten täglich veränderten, mußten wir ständig neue Scheine ausstellen und dafür sogar Überstunden machen. Allerdings wurde die Ausgangssperre nicht besonders streng kontrolliert. An einigen Eckpunkten der Stadt standen Sowjetsoldaten, und auch vor dem Werkseingang war ein Panzer stationiert. Die auf den Schiffen eingesetzten Soldaten wurden nach kurzer Zeit abgezogen, weil die Werktätigen nicht „unter Besatzung" arbeiten wollten. Dessen ungeachtet, kam es trotz Verständigungsschwierigkeiten zu manchem interessierten Kontakt mit den sowjetischen Sicherheitskräften. Als harmlose Episode ist mir in Erinnerung geblieben, daß ein außerhalb wohnender Schiffbauer beim Passieren der Stadtgrenze von Soldaten mit der Aufforderung angehalten wurde: „Bitte Dokument mit Gesicht."

Heinz Januschewski


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