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Disziplinierung und Lächerlichkeit

(Greifswald)

 

Damals studierte ich an der Pädagogischen Fakultät der Universität Greifswald und wohnte mit drei anderen Mädchen in einem Zimmer des Studentenwohnheims Arndtstraße.

In meiner Erinnerung sind zwei Ereignisse eng miteinander verknüpft, nämlich Stalins Tod im März 1953 und darauffolgend der 17. Juni. Inzwischen habe ich allerdings Schwierigkeiten, die Begebenheiten und Umstände richtig einzuordnen, welche Disziplinierung und Lächerlichkeit für mich beinhalten.

Am Abend des Tages, an dem uns der Tod Stalins bekannt wurde, kam ich mit einer Freundin von einem Seminar zurück. An der Haustür hing ein Bild Stalins, es wurde von zwei Mädchen mit Gewehr bewacht, wir empfanden diesen Anblick lächerlich, kicherten, überlegten und gingen dann beherrschter durch diese Tür. Nachts wurde das Bild mit Torflügel nach innen geklappt, „jetzt bleibt er allein", spotteten wir. Später fand diese „Ehrung" auch im Heim „Nordischer Hof statt, zwei Studenten standen in ähnlicher Weise neben einem Bild. Einer wurde dabei ohnmächtig, irgendwer wollte das als Absicht oder Provokation auslegen, es bedurfte eines eloquenten und einflußreichen FDJ-Funktionärs, um den Jungen zu retten. Dann fand der Schweigemarsch der Greifswalder Bevölkerung am Tag der Bestattung statt, ich hörte kein lautes, kaum ein geflüstertes Wort - die Welt stand still, so dachten wir. Heute meine ich, daß wir auch gelernt hatten, ruhig zu sein, uns einzuordnen.

Es tut sich etwas, bemerkten wir danach im Mai/Juni 1953. Wir kauften unsere Lebensmittel in einem Privatladen, der einer Olga Schmelzer und ihrer Schwester gehörte. Beide weinten eines Tages und erzählten, daß sie keinen Ausweg sähen. Sie sollten als Unternehmer keine Lebensmittelkarten mehr bekommen, verdienten aber nicht genug, um sich alles Notwendige zu HO-Preisen kaufen zu können. Wir hatten Mitleid, konnten nicht helfen und waren dann froh, als die Pläne der Regierung geändert wurden, wir waren (und sind) für soziale Gerechtigkeit.

Am 16. oder 17. Juni sahen wir im Greifswalder Theater ein Lustspiel von Shakespeare, besondere Berichte hörten oder lasen wir nicht, ein Radio war unerschwinglich, selbst eine Zeitung schien uns zu teuer. So genossen wir das Stück und kehrten fröhlich ins Heim zurück. Dort erfuhren wir von Besonderem (Aufruhr, Streik - ich weiß nicht mehr), schliefen aber völlig ruhig; denn „niemandem in der DDR geht es so gut wie den Studenten", das war unsere feste Meinung, wir fühlten uns absolut sicher. Am folgenden Tag standen Polizisten auf den Straßen, denn es herrschte Ausnahmezustand, was uns nicht daran hinderte, in größeren Gruppen (es durften nur zwei Personen zusammen sein) zu Lehrveranstaltungen zu gehen. Wenn nötig, hielten wir in gewünschter Zahl etwas Abstand. Es war also ruhig in Greifswald, das Leben an der Universität lief wie immer. Man erzählte, daß auf dem Schlachthof gestreikt worden sei. „Na, hier passiert doch nichts!" so reagierten wir. Dunkel erinnere ich eine FDJ-Versammlung, in der uns etwas von Gefahr im Zusammenhang mit Telegrammen aus Westberlin erklärt wurde. Bewußte FDJler beschlossen, in den Tagen das Blauhemd zu tragen. Ein Kommilitone - so erinnere ich - wollte heiraten, das Mädchen wohnte in Westberlin, beide standen und warteten, bis jemand Mitleid hatte, sie konnten Hochzeit feiern. Eine andere Mitstudentin wollte verreisen, durfte aber Greifswald nicht verlassen.

Dann folgte die Auswertung, Demokratie wurde geübt; es ist fürchterlich, aber ich erinnere nichts anderes, als daß ich vorbrachte, mir (uns) schmeckten die Soßen der Mensa-Mahlzeiten nicht. Der Koch wurde gerufen, er erklärte die Herstellung der Gerichte und verschwand. Es ist lächerlich, aber so war's.

Eine Folge für mein Leben bestand darin, daß ich beschloß, nicht in die Partei (SED) einzutreten. Ein Mädchen aus unserem Zimmer war Genossin und erläuterte uns „die Maßnahmen der Regierung" vor und nach dem 17. Juni, die gegensätzlich waren. So einen Spagat wollte ich nicht mitmachen. Ich bin nie Mitglied geworden.

Luise Pansegrau


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