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Treff bei Professor Henselmann1

(Berlin)

Wir erlebten den 17. Juni. Vom Dach unseres Hauses am Strausberger Platz sahen wir einen Zug von Arbeitern die Stalinallee heraufmarschieren in Richtung Alexanderplatz. Verrückterweise wurde er von einer dicken weißgekleideten Krankenschwester angeführt, die eine große, rote Fahne schwenkte.

In unserer Wohnung richtete die „Freie Deutsche Jugend" einen Stützpunkt ein.

Mein Schwager Havemann versuchte, die aufgeregten Massen zu beschwichtigen. Das war typisch für Robert, mutig, auch angesichts einer Übermacht.

Sowjetische Panzer rollten in die Stadt, riegelten die Übergänge nach Westberlin ab, und der Ausnahmezustand wurde verkündet.

 Quelle: Privatarchiv U. Münch

Leitende Mitarbeiter der Deutschen Bauakademie beim freiwilligen Aufbaueinsatz im Berliner Zentrum. Rechts im Bild: Prof. Henselmann

 Am nächsten Tag besuchten uns die Mitglieder einer befreundeten Rüster-Brigade. Sie suchten Rat bei Hermann. Dieser lud Bert Brecht ein, an der Aussprache teilzunehmen. Einer der jüngeren Arbeiter erzählte, daß er sich daran beteiligt habe, ein Auto umzustürzen. Er habe sich wie im Rausch befunden. Eigentlich habe er nichts gegen die Regierung, nur die Normerhöhung hätte sie alle in Wut gebracht. Diese Forderung sei zu hoch. Der junge Mann fragte nun schüchtern, ob er „abhauen" müsse, aus Angst vor dem Gefängnis. Er wolle nur ungern seine Wohnung und seine Familie verlassen, ebensowenig wie seine Kumpel. Hermann beruhigte ihn, versprach ihm, bei eventuellen Schwierigkeiten zu helfen, und war bemüht, politische Hintergründe für diese Vorgänge zu erklären. Brecht verhielt sich ganz still, registrierte jede Äußerung der jungen Leute und rief am nächsten Morgen an: er bedanke sich für das Erlebnis und habe den Glauben an die Arbeiterklasse in dieser Zusammenkunft wiedergewonnen und ein Gedicht darauf gemacht; das erste seit Monaten.

Irene Henselmann

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