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(Brandenburg)
Ich war damals erst kurze Zeit als Offizier in einem A-Kommando der KVP-Bereitschaft Brandenburg/Hohenstücken tätig. Meine Versetzung von der Dienststelle Löbau erfolgte mit der Begründung, im Raum Berlin sei die kaderpolitische Situation zu stabilisieren. Offenbar rechnete man in zentralen Führungsorganen mit einer möglichen Zuspitzung der Lage - vor allem von Seiten der BRD und Westberlins.
Am Vormittag des 17.6.1953 wurde in unserem Objekt politische Schulung durchgeführt, und ich hatte die einzelnen Gruppen zu kontrollieren. Gegen 10 Uhr bemerkte ich beim Blick aus dem Fenster, daß an einer Baubude eine Losung hing. Auf blauem Tuch stand mit weißer Schrift geschrieben: „Wir streiken!" Ich informierte darüber die Politabteilung der Bereitschaft und erfuhr, daß aus der Stadt Brandenburg ähnliche Informationen eingetroffen seien. Der Politunterricht wurde fortgesetzt, aber nach ca. einer Stunde erhielten wir den Befehl zum Antreten. Der Kommandeur der Bereitschaft unterrichtete uns über Arbeitsniederlegungen und Unruhen innerhalb der Stadt. Wir sollten in den Unterkünften weitere Befehle abwarten. Gegen Mittag wurden wir über tätliche Ausschreitungen informiert. Wir erhielten Befehl, Waffen zu empfangen und bereitgestellte Fahrzeuge zu besetzen. Ausdrückliche Weisung war, die Waffen zu unterladen. Die Anwendung von Schußwaffen ohne Befehl war verboten. Als wir, aufgesessen auf Lastkraftwagen, die Kaserne verließen, waren Zivilisten damit beschäftigt, die an der Außenseite des Kaserneneingangs angebrachte Losung „Der Sozialismus marschiert!" zu übertünchen.
Wegen der durch Menschenansammlungen verstopften Straßen konnten sich unsere Fahrzeuge in der Innenstadt nur im Schrittempo bewegen. Wir wurden mit Steinen und anderen Gegenständen beworfen und als „Ulbrichtknechte" beschimpft. An öffentlichen Gebäuden wurden Fahnen und Transparente verbrannt und in den Schmutz getreten. Da waren keine „streikenden Arbeiter" am Werke, sondern der von Westberlin und Westdeutschland heißgekochte Mob verdeckter Revanchisten und Nazianhänger.
Unser Ziel war das Kreisamt der Volkspolizei. Dort verließen wir die Fahrzeuge und sammelten uns im Hof. Aus den Fenstern des Amtes flogen Aktenordner und Papiere. Im Haus tobte eine unbekannte Personengruppe. Die Volkspolizisten hatten sich in die oberste Etage zurückgezogen und leisteten Widerstand. Vor dem Amtsgebäude lag ein toter Zivilist. An einem Laternenmast hing ein Seil mit Schlinge, und eine größere Menge forderte, den Täter zur Hinrichtung auszuliefern. Angeblich sollte ein Volkspolizist geschossen haben. Unsere Aufgabe bestand nun darin, den Volkspolizisten im oberen Stockwerk Beistand zu leisten, das Haus gleichzeitig von Eindringlingen zu räumen und das Gebäude ringsum abzusperren. Auf den Treppen entwickelte sich ein Kampf Mann gegen Mann. Die Gewalttäter gingen mit Brandhaken und Feuerwehräxten gegen uns vor. Wir versuchten sie mit Gewehrkolben zurückzudrängen bzw. mit Körperkraft zu überwältigen. Dieses Handgemenge dauerte 30 bis 40 Minuten.
Die Festgenommenen befanden sich dann gemeinsam in einem Raum. Mir unbekannte Personen verhandelten dort mit ihnen darüber, daß einer vom Balkon bzw. Fenster aus die draußen tobende Menge zum Auseinandergehen auffordern sollte. Dafür wurde die sofortige Freilassung aller in Aussicht gestellt. Der Aufruf erfolgte, und die Festgenommenen wurden freigelassen. Sie tauchten sofort in der Menge unter, die sich allerdings keineswegs auflöste, sondern sich im Gegenteil immer weiter hochputschte und die Drohungen gegen uns verstärkte.
Unsere Volkspolizisten außerhalb standen Mann an Mann mit quergehaltenen Karabinern. Obwohl die Kameraden beschimpft und mit Gegenständen beworfen wurden, verhinderten sie ein weiteres Eindringen in das Gebäude. Wir Offiziere ermutigten sie zum Standhalten und mahnten, die Schußwaffen nicht zu gebrauchen. Ich sehe noch vor mir, wie ein KVP-Angehöriger der vorderen Reihe unerwartet von seinen angeblich ortsansässigen Eltern zum Mitkommen aufgefordert wurde, „sonst könne er was erleben". Es war nicht zu verhindern, daß er seine Waffe sowie Koppel mit Patronentasche einem anderen Volkspolizisten übergab und seinen Eltern folgte.
Die Menge tobte weiter und schrie: „Was wollt ihr noch? Ulbricht und die Bonzen sind längst nach Moskau abgehauen! Geht nach Hause, ihr habt hier nichts mehr zu verrichten!" Wir hatten keinerlei Informationen. Aber es schien uns unmöglich, daß mutige Widerstandskämpfer gegen den Faschismus nun vor Randalierern und Provokateuren das Feld geräumt haben sollten. Am frühen Nachmittag traf ein Omnibus mit angeblichen Hörern einer Parteischule ein, die sich danach als Agitatoren unter die Menge mischten, um eine gewaltlose Auflösung der Ansammlung zu erreichen. Doch auch dieser Versuch blieb erfolglos.
Gegen 15 Uhr erhielten wir Verstärkung durch sowjetische Motschützen. Sie ordneten sich zwischen uns ein und feuerten Warnschusse in die Luft. Das veranlaßte die Mehrzahl der Leute, den Platz zu räumen, auf dem große Mengen von Schnaps- und Bierflaschen zurückblieben.
Unsere Verpflegungspause war nur kurz, da wir über Unruhen in der Haftanstalt Brandenburg-Gorden sowie in einem Frauenhaftlager informiert wurden und neue Befehle erhielten. Das Einsatzkommando wurde aufgeteilt. Ich gehörte zu denen, die mit der Rundumsicherung des am Stadtrand gelegenen Frauenhaftlagers beauftragt waren. Es bestand aus einem eingezäunten Barackenlager. Die Inhaftierten wurden bereits am 18.6. wieder zur Arbeit in Außenstellen - vorrangig in der Landwirtschaft -gefahren. Danach hörten wir, daß sie wahrend des Transportes von Provokateuren zum Verlassen der Fahrzeuge aufgefordert worden waren, dem jedoch nicht Folge leisteten. Statt dessen sollen sie sogar ihre Bewacher vor den Tätlichkeiten der Randalierer beschützt haben.
In den Abend- und Nachtstunden beobachteten wir Lichtsignale zum Frauenhaftlager, die jedoch von dort nicht erwidert wurden. Nach meinen Informationen wurde die Ordnung in der Haupthaftanstalt Brandenburg ebenfalls kurzfristig wiederhergestellt, indem die Häftlinge - verurteilte Nazi- und Kriegsverbrecher - ihre Rädelsführer auslieferten und die ihnen zugewiesene Arbeit in den Werkstätten wieder aufnahmen. Der Einsatz in der Haftanstalt erfolgte ohne Waffen. Die neuen KVP-Uniformen taten auch ihre Wirkung, denn sie lehnten sich an den Uniformschnitt und die Waffengattungsfarben der Sowjetarmee an.
Offenbar hatten aber die meisten Bürger der Stadt Brandenburg inzwischen erkannt, daß sie von üblen Elementen mißbraucht worden waren. Jedenfalls arbeiteten die bedeutendsten Betriebe am 18./19.6.1953 wieder. Nach meiner Überzeugung wurde die Masse der Werktätigen vor allem durch die sinnlosen Zerstörungen und Gewalttätigkeiten dazu gebracht, den Provokateuren ihre weitere Unterstützung zu versagen.
Wahrscheinlich in den frühen Morgenstunden des 20.6. sahen und hörten wir auf der nach Berlin führenden Landstraße sowjetische Truppen in scharfem Tempo vorbeiziehen. Offenbar wurden sie aus großer Entfernung herangeführt. Nach wenigen Tagen kehrten wir in die Kaserne Hohenstücken zurück. Ich erinnere mich nicht, daß während des vorangegangenen Einsatzes von unserer KVP-Einheit auch nur ein Schuß abgefeuert worden wäre.
Unsere Hoffnung auf Wiederaufnahme des normalen Dienstbetriebes erfüllte sich vorläufig nicht. Ein neuer Befehl schickte uns Ende Juni nach Berlin, wo es um die Ablösung der seit dem 17.6. im Einsatz stehenden KVP-Angehörigen bzw. KVP-Offiziersschüler ging. Wir blieben bis Ende Juli oder Anfang August in Berlin und wechselten währenddessen wiederholt die Abschnitte.
Unmittelbar an der Staatsgrenze war ich mit meinem Kommando in den Abschnitten Brunnen- und Invalidenstraße, S-Bahnstrecke Zentrum-Grünau sowie im Raum Alt-Glienicke eingesetzt. Bereits zu Beginn stellten wir fest, daß das Leben wieder pulsierte. Viele Ostberliner Burger unterstützten uns bei der Aufgabenerfüllung und fügten sich den eingeleiteten Ordnungsmaßnahmen. Der Personenübergang von West- nach Ostberlin wurde durch bestimmte Übergangsstellen gewährleistet. Unmittelbar an den Markierungen der Sektorengrenze sicherten Angehörige der KVP. Am Straßenrand standen in angemessenen Abstanden einzelne gefechtsbereite Panzer der sowjetischen Streitkräfte. Ost- bzw. Westberliner Bürger erhielten bei den an der jeweiligen Sektorengrenze eingerichteten Meldestellen einen zeitlich begrenzten Passierschein und überschritten nach Kontrolle durch die Westberliner Schutzpolizei und unsere VP-Kräfte die Grenze. Vor Mitternacht mußte jeder wieder in seinen Sektor zurückgekehrt sein.
An persönlichen Eindrucken hat sich folgendes erhalten: Die Mehrzahl strömte von Westberlin in den Ostsektor. So mancher Volltrunkene torkelte vor Mitternacht wieder in die Westsektoren hinüber. Bei groben Ordnungswidrigkeiten uns gegenüber forderten wir die Westberliner Schutzpolizisten auf, solche Personen zu übernehmen. Je barscher wir ihnen dazu unsere Befehle hinüberriefen, desto exakter reagierten sie. Dieses Verfahren bewahrte sich auch, als wir die erhebliche Unordnung vor ihren Passierscheinstellen beanstanden mußten. Darüber hinaus wurde von uns der Zugverkehr auf der S-Bahnstrecke überwacht, das hieß: Abfahrt nur nach unserer Zustimmung, Kontrollen in den Waggons und ein Posten neben dem Triebfahrzeugführer.
Wahrend dieses Einsatzes hatte unsere Einheit keine Verletzten. Die von Westberlin aus unternommenen Versuche, unsere Volkspolizisten zur Desertion zu bewegen, verliefen erfolglos. Sie offenbarten sich in allen Schattierungen - von der versuchten Bestechung mit Genußmitteln bis hin zur Porno-Vorführung nackter Frauen am Ufer des Teltowkanals. Auch unser Biwakaufenthalt in Alt-Glienicke sollte durch MPi-Salven vom Westberliner Territorium verunsichert werden.
Nach meiner Auffassung handelte es sich bei den Juniereignissen um einen seitens der BRD mit Zustimmung ihrer Verbündeten unternommenen stufenweisen Interventionsversuch, bei dem man sich auf Westberlin sowie verbündete Kräfte im Zielgebiet stützen wollte. Dafür sprechen alle bisher bekannten Maßnahmen und Fakten, selbst wenn diese nur zum Teil bekannt geworden sein dürften. Zwar versuchten konterrevolutionäre Elemente aus der DDR-Bevölkerung ihre Ziele mit den entsprechenden Methoden zu verwirklichen, aber sie erlangten keine Massenbasis, schon gar nicht in der Arbeiterklasse. Volks- bzw. Arbeiterkräfte beteiligten sich nur stundenweise, in einem kurzen Zeitraum der Verunsicherung, welche durch die ökonomischen Probleme der DDR begünstigt wurde. Das Wüten der nicht selten aus dem Westen eingeschleusten Provokateure und ihrer Handlanger führte jedoch zu einer raschen Ernüchterung. Der „Plan X" zur „Befreiung der Sowjetzone" existierte seit längerem, und zwar ganz offiziell. Es erscheint deshalb berechtigt, daß die DDR und ihre Verbündeten in der Folgezeit eine mögliche Wiederholung dieses Versuchs einkalkulierten und - eine Zeitlang sogar recht erfolgreich - durch entsprechende Entscheidungen zu durchkreuzen suchten.
Günther
Bretschneider
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