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Unreife, Fehler und das braune Gestern

(Buna)

 

1952/1953 waren, so erinnere ich mich, Jahre hoher geschichtlicher Intensität. Wir gehörten zur Generation von Jugendfunktionären, die von der Gründung der DDR geprägt und mit diesem Staat eng verbunden war. Wir standen mitten in den politischen Kämpfen dieser Zeit. Der Beschluß der 2. Parteikonferenz der SED, in der DDR zur Schaffung der Grundlagen des Sozialismus überzugehen, fand unsere begeisterte Zustimmung. Neue Ziele waren abgesteckt, und wir waren bereit, für sie zu streiten. Nicht dieser Beschluß war, wie heute oft behauptet wird, die Ursache für den Juni 1953. Nach meinen Erfahrungen ergaben sich die Druckpunkte aus der Verschärfung des kalten Krieges. Dessen neue Phase war charakterisiert durch die „roll back"-Politik der USA sowie die Einbeziehung der BRD in die strategische Planung der NATO, die mit einer zunehmenden Remilitarisierung einherging. Gleichzeitig wurden die Repressionen gegen fortschrittliche Kräfte verschärft.

Wir diskutierten damals sehr viel über die beunruhigende Entwicklung, und als der FDJler Philipp Müller bei einer Friedensdemonstration in Essen erschossen wurde, empörte uns dies zutiefst. Hinzu kam, daß der Westen die fortschreitende Entwicklung in der DDR durch massive ökonomische Störmaßnahmen zu bremsen versuchte und von Regierungsmitgliedern der BRD die Beseitigung der DDR an einem bald bevorstehenden „Tag X" offen angekündigt wurde. Als nach dem Tod Stalins im März 1953 zunächst politische Unsicherheit herrschte, waren verstärkte Aktivitäten zur Destabilisierung der DDR vorhersehbar. Diese komplizierte Situation erforderte eine Reihe von Maßnahmen in der DDR - z. B. die Schaffung der Kasernierten Volkspolizei (KVP) - die an die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und das Bewußtsein der Menschen außergewöhnliche Anforderungen stellten.

Das im Frühjahr 1953 von Partei und Regierung beschlossene Sparprogramm hatte auch unter den Bunaarbeitern zu heftigen Diskussionen geführt. Vor allem die administrative Normenerhöhung löste Protest aus. Der Wahrheit halber muß gesagt werden, daß im Werk Überbietungen von 130 - 140 % nicht selten waren und die meisten Brigaden immer ausreichend „Stunden im Kasten" hatten. Aber zur Korrektur, noch dazu auf diesem Wege, war niemand bereit.

Ich gehörte damals dem Sekretariat der FDJ-Kreisleitung Buna an. In der Überzeugung, den sozialistischen Aufbau zu verteidigen, vertraten wir standhaft die Sparmaßnahmen. Übrigens wurden in diesen oft sehr heißen Diskussionen keinerlei Argumente gegen die geplante Schaffung der Grundlagen des Sozialismus vorgebracht. Dazu hätte man auch keinen ehrlichen Arbeiter bewegen können. Doch dann kamen die Korrekturbeschlüsse vom 9. Juni, in der die zuvor getroffenen als Fehler bezeichnet und größtenteils zurückgenommen wurden. Viele von uns waren verunsichert, und manche traten danach zunächst nicht mehr auf. Die Stimmung war gereizt und die Parteiorganisationen wie gelähmt. Das gab den DDR-feindlichen Kräfte Auftrieb. Wir bekamen dies in harten Diskussionen zu spüren. Aber in Presse und Rundfunk hieß es, „daß die Mehrheit der Arbeiter die Beschlüsse vom 9. Juni begrüßt." Die Lage wurde schöngeredet, und wir sahen es nicht.

Am 17. Juni 9.50 Uhr ertönte das beim Bau 45 installierte Signalhorn im Dauerton. Mir war sofort klar, daß etwas nicht stimmte, denn die Frühstückspause war längst vorbei. Da ich aus meiner Zeit als Maschinenschlosser den Standort des Signalhorns kannte, gelang es mir und Heinz R., es gegen 10 Uhr wieder außer Betrieb zu setzen. Als wir die Rohrbrücke verlassen wollten, umringte uns eine Gruppe von Arbeitern. Nur dem Eingreifen eines Schmiedes aus meiner ehemaligen Werkstatt C 44 ist es zu verdanken, daß wir nicht tätlich angegriffen wurden. Was war geschehen? Auf dem Weg zur Arbeit - die Buna-Beschäftigten kamen aus Hunderten Orten mit dem Zug, der Straßenbahn und Werksbussen - hatte man über die Ereignisse in Berlin diskutiert und die neuesten Meldungen des RIAS kolportiert. Streiküberlegungen wurden gezielt gestreut und machten die Runde. Um 7.30 Uhr versammelten sich die Arbeiter der Carbidwerkstatt G 32 (Belegschaft ca. 600 Schlosser, Schweißer und Elektriker) und folgten der Aufforderung einiger „Sprecher", zur mechanischen Hauptwerkstatt B 79 (einschließlich der Nebenwerkstätten A 82, A 90 und B 89 ca. 1. 000 Beschäftigte) zu gehen, um dort gemeinsame Aktionen gegen die Normenerhöhung zu beraten. Gegen 8.00 Uhr zogen ca. 200 von ihnen über eine Route, die andere Werkstätten erfaßte (C 44, C 34 usw.) und aus denen sich weitere Arbeiter anschlössen, nach B 79. Dort wurde beschlossen, weitere Werkstätten aufzusuchen und sie zur Teilnahme an einer „Protestkundgebung" in Merseburg zu veranlassen. Da in Leuna die gleiche Losung verbreitet wurde, hatte es offenbar bereits Kontakte dorthin gegeben.

Die Demonstration bewegte sich über die F-Straße zum Haupttor, wo man Funktionäre tätlich anzugreifen versuchte. Danach marschierten 4.000 bis 4.500 Arbeiter - das war ein knappes Drittel der 15.000 Beschäftigten - in Richtung Merseburg. Währenddessen waren die Produktionsanlagen, das Transportwesen sowie die Energie- und Wasserversorgung voll in Betrieb. Auch die Mitarbeiter der Verwaltung, der Labors und die 1.000 Lehrlinge der Berufsbildungsabteilung G 4 nahmen nicht teil, obwohl es in einigen dieser Bereiche heftige Diskussionen sowie Solidaritätserklärungen mit den Demonstrierenden gab. Ich habe beobachtet, daß Arbeiter, die auf dem Werksgelände noch mitmarschiert waren, danach nicht weiter teilnahmen.

Auf dem Weg nach Merseburg veränderten sich die lautstark skandierten Losungen. War es bisher vor allem gegen die Normenerhöhung gegangen, richteten sie sich nun offen gegen Partei und Staat sowie deren führende Funktionäre - als wenn eine neue Order erteilt worden wäre. Losungen und Schaukästen wurden heruntergerissen, Funktionäre tätlich angegriffen. Und als die Bunaarbeiter sich gegen 12 Uhr auf dem Nuhlandplatz in Merseburg mit denen von Leuna trafen, rief man zur Erstürmung des Untersuchungsgefängnisses auf, welche danach erfolgte.

Offenbar hatten die Initiatoren zuvor zeitgleiche Aktionen im Werk vereinbart, denn gegen 11 Uhr drang eine größere Gruppe gewaltsam in die Räume der SED-Kreisleitung ein. Diese befand sich - ebenso wie FDJ-Kreisleitung und BGL - in D 922. Die anwesenden Funktionäre wurden vertrieben, und im Raum 1 bildete sich ein aus folgenden Personen bestehendes „Streikkomitee":

Kurt S., tätig als Schlosser, Elektrowerkstatt A 972, 34 Jahre alt, wohnhaft in Halle, früher Offizier der Kriegsmarine

Fritz W, tätig als Bote, Güterhalle B 76,45 Jahre alt, wohnhaft in Merseburg, früher Mitglied der NSDAP, bis April 1945 leitender Mitarbeiter beim Buna-Werkschutz

Werner D., tätig als Schlosser, Carbidwerkstatt G 32,30 Jahre alt, wohnhaft in Merseburg, früher Mitglied der NSDAP

Rudolf S., tätig als Autoschlosser, A 82,28 Jahre alt, wohnhaft in Merseburg, früher Mitglied der SS-Standarte (Blutgruppen-Nr.)

Franz S., tätig als Meister, Technikum A 82,40 Jahre alt, wohnhaft in Schkopau, Mai 1945 bis 1946 Leiter der SPD-Betriebsgruppe Buna

Dieses selbsternannte „Streikkomitee" war nie von der Belegschaft gewählt worden und kam offiziell auch nicht zum Zuge, da es bereits gegen 13 Uhr von einem Offizier und fünf Soldaten der in Merseburg stationierten sowjetischen Streitkräfte festgenommen wurde. Damit waren die Dinge im Werk zunächst gelaufen, und die Demonstration in Merseburg löste sich am Nachmittag auf.

Auf das Bestehen informeller Gruppen im Bunawerk läßt auch die Tatsache schließen, daß Werksangehörige außerhalb des Betriebes als Organisatoren aktiv waren. So trafen sich in der Nacht vom 16. zum 17. Juni im Milzau (Kreis Merseburg) ein Schichtmeister aus Buna (1934 - 1945 Stahlhelm und Mitglied der NSDAP, Oberscharführer der SA) mit einem Großbauern und weiteren Personen, um einen Aktionsplan für den bevorstehenden „Tag X" festzulegen. Außerdem waren Verbindungen zu anderen Gruppen im Kreis geknüpft worden.

Während Produktion und notwendige Reparaturen im Werk ab 18. Juni weiterliefen, gab es in einigen Werkstätten noch Arbeitsverweigerungen. Wie alle Funktionäre gingen auch wir FDJler in die Betriebe, um mit den Arbeitern bzw. der Jugend zu sprechen. Im Mittelpunkt standen die ursprünglich diskutierten Probleme sowie eine Vielzahl betriebsinterner Fragen.

Der Eindruck relativer Ruhe und Ordnung sollte sich jedoch als trügerisch erweisen. Am 26. Juni nahm ich im Saal B 13 an einer Versammlung von Belegschaftsvertretern teil, auf der Fred Oelßner - Mitglied des Politbüros der SED - zu den Ereignissen Stellung nahm. Es herrschte eine emotional aufgeladene Atmosphäre und kam wiederholt zu tumultartigen Szenen. Vor allem die Wortführer aus den Werkstätten waren im Grunde nicht gesprächsbereit und setzten auf Konfrontation. Eine vom 1. Sekretär der SED-Kreisleitung vorgeschlagene Erklärung wurde nicht angenommen. Als danach die Laborantin Gesell vom Hauptlabor F 17 eine sofortige Freilassung des inhaftierten „Streikkomitees" forderte und Fred Oelßner dies ablehnte, verließ die Mehrheit der Teilnehmer den Saal.

Danach blieb die Stimmung in den Betriebsteilen gespannt. Das Mißtrauen gegenüber den Beschlüssen von Partei und Regierung war noch immer groß. Andererseits gab es Anzeichen einer Differenzierung unter den Arbeitern, und es kam immer öfter zu sachlichen Diskussionen. Mehrfach wurde uns gesagt: „Wenn die Funktionäre sich mehr um die Probleme gekümmert und uns nicht so oft mit leeren Versprechungen abgespeist hatten, wäre es nicht zu dieser Situation gekommen." Dagegen verschlossen sich andere der Diskussion.

Während sich die Verhältnisse in den meisten Teilen der DDR allmählich stabilisierten, kam es in Buna am 15. Juli zu einem weiteren Streik, und erneut ging er von der Carbidwerkstatt G 32 aus. Diesmal organisierte man keine Demonstration wie am 17. Juni, sondern brachte die gesamte Produktion des Bunawerkes durch Unterbrechung der Versorgung mit Calcium-Karbid zum Erliegen. Kräfte aus G 32 waren am Morgen in der Carbidfabrik erschienen und hatten die Arbeiter zur Abschaltung der Ofen bewegt. Das konsequente Auftreten von Fritz Selbmann, Minister für Schwerindustrie, sowie die massive Präsenz von Sowjetarmee und KVP (Panzer und Schützenpanzer vor G 32) bewirkten danach die stufenweise Wiederaufnahme der Produktion ab 19 Uhr.

In der mechanischen Hauptwerkstatt B 79 war es an diesem Tag zum Sitzstreik gekommen, der durch Eingreifen des sowjetischen Kommandanten aus Merseburg beendet wurde. Er hatte ultimativ die sofortige Arbeitsaufnahme gefordert, anderenfalls werde er die Werkstatt räumen lassen. Ich war unmittelbar danach vor Ort und sprach mit FDJ-Mitgliedern. Sie hatten diesen erneuten Streik nicht gewollt, waren aber unter Druck gesetzt worden und mußten ihre Maschinen abschalten. Insbesondere das Eingreifen der Sowjetarmee hatte eine Eskalation verhindert. Da das Werk ein SAG-Betrieb (Sowjetische Aktiengesellschaft) war, schien uns die Präsenz sowjetischer Truppen logisch. Es wurde nicht ein Schuß abgegeben.

Zum Verständnis der Ereignisse ist ein Blick auf die Betriebsgeschichte sowie die damalige Belegschaft des Bunawerkes notwendig. Es war nach der auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP erfolgten Ankündigung Hitlers errichtet worden und hatte 1937 mit seiner kriegswichtigen Produktion begonnen. Die „Betriebsführung" bestand fast ausnahmslos aus NSDAP-Mitgliedern. Die mittleren Kader kamen vorwiegend aus den Stammwerken der IG-Farben, wahrend die zunächst ebenfalls weitgehend „handverlesene" Belegschaft in den Kriegsjahren durch 6.000 zwangsverpflichtete Ausländer aufgefüllt wurde

Als das Werk 1945 in sowjetischen Besitz überging, übernahm die neue Generaldirektion im Interesse einer reibungslosen Produktion alle alten Leitungskader, die sich nicht nach dem Westen abgesetzt hatten. Anstelle der in ihre Länder heimgekehrten Zwangsarbeiter wurden u. a. einige Tausend Umsiedler eingestellt. Viele von ihnen waren nie zuvor Arbeiter gewesen, und auch ihre politische Vergangenheit lag meist im Dunkeln. Beispielsweise arbeiteten mit mir in der Werkstatt C 44 ein böhmischer Sagewerksbesitzer und seine beiden Sohne als „Schlosser". Noch folgenschwerer war, daß im Zuge der „gesellschaftlichen Integration" etwa 2.500 ehemalige aktive Nazis, Staatsangestellte, Wehrmachts- und SS-Offiziere bzw. -angehörige, Justizbeamte, Polizisten, Lehrer usw. als „Arbeiter" ins Werk kamen. Einigen gelang es sogar, in die SED aufgenommen zu werden. Unter den 509 Beschäftigten der Carbidwerkstatt G 32 befanden sich allein 100 ehemalige Angehörige der NSDAP oder SS, Offiziere, Unteroffiziere, Feldwebel sowie Beamte. Hinzu kamen 219 Umsiedler. Von den 634 Beschäftigten der Carbidfabrik gehörten 188 zur erstgenannten Gruppe, und 185 waren Umsiedler. In den übrigen Werkstätten bestanden ähnliche Strukturen.

Vor allem diese Kräfte initiierten die Aktionen oder rissen als „Sprecher" die Führung an sich, um sie in bestimmter politischer Richtung eskalieren zu lassen. Und oft genug zeigten sie dann bei erster Gelegenheit ihres wahres Gesicht. So äußerte beispielsweise ein solcher „Arbeitervertreter" gegenüber Volkspolizisten: „Euch haben wir am 17. Juni zu erledigen vergessen." Ein anderer begrüßte seine Kollegen bei Schichtbeginn mit „Heil Hitler" - er war von 1937 bis 1945 Mitglied der NSDAP gewesen. Und einer, der sich damit brüstete, „von Hitler persönlich ausgezeichnet worden zu sein", wiegelte im Bau D 47 zum Streik auf. Die danach eingeleiteten Maßnahmen zur Auflösung derartiger brauner, restaurativer Kräftekonzentrationen waren nach meiner Auffassung unumgänglich, selbst wenn sie nicht immer streng nach dem Arbeitsgesetzbuch erfolgen konnten.

Mit Sicherheit wurden in Buna und anderswo auch verdeckte Verbindungen westlicher Geheimdienste und diverser „Ostbüros" aktiviert. Es ist naiv zu glauben, daß dergleichen in dieser zugespitzten Phase des kalten Krieges nicht existiert bzw. nur der Information gedient hätte. Und es ist jedenfalls kein Zufall, daß beispielsweise ein in der Werkstatt I 75 beschäftigtes ehemaliges SA- und NSDAP-Mitglied am 17. und 18. Juni hektische Telefongespräche unter dem Decknamen „Berta" führte.

Wir Betriebsfunktionäre übernahmen die Charakterisierung des 17. Juni als „faschistischer Putschversuch" damals aus Überzeugung, da sie sich für uns mit den Fakten deckte. Dagegen wurde diese Einschätzung von den Arbeitern zunächst nicht akzeptiert. Neben dem Versuch zur Verdrängung der faschistischen Vergangenheit war dafür sicher eine Art Selbstschutz ausschlaggebend. Man wollte nicht Kräften auf den Leim gegangen sein, die man eigentlich ablehnte.

Die entscheidende Ursache dafür, daß Buna im Juni/Juli 1953 zu einem Brennpunkt der Ereignisse wurde, sehe ich heute allerdings im Zustand der Partei und ihrer Verbindung zu den Massen. Struktur, Stimmung und Bewußtseinsstand der Beschäftigten wurden nicht realistisch, sondern übertrieben positiv bewertet, die Langlebigkeit des faschistischen Gedankengutes sträflich unterschätzt. Es durfte eben nicht wahr sein, daß das Herz eines Gegners auch unter einer Schlosserjacke schlagen konnte. Hinzu kam, daß in den Jahren zuvor die meisten der zahlenmäßig ohnehin schwachen klassenbewußten und antifaschistischen Kräfte des Werkes in höhere Staats- oder Parteifunktionen abberufen worden waren und an der Spitze der Parteiorganisation ein häufiger Wechsel stattgefunden hatte. Ersatzweise von außen zudelegierte Funktionäre kannten den Betrieb nicht, hatten in ihm keine „Wurzeln" und gewannen nur schwer Autorität.

So führte ein ganzes Bündel von Ursachen dazu, daß die Partei auch nach dem 17. Juni nicht in die Offensive kam und der 15. Juli möglich wurde. Nach massiver Kritik des 15. Plenums des ZK an der Kreisleitung Buna der SED erfolgte die Auswechslung einiger leitender Funktionäre, und in dem beginnenden Veränderungsprozeß wuchs die Offensivkraft der Partei. Bald zeigte sich, daß die eigentliche Basis der konterrevolutionären Kräfte relativ schmal war und die antisozialistische Instrumentalisierung der Ereignisse im Bewußtsein der Bunaarbeiter keine dauerhafte Resonanz fand.

Wir FDJ-Funktionäre hatten in der Mehrzahl standhaft und mit großem Einsatz gekämpft. Deshalb empfanden wir den Vorwurf des 15. ZK-Plenums als ungerechtfertigt, daß wir uns „ungenügend mit den falschen Auffassungen in den Köpfen vieler Jugendlichen auseinandergesetzt und eine allgemeine, ziemlich oberflächliche und kampagnemäßige Arbeit" geleistet hätten. Immerhin war es nicht die FDJ-Basis, die ein „Aufgebot" und eine Kampagne nach der anderen beschloß, auf der Einhaltung starrer Reglements bestand und die unteren Leitungen in diesem Zusammenhang mit immer neuen Berichtsanforderungen „beschäftigte". Derartiger Aktionismus war auch später nur zu Lasten der eigentlichen Erziehungsarbeit realisierbar, und er hat der Jugendorganisation bis zuletzt geschadet.

Für mich und viele andere junge Genossen aus Buna waren die Juni/Juli-Ereignisse 1953 ein prägendes Erlebnis, das unsere politische Entwicklung nachhaltig beeinflußte. In meiner damaligen Grundhaltung fühle ich mich trotz allen „zeitgeistlichen" Mülls auch aus heutiger Sicht bestätigt.

Der Verlauf der Ereignisse in Buna läßt keine andere Einschätzung zu, als daß wir es mit einer konterrevolutionäre Provokation zu tun hatten. Die Ursachen wurden von Bertolt Brecht treffend charakterisiert: politische Unreife der Klasse, Fehler der Partei und Aufbegehren des braunen Gestern. Im Innern der DDR war ein explosives Stimmungsgemisch entstanden. Aber die Lunte wurde von außen gezündet. Denn die Rolle des RIAS in jenen Tagen bestätigt mich in der Auffassung, daß es sich um die erste mediengesteuerte konterrevolutionäre Aktion gegen die DDR bzw. überhaupt handelte. Die bisherigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen werden dieser Tatsache nicht oder nur teilweise gerecht.

Dieter Itzerott


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