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Heimkehr
ins Mansfelder Land
Unsere Familie bewohnte eine Betriebswohnung der A. Riebeckschen Montanwerke AG in Stedten bei Eisleben. Vater arbeitete in einem Bergbaubetrieb und Mutter in der Landwirtschaft. Als Vater trotz seines schlechten Gesundheitszustandes zeitweise in einen weit entfernten Ort zwangsweise dienstverpflichtet war, mußte sie uns vier Kinder allein versorgen.
Im Januar 1945 wurde ich - knapp sechzehnjährig - mit anderen Jugendlichen unseres Ortes nach Eisleben zur Musterung beordert und für tauglich befunden. Danach hatten wir eine Kriegsfreiwilligenerklärung zu unterschreiben. Als der Sohn unseres Bäckermeisters nicht unterzeichnen wollte, sperrte man ihn dafür drei Tage ein.
Am 19. März wurde ich zum Volkssturm nach Bischofrode bei Eisleben im Mansfelder Seekreis einberufen und dort mit etwa 30 gleichaltrigen Jungen im Saal der Gaststätte „Urban“ untergebracht. Unsere Ausbilder waren erfahrene, nach ihrer Verwundung frontuntaugliche Unteroffiziere der Wehrmacht. Außer den normalen militärischen Drill erhielten wir Unterricht in Topographie sowie in der Handhabung des Karabiners (K 98) und des Leichten Maschinengewehres.
Als mich meine Eltern in Bischofrode besuchten, verlangte Vater eindringlich, ich solle die Flucht ergreifen und nach Hause kommen. Man werde mich so verstecken, daß mich keiner fände. Aber bis nach Hause waren es 15 km. Ich hatte Angst, unterwegs aufgegriffen und erschossen zu werden. Deshalb blieb ich in Bischofrode.
Nachdem die amerikanischen Truppen in das Mansfelder Land einzurücken begannen, kam der Befehl um Abbruch des Lagers. Anschließend gelangten wir in einem zwei- oder dreitägigen anstrengenden Marsch über Helfta, Salzmünde, und Delitzsch nach Eilenburg. Unterwegs sahen wir verlassene Flak-Batterien, anderenorts brannten Scheunen oder Strohdiemen, und einmal mußten wir vor englischen Tieffliegern in Deckung gehen. In Eilenburg erhielt jeder außer einer Luftwaffenuniform auch das neue Schnellfeuergewehr (SG 44), obwohl wir daran nicht ausgebildet waren. Ersatzweise fand sich im Kolben eine „Gebrauchsanweisung“.
Am darauffolgenden Morgen sollten wir irgendwohin abtransportiert werden und saßen bereits zu zehnt auf einem fahrenden LKW - der außer uns auch Benzinfässer geladen hatte -, als am Himmel plötzlich englische Lightnings erschienen und die Eilenburger Straßen unter Beschuß zu nehmen versuchten. Wir schrien und schlugen mit unseren Kolben auf das Führerhaus. Der Fahrer stoppte, alle sprangen in voller Ausrüstung ab und verschwanden in den Nebengassen. Nachdem die Lightnings weg waren, mußten wir wieder aufsitzen. Allerdings wurden die LKW wenig später an der Stadtgrenze von „Kettenhunden“ angehalten und in die Kaserne zurückgeschickt.
Tags darauf marschierten wir nach Gräfendorf. Dort wurde aus verschiedenen versprengten Gruppen und Grüppchen - in HJ-, Wehrmachts-, Luftwaffen- und SS-Uniformen - ein neues Bataillon zusammengestellt. Wir gehörten danach zu der bei Belzig stehenden 12. Armee des Generals der Panzertruppen Wenck, die bekanntlich das Vorrücken der Roten Armee nach Berlin verhindern sollte. Sie bestand größtenteils aus halben Kindern, von denen viele noch kurz vor Kriegsende den Tod fanden.
Glücklicherweise blieb unsere Einheit vorerst in Gräfendorf. Uns fiel auf, daß bald danach alle SS-Angehörigen verschwunden waren. (Einen davon mußte mein Ortsnachbar Hans R. auf dem Motorrad bis nach Bayern bringen.)
Wenig später wurde ich für einen Spähtrupp eingeteilt, der die Truppenbewegungen der Amerikaner bei Hohenprießnitz erkunden sollte. Jeder hatte ein Fahrrad, an dem je eine große und eine kleine Panzerfaust befestigt waren. Allerdings ging mein Vehikel auf halbem Wege kaputt. Ich mußte bei unserem letzten Posten zurückbleiben und schließlich nach stundenlangem Warten allein zur Einheit zurückkehren. Glücklicherweise sah ich am nächsten Morgen auch die anderen Mitglieder des Spähtrupps gesund wieder, obwohl sie von Granatwerfern beschossen worden waren.
Tage später lagen wir bei Medewitz. Ich war als Melder einer sogenannten Leiteinheit zugeordnet und hatte meinen Platz vor dem Küchenofen. Die „Stube“ wurde von drei Offizieren bewohnt. Eines Nachts belauschte ich deren Gespräch und erfuhr, daß Hitler sich erschossen habe und nun Dönitz an der Macht sei. Danach wurde bei uns der Hitlergruß durch das alte militärische Zeremoniell ersetzt. In Gesprächen mit anderen Soldaten hörten wir immer wieder, daß Deutschland kapitulieren müsse und man in Gefangenschaft gehen wolle. In dieser Meinung bestärkte uns der verheerende Anblick des alten Truppenübungsplatzes Treuenbrietzen, den wir auf dem weiteren Marsch passierten. Eine derartige Anhäufung von zerstörten Waffen, Fahrzeugen und anderem Material hatte ich bis dahin nicht gesehen. Das Kriegsende konnte nicht mehr weit sein.
Am nächsten Tag tendierte die Stimmung immer mehr dazu, die Truppe zu verlassen und in Gefangenschaft zu gehen. Sämtliche ehemalige „Bischofroder“ schlossen sich dieser Meinung an und marschierten in der folgenden Nacht in Richtung der Elbbrücke Fischbeck-Tangermünde. Auf der östlichen, d. h. der Fischbecker Seite, stauten sich am Morgen - es müßte der 5. Mai gewesen sein - Hunderte vor der Roten Armee flüchtende deutsche Soldaten, um drüben bei den Amerikanern in Gefangenschaft zu gehen. Da die Brücke gesprengt war, wurden wir von Fischern mit Booten bis zur Flußmitte befördert und mußten danach über die teilweise sehr steilen Brückenreste weiterklettern, bevor uns die Amerikaner auf der Tangermünder Seite gefangennahmen. Ich finde es noch heute bemerkenswert, daß diese keinen Schuß auf die am jenseitigen Ufer versammelten deutschen Einheiten abgaben und auch nicht weiter vorzurücken versuchten, obwohl die Rote Armee noch einen opferreichen Kampf um Berlin führte.
Am Abend desselben Tages wurden wir zum Auffanglager Stendal in Marsch gesetzt. Ich hatte den wichtigsten Teil meiner Verpflegung - ein Brot - mit Papierbindfaden auf den Tornister gebunden. Allerdings begann es zu regnen, der Bindfaden weichte auf, und das Brot fiel runter. Als ich es bemerkte, kämpfte ich mich durch die große Kolonne ein Stück zurück - und fand das Brot auch tatsächlich wieder. In Stendal blieben wir nur zwei Tage und wurden dann in Güterwaggons nach Bismarck in der Altmark transportiert, wo 50.000 Wehrmachtsangehörige auf den umliegenden Wiesen hinter dreifachem Stacheldraht untergebracht waren. Am 8. Mai hörten wir über die großen Lagerlautsprecher von der deutschen Kapitulationserklärung. Allerdings wurden wir auch darüber informiert, daß wir nicht Kriegsgefangene, sondern Internierte seien und kein Recht auf Entlassung und Heimreise hätten. Glücklicherweise war der Mai 1945 nicht kalt, denn wir mußten im Freien schlafen, auch bei Regen. Warmes Essen - eine Kelle Möhrensuppe - erhielten wir in vierzehn Tagen einmal. Sonst gab es täglich für je zehn Mann einen Pappkarton voll amerikanischer Trockenverpflegung.
Nachdem wir noch eine große Entlausungsaktion hinter uns gebracht hatten, wurde das Lager bei Bismarck aufgelöst, und man transportierte uns auf LKW nach Magdeburg. Wir kamen im Dunkeln in der zerschossenen und ausgebombten Stadt an. Man konnte durch den Dom in den Himmel schauen. Einige Tage und Nächte verbrachten wir in einer großen Betriebshalle und schliefen zu zehn bis zwölf Mann auf einem Holzrost. Wer nachts mal munter wurde, gab den Befehl „umdrehen“. Danach lagen alle gleichmäßig auf der anderen Seite - mal links, mal rechts. Die Verpflegung war spärlich, und es gab auch keine Tabakwaren. Die uns bewachenden Schotten zündeten sich manchmal eine Zigarette an und warfen sie nach ein oder zwei Zügen weg. Sie hatten ihren Spaß daran, wie gierig sich unsere Raucher auf den Rest stürzten.
Einige Tage später marschierten wir unter englischer Bewachung über Wanzleben und Völpke nach Siegersleben zu einem zweiwöchigen Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft und von dort wieder zurück nach Magdeburg. Hier wurden uns am frühen Morgen des 30. Juni 1945 die Tore nach Hause geöffnet. Tage vorher hatten wir ein entsprechendes Formular ausfüllen müssen. Die Entlassung in meine Heimatgemeinde Stedten, Kreis Eisleben, wurde mir ohne Begründung verweigert. Dies paßte zu dem Gerücht, wonach Gefangene nur in Orte der westlichen Besatzungszonen entlassen wurden. Danach versuchte ich es mit Sandersleben bei Hettstedt - und hatte tatsächlich Glück. Möglicherweise war damals noch nicht endgültig über die Grenzen der Besatzungszonen entschieden.
Mit anderen Schicksalsgefährten machte ich mich also früh 5 Uhr zu Fuß, per LKW und Zug auf den Heimweg und langte gegen 19 Uhr zu Hause an. Die Eltern waren überglücklich und tischten mir aus ihren „eisernen Reserven“ ein tolles Abendbrot auf, das meinen an Hungerrationen gewöhnten Innereien allerdings schlecht bekam.
Trotz meines glücklicherweise nur kurzen „Kriegseinsatzes“ war es naheliegend, daß ich mich unmittelbar danach wie viele meiner Altersgefährten mit der faschistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen begann. Dieser Erkenntnisprozeß wurde nicht nur durch meine eigenen Erfahrungen, sondern ganz entscheidend von den Aussprachen mit antifaschistischen Arbeitern bestimmt. Einige von ihnen hatten dem Hitlerregime aktiv Widerstand geleistet und bekleideten nun verantwortliche Funktionen. Sie gewannen mich und andere Jugendliche für die Gewerkschaftsarbeit und forderten uns zur aktiven Mitarbeit bei der Überwindung des faschistischen Gedankengutes auf.
Außerdem ging es um die Durchsetzung demokratischer Forderungen in unseren Betrieben, die zu dieser Zeit noch Konzerneigentum waren.
Wie überall im Land schloß sich auch die Stedtener Jugend allmählich zusammen und suchte neue Lebensinhalte und -formen. So bereiteten wir im Frühjahr 1946 einen großen Pfingsttanz vor. Eines unserer größten Probleme war dabei die Beschaffung der „Maien“ - d. h. frisch geschlagener Birken - zum Schmücken des Ortes. Die Bäumchen wuchsen im Ziegelrodaer Forst. Für den Transport organisierten wir einen alten LANZ-Bulldogg - ein Rad gummibereift und das andere blankes Eisen. Der Förster bekam eine Flasche Schnaps aus der Braunkohle, und dann konnte das Fällen der Bäume beginnen. Schließlich fuhren wir mit vollem Wagen nach Hause, verteilten die Birken im ganzen Ort und erhielten das erste Geld für unser Pfingstfest. Am Abend folgte dann ein zünftiger Tanz.
Danach fanden in unserem Ort des öfteren Jugendtanzveranstaltungen statt. An einem Wochenende - es war im Frühjahr 1947 - wurde allerdings nichts daraus, denn wir erlebten das seit Menschengedenken schlimmste Hochwasser im Unstrut-Weida-Bereich. Auch unsere sonst so friedliche Weida wälzte sich wie ein reißender Strom durch das Tal, spülte Häuser, Brücken und den Bahndamm weg, wurde zum See und brach in den Tiefbau ein. Sämtliche Schächte wurden geflutet, aber wie durch ein Wunder konnten sich alle Kumpel über die Fluchtwege retten. Als Folge mußte der Untertage-Abbau von Braunkohle für längere Zeit eingestellt werden.
Inzwischen war ich 18 Jahre alt und arbeitete im Lohnbüro der Grubenverwaltung. Neben der anhaltenden Auseinandersetzung mit dem Hitlerfaschismus wandten sich unsere Gedanken immer mehr der Zukunft zu. Viele meiner Freunde wollten wie ich keine Rückkehr zum Kapitalismus, sondern eine neue Gesellschaftsform ohne Krisen und Krieg, Konkurrenzkampf und Arbeitslosigkeit. Wir stellten uns außerdem vor, daß volkseigene Betriebe viel rationeller arbeiten könnten als die kapitalistischen. Und mit der Abschaffung der Ausbeutung müßten auch die Beziehungen der Menschen untereinander neu gestaltet werden. Im allgemeinen merkten wir im Betrieb schon, daß die neuen Leiter „welche von uns“ waren und reagierten wohl auch deshalb auf Rückfälle in Vorgesetztenallüren überempfindlich. So sollte ich einmal die Lohnlisten der Brikettfabrik „Walters Hoffnung“ abholen. Der Betriebsleiter fertigte mich kurz ab und verlangte, ich solle vor der Tür warten. Statt dessen machte ich mich ärgerlich auf den Rückweg in die Grubenverwaltung, und er mußte die Listen hinterherschicken. Allerdings handelte ich mir dafür einen Rüffel ein.
Damit sich Faschismus und Krieg nie wiederholen könnten, wollte ich aktiv am Aufbau unserer friedlichen, besseren Zukunft mitwirken und wurde am 7. Oktober 1947 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Im März 1948 trat ich auch in die FDJ ein und bekleidete in ihr danach verschiedene Funktionen. Im gleichen Jahr besuchte ich die Kreisschule der SED in Eisleben und konnte mich dort zum ersten Mal gründlicher mit dem Marxismus-Leninismus vertraut machen. Ich erinnere mich, daß auch der bereits 1946 veröffentlichte Artikel von Anton Ackermann „Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?“ zu unserem Studienmaterial gehörte.
Mit Betroffenheit reagierten wir Lehrgangsteilnehmer damals auf die Nachricht von einer separaten Währungsreform in den Westzonen. Denn das war der entscheidende Schritt zur Spaltung Deutschlands.
Im Herbst 1948 kam dann Irmgard nach Stedten. Sie war von der Eislebener Kreisreferentin zu uns geschickt worden, um den Kindergarten neu einzurichten. Dieser verfügte im ehemaligen Inspektoren-Wohnhaus des Riebeckschen Gutes über einen einzigen Raum, und der befand sich samt Einrichtungsgegenständen in einem katastrophalen Zustand. Neuanschaffungen waren äußerst schwierig, da das meiste nur auf Bezugsscheine zu bekommen war. Die blondlockige Irmgard schaffte es aber trotzdem irgendwie, unser anfangs recht halsstarriger Bürgermeister fand sich sogar zur Bezahlung bereit, und der Kindergarten konnte neu eröffnet werden. Inzwischen war Irmgard Mitglied unserer FDJ-Gruppe und kurbelte auch da allerhand an; beispielsweise eine Laienspielgruppe, in der sie selbst alle möglichen Rollen übernahm - die junge Dienstmagd ebenso wie das Großmütterchen im Silberhaar. Als der Kindergarten im Winter wieder mal wegen Kohlemangels schließen sollte, spürte sie die richtige Instanz auf und erhielt entgegen jeder Erwartung tatsächlich ein Kontingent bewilligt.
Irmgard wurde meine Freundin, und in unserer FDJ-Gruppe taten wir danach gemeinsam viel für ein interessantes Jugendleben. So führten wir regelmäßige Tanzveranstaltungen in der Gaststätte Boblenz durch und besaßen außerdem eine Laienspielgruppe, eine Tanzgruppe und einen Chor. Unser Heimatdichter Werner Bnony schrieb Laienspiele verschiedener Art, die wir vor interessierten Zuschauern im Ort sowie bei Kreis- und Landesentscheiden aufführten.
Ein großes Erlebnis war die Teilnahme am I. Deutschlandtreffen im Mai 1950. Ich wurde bereits einige Tage eher mit einem Vorkommando nach Berlin geschickt, um die Unterkünfte für einen „Tausenderblock“ aus unserem Kreis vorzubereiten. Das war schon ziemlich anstrengend. Aber nachdem die Jugendlichen ihre Quartiere bezogen hatten, kam ich als Organisations- und Informationsverantwortlicher drei Tage und Nächte nicht zum Schlafen und hatte auch keine Zeit zur Teilnahme an Veranstaltungen. Kurios war, daß die Tagesauswertung und Instruktionserteilung bei den übergeordneten Leitungen stets nachts 2 Uhr stattfand. Keiner kehrte vor 4 Uhr ins Quartier zurück, und dann mußte bereits der neue Tag vorbereitet werden. Aber in der dritten Nacht schlief ich während der Beratung fest ein, legte mich auch nach Rückkehr in meine Unterkunft gleich hin, und keiner durfte mich wecken - nicht einmal meine Verlobte Irmgard.
Während des Deutschlandtreffens fand in Berlin unter Teilnahme zahlreicher bekannter Persönlichkeiten auch der begeisternde Kongreß Junger Friedenskämpfer in der kurzfristig erbauten Werner-Seelenbinder-Halle statt, und ich war einer der Delegierten des Kreises Eisleben. Insgesamt nahmen 8.000 Jugendliche teil, darunter 2.000 aus Westdeutschland. Sie kamen erst nach Eröffnung der Veranstaltung an, da sie vom Bundesgrenzschutz festgehalten worden waren.
Unvergeßlich bleibt mir auch die Großdemonstration am 30. Mai 1950. Von unserer Unterkunft in der Hohenschönhausener Roederstraße ging es zu Fuß zum Alexanderplatz. Und das an einem herrlichen Maientag mit vielen warmen „Huschen“. Eben noch von einer Regenwolke durchnäßt, waren wir kurz danach schon wieder von der Sonne getrocknet. Aber das machte niemandem etwas aus - so prächtig war die Stimmung.
Mein nächstes großes Erlebnis waren die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im August 1951, an deren Veranstaltungen mehr als eine Million DDR-Jugendliche, 35.000 junge Bürger der BRD und 26.000 Delegierte aus weiteren 102 Ländern teilnahmen. Die Jungen und Mädchen der DDR waren vom Westberliner Senat sowie dem Regierenden Bürgermeister Reuter großspurig zu einem Besuch im „freien Berlin“ eingeladen worden. Allerdings kam meine Gruppe nicht mehr in den Genuß dieses Angebotes. Man stoppte uns noch vor dem Brandenburger Tor, weil die zuvor hinübergegegangenen Freunde von der freiheitlichen Westberliner Polizei mit Gummiknüppeln verprügelt und aus Wasserwerfern beschossen wurden. Auch viele Westberliner waren über diese brutale Polizeiattacke empört.
Im Herbst des gleichen Jahres erhielt ich vom Zentralvorstand der IG Bergbau den Auftrag, mit zwei anderen DDR-Gewerkschaftern an einem Jugendkongreß des DGB in Bochum teilzunehmen, obwohl von dort keine offizielle Einladung vorlag. Das war für uns eine aufregende und, wie wir wußten, gar nicht ungefährliche Aufgabe. Aber wir bereiteten unser Begrüßungsschreiben sowie einen Diskussionsbeitrag vor und reisten dann über Berlin zunächst nach Dortmund. Dort hatten wir mit westdeutschen Gewerkschaftern eine interessante nächtliche Diskussion über die Entwicklung in den Bergbaubetrieben der DDR und der BRD. Da die KPD unseren Versuch zur Kontaktaufnahme mit dem Gewerkschaftsjugendkongreß unterstützte, fuhren wir weiter zum Parteivorstand nach Düsseldorf und wurden über Essen nach Gelsenkirchen „weitergereicht“. Hier nahm ich am gleichen Abend an einer Versammlung der KPD-Ortsgruppe teil. Anfangs waren die Genossen sehr reserviert und trauten nicht einmal einem von der Kreisleitung Gelsenkirchen ausgestellten Instrukteurausweis. Aber als ich ihnen dann zum Beweis für meine DDR-Herkunft die Interzonenpapiere zeigte, war der Bann sofort gebrochen, und es wurde über meine Unterkunft beraten. Danach wohnte ich bei einer fünfköpfigen Arbeiterfamilie, die mich sehr gut versorgte.
In den Folgetagen wurde ich von einem Sozialbevollmächtigten der Gewerkschaft zum Gespräch gebeten und außerdem zur Teilnahme an einer FDJ-Versammlung aufgefordert. Die Jugendfreunde wollten von mir viel über die Entwicklung der DDR wissen, und einer stellte die Frage: „Wie habt ihr es geschafft, ohne den Marshallplan auszukommen?“ Aber sie interessierten sich natürlich auch für die FDJ-Arbeit, und ich berichtete ihnen nicht ohne Stolz von unserem Chor sowie der Laienspielgruppe.
Der Einladung zur Zeche Nordstern - einem Steinkohlenschacht - wäre ich besonders gern gefolgt, da ich mir bei dieser Gelegenheit den Abbau unter Tage ansehen wollte. Leider durfte ich dann aber nicht einfahren.
Inzwischen war der Tag des Bochumer Gewerkschaftskongresses und damit der Zeitpunkt für die Erfüllung unserer eigentlichen Aufgabe gekommen. Einige westdeutsche Gewerkschafter nahmen deshalb nun auch Kontakt mit dem Präsidium der Tagung auf. Aber dessen Leiter - ein Herr Maibaum - lehnte den Empfang unserer Delegation kategorisch ab, verlas eine entsprechende Mitteilung an die Kongreßteilnehmer und legte der Bochumer Polizei nahe, uns aufzugreifen. Wir erfuhren dies während des Mittagessens in einem Lokal und verschwanden sofort in getrennten Richtungen. Am nächsten Morgen trafen wir uns in dem vorher vereinbarten Zug wieder und kehrten danach unbehelligt in die DDR zurück. Unser kurzer Aufenthalt im Ruhrgebiet bestätigte, daß die offiziellen Kreise der BRD entgegen allen Lippenbekenntnissen gar keine normalen Kontakte zwischen Ost- und Westdeutschen wollten und bereits den Versuch dazu kriminalisierten. So ist es nicht verwunderlich, daß sie den Großteil ihrer Bevölkerung mit Greuelgeschichten über die DDR irreführen konnten.
Horst
Lange
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