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Ein Zeitungsjunge wird Betriebsdirektor

 Das Licht der Welt erblickte ich Ende März 1922 in einem Gesindehaus der Gemeinde Gosda, Kreis Spremberg. Zwanzig Zentimeter Schnee haben an diesem Tag gelegen, erinnerte sich Mutter. Sie stammte aus einem Dorf in der Nähe von Riga und war im I. Weltkrieg wegen ihrer Ehe mit einem Deutschen in Sibirien interniert worden. Nach Kriegsende kam sie als Landarbeiterin auf dem Gut des Herrn von Seidel in Gosda unter, wo ihr Mann eine Anstellung als Förster gefunden hatte. Er wurde bald darauf durch Blitzschlag getötet, und einige Zeit später lernten sich meine Eltern kennen.

Vater stammte aus Hartha in Sachsen und hatte als Soldat des deutschen Heeres gegen Frankreich in den ersten Weltkrieg ziehen müssen. Danach arbeitete er zunächst als Elektromonteur in den Eintrachtwerken Welzow und später in den Römmler-Werken, wo er auch Mitglied des Betriebsrates war. Nach längerer Arbeitslosigkeit fand er eine Beschäftigung als Diesellokfahrer bei einem Straßenbaubetrieb in Spremberg, erlitt jedoch im Jahre 1928 einen schweren Arbeitsunfall und wurde invalidisiert.

Unsere inzwischen in Spremberg wohnende fünfköpfige Familie geriet dadurch in eine schwere Notlage, welche Mutter durch allergrößte Sparsamkeit, Brötchen- und Milchaustragen sowie die Arbeit als Haushaltshilfe zu meistern suchte. Doch trotz Mutters Unermüdlichkeit und Erfindungsreichtum lebten wir in äußerst bescheidenen und teilweise primitiven Verhältnissen.

Zur Aufbesserung des Familienbudgets übernahm Vater im Jahre 1930 eine Zeitungsbotenstelle. Danach war ich jeden Nachmittag mit dem „Spremberger Anzeiger“ unterwegs. Der Familie brachte das wöchentlich 5 Reichsmark plus 50 Pfennig Trinkgeld ein, aber an spielen war für mich nun kaum noch zu denken. Während ich vor der Druckerei Säbisch auf die Auslieferung der Zeitungen wartete, betrachtete ich meist das Schaufenster der gleichnamigen Buchhandlung. Zeitweilig lag dort ein Roman mit dem Titel „Vom Zeitungsjungen zum Millionär“, und ich überlegte, wie der Zeitungsjunge das wohl gemacht haben mochte.

Mein Vater war Freidenker und außerdem Mitglied der SPD, an deren Veranstaltungen er teilnahm. Ich selbst erinnere mich vor allem an die Weihnachtsbescherungen der SPD-Arbeiterhilfe sowie daran, daß unsere Familie das Mittagessen zeitweise aus der „Volksküche“ holte.

Nach Hitlers Machtantritt hatte Vater Kontakt zu einer kleinen Widerstandsgruppe. Ich begleitete ihn manchmal ahnungslos auf gemeinsamen Spaziergängen mit Freunden, von denen ich heute weiß, daß es dabei um illegale Flugblattaktionen ging. In der Folgezeit führten sein schlechter Gesundheitszustand und die faschistische Propaganda allerdings zu einer gewissen Inkonsequenz und falschen Hoffnungen. Trotzdem prophezeite er mir in einem Streitgespräch während des Krieges, daß die faschistischen Aggressoren geschlagen würden, und er behielt recht. Es schmerzte mich später sehr, nicht noch einmal mit ihm darüber reden zu können, denn er starb kurz vor der Befreiung Sprembergs durch die Rote Armee - ein Jahr vor meiner Heimkehr.

An Kindheit und Schulzeit im „Dritten Reich“ habe ich ähnliche Erinnerungen wie wohl die meisten gleichaltrigen Jungen. Nach Erklärung des Sonnabends zum sogenannten „Staatsjugendtag“ hatten wir einmal wöchentlich statt Schulunterricht vormilitärische Ausbildung. Auch ich wurde der obligatorische „Pimpf“ in Uniform und nahm an einem „Jungvolklager“ teil, wo wir Krieg spielen und den „Affen“ (Feldtornister) packen lernten.

Im Frühjahr 1936 feierte ich außer der Konfirmation auch Schulentlassung und begann danach meine dreijährige Ausbildung an der Preußischen Fachschule für Textilindustrie. Das war eine sehr interessante Zeit, denn die Tuchmacherkunst begeisterte mich zunehmend. An den Nachmittagen konnte ich in der mechanischen Weberei der Schule sogar etwas Geld verdienen und mir davon u. a. ein kleines Akkordeon kaufen. Aber eine unbeschwerte Zeit war es nicht, denn zu viel Unverständliches ereignete sich und ließ allmählich Zweifel keimen. Auch keiner meiner Freunde begriff, warum dem arbeiterfreundlichen jüdischen Schuhhändler Fuchs die Schaufensterscheiben eingeschlagen wurden, weshalb unser Studienrat - ein Reserveoffizier - gelegentlich wichtigtuerisch bemerkte: „Lernt Russisch!“ und wieso bei einer Exkursion zur Schneekoppe gehässige Bemerkungen über die unten im Tal sichtbaren tschechoslowakischen Armee-Einheiten fielen. Und obwohl ich unter dem Einfluß der faschistischen Propaganda an eine „Zukunft wie nie zuvor“ glaubte, schickte ich meine 1939 geschriebene Freiwilligenmeldung zur Wehrmacht nicht ab, sondern begann nach dem Fachschulabschluß als Musterweber in einer Weberei zu arbeiten. Sie produzierte feldgraues Tuch. Ende des gleichen Jahres wurde ich zu Gleisbauarbeiten für die Dynamit-AG in der Westprignitz und anschließend zur Waffenproduktion nach Luckenwalde dienstverpflichtet.

Im Oktober 1942 erhielt ich meine Einberufung zur Flak. Unser Ausbildungsziel war der Einsatz am neuen Geschütz einer „Tropenbatterie“. Aber da das deutsche Afrikakorps zu dieser Zeit vor El Alamein eine schwere Niederlage erlitt, mußten wir an die „Heimatfront“ im Raum Düsseldorf. Hier erlebte ich mehrere Großangriffe englisch-amerikanischer Bomberverbände. Wer sie überstand, konnte sich ein zweites Mal geboren fühlen. Bei einem der schwersten wurde auch unsere Batteriestellung getroffen. Unvergeßlich bleibt mir der anschließende Aufräumeinsatz in den qualmenden Trümmern Düsseldorfs.

Nach einer Beinverletzung und anschließendem Lazarettaufenthalt wurde ich im Zuge der sogenannten „Hermann-Göring-Spende“ ungefragt von der Luftwaffe zum Heer versetzt und in einer Panzergrenadierdivision für den Infanterieeinsatz gegen Panzer ausgebildet.

Mitte Dezember 1944 bezog unsere Sturmkompanie eine Ausgangsposition in der Schneeifel mit dem Auftrag, als Auftakt der Ardennen-Offensive am nächsten Morgen nach Artillerie- und V2-Einsatz ein angeblich nur von wenigen Amerikanern besetztes Dorf zu nehmen. Danach erwiesen sich die Details allerdings als Lüge. Uns standen nicht wenige Amerikaner gegenüber, sondern große Panzerverbände, die durch ein enges Netz von MG-Nestern gesichert waren. Und die deutsche Artillerie schoß erst, nachdem unsere Soldaten bereits durch amerikanische Scharfschützen getötet oder - wie ich - in Gefangenschaft geraten waren. Anschließend konzentrierte sie ihr Feuer auf ein Bauerngehöft, in dem sich die amerikanischen Wachposten mit uns befanden. Dieses Inferno überlebt zu haben, wenn auch verwundet, war meine dritte Geburt.

Anschließend führte mein Weg durch verschiedene amerikanische Lazarette in Luxemburg und Frankreich. Als geheilt entlassen, wurde ich in US-Kriegsgefangenenlagern bei Cherbourg und Le Havre zu Straßenbau- bzw. Steinbrucharbeiten eingesetzt. Anfang 1946 kam ich nach Deutschland zurück, mußte aber zunächst erneut ins Lazarett eingewiesen werden. Von dort ließ ich mich zu einer mir befreundeten Düsseldorfer Familie entlassen.

Natürlich wollte ich nach Spremberg. Aber nicht nur meine Bekannten, sondern auch Düsseldorfer Behördenangestellte bezeichneten das als Selbstmord. Es hieß, die Russen verschleppten alle jungen Männer nach Sibirien. Ich schrieb deshalb an die Mutter, und ihre Antwort war: „Komme sofort!“ Also fuhr ich los.

Unterwegs geriet ich in das Erfurter Auffanglager und wurde in Quarantäne geschickt. Aber Anfang Mai 1946 war ich endlich wieder zu Hause.

Während wohl die meisten Gleichaltrigen ähnliche Empfindungen kennengelernt haben, ist es nicht leicht, Spätergeborenen meine damaligen Gefühle zu beschreiben. Ich hatte sechs Jahre Krieg, Verwundung und Gefangenschaft hinter mir, sah die tiefen Wunden der Heimat und unzählige leidgeprüfte Menschen. Mein Vater lebte nicht mehr, und auch an Mutter waren die sorgenvollen, entbehrungsreichen Jahre nicht spurlos vorübergegangen. Ich betrauerte viele gefallene Freunde und mich quälten Fragen: Warum und wofür dieser Krieg, und wie dauerhaften Frieden schaffen? Trotzdem überwog das Glücksgefühl: Der Krieg ist zu Ende, ich habe überlebt, und es geht endlich wieder aufwärts. Denn der gesellschaftliche Neubeginn war bereits überall spürbar, und bald machte auch ich mir Gedanken, wie er weitergehen und wohin der Weg letzten Endes führen sollte.

Anknüpfen konnte ich dabei an die Erfahrungen der vorangegangenen Jahre, über die ich lange nachgegrübelt hatte. Noch heute sind mir die Eindrücke vom Gefangenentransport durch Frankreich unvergeßlich: schreckliche Verwüstungen in der Bretagne ebenso wie in der Normandie und Soldatenfriedhöfe schier unermeßlicher Dimension. Wenn wir Ortschaften durchfuhren, bewarf uns die Bevölkerung mit Steinen oder bekundete auf andere Weise ihre Antipathie. Doch auch meine Erlebnisse in den Lagern waren lehrreich gewesen. Daß ein US-amerikanischer Posten meine Armbanduhr für sich konfisziert hatte, schien eher eine Kleinigkeit. Aber unbegreiflich blieb mir beispielsweise die Kaltschnäuzigkeit, mit der die amerikanischen Offiziere ihre Verpflegungsreste durch Chlorkalk ungenießbar machen ließen, obwohl die im Lager beschäftigten französischen Arbeiter hungerten. Und wie viele andere „Mannschaftsdienstgrade“ empörte es mich, daß deutsche Offiziere und Unteroffiziere uns gegenüber immer noch als überhebliche Vorgesetzte auftraten und sich skrupellos beim US-amerikanischen Personal anbiederten. So hatte mir meine kritische Bemerkung zur übertriebenen Vorbereitung einer Generalinspektion vierzehn Tage Bunker eingebracht, weil unser Zeltältester, ein deutscher Feldwebel, sie dem amerikanischen Lagerkommandanten meldete.

Nach meiner Heimkehr begann ich nun auch politische Schriften zu lesen und studierte unter anderem die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz sowie die Begründung der Urteile des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses. Sie entsprachen meiner eigenen Auffassung zu den Hauptverantwortlichen des Krieges. Aber ich fühlte mich mitschuldig an dem, was Millionen Menschen durch den deutschen Faschismus angetan worden war.

Mutter hatte nach Kriegsende auf Grund ihrer restlichen Russisch- und Lettisch-Kenntnisse eine Anstellung als Dolmetscherin und Reinigungskraft bei der Roten Armee gefunden. Nun freuten sich die „Russen“ mit ihr über meine Heimkehr. Bereits während der ersten Gespräche schlossen wir Freundschaft miteinander. Also nichts mit Sibirien!

Allmählich prägten sich mir auch neue Ausdrücke und Losungen ein, deren Inhalte ich oft erst nach und nach verstehen lernte. Am meisten interessierten mich der Begriff „volkseigener Betrieb“ und der Spruch „Was des Volkes Hände schaffen, soll des Volkes eigen sein“. Einleuchtend war aber auch der Standpunkt „Mehr produzieren, dann besser leben“. Dagegen konnte ich mit der „Einheit der Arbeiterklasse“, der „führenden Rolle der SED“ oder auch dem „Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ zunächst nicht allzuviel anfangen, aber ich erarbeitete mir insbesondere durch tägliches Zeitungsstudium stufenweise weiteres Wissen. Mit Bestürzung lernte ich das ganze Ausmaß der faschistischen Verbrechen kennen, und besonders großen Eindruck machte auf mich das Beispiel Tausender antifaschistischer Widerstandskämpfer.

Um meinen Erkenntnissen und Gefühlen Ausdruck zu verleihen, schickte ich den ersten Leserbrief an die Redaktion der „Märkischen Volksstimme“. Als er veröffentlicht wurde, empfand ich dies als Anerkennung und Bestätigung meiner Überlegungen. Damals tat ich den ersten wirklichen Schritt aus der alten in die neue Zeit, und ich war mit ganzem Herzen dabei. Denn ich hoffte auf eine Zukunft in Frieden.

Im Juli 1946 hatte ich im Spremberger Textilwerk Arbeit als Weber gefunden, war der Gewerkschaft beigetreten, organisierte mit Begeisterung die erste Betriebswandzeitung und wurde Beisitzer im Kreisarbeitsgericht. Danach erhielt ich die Möglichkeit zum Besuch der Landesschule des FDGB, wo ich mich zum ersten Mal näher mit dem Marxismus-Leninismus befassen konnte. Er half mir sehr, die Ursachen des zurückliegenden Geschehens sowie unsere künftigen Aufgaben besser zu verstehen.

Der Wunsch, anschließend ein Studium an der Textilingenieurschule Zittau aufzunehmen, wurde mir wegen der begrenzten Studienplätze leider nicht erfüllt. Ich kehrte also in meinen Betrieb zurück und lebte fortan sozusagen in einem ersten (bezahlten) und zweiten (ehrenamtlichen) Arbeitsverhältnis. Denn nach Feierabend ging es mit der Gewerkschaftsarbeit - bald auch im Orts- und Landesmaßstab - sowie anderen gesellschaftlichen Aufgaben erst richtig los. Das war zwar ziemlich anstrengend, trug aber viel zu meiner persönlichen Entwicklung bei. Unvergessen sind die zahlreichen menschlichen Kontakte aus dieser Zeit, vor allem mit Genossen der ehemaligen KPD und SPD - teilweise Freunde meines Vaters - die nun in der SED beispielhaft zusammenarbeiteten. Danach fiel mir der Entschluß nicht schwer, ebenfalls Parteimitglied zu werden.

Ein wichtiges Arbeitsinstrument war für uns der Befehl 234 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) über Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität und weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten in Industrie und Verkehrswesen. Auf dieser Grundlage konnten wir wirksamer gegen schlechte Arbeitsdisziplin, Gleichmacherei, Arbeitsbummelei, Sabotage sowie Veruntreuung und Diebstahl von Volkseigentum ankämpfen.

Auch im Kreis Spremberg wurden Volkskontrollen organisiert, und ich erhielt als junger Arbeiter und Gewerkschafter den Auftrag, an der Überprüfung der Materialbestände einiger Textilbetriebe mitzuwirken. Zu unserer Kontrollgruppe gehörte Genosse Oskar Fischer, der damalige 1. Sekretär unserer FDJ-Kreisleitung und spätere DDR-Außenminister. Tatsächlich wurden in einem Privatbetrieb größere Mengen nicht gemeldeter Rohmaterialien gefunden, die offenkundig der spekulativen, zusätzlichen, unrechtmäßigen Bereicherung des Unternehmers dienen sollten. Nach gültigem Gesetz erfolgte seine Inhaftierung und in der Folge lt. Urteil seine Enteignung.

Kurze Zeit später machte man mir den Vorschlag, die Verwaltungsschule der Landesregierung Brandenburg in Beelitz zu besuchen. Der Lehrgang sollte ein Vierteljahr dauern und die Anreise wenige Tage nach meiner Hochzeit mit der Glasmachertochter Inge Balzer (Ostern 1948) erfolgen. Diese Entscheidung fiel uns jungen Eheleuten nicht leicht. Aber schließlich packte ich doch die Koffer, und meine Frau begann allein mit der Einrichtung unserer bescheidenen Spremberger Dachgeschoßwohnung. Bereut habe ich meinen Entschluß nicht, denn das systematische Studium sowie ein vielfältiger Erfahrungsaustausch gaben mir das Rüstzeug für meine späteren Aufgaben.

Danach erlebte ich mit vielen Tausenden begeisterter junger Menschen in Berlin die Gründung der DDR und kehrte von dort mit viel Elan nach Spremberg zurück.

Den hatte ich auch dringend nötig, denn wenige Tage zuvor war ich als Treuhänder für den Textilbetrieb eingesetzt worden, in dem unsere Volkskontrollgruppe seinerzeit die nicht gemeldeten Rohmaterialbestände gefunden hatte. Die Stimmung dort war nicht gut, da sich mein Vorgänger allerhand Unredlichkeiten hatte zuschulden kommen lassen. Danach galt das Mißtrauen der Beschäftigten nicht nur ihm, sondern auch unserem Staat und natürlich nun auch mir, dem „Neuen“. Kurze Zeit später wurde mir eine weitere Treuhandschaft übertragen.

Aber ich fand außer vielen Problemen auch gute Helfer vor, und gemeinsam gingen wir mit großer Leidenschaft ans Werk. Es gelang uns, die Spinnerei- und Webereikapazitäten zu erweitern, die sozialen Einrichtungen zu verbessern und eine beachtliche Kulturgruppe ins Leben zu rufen. Zur Stabilisierung der Energieversorgung wurde eine seit Kriegsende stillgelegte Generatorenanlage wieder in Gang gebracht. Nach der Enteignung des ehemaligen Besitzers wegen Wirtschaftsvergehen entwickelte sich aus dem Treuhandbetrieb der VEB Fortschritt, dessen Arbeiter und Angestellte stolz auf ihre Leistungen waren. Schließlich gehörten die Fortschritt-Weber zu den ersten im Kreis, die zur Mehrstuhlbedienung übergingen. Und das Wichtigste an unseren gemeinsamen Erfolgen war, daß sie nicht durch Administration, sondern tägliche Diskussion und Meinungsstreit in vielen Kollektiv- und Einzelgesprächen erreicht wurden.

Mit diesen guten Ergebnissen delegierte die FDJ mich jungen Betriebsleiter im Sommer 1951 zu den III. Weltfestspielen der Jugend und Studenten nach Berlin. Unbeschreiblich die Stimmung während der vielen Kultur- und Sportveranstaltungen, Freundschaftstreffen und Erfahrungsaustausche mit den vielen Tausenden Teilnehmern aller Nationen und Kontinente! Und welch ein Beweis des Friedenswillens, der Friedenschancen so kurze Zeit nach dem Grauen des II. Weltkrieges! Denn uns alle vereinte gleicher Sinn, gleicher Mut.

Mit dieser ersten Nachkriegszeit endete für mich eine persönliche Entscheidungsphase, die Jahre zuvor begonnen und anfangs vieles offengelassen hatte. Sie führte zu meiner bewußten Teilnahme an einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Denn in ihr sah ich Schlußfolgerungen verwirklicht, zu denen auch ich nach dem Erlebnis des „Tausendjährigen Reiches“ gekommen war.

Zurückblickend werde ich mir bewußt, in welchem Maße dieser gesellschaftliche Wandel auch mich neu formte. Zuvor war ich ein stiller Einzelgänger, Naturschwärmer und Träumer gewesen, der gern die Kunst des Musizierens oder Malens beherrscht hätte. Nun stand ich mitten im politischen Leben, mußte meine Eigenschaften und Fähigkeiten entsprechend den wachsenden Anforderungen auf vielseitige Weise weiterentwickeln und mich in der Kunst üben, die Welt durch den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung verändern zu helfen.

                                                                                                                        Harald Eidam 


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