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Vorwort

Wir freuen uns, dass wir fünf Jahre nach dem ersten nunmehr den sechsten und letzten Band der Reihe "Spurensicherung. So habe ich das erlebt" vorlegen können - den sechsten Band über die Geschichte der DDR von ihrem Anfang bis hin zu ihren Nachwirkungen, erlebt und aufgeschrieben von Bürgern aller sozialen Schichten, die im Banne sozialistisch-, auch christlich-humanistischer Zielvorstellungen in ihrem Umfeld an der Gestaltung dieses Staates aktiven Anteil hatten.

Seine Erfolge waren auch ihre, desgleichen seine schier unlösbaren Entwicklungsprobleme.

Sie erlitten seinen Niedergang und Zusammenbruch, setzten sich kritisch und selbstkritisch mit den Ursachen auseinander und beschrieben jetzt erlebnisbetont, was trotz allem aus diesem Staat produktiv in die Zukunft wirkt oder wirken sollte.

An dieser Reihe beteiligten sich 193 Autoren; an der Autorengewinnung sowie an der Auswahl und Zusammenstellung der Beiträge arbeiteten 17 Redakteure, davon zwei an allen sechs Bänden. Autoren und Redakteure waren auch aktiv am Vertrieb beteiligt.

Niemand von ihnen hat an seiner Mitarbeit einen Pfennig bzw. einen Cent verdient; viele haben, z. T. beträchtlich, zugezahlt.

Hier sollen keine Namen genannt werden. Wir betrachten die Reihe als eine bedeutende Kollektivleistung der "Unabhängigen Autorengemeinschaft".

Wir danken den Lesern, deren wachsendes Interesse diese Reihe erst möglich machte, und unseren Mitstreitern vom GNN Verlag.

* * *

Spuren aus der DDR in die Zukunft - gibt es denn das?

Folgt man der bis heute immer wieder nachaufgelegten gezielten Propaganda und Lehrmeinung, dann war die DDR ein auf der ganzen Breite und von Anfang an ein zu delegitimierender Unrechtsstaat, eine totalitäre Diktatur schlechthin, ein Land der Unterdrückung demokratischer Freiheiten und individueller Persönlichkeitsrechte zu Gunsten eines öden, von der kommunistischen Ideologie drangsalierten Kollektivismus, im Inneren ganz im Griff von machtbeflissenen SED-Funktionären und Stasitätern und an den Staatsgrenzen von Mauerschützen. Was soll da zukunftsträchtig gewesen sein?

Hier ist nicht der Ort, dieses politisch zweckbetonte Zerrbild zu entzerren und durch ein mit wissenschaftlicher Akribie erarbeites reales Geschichtsbild zu ersetzen. Ein Buch wie dieses kann aber durch die Darstellung erlebter Tatbestände und erarbeiteter Erkenntnisse Teileinsichten liefern, sowohl in der Betrachtung des Wertbeständigen von Gestern als auch des nach humanistischen Maßstäben äußerst fragwürdigen und perspektivelosen kapitalistischen Heute.

Harry Nick schreibt: "Das Wissen über den Alltag der Menschen im untergegangenen Gemeinwesen DDR muss unter dem über sie gekippten Müll hervorgeholt werden."

Dazu leisten hier 41 Autoren einen kritischen Beitrag. Sie kommen aus nahezu allen Schichten der Bevölkerung, die meisten leben im Osten und einige jetzt im Westen der Bundesrepublik.

Heute wird von den dominierenden Meinungsmachern, oft entgegen besserem Wissen, gern verschwiegen, dass es in der DDR von Anfang an starke antifaschistisch-demokratische und sozialistisch orientierte Kräfte gab. Sie arbeiteten, geleitet von ihren Idealen, daran, auf der Basis der als sozialistisch verstandenen Eigentumsformen neue, über die bürgerlich-kapitalistische Welt weit hinausweisende gesellschaftliche Veränderungen in Richtung auf Friedenssicherung und soziale Gerechtigkeit in Angriff zu nehmen. Von der SED-Führung teils im guten Sinne gefordert und gefördert, teils durch "stalinistische", mit machtpolitischen Mitteln realisierte Dogmen oder auch durch politisch motivierte Vorgriffe auf noch nicht Herangereiftes behindert (und stets durch die Grenzen der jeweiligen ökonomischen Leistungsfähigkeit der DDR eingeschränkt oder ab der siebziger Jahre gar in Frage gestellt) - betrafen diese Bemühungen die Friedenspolitik, die Sicherheit der Arbeitsplätze (Arbeitsgesetzgebung!), die Sozialpolitik im weitesten Sinne, die Jugend- und Bildungspolitik, Teile der Kulturpolitik, das Gesundheits- und Justizwesen, die Grundtendenz der Landwirtschaftspolitik and vieles, vieles mehr. Alle diese Vorstöße und Veränderungen hinterließen ihre Spuren im Denken, Fühlen und Handeln von Millionen DDR-Bürgern. Es waren und sind ,Spuren in die Zukunft", an denen heute bewusst und spontan die uns bedrückenden spätkapitalistischen Verhältnisse und Entwicklungen immer wieder gemessen werden. Heute sprechen alle, auch viele, die in Politik und Wirtschaft das Sagen haben, vom "Scheitern" des "Aufbau Ost", und der Bundeskanzler beehrt durch seinen Besuch nur noch einzelne, sorgfältig ausgewählte "Inseln" mit Aufbauerfolgen. Bei der Suche nach Lösungen der schier unlösbaren ökonomischen, finanziellen und u. a. auch demografischen Probleme (nach wie vor niedrige Geburtenzahlen, Abwanderung eines großen Teils der potentiell leistungsfähigen Jugendlichen und arbeitslosen Fachkräfte in den Westen) wird schon ganz offen in allen Parteien davon gesprochen, dass man doch von den Leistungen der DDR einiges von dem, was zunächst zerschlagen wurde, den heutigen Bedingungen anpassen und übernehmen könnte. (Und hier und da geschieht das auch schon - meist verstohlen und quasi hinter vorgehaltener Hand.)

So sehen das die meisten Autoren dieses Buches. Und so schreiben sie - Arbeiter, Ingenieure, versierte Landwirte, Erzieher und Lehrer von den (interviewten) Kindergärtnerinnen bis hin zu Universitätsprofessoren, Spezialisten aus dem Gesundheitswesen, Rechts- und Staatsanwälte, Theologen, Religionswissenschaftler und gläubige Christen, ein Kabarettist, ein Kulturfunktionär, ein Militärwissenschaftler, Schriftsteller, Journalisten und andere nachdenkliche Bürger aus verschiedenen Berufen - darüber, welche Erfahrungen und Erkenntnisse sie in dem weiten Bereich des hier skizzierten Generalthemas machten und gewannen.

Alle Beiträge haben eine deutliche Erlebnisbasis und individuelle Handschrift. Erlebnisse können Vorgänge sein, an denen der Autor beteiligt war oder Anteil nahm; aber auch das Gewinnen von Erkenntnissen durch Nachdenken, besonders über Zukünftiges, dessen Aussagen ja Folgerungen aus Erlebtem sind.

Und so finden wir in dem Buch nicht nur unterschiedlichste Persönlichkeitshandschriften, sondern auch unterschiedliche literarische Genres. Der Bogen reicht vom geradlinigen Erzähl- und Berichtsstil über eine Satire, leidenschaftliche Appelle und Bekenntnisse, Gesprächssplitter, bissige Polemiken und sachlich-kritische Beweisführungen bis hin zu Briefwechseln, Kabarett-Texten und zu einem klassischen Vorbildern nachempfundenen Diskussionsdialog, der am Schluss steht.

Wir erheben keinen Anspruch darauf, absolute Wahrheiten zu verkünden. Wir wissen sehr gut, dass andere Menschen andere Erlebnisse mit der DDR hatten und dieses Buch - wenn überhaupt - äußerst kritisch lesen werden. Vielleicht mag man darüber diskutieren, ob das, was wir gefunden haben, wirklich alles in die Zukunft weist. Aber auch diese Diskussion wäre schon ein Erfolg.

Wir bemühten uns im Sinne des folgenden Gedichts um die "ganze Wahrheit" und bedanken uns voller Hochachtung bei den Autoren, die in diesem Sinne schrieben und mitarbeiteten.

Die Redaktion


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