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Silvia Stelzer

Endlich! Die blühenden Landschaften sind da!

Ich schlage die Zeitung auf - frisch und beschwingt. Es macht wieder Spaß, Zeitung zu lesen. 

Seit der Wende im Jahr 2006 - dem Jahr der friedlichen gesamtdeutschen Revolution - sind politische Schreckensmeldungen der Schröder-Regierung verschwunden. 

Die neue Bundeskanzlerin Nina Hagen wird heute den Grundstein für ein Kinder- und Jugendhaus legen, in dem die Kinder kostenlose Freizeitaktivitäten, z. B. Kurse ihrer Wahl nutzen können. Das Haus gleicht einem Palast - mit Theatern, Sporthallen, Clubs, Disco, Bühnen, Restaurants mit zivilen Preisen, Schwimmhalle und überdachter Eislauf-flache. Bundeskanzlerin Nina Hagen hat versprochen, das Haus mit einem Rockkonzert zu eröffnen. Der Erlös kommt der Stiftung "Jugend und Freizeit für alle" zugute.

 So manches hat sich seit Nina Hagens Amtsantritt geändert. Jede Sitzung des Bundestages wird jetzt immer mit einem gemeinsamen Lied begonnen. 

Ihre Wahlslogans lauteten: "Von Nürnberg bis Halle - Arbeit und peace für alle"; "Ob Mama, Kind, Abteilungsleiter - mit Menschlichkeit komm' wir viel weiter". Das klang echt, nicht so aalglatt wie die üblichen hohlen Phrasen. Das hat die Leute überzeugt. Sie waren neugierig auf eine glaubwürdige Politik. 

Zugegeben - einige der neuen Funktionäre müssen sich noch ein bisschen einarbeite

Alfred Biolek, der Bundespräsident, will jeden Politiker überreden, mit ihm zu kochen. Dem ehemaligen Bundeskanzler Schröder fiel (aal)glatt der Fisch aus den Händen, weil er zu schleimig war. Tja, richtig zupacken, wäre besser ...

Und der neue Außenminister, Günther Jauch, muss die Sicherheit auf diplomatischem Parkett noch üben. Fragte er doch neulich den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Arnold Schwarzenegger, welches deutsche Unternehmen für ihn das erfolgreichste sei. "Ist es a) BMW, b) Siemens, c) Bayer-AG oder d) TELEKOM? Möchten Sie einen Joker setzen?" Schwarzenegger konnte auch ohne Joker antworten.

Mit einem Augenzwinkern konterte der Präsident: "Come in zur 16000. Frage: How viel time are you brauching for a Gesetz zum cleaning of german Sprache?" 

Der Außenminister nutzte den Telefonjoker und rief Ulrich Mühe an, um ein Gesetz zur Erhaltung der deutschen Sprache zu veranlassen. Seit Ulrich Mühe Kulturminister ist, fegen Tänzer und Schauspieler über Bühnen, deren Bretter - die die Welt bedeuten - längst verstaubt waren ... 

In der Riege der Bundeskanzlerin gibt es einen Ministerposten mehr - Carmen Nebel ist Ministerin für ostdeutsche Fragen. Sie arbeitet eng mit Friedrich Schorlemmer zusammen, der das "Komitee zur Wahrung der Ostkultur" leitet. 

So manche soziale Maßnahmen der DDR erfahren nun eine Wiedergeburt. 

Das Kind meiner Nachbarin besucht z. B. den neuen Betriebskindergarten der Firma Siemens. Dazu wurde das Unternehmen verpflichtet. Jeder größere Betrieb muss künftig einen Sozialplan vorlegen - Quotenplan für Frauen, Karriereplan für Behinderte, ein vorgeschriebenes Kontingent an Lehrstellen und Arbeitsplätzen, großzügige, kostenlose Weiterbildungsmaßnahmen, Freistellung für Kur- und Gesundheitsbetreuung, kulturelle Angebote und kostengünstige Urlaubsplätze. 

Da bekamen die Mitarbeiter in den Chefetagen das große Schlucken. Managerposten gibt es nicht mehr. Neue Ideen oder, wie man jetzt sagt, Innovationen werden per Wettbewerb entwickelt und großzügig prämiiert. Aufsichtsräte gehören der Vergangenheit an. Mit ihren Gehältern wurde finanziert, dass alle Angestellten und Arbeiter im Osten 100 Prozent des Westniveaus bekommen.

Leider reichen die Betriebskindergärten nicht aus. Seit kurzem werden die Kindereinrichtungen, die bis 2006 massenweise als Bauruinen verwahrlosten, wieder rekonstruiert. In einigen hört man schon wieder quirliges Kindertreiben. 

Übrigens heißen sie jetzt wieder Kindergarten - nicht mehr wie der sprachliche Krüppel: Kita!

Es gibt wieder ein Bildungs- und Erziehungsprogramm. Nach vorgegebenen Standards werden die 3- bis 7-Jährigen auf die Schule vorbereitet. Das gehobene Niveau schlug sich doch tatsächlich bei der neuen PISA-Studie nieder. Deutschland war auf dem ersten Platz vor Finnland! 

In ganz Deutschland drehen sich die Kräne für neue Kindergärten, moderne Schulen, Jugend-Freizeitzentren, Kulturhallen und Sporteinrichtungen. Schließlich muss sich Deutschland auf ein starkes Geburtenwachstum einstellen. 

"Schuld" daran sind die sozialen Maßnahmen, wonach junge Eltern wieder wie in der DDR gefördert werden. 

Es gibt wieder 1 000,- bei der Geburt eines Rindes, frisch Verheiratete bekommen eine zinslosen Ehekredit von 5 000,-. 

Nach der Geburt dürfen junge Muttis bei fast vollem Gehalt ein Jahr zu Hause bleiben. Sie genießen Mutterschutz - d. h., ihr Arbeitsplatz ist für ein Jahr sicher. Für alle gesundheitlichen und sozialen Fragen, z. B. beim Stillen, dem Gedeihen des Kindes oder bei Wohnungsproblemen werden junge Eltern ein Jahr lang von der Mütterberatung begleitet. 

Mutter-Kind-Kuren werden großzügig gewährleistet. Nach dem Babyjahr steht jedem Kind ein Krippenplatz zu. Das war zu Honnis Zeiten leider nicht immer so - oft musste man warten oder eine Krippe in Kauf nehmen, die weit entfernt war. 

Aber heute ist dieses Problem dank einer großartigen Ministerin für Frauen und Karriere - Angela Merkel - gelöst. Frau Merkel erinnerte sich, wie sorglos sie in der DDR aufgewachsen war und wollte dieses Glück allen Jungen und Mädchen in Deutschland zu Teil werden lassen. 

Neulich hat Frau Merkel sogar einen Frauenkongress im Palast der Republik einberufen. (Bundeskanzlerin Nina Hagen persönlich hatte sich für den Erhalt dieses beliebten Gebäudes eingesetzt.) 

Der Kongress war ein voller Erfolg - nicht zuletzt deshalb, weil das Ambiente des Palastes zum Gelingen beitrug. Da der Palast der Republik, inklusive seinem Namen ins Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde, konnte das Gebäude in kurzer Zeit originalgetreu wieder hergerichtet werden. Nur das Wappen der DDR wurde nicht wieder angebracht. Es liegt in einer Dauerausstellung im Zeughaus. 

Die braunen Scheiben des Palastes strahlen wieder. Ebenso die Kugellampen, weswegen der Palast auch "Erichs Lampenladen" genannt wurde. Geht man die marmornen Eingangsstufen hoch, steht man vor dem "Herzen" des Gebäudes, der etwa 2 m hohen grünen Glasblume. Kuschlige Sitzgarnituren auf den riesigen Fluren laden wieder zum Verweilen ein. An den Wänden hängen riesige Gemälde von zeitgenössischen Künstlern - damals z. B. von Willi Sitte. Über Willi Sitte, der für das Darstellen von korpulenten, fleischigen Arbeiterinnen bekannt war, kursierte der Witz. "Lieber vom Leben gezeichnet, als von Willi Sitte gemalt". Heute erhalten junge Künstler aus aller Welt die Möglichkeit, ihre Arbeiten auszustellen. 

Es gibt große und kleine Säle, eine Bowlingbahn, mehrere Cafes (der Erdbeermilchshake in der Milcheisbar ist nach wie vor legendär!). 

In mehreren Restaurants kann man wie früher aufs Beste speisen. Das Geschirr, das Besteck und die Gläser tragen wieder ein niedliches Signum. (Etliche Besucher nahmen sich früher Teile als "Souvenir" mit nach Hause.) Abends gibt es wieder Live-Musik in den Restaurants und die Disco ist wie zu alten Zeiten immer gerammelt voll. 

Im Februar jeden Jahres stand man sich die Beine in den Bauch, um an Karten für das Festival des politischen Liedes im Palast der Republik ranzukommen. Das war für sieben Tage wie ein Guckloch in die große, weite Welt. Gruppen aus aller Herren Länder sangen Lieder über den Frieden im engen und weiten Sinne. Die Stimmung war immer ausgelassen und fröhlich. 

Wenn afrikanische Gruppen ihre traditionelle Musik spielten, wurde spontan dazu getanzt. Einmal war beim Konzert eine deutsch-türkische Gruppe namens "Yarinistan" = Halbmond. Der Frontmann der Gruppe sagte so sinngemäß: "... und eure Bonzen, die können draußenbleiben." Was der Frontmann allerdings nicht wusste - die vielen Bonzen, angefangen von Eberhard Aurich (der damalige Vorsitzende der Freien Deutschen Jugend), bis zu Egon Krenz saßen ganz vorn in der ersten Reihe!!! Ein Raunen ging durch den Saal. Ich weiß bis heute nicht, ob das Zustimmung oder Ablehnung bedeuten sollte. Das Konzert wurde vom Fernsehen aufgenommen. Diesen Beitrag haben sie rausgeschnitten. 

Heute beginnt das Festival erneut im großen Rahmen. Nur heißt es jetzt: "Lieder mit Grips - worldwide". 

Oh, schon so spät! Dann lese ich die Zeitung eben später weiter. Ich muss meinem Sohn noch Badesachen fürs Ferienlager kaufen. Er fährt in das Ferienlager der Deutschen Telekom. Alle großen Unternehmen wurden verpflichtet, eine Urlaubsoase für "ihre" Kinder zu errichten. Wem haben wir das wieder zu verdanken? Richtig! - unserer neuen Ministerin für Frauen und Karriere. Frau Merkel legte kürzlich einen Freizeit- und Erholungsplan vor, den es bisher noch nie gegeben hatte. Na ja, nicht ganz - in der DDR vielleicht. Kinder können wieder in Betriebs- u. a. Ferienlager geschickt werden. In 14 Tagen können sich die Kinder wieder für 15,- rund und satt essen und tolle Abenteuer erleben. 

Das heißt, die Kiddy's hängen nicht wochenlang auf der Straße rum. 

Urlaubs- u. Erholungsreisen für Familien kosten bei voller Verpflegung 150,-. 

Der Unterschied zu damals ist, dass Reisen nicht nur ins "sozialistische Ausland" (Polen, Sowjetunion, CSSR, Bulgarien, Rumänien, Ungarn) gehen, sondern man kann weltweit buchen. Dann wird's natürlich teurer, aber dank der staatlichen Subventionen kann es sich nun auch eine vielköpfige Familie leisten, ins Ausland zu fliegen. 

Seit der "neuen Wende" lebt es sich richtig gut im vereinten Deutschland. Die Bürger aus den alten Bundesländern belächeln uns nicht mehr von oben herab. Sie genießen die sozialen Maßnahmen und finden die DDR mit einem Male gar nicht so schlecht.

 Brrrrrr... der Wecker! 

Schweißgebadet wache ich auf. Puh, was habe ich wieder für einen Mist geträumt! 

Vignetten: Lydia Stelzer


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