vorhergehender Beitrag |
Roswitha Schneider
Mein Leben als alleinerziehende Mutter in der DDR und was davon für heutige Mütter erhalten bleiben sollte
Mein Weg ins Leben begann in einem von ständigen Luftangriffen heimgesuchten und später hart umkämpften Berlin.
Nach dem Kriege wuchs ich allein mit Mutter und Großmutter in einem männerlosen Haushalt auf, was damals ja nicht so selten war. Die Mutter absolvierte ein Studium als Neulehrer und half, die "neue Welt" mit aufzubauen.
Mit der Großmutter ging ich Trümmer beräumen und Steine klopfen oder ich war dabei, wenn sie für Freunde und Nachbarn stundenlang an der Nähmaschine saß, um aus alten Kleidern, meist Männersachen, schicke Modelle im "Patchwork-Look" zu fertigen. Ganz nebenbei erlebte ich so ein Stück deutscher Geschichte. Später, als bei vielen Freundinnen wieder "Väter" in den Familien auftauchten, nahm ich mir ganz fest vor, niemals ein Einzelkind in die Welt zu setzen und vor allem, meinen Kindern einen Vater zu gönnen.
Als ich dann in dem Alter war, wo es nach DDR-Maßstäben Zeit wurde, eine Familie zu gründen, machte ich diese Vorsatze wahr. Ein Jahr nach Geburt meines zweiten Kindes schaffte ich die Zulassung zum Hochschul-Fernstudium und war sehr glücklich, nun bald auch meine berufliche Entwicklung meinen Wünschen gemäß zu gestalten.
Kurz danach wurde uns eine komfortable Neubauwohnung zugewiesen - leider AWG (Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft) - für die Anteile zu zahlen und Stunden zu leisten waren.
Außerdem betreute ich noch eine Kabarettgruppe und war dabei sehr erfolgreich. Eine Zeit lang lief alles sehr gut, dann aber ging unsere Ehe in die Bruche. Vielleicht ja auch deshalb, weil mein Mann sich mit seiner Rolle als "gleichberechtigter" Ehepartner nicht anfreunden konnte, denn er hatte es zu Hause ganz anders erlebt. Erkennbare andere Grunde gab es nicht, es ging immer fröhlich und ausgelassen zu und all die vielen Aufgaben unter einen Hut zu bringen fiel mir nicht schwer, weil ich das alles nicht missen mochte - auch nach der Scheidung noch.
Meine Woche sah ungefähr so aus: 5:30 Uhr Aufstehen, Frühstück machen, Stullen schmieren, Kinder in die Schule und Kindergarten bringen.
Montags, alle zwei Wochen auch dienstags, zum Zug rennen, Seminare in Leipzig mit Tests und Klausuren. Abends zurück, mit hoffentlich pünktlichem Zug, andernfalls atemloses Gehetze. Kinder abholen, kurze Atempause in der Eisdiele, jeder erzahlt von seinem Tag. Dann Abendbrot, Haushalt, Hausaufgabenkontrolle, Kinder ins Bett bringen. Mittwochs Kabarett, an den anderen Tagen lernen, lernen! An seminarfreien Tagen Besprechungen, Telefonate, Dienstreisen, Berichte - wahrend der Seminartage blieb die Arbeit liegen. Samstags Wasche, Hausputz, nachmittags dann mit den Kindern ins Kino oder ein Museum.
Sonntags AWG-Stunden ableisten (mit den Kindern) oder Ausflug in den Zoo oder den nahen Stadtwald. Bei Abendveranstaltungen oder Dienstfahrten schnell noch zu den Nachbarn, damit sie bei den Kindern einspringen.
Ganz selten noch gab es Ausflüge mit meinem Mann - nie ohne mich, das wollte er so. Manchmal eine gemeinsame Urlaubsreise. Für die Kinder war er "ganz nett, aber nicht so wichtig". Auch die Unterhaltszahlungen hielten sich in Grenzen, aber wir schafften es auch mit meinem Verdienst.
So oft es ging, nahm ich die Kinder zu Veranstaltungen mit, und einige Kollegen, auch Nachbarn, gehörten schon fast mit zu unserer Familie.
In den Ferien wurde grundsätzlich verreist. Wenn wir genug gespart hatten, fuhren wir zu unseren sozialistischen Nachbarn, sonst mit dem FDGB, dem Feriendienst der Gewerkschaft, in eine schöne Gegend.
Im Sommer fuhren die Kinder ins Betriebsferienlager und kamen immer gut erholt und vergnügt, angefüllt mit schonen Erlebnissen zurück. Mit 15 Jahren fuhren sie dann mit ihrem Klassenlehrer in ein Lager für Arbeit und Erholung ins Obstanbaugebiet. Es lag an einer alten Burg und nachmittags konnte man segeln, reiten oder im See baden.
Sehr wichtig war mir trotz allen Zeitmangels die Arbeit in den Elternvertretungen. Wir unterstützten Familien mit Bettnässern und anderen Verhaltensstörungen, organisierten Lernhilfen, bereiteten Klassenfahrten vor, nahmen Einfluss auf die Qualität des Schulessens und organisierten eine "Patenbrigade", die den Kindern Einblicke in ihr Berufsleben gab, mit ihnen Schulerdiskos organisierte und schulische Veranstaltungen finanziell unterstutzte. Dank des verständnisvollen und hilfsbereiten Verhaltens von Nachbarn, Kollegen, Erzieherinnen und Lehrern, aber auch, weil mir meine Chefs immer wieder Mut machten, konnte ich alle diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen - Spuren meines Wirkens hinterlassen. Wahrscheinlich auch, weil ich all diese Dinge mit viel Freude machte und weil zum Arbeiten auch viele Feste gehörten, die im Kollektiv das Alleinsein leichter machten. #
Acht Jahre später heiratete ich wieder und vergrößerte die Familie um eine Tochter, deren Aufwachsen zu großen Teilen in die Nachwendezeit fiel.
Ich war unfreiwillig öfter einmal nur "Hausfrau und Mutter" und konnte das Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland in vollen Zügen genießen. Auch später bei meinen Enkeln konnte ich eine Schule beobachten, deren wichtigste Aufgabe darin zu bestehen scheint, den Kindern die Lust auf eigene Erkenntnisse abzugewöhnen und mit dem "Nürnberger Trichter" unsortiertes und nicht anwendbares Wissen in sie hineinzuschütten.
So sah ich meine wichtigste Aufgabe darin, dem entgegen zu wirken.
Dabei, und auch bei der manchmal diskriminierenden Arbeitsplatzsuche, half mir das Selbstbewusstsein, das ich als alleinerziehende Mutter in der DDR erwarb, sehr.
Ich weiß sehr genau, dass ich im kapitalistischen deutschen Staat niemals einen akademischen Grad erworben hatte - als das Kind einer alleinerziehenden Mutter aus ärmlichen Verhältnissen und später selbst ohne Mann und familiäre Unterstützung.
Wenn ich das Leben meiner Kinder betrachte - die Männer ständig für ihre Arbeitgeber einsatzbereit und (unfreiwillig) viel zu wenig für ihre Kinder da - und die Mutter (ebenso unfreiwillig) zu Hause am Herd und dadurch ferngehalten von wirklicher Lebenskenntnis und um wichtige Erfahrungen gebracht, die sie ihren Kindern vermitteln konnten, z. B. um die Erfahrung, im eigenen Leben oder gar in diesem Land etwas bewirken zu können, dann habe ich oft einen Zukunftstraum.
So könnte es sein!
Es ist ein herrlicher Herbsttag, die Sonne lasst die Bläter golden leuchten, ein sanfter Wind streichelt mich und leichter Hochnebel lässt die Konturen der umstehenden Hauser weicher erscheinen. An diesem Tag kann das Leben nur schon sein. In aller Ruhe kann ich meine Arbeit zu einem thematischen Abschluss bringen, ganz ohne den Gedanken im Hinterkopf: "Dein Kind wartet auf dich."
In dieser Woche nämlich hat der von mir getrennt lebende Vater meiner Kinder den so genannten "Kinderdienst". Er verlässt bereits mittags sein Büro, holt die Kinder ab und geht mit ihnen in eine Gaststätte mit familienfreundlichem Ambiente und genau solchen Preisen.
Dann gehen die drei in den Schulhort, in dem auch Eltern gern gesehen sind und mit ihren Erfahrungen zur erlebnisreichen Gestaltung des Schulalltages, u. a. auch zur hauswirtschaftlichen Erziehung oder aber zur Arbeit von Interessengemeinschaften für Naturwissenschaften, Sprachen oder Geschichte beitragen können.
In der kommenden Woche werde ich dann dasselbe tun. Zu diesen Freistellungen sind alle "Arbeitgeber" verpflichtet. Die Verdienstminderung können beide Elternteile verkraften, weil über das Kindergeld ein Ausgleich erfolgt. Auch für den "Arbeitgeber" lohnt sich diese Regelung, denn natürlich können wir mit viel mehr Einsatz und Motivation unserer Arbeit nachgehen.
Nach Arbeitsschluss hole ich die "Familie" dann von der Schule ab.
Wir bummeln noch ein wenig durch den Park, toben mit den Kindern, stimmen gemeinsame Maßnahmen ab, um den Kindern die nötige Grundlage für eine harmonische Entwicklung zu geben.
Daheim bereiten alle zusammen das Abendbrot, bringen die Kinder zu Bett, Papa erzählt noch eine lange Geschichte, bevor er sich von uns verabschiedet, um nach Hause zu gehen - für mich bereits Zeit zum Entspannen, Lesen, Fachliteratur studieren -und am nächsten Tag erholt und leistungsfähig zu sein.
Davon profitieren am Ende auch wieder meine Kinder.
Eine vielseitig informierte, selbstbewusste und geachtete, aber nicht ständig überforderte Mutter kann auch leistungsfähige, kommunikations- und demokratiefähige Kinder erziehen, die der Gesellschaft später nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern ihre gesamte schöpferische Persönlichkeit zur Verfügung stellen.
So könnte(!) es sein, aber Globalisierung und zügellose kapitalistische Ausbeutung, ohne Verantwortung für die Zukunft, lassen dies nicht zu.
Der geneigte Leser wird leicht erkennen, es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem erträumten Leben einer alleinstehenden Mutter und dem von mir in der DDR erlebten Alltag.
Und dennoch enthielt dieses Leben schon alle Ansätze für ein Familienleben, wie sicher viele Mütter es erträumen. Ich wurde nicht über meine Rolle als alleinerziehende Mutter definiert, sondern als Mensch, der alle seine Fähigkeiten nutzen kann und die gleichen Rechte und Pflichten hat, wie andere auch.
Ich musste mich nicht in die finanzielle Abhängigkeit von einem Mann begeben oder, was auch nicht weniger schlimm ist, von Sozialleistungen!
Jeden Tag meines Lebens konnte ich meine Familie aus eigener Kraft unterhalten und auch selbst über die Verwendung meines Geldes entscheiden.
Ich konnte mein Leben frei, entsprechend meiner vorhandenen Fähigkeiten, gestalten, ganz ohne soziale Ängste oder Beschränkungen durch die soziale Herkunft. Das wiegt viele Mühen und auch den ständigen Spagat zwischen familiären Pflichten einer Mutter einerseits und der Selbstverwirklichung in der Arbeit und dem kulturellen Leben andererseits bei weitem auf.
Kurz, die DDR ermöglichte mir als Frau und Mutter ein Leben in Würde, mit hohem Sozialstatus und gab damit meinen Kindern auch ohne Vater eine gute Basis für die Erziehung in der und durch die Familie.
Quellen der Zukunftsvision: Hildegard Macha, "Familienerziehung - Wandel und Perspektiven" in "Brennpunkte der Familienerziehung", Hildegard Macha/Lutz Mauermann (Hrsg.), Deutscher Studien Verlag, Weinheim 1997
vorhergehender Beitrag |