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Klaus Huhn

Woher Geld für den SPORT nehmen?

Dieses Buch ist ein löbliches Vorhaben: Bewahrenswertes zu Papier zu bringen, dient immer der nachfolgenden Generation. Was den DDR-Sport angeht, muss die Frage allerdings Bedenken auslösen.

Ich werde versuchen, das an einem Beispiel darzulegen. Es muss 1992 gewesen sein, als man mich in die Universität Potsdam zu einem Zeitzeugengespräch lud. Versichert worden war, dass man just im Sinn hatte, was der Titel dieses Buches verspricht: Spuren aus der DDR in die Zukunft. Mir gegenüber saßen Prof. Teichler, der sich gern rühmt, die Geschichte des DDR-Sports aufzuarbeiten - was übrigens lange sehr gut honoriert wurde - und ein gewisser Giselher Spitzer, damals wohl noch Dozent in dem Institut für Zeitgeschichte des Sports. Man schaltete ein Tonbandgerät ein und begann Fragen zu stellen. Sachliche Fragen zunächst. Dann bellte Spitzer: „Und wo sind die Akten der Sportjournalistenvereinigung?"

Ich antwortete wahrheitsgemäß: „Wir hatten kaum welche, weil wir uns nicht mal eine Sekretärin leisten konnten."

Spitzer blaffte: „Die werden wir bei Gauck schon finden."

Ich ließ meine Gesprächspartner wissen: „Noch so ein Intermezzo und ich verschwinde grußlos."

Warum ich das hier niederschreibe? Weil ich deutlich machen will: Es lag gar kein Interesse vor, Spuren der Vergangenheit zu suchen. Der Auftrag lautete: Delegitimierung der DDR!

Ich fahre bei meinem Beispiel fort: Die Sportjournalisten der DDR trafen sich jährlich zu einer Versammlung. Wer kommen wollte, kam, die anderen blieben weg. (Ja, so etwas gab es in der DDR!)

Bei der Versammlung wurde der jährliche Sportjournalistenpreis verliehen, den die Gesellschaft zur Förderung des olympischen Gedankens in der DDR gestiftet hatte. Es waren - wenn ich mich recht erinnere - 300 Mark. Aber deshalb kam man nicht zusammen. Das Hauptthema war meist der Breitensport. Man muss auch heute keinem Sportjournalisten sagen, was er zu einem Boxkampf sagen oder schreiben soll, aber komplizierter ist es schon, den Breitensport in die Medien zu bringen.

Heutzutage wird als erstes nach den Quoten gefragt, damals war das Thema: Wie könnten wir noch mehr Menschen für den Sport gewinnen?

Ein Erfurter Kollege hatte da jedes Jahr neue Einfälle. Ein Jahr stieg er schmunzelnd aufs Rednerpult und verkündete eine neue Losung „Eile mit Meile". Dafür hätte man heute bei einer Werbeagentur ein Vermögen hinblättern müssen. Der Erfurter lieferte sie umsonst - nur dem Sport zu Liebe.

Einmal diskutierten wir, wie man die Arbeit der Übungsleiter unterstützen könnte und jemand hatte die Idee, künftig bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften bei Siegern aus der DDR den Namen des ersten Übungsleiters zu nennen, der Frau also oder des Mannes, der dieses Mädchen oder diesen Jungen für den Sport gewonnen hatte.

Das war kein Parteibeschluss, kein Befehl des MfS, sondern eine Entscheidung der Sportjournalisten, die sich zum größten Teil auch daran hielten. Es leuchtete ihnen ein, dass diese Methode helfen könnte, das Ansehen der Übungsleiter zu steigern und demzufolge mehr Übungsleiter für diese mühsame, aber ruhmlose Tätigkeit zu gewinnen. Als man mich bat, einen Beitrag für dieses Buch zu liefern, begann ich darüber nachzudenken, was wohl geschehen würde, wenn man einen solchen Vorschlag auf der Jahresversammlung der Sportjournalisten einbringen würde? Viel Hoffnung habe ich nicht. Nein, keineswegs, weil die Kollegen von heute „schlechter" wären als wir, sondern weil die Verhältnisse solche „Werbung" gar nicht zulassen.

Vor kurzem hat sich ein bekannter Berliner Sportfunktionär - Hasso Hettrich von der renommierten BSG des Berliner Wohnungsbaukombinats - hingesetzt und seine Erinnerungen zu Papier gebracht. Sie sind gedruckt worden und ich zitiere ihn hier ausgiebig, weil ich nicht in den Verdacht geraten will, etwa kluge Ratschläge erteilen zu wollen.

„In der Betriebssportgemeinschaft waren 816 Mitglieder organisiert und eine meiner Hauptaufgaben war, weitere Kombinatsangehörige für das regelmäßige Sporttreiben und auch als BSG-Mitglieder zu gewinnen. Das war nicht so einfach. Wenn ich auf die Baustellen kam und für den Sport werben wollte, musste ich die Strukturen und Abläufe kennen, denn niemand konnte nach meiner Ansprache nach unten steigen und nach einem Fußball fragen.

Deshalb begannen wir damit, Vergleichskämpfe zwischen den einzelnen Taktstraßen und Brigaden zu organisieren."

Wo wäre da eine „Spur in die Zukunft"? Welches Bauunternehmen würde heute gestatten, dass jemand die Bauarbeiter für sportliche Wettkämpfe wirbt? Die Antwort ergibt sich aus der Frage.

Weiter: „Im Fußball gelang uns etwas Einmaliges: Wir bildeten eine Kombinatsliga und darunter eine Kombinatsklasse, sodass sogar um den Aufstieg und gegen den Abstieg gekämpft werden konnte. Es gab auch einen Fair-Play-Pokal. Später wurde noch eine Kombinatsliga im Volleyball eingeführt.

Wer keine Lust zum Fußballspielen hatte, konnte an zwei Wochentagen nach Feierabend in der Halle Rhinstraße turnen.

Man wird es kaum glauben, aber 15 Jahre nach jenem Ereignis, das gern, Wende' genannt wird, gibt es immer noch Mannschaften von ,damals', die bis heute zusammen Fußballspielen."

Auch Hettrich war auf Historiker gestoßen, die jetzt die Vergangenheit „aufarbeiten":

„Andererseits wollen Historiker ihre Sicht jener Zeit verbreiten. So zum Beispiel Prof. Dr. Hinsching, Leiter des Arbeitsbereiches Sportpädagogik und Sportsoziologie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Er gab ein Buch mit dem Titel ,Alltagssport in der DDR' heraus und darin las ich auf der Seite 25: Die ,diktatorische Verfügung über die Bedürfnisse der Menschen war die Folge ihrer politischen Instrumentalisierung1.

In der Schriftenreihe ,Beiträge zur Sportgeschichte’ (14/2001) schrieb auf Seite 40 der ehemalige stellvertretende Staatssekretär für Körperkultur und Sport, Dr. paed. habil. Edelfrid Buggel zu Hinschings Formulierungen und Aussagen anderer Politiker: „Ich vermute vielmehr, dass diese Vertreter des deutschen Sports sich an die Order des damaligen Bundesjustizministers hielten, der auf dem 15. Deutschen Richtertag am 23.9.1991 die Forderung formulierte, ,das SED-Regime zu delegitimieren’, somit auch die Sportbewegung und die Sportwissenschaft der DDR."

Was sollte, frage ich Professor Hinsching, das Bedürfnis der Brigaden, Fußball zu spielen oder zu kegeln, mit Diktatur zu tun haben?

Sollte man nicht begrüßen, wenn es Gesetze gibt, die es zur Pflicht machen, die regelmäßige sportliche Betätigung von Jung und Alt zu unterstutzen?

Ganz konkret: Was hatte es mit Diktatur zu tun, wenn andere und ich Bauarbeiter dafür warben, nach der Arbeit Sport zu treiben?

Ich hatte nie eine Chance, Professor zu werden, aber ich erlaube mir dennoch, Prof. Hinsching mit Nachdruck zu widersprechen und seine Behauptungen üble Lugen zu nennen.

Was war das für eine Stimmung, wenn die Brigaden ihre Sportlerbälle feierten und ihre Fußballsiege oder Niederlagen mit ihren Kollegen und ihren Frauen erörterten.

Mir ist in der Gegenwart noch kein ,Pendler' begegnet, der mir begeistert erzählt hätte, dass man sich dort, wo er jetzt - weitab von zu Hause - einen Job gefunden hat, um Möglichkeiten für ihn bemüht, Sport treiben zu können. Und wer mir darauf antworten wollte, man müsse sich damit abfinden, dass sich die Zeiten geändert haben, dem widerspreche ich nicht. Aber das ist kein hinreichender Grund dafür, immer wieder zu behaupten und zu unterstellen, Sport wäre in der DDR nur auf Befehl des ZK getrieben worden und das einzig und allein, um Medaillen für die DDR zu gewinnen.

Übrigens: In den Arbeiterwohnheimen, in denen viele Ausländer untergebracht waren, führten wir internationale Meisterschaften durch. Mannschaften aus Kuba, Polen, Ungarn und Mocambique nahmen begeistert an unseren Fußball- und Volleyballmeisterschaften teil, und das dürfte auch zur Integration der Gäste beigetragen haben.

Alles in allem wurden jährlich über 800 Veranstaltungen in 20 Sportarten von uns arrangiert.

Dazu gehörten auch die Kombinatsspartakiaden. In den 70er Jahren reichte das Stadion der Berliner Verkehrsbetriebe in der Lichtenberger Siegfriedstraße nicht mehr aus. Wir mussten in das Stadion an der Zachertstraße umziehen.

Das Interesse war so groß, dass bereits im Januar Anmeldungen für die Teilnahme an der Kombinatsspartakiade eingingen - ohne dass wir auch nur ein Flugblatt gedruckt hatten, in dem wir dafür warben.

   

Sportlergruppe am 1. Mai

In der Regel stellte das Wohnungsbaukombinat aus seinem Kultur- und Sozialfonds und aus dem Leitungsfonds - das waren die Kassen, aus denen der Sport gefördert wurde und zwar nach Gesetz - für eine Kombinatsspartakiade rund 15.000 Mark zur Verfügung. Dazu kamen noch Zahlungen für kulturelle Veranstaltungen während der Spartakiaden. Immerhin traten Künstler wie Dean Reed bei uns auf.

Das alles blieb nicht ohne Folgen: Unsere Mitgliederzahlen stiegen kontinuierlich. 1976 waren es bereits 1 312 Mitglieder und zehn Jahre später annähernd 2000. Mehr als 60 Prozent der Mitglieder über 18 Jahren waren Angehörige des Wohnungsbaukombinates.

Entsprechend der Anordnung des Ministerrats der DDR vom 30. November 1972 über die .Wahrnehmung der Verantwortung der Betriebe und staatlichen Leitungen auf dem Gebiet von Körperkultur und Sport' - der Titel klang schön bürokratisch -wurden auch bei uns Sportkommissionen gebildet.

Ihre Hauptaufgabe bestand darin, vorbereitende und koordinierende Maßnahmen für den Sport zu beschließen und einzuleiten. Das half uns sehr, denn allein waren wir gar nicht mehr in der Lage, alle sportlichen Wunsche im Betrieb zu erfüllen. Die etwa 13 000 Beschäftigten des Kombinates hatten in den meisten der mehr als 300 Brigaden einen Sportorganisator oder Sportverantwortlichen gewählt, um dem Interesse am Sport gerecht werden zu können.

Bei uns wurde um der Freude und um der Gesundheit willen Sport getrieben. Ich wurde dafür bezahlt, dass ich diesen Sport organisierte und zwar mit einigem Erfolg.

Wenn jemand andere Wege zu empfehlen hätte, würde ich ihm gern zuhören, aber inzwischen habe ich erlebt, wie Vereinsfunktionäre bei Sponsoren betteln mussten, um ihren Sportbetrieb am Leben zu erhalten, und das kann ich kaum für ein besseres System halten.

Und wenn jemand behauptet, man hätte das alles nur unternommen, um für die DDR zu werben, würde ich ihm antworten, dass solche Werbung schwer zu verurteilen ist. Und das gleiche gilt für das Wohnungsbaukombinat.

Als Bauarbeitersportgemeinschaft verfügten wir über ein Seglerheim, an dessen Stegen in der Köpenicker Wendenschlossstraße private neben volkseigenen Segelbooten vertäut waren. Dort segelten Häuserbauer zu ihrem Vergnügen und Talente, um eines Tages internationale Erfolge zu erringen. Ich erinnere mich zum Beispiel an die spätere Vizeweltmeisterin in der 420er Klasse, Peggy Hardwiger. Es gab ein zweites Seglerheim in der Gemeinde Neue Mühle im Kreis Königs Wusterhausen mit über 25 volkseigenen Booten, und im Kanutenheim Neu-Ahlbeck lagen über 40 Boote, die den Sportlern gehörten.

In Neuenhagen, in einer der Berliner Randgemeinden, gab es eine Reitsporthalle mit 20 Pferden und von Petershagen war schon die Rede. Dort besaßen wir einen Fußballplatz und das Sportlerheim. In Karlshorst konnten unsere Mitglieder auf vier Plätzen Tennis spielen. Ich wiederhole: Tennis. Wiederhole es, weil ich nach 1990 hundertmal gelesen habe, dass die DDR die Sportart Tennis angeblich unterdrückt hat.

Dazu kamen noch Turnhallen in der Wollenbergerstraße und auf dem Gelände des Wohnungsbaukombinates in der Rüdigerstraße. Schließlich wurden wir auch Eigentümer der Anlagen im Stadion „ 1. Mai" in Lichtenberg.

Summa summarum hatten die Objekte einen Wert von 3,8 Millionen Mark. Gerechnet nach den Boden- und den Immobilienpreisen, die in der DDR galten. Ich bin kein Immobilienexperte, würde aber grob schätzen, dass sie heute einen Wert von über 10 Millionen Euro ergeben hätten.

Ich weiß, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung der DDR dennoch für den Beitritt zur BRD, für die Westmark und damit auch für die entsprechenden Preise entschied. Ich respektiere das und komme trotzdem nicht umhin, daran zu erinnern. Manchmal erinnern mich auch andere daran. Ein kubanischer Freund, der uns früher öfter besuchte, fragte mich unlängst: ,Ein Kumpel bezahlte früher 30 DDR-Mark Miete, heute 450 Euro, habt ihr dafür demonstriert?'

Mir fiel keine rechte Antwort ein. Sollte ich ihm mit Sprüchen antworten, die ich im Fernsehen über Kuba höre?

Manchmal fragt man mich, ob denn aber der Hochleistungssport in der DDR nicht zu viel Geld verschlungen habe? Ich kann darauf keine verbindliche Antwort geben, weil wir damit nichts zu tun hatten, aber wenn ich nun lese, wie viel heute für einen Bundesligaspieler bezahlt werden muss und welche Tarife selbst in den unteren Ligen üblich sind, fällt es mir schwer zu glauben, dass die DDR zu viel Geld für den Leistungssport ausgab.

Weil gerade von „Leistung" die Rede ist: Vielleicht sollte man noch einmal erwähnen, dass der Grad der Planerfüllung eines Betriebes Einfluss auf den „Leistungsfonds" hatte und aus diesem Fonds viele Bereiche - auch der Sport - mit finanziert wurden.

Um eine Vorstellung zu vermitteln: Wir erhielten im Jahr 1987 allein aus dem Leistungsfonds 80.000 Mark für den Sport. Wir konnten es uns leisten, in den Sportobjekten bis zu 18 Beschäftigte zu bezahlen und obendrein fast 500.000 Mark jährlich für die Unterhaltung der Objekte auszugeben.

Auch in diesem Fall würde die Frage an einen Baukonzern, wie viel Geld er für den Sport zu zahlen bereit wäre, Gelächter oder Ärgeres auslösen.

Da findet sich also keine Spur in die Zukunft und das zu schreiben, löst augenblicklich den Vorwurf der Nostalgie und die Frage aus: „Willst du etwa die DDR wiederhaben?"

Nein, es geht nicht um Nostalgie, sondern um Realitäten. Hut ab vor den Fleischermeistern und Handwerksbetrieben - und davon gibt es viele -, die Jugendmannschaften Trikots spendieren, vor den Eltern, die nicht nur ihre eigenen Kinder zum nächsten Spiel fahren, sondern auch Kinder mitnehmen, deren Eltern sich solche Fahrten nicht leisten können. Hut ab vor denen, die solche Mannschaften betreuen, eine Cola für jeden spendieren, wenn gewonnen wurde, und zwei Cola, wenn es gilt, über eine Niederlage hinwegzutrösten. Das sind in meinen Augen Symptome der Solidarität und vielleicht ist diese die einzige Spur, die aus der Vergangenheit in die Zukunft führt. Obwohl jetzt auch an die Solidarität appelliert wird, wenn ein Fußballverein in die roten Zahlen geraten ist. Dem zu helfen ist auch löblich, hilft aber kaum, dem Sport für alle zu dienen.

Das ist nun mal die blanke und bittere Wahrheit.


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