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Arno Lange
Leben in der weiterlebenden DDR
„Hallo Professor - ich bin der von der CDU..."
Mit den neunziger Jahren beginnend erlebte ich einen auffälligen Wandel der Inhalte „christliche Politik“ und „CDU“ im Osten der nun zur „Berliner Republik“ vereinigten BRD.
Wurde jetzt die derzeitige Ost-CDU auch nur erwähnt, sprach man von verlogener Haltung, von Verrat seitens dieser Partei und ihrer Mitglieder an der eigenen DDR-Parteigeschichte eines halben Jahrhunderts. Und zwar um so auffälliger und in wachsendem Maße, als die Vereinigungspolitik des Helmut Kohl immer offensichtlicher versagte.
Dieses Werten befremdete und schmerzte mich. Hatte ich doch über mein Leben hin mir wertvolle Freunde und Partner in der DDR-CDU, wußte um ihre Positionen und Moral und dass sie die DDR gleich mir ehrlichen Herzens und ohne Egoismus errichtet und durch großen Arbeitseinsatz mitgetragen hatten. Ich kam bald zu dem Schluss und publizierte hierzu, dass wir üble Geschichtsfälschung und historischen Verrat an Hunderttausenden zulassen, wenn wir die heute staatsoffiziell gewordenen Legenden zu dem Thema Christen, Kirchen und CDU in der DDR unwidersprochen wuchern lassen.
Die CDU ist heute nicht mehr jene christliche und demokratische Partei, die unser Leben in der DDR begleitete, auch bei ihr fand ein brutales Zerschlagen und Enteignen statt:
- Die CDU der DDR erhielt, wie möglichst alles gesellschaftliche Handeln im Osten sonst, Funktionäre aus der BRD-CDU vorgesetzt, einer Partei, die sich im Westen entgegen ihrem Gründungskonsens zur bedeutendsten, das Christliche gezielt und demagogisch missbrauchenden Partei des Großkapitals entwickelt hatte. Bald übernahmen diese Westfunktionäre auch die unzähligen bedeutenden gesellschaftlichen Funktionen, die die CDU der DDR ernst innehatte
Am auffälligsten waren die fremden Regierungschefs über all die Jahre hin für Sachsen und Thüringen, die den großen Einfluss der DDR-CDU schamlos nutzten. Denn für die Entscheidung der Wähler im März 1990 war nicht Liebe zu einem westdeutschen „König Kurt“ ausschlaggebend, sie kannten das wertvolle Wirken der DDR-CDU, hatten das politische Desaster der SED tagtäglich vor Augen und stimmten des halb mit großer Mehrheit für die CDU.
Es gab natürlich auch - wie bei Nicht-CDU-Mitgliedern - das Argument jener vom Blick in den goldenen Westen Geblendeten: Man muß CDU wählen, denn die haben und bringen uns das große Geld ...
- Die Mitglieder der einstigen DDR-CDU kamen bald ins Nachdenken. Denn auffällig wurde der soziale und politische Krieg gegen alles Wertvolle in der DDR und vor allem gegen ihre Intelligenz, die christliche eingeschlossen. Die ostdeutschen Arbeitsplätze mit Qualifikationsansprüchen wurden für westdeutsche Gebildete zweiter und dritter Garnitur, zu Hause längst ohne Aussicht auf Beförderung, beräumt. Fast ausnahmslos waren die Neuen in einem Alter, mit dem man weder in der BRD noch in der DDR Professuren, leitende Staats- oder Direktorenfunktionen erhalten hätte. Mit nicht wenigen solcher Weisen schlagen sich die Bürger im Osten der Berliner Republik bis heute herum.
- Besonders makaber waren die Methoden und Mittel, mit denen solche Wechsel vollzogen wurden Je größer mein Abstand zu jenen Jahren der „Wende“ und je mehr ich mit dem Denken auch Westdeutscher vertraut wurde, frage ich mich: Was würden westdeutsche Hochschullehrer, Chefärzte oder Minister sagen, wenn man deren gezielt in Euphorie versetzten Schreibkräften, Krankenschwestern oder Pförtnern erlauben würde, in schreienden Versammlungen die Arbeitsleistungen, Moral oder Familienverhältnisse ihrer Vorgesetzten zu werten?
- Nicht anders als in der SED gab es auch bei der DDR-CDU ein Beiseitetreten von großen Mitgliedermassen. Man schätzt zumindest um 50 Prozent, eher noch bedeutend mehr. Von größtem Interesse scheint mir jedoch die unterschiedliche Motivation. Bei der SED war es von der großen Enttäuschung durch die von der eigenen Partei in den achtziger Jahren verfolgte Politik und deren Umsetzung bestimmt. Bei der CDU, die doch nun plötzlich zur bedeutendsten und bestimmenden Partei im Osten wurde, waren Enttäuschung und Resignation durch die schnöde Verfälschung der eigenen Parteiziele seitens der die Parteiführung übernehmenden „Westler“ bestimmt. Der große Aderlass dieser zweiten großen Volkspartei der DDR wurde also vom sogenannten demokratischen „Vereinigungsprozess“ unmittelbar bewirkt.
In der zur Partei des Großkapitals gewendeten Ost-CDU werden mit dem beginnenden zweiten Jahrzehnt der missglückten „Einheit“ neue Inhalte politisch bestimmend. So ein Unterschied bis hin zum Gegensatz von Oben und Unten, von Führung und Mitgliedermassen der Partei. So eine unterschiedliche Entwicklung und Handlungsweise, ja Entfremdung zwischen den „christlichen“ Parteien des Ostens und Westens. Ein halbes Jahrhundert andersartiger Politik und gewachsener Beziehungen lässt sich offensichtlich auch nicht durch wortgewaltige Instrukteure verdrängen. In vielen Gemeinde-, auch Kreisparlamenten des Ostens besteht heute eine wertvolle Zusammenarbeit von CDU und PDS. Sie ist oft jener mit der SPD überlegen, die fremd in diese politische Entwicklung kam und kaum weniger an historisch gewachsenem Sektierertum leidet, als andere in der Arbeiterbewegung. Auf Vorschlag von CDU oder PDS, gar nicht so selten auch beider Fraktionen gemeinsam, kandidierte mit Erfolg so mancher Bürgermeister oder auch Landrat - von einer der beiden Parteien kommend und sehr oft als Parteiloser antretend. Das gemeinsame Anliegen war entscheidend es muss im Osten eine Besserung der leidigen sozialen, kulturellen und persönlichen Verhältnisse erreicht werden.
Gegründet auf die gleichen sozialen wie politischen Grundinteressen von Christen und Marxisten dürften sich hier wertvolle Ansätze zu einer tatsächlich neuen Politik der Berliner Republik finden.
Ein Anruf aus einem Städtchen im Thüringer Wald „Hallo Professor, meinen Dank für Ihren Beitrag in ,Neues Deutschland’ vom 2./3. Januar 1992. Sie wissen: ,Aufforderung zum Tanz oder Auf Hohn folgt Spott. Deutschland, deine Intellektuellen’. Mein Name ist Siegfried K. Er wird Ihnen nichts sagen, Sie kannten zu viele solcher Fernstudenten der Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität. Doch war ich damals - Sie wissen, wir gingen ehrlich miteinander um - als CDU-Mitglied und Christ immer in gutem Wettstreit um soziales Wissen mit zwei jüngeren Kultur-Offizieren vom Ministerium des Markus Wolf. Gar nicht so selten mußten Sie Ihr Lehrprogramm ändern. Viel leicht können Sie sich daran erinnern?“
Und er fuhr fort:„Im Übrigen können Sie nun Du zu mir sagen. Infolge der üblen Querelen habe ich die CDU verlassen und bin Mitglied der PDS geworden.“
Jeder ältere Lehrer ist glücklich, wenn sich ein einstiger Schüler seiner erinnert. Wie wohl dann auch jeder über Tage hin grübelt oder Notizen zur einstigen Arbeit prüft, um sich jener seiner Jungen zu erinnern Zumal in solchen sozial wie politisch brisanten Zeiten wie der neunziger Jahre und solchem Inhalt des Mitgeteilten. Siegfried K - wie übrigens zwei andere ehemalige Fernstudenten, der eine zu Hause in Dresden, der andere in Berlin - wurden mir zu werten Partnern eines geistigen Austausches. Briefe, Anrufe, Besuche. Solches baute und baut „junge Alte im Rollstuhl“ wie nun mich, moralisch wie politisch auf. Zumal es immer eingebettet war in das Gesamtverhalten der Ost-Intelligenz und zunehmend auch der westdeutschen. Besonders in das der über Ökonomie, Soziales und zur Kultur arbeitenden Fachkollegen, denen ich über mein Leben hin verbunden war.
Die Jahre seit der „Wende“ lehrten mich aber endgültig zu begreifen, dass das Wesen von politischen Parteien vor allem vom Handeln ihrer Parteiführungen und leider nur selten vom Wollen und dem Einsatz ihrer Mitglieder oder Mitgliedergruppen bestimmt wird. Dem ist unermüdlich zu begegnen - und das gilt für alle demokratischen Parteien. Die Sozialisten der DDR, egal ob Marxisten oder Christen, mussten sich diese harte Wahrheit im Zuge des ersten Jahrzehnts der Einheit schmerzlich an eignen und sich gebesserte Positionen zum Inhalt Partei wie deren Wirken in der Gesellschaft schaffen.
Sie haben nun einen auffälligen
Vorlauf gegenüber anderen. Es gilt ihn zu nutzen.
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