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Dieter Lämpe

Der Weg vom Hochschulabsolventen zum Hilfsarbeiter 

Als hauptamtlicher Mitarbeiter der DDR-Branchengewerkschaft IG Transport- und Nachrichtenwesen absolvierte ich einst die Gewerkschaftshochschule als Diplom-Gesellschaftswissenschaftler. War also, wie man so schön sagt, Akademiker. Nach der Wende erfolgte die Entflechtung dieser Industriegewerkschaft und ich als „alter Eisenbahner“ (gelernter Betriebsschlosser, RAW (Reichsbahnausbesserungswerk) Dresden; letzter Dienstgrad: Reichsbahnhauptrat) war noch geduldeter Mitarbeiter der neuen Noch-DDR-Gewerkschaft IG Eisenbahn. Dann folgte deren „demokratische Vereinnahmung“ durch die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (West). Und wie viele andere wurde ich nicht mehr gebraucht. Soll heißen: ich lernte zum ersten Mal in meinem Leben kennen, was es heißt, arbeitslos zu sein. Mir ging es nun so ähnlich wie dem „älteren, leicht besoffenen Herrn“ Kurt Tucholskys, der zu einer Wahlveranstaltung ging, auf der „Freiheit und Brot“ versprochen wurde. Die Freiheit, wie er sagte, konnte er gleich mitnehmen, auf das Brot musste er noch warten. Die viel gepriesene Freiheit hatte ich auch gleich, Brot zwar auch, aber ich war arbeitslos. Im übertragenen Sinne also erst einmal ohne Brot. Sozusagen brotlos!

Und das - um mit Karl Marx zu sprechen - als „doppelt freier Lohnarbeiter“. Frei von Produktionsmitteln und juristisch frei. Und so konnte ich also frei entscheiden, was ich nun weiter unternehme. Und war in diesem Sinne auf einmal - ohne dass ich es wollte - sozusagen „Unternehmer“ und damit in der neuen Bundesrepublik angekommen. Was nun folgte, war — wie bei jedem Unternehmen - kein ganz einfacher Weg. Und bekanntlich auch kein unbedingt ganz freiwilliger. Aber was soll's?

Als Akademiker bin ich der BRD beigetreten, wenige Monate später war ich eine Art „Umschüler“, dann Hilfsarbeiter und jetzt „vorzeitiger“ Rentner. Aber der Reihe nach. Wie kam es zu dieser „steilen Entwicklung“?

Arbeitslos heißt ja bekanntlich: Kümmere dich um etwas, es hilft dir ja sowieso keiner. Oder anders ausgedrückt: Ich hatte keine Chance, aber nutzen musste ich sie. Gesagt, getan. So begann nach wenigen Monaten eine Weiterbildung zum Sozialmanager/Bildungsreferenten in der aus dem Westen eingereisten „Zukunftswerkstatt Arbeit und Bildung GmbH“. Das war doch schon etwas. Ein Jahr lang „Lohn und Brot“. Diese Zukunftswerkstatt war in vielerlei Hinsicht sehr hilfreich. So konnte ich u. a. die Denk-, Lebens- und Verhaltensweise der „Wessis“ und deren verschiedene Auffassungen zu den Dingen des Lebens etwas näher kennen lernen.

Ich lernte z. B. auch mit dem Ausdruck „ein Stück weit“ umzugehen, in dem ich mich so Woche für Woche und Monat für Monat immer mehr „ein Stück weit“ an die alte BRD annäherte. Ich begriff u. a. auch, dass es jetzt keine „Prämien“ mehr für hervorragende Leistungen an irgendwelchen gesellschaftlichen Ehrentagen, wie z. B. am Internationalen Frauentag für unsere Frauen, mehr gibt, sondern die „Prämien“ jetzt vom mündigen Bürger für diese oder jene Gegenleistung (z. B. Versicherungen) zu berappen sind.

Also, gut und schön, das Jahr „Umschulung“ war vorüber, es gab ein Zertifikat und der Weg führte wieder zum Arbeitsamt. Dort bekam ich dann die Mitteilung, dass ich bei der Arbeitsvermittlung nicht mehr zu den Akademikern zu gehen habe, sondern zu den „Küchenkräften“, „Reinigungspersonal“ und „Übrigen“ usw. Nichts gegen diese Tätigkeiten, sie müssen auch verrichtet werden. Aber ob man dazu einen Hochschulabschluss benötigt, ist schon zweifelhaft. Ich begriff also endgültig: eine Vielzahl von DDR-Biografien werden nicht anerkannt! Das ist nicht gut so, aber es ist so. Und so soll dann zusammenwachsen, was „zusammen gehört“? Die innere Einheit kann doch so wohl schlecht hergestellt werden. Aber man muss sich halt einrichten. Man beginnt, sich anzupassen. So wurde ich vom Akademiker zum Hilfsarbeiter. Der Weg dahin war kunterbunt, mal erfreulicher, mal weniger erfreulich. Es war wie ein „freier Fall“. Und keiner hatte einen Fallschirm zur Verfügung gestellt.

Der Autor (stehend, rechts) erhält das Zertifikat der „Zukunftswerkstatt"

 

Meine „Laufbahn" begann (nach einer kurzen ABM) als Mitarbeiter verschiedener Wach- und Sicherheitsfirmen. Insgesamt habe ich bei vier Firmen dieser Art gedient. Nach kurzer oder längerer Beschäftigung wurde mir dann jeweils gekündigt wegen mangelnder Auftragslage, also „betriebsbedingt“. In einem Fall bekam bei einer Neuausschreibung eine andere Dienstleistungsfirma den Zuschlag und ich wurde wenigstens „übernommen“. Zu guter Letzt gab es eine Kündigung der Firma „Pedus - Service – Sicherheit“, bei der ich als Aufsichtskraft im Deutschen Historischen Museum tätig war, ebenfalls wegen mangelnder Auftragslage. So wurde ich also wieder freiheitlich-demokratisch gezwungen, mich zum fünften Male arbeitslos zu melden.

Überdrüssig ob dieser „Entwicklung“ und der Auswirkungen der ständigen Unsicherheiten des Arbeitsplatzes im Wachgewerbe entschied ich mich für eine einjährige Arbeitslosigkeit mit anschließendem Gang in die vorzeitige Rente. Das Alter hatte ich ja nun - Gott sei Dank - schon, wenn auch nur annähernd. Und so kam es dann auch, wie es kommen musste. Renteneintritt mit 10,2 Prozentpunkten Abzug. Nach über 10 Jahren konnte ich im Jahre 2001 sagen: Ein recht bewegtes Leben als „Neubundi“!

So bin ich also in der neuen Bundesrepublik angekommen und habe mich darin eingerichtet. Was blieb mir eigentlich auch anderes übrig? Obwohl es (in etwa) schon so ist, wie die bekannte Schauspielerin Ursula Karusseit nach der Wende im Interview mit einer nicht unbedeutenden Tageszeitung zwar etwas sarkastisch, aber nicht ganz unzutreffend sagte: „Früher war die Diktatur der Partei, heute herrscht die Diktatur des Geldes, und man fragt sich wirklich, was schlimmer ist." („Neues Deutschland“, 11.3.92)

Um der Gerechtigkeit willen aber noch ein Nachtrag. In der BRD angekommen und darin eingerichtet, hieß für mich andererseits auch, dass ich meinem Hobby „Reisen“ nun uneingeschränkt nachgehen konnte. Ich konnte also sozusagen auch den „Rest der Welt“ kennen lernen, was ja bekanntlich wegen der eingeschränkten Reisefreiheit in der DDR bisher nicht möglich war. Obwohl man natürlich auch noch weiter reisen konnte, als es der leider viel zu früh verstorbene DDR-Kabarettist Jürgen Hart einst in seiner legendären „Sachsen-Hymne“ besang: „... bis nunter nach Bulgarschen, tut er de Welt beschnarchen“. Wer wollte, konnte bis nach Sibirien zum Baikalsee und noch weiter. Oder nach Mittelasien bis an die turkmenische Grenze zum Iran bzw. zu Afghanistan. Für die DDR-Jugend gab es dabei erhebliche Preisvorteile durch staatlich gestützte Reisen beim Jugendreisebüro „Jugendtourist“. Aber - wie gesagt - war und ist das Reisen nun grenzenlos, und das ist auch gut so. Und es gehört nach wie vor zu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen. Ich kann also die Vorzüge der Reisefreiheit voll nutzen und sage mir, es ist nicht alles schlecht, was BRD heißt.

 

NB: Im Band V der Spurensicherung wurde infolge eines Versehens ein Bild abgedruckt, auf dem Dieter Lämpe gar nicht zu sehen ist. Das hier gezeigte Bild ist das richtige!   


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