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Glück und Leid im August 1961

 

Im Auf und Ab der widersprüchlichen DDR-Entwicklung ragt ein Ereignis besonders heraus: der sogenannte „Mauerbau“. Er trennte in einer völlig überraschenden Nacht- und Nebelaktion Ost und West voneinander und griff tief in das persönliche Leben ungezählter Menschen ein. Auch meine Familie war betroffen.

Der „Mauerbau“ war wie eine zweite Geburtsstunde der DDR. Er erfolgte fünf Minuten vor zwölf.

Vor allem in den Sommermonaten 1961 strömten, angelockt durch geschickte Propaganda und materielle Verheißungen - beispielsweise Reisen und eigene Autos -, die DDR-Bürger scharenweise über die offene Grenze nach dem Westen. Es war wie beim Rattenfänger von Hameln. Jeden Tag verließen uns über 2.000 Menschen, darunter viele gut ausgebildete Fachleute, Intelligenzler und zahlreiche Handwerker.

Zwischen welchen Möglichkeiten konnte die Staatsführung der DDR in Abstimmung mit ihren internationalen Bündnispartnern in jenen Tagen wählen?

 Quelle: Privatarchiv Münch

Berlin, Hauptstadt der DDR. Willkommener Besuch für die DDR-Grenzsoldaten am Brandenburger Tor

Entweder: Man ließ alles so weiter laufen, wie es lief. Das hätte die Bundesrepublik zweifellos schon damals als Vorwand für den Versuch der „Wiedervereinigung“ unter ihrer Vorherrschaft genutzt und damit die Gefahr von militärischen Auseinandersetzungen heraufbeschworen, die sehr schnell aus dem kalten in den heißen Weltkrieg führen konnten.

Oder: Die offenen Grenzen mußten sofort dichtgemacht werden.

Und das geschah dann ebenso schnell wie überraschend. Vielleicht will man es nicht wahrhaben, aber die DDR-Obrigkeit hat damals eine fast unglaubliche Meisterleistung in Fragen der Geheimhaltung vollbracht.

Ich hatte für meine Frau, meine Tochter Marlies und mich eine Urlaubsreise nach Kranichfeld in Thüringen erworben; die Abfahrt sollte am 14. August sein. Da erreichte mich am 13. August (einem Sonntag) frühmorgens der Anruf des amtierenden Bezirksbaudirektors Prof. Dr. Erhard Gißke. Inhalt: Sofort zum Bezirksbauamt kommen! Ich war zu dieser Zeit stellvertretender Betriebsleiter und Technischer Leiter des VEB Hochbau Friedrichshain. Der Betriebsleiter hatte bis Montag, 14. August zum Dienstbeginn Urlaub. Also mußte ich ran.

Ich weckte meinen Sohn, der mit dem Fahrrad lossauste und den in der Nähe wohnenden Betriebskraftfahrer holte. Indessen zog ich mich an und war dann in einer halben Stunde zur Stelle. Mein Sohn, der schon im Radio gehört hatte, was los war, fuhr mit und beobachtete vor Ort die angelaufenen Absperrmaßnahmen.

Wie alle Vertreter der Baubetriebe erhielt auch ich die Auflassung, sofort die verfügbaren Verantwortlichen des Betriebes über die Lage zu informieren und Maßnahmen einzuleiten. Unsere Kollegen mußten ab Montag früh - bei Aufrechterhaltung des Baustellenbetriebes - unter Leitung ihrer Bauführer, Meister und Brigadiere mit Gerät und Fahrzeugen an den festgesetzten Stellen im Grenzabschnitt Ostseestraße und Umgebung zur Verfügung stehen.

Über die ständige Telefonbereitschaft des Betriebes erreichte ich die in Frage kommenden Bauleiter, Materialleiter, Magaziner usw. und informierte sie über den geplanten Einsatz. Auch der Parteisekretär des Betriebes und der Gewerkschaftsvorsitzende erschienen alsbald. (Wahrscheinlich wollte man u. a. mir als „Nichtgenossen“ auf die Finger sehen und kontrollieren, ob ich alles richtig organisierte.)

Gegen Abend war das meiste getan, und da dann auch der Betriebsleiter aus Caputh (wo er wohnte und schon vom Urlaub zurück war) herbeigeholt wurde, konnte ich ihm die weitere Leitung der Aktion überlassen.

Ich meldete mich zu meinem wohlverdienten Urlaub ab, und man war so gut, ihn mir nicht zu vermasseln. Heilfroh fuhr ich nach Hause, kam erst einmal zu mir und allmählich zum Bewußtsein dessen, was passiert war und was nun anlief. Mein Sohn kam ebenfalls heim und berichtete von dem, was er gesehen und erlebt hatte. Meine Frau und ich besaßen in Westberlin nur weitläufige Bekannte, und telefonisch konnte man ja noch das Notwendigste veranlassen. Unser Sohn aber hatte seine Braut drüben. Das war bitter.

Trotzdem wurden zunächst einmal die Koffer gepackt, und am nächsten Morgen, also am 14. August, begann die Reise nach Kranichfeld im schönen Thüringen. Der Sohn und unsere zweite Tochter blieben zu Hause. Sie waren beide noch in der Lehre.

Allerdings bekamen wir von unserer Tochter schon am dritten Urlaubstag einen Brief mit der erschütternden Nachricht, daß sich ihr Bruder zu seiner Braut und deren Mutter nach Westberlin durchgeschlagen hatte. Danach war es kein guter Urlaub mehr, denn wir wußten, daß wir unseren Jungen nun lange Zeit nicht wiedersehen würden. Meine schon damals kranke Frau hat diesen Schlag nie überwunden.

Erst nach drei Jahren durfte er uns das erste Mal besuchen. Er kam mit einem Kleinauto und natürlich mit seiner Braut. Große Freude! Dann erzählte er uns, wie er es damals noch über die Grenze geschafft hatte.

Er war nach unserer Abreise am 14. August einfach an einen DDR-Grenzposten herangetreten und hatte erklärt, daß er nach Westberlin wolle, wo er wohne. Da er keinen Ausweis vorweisen konnte, glaubte man ihm nicht. Er wurde festgesetzt, durfte aber wenigstens seine Braut anrufen, „damit sie ihm seinen Westberliner Ausweis bringen könne“ (den er gar nicht besaß). Aber tatsächlich kam die Mutter seiner Braut schon am nächsten Tag zum Grenzkontrollpunkt und brachte ein vorschriftsmäßiges Westberliner Dokument mit Lichtbild usw. Wie die das drüben so schnell fertig bekommen hatten, weiß ich bis heute nicht. Eben ein illegaler Glücksumstand. Unser Junge konnte „rüber“ zu seiner Braut.

Sein Glück, unser Leid ...

Tage nach der Rückkehr aus unserem Urlaub bekam ich „Besuch“. Man warf mir vor, ich hätte nicht genügend auf meinen Sohn aufgepaßt, und er sei nicht legal „ausgereist“. Das stimmte nicht, denn er hatte ja nun - wenn auch einen Tag zu spät -einen gültigen Westberliner Ausweis! Ich bestritt also die „Illegalität“. Man nahm das zur Kenntnis und akzeptierte schließlich den gegebenen Fakt.

Abgesehen von einigen späteren unnötigen Befragungen hatten ich, meine Frau und meine Töchter durch die Ausreise des Sohnes keinerlei Nachteile. Er ebenfalls nicht - er ist in seinem beruflichen und privaten Leben gut vorangekommen.

Aber, daß Deutschland geteilt wurde, fand ich von Anfang an und finde es auch heute nicht gut. Das Leid der Menschen auf beiden Seiten war zu groß. Die Tränen kann keiner zählen.

Obering. Otto Pfeng 


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