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Rentner haben niemals Zeit

(geschrieben 1981 für meine Kraftwerkskollegen)

 

 Die Wahrheit dieser Worte wird jedem Menschen erst dann klar, wenn er selbst in den sogenannten Ruhestand eingetreten ist, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt.

Möglich vielleicht bei Individuen, die schon ihr ganzes bisheriges Leben nur an sich und ihren eignen Bauch gedacht haben, ihr Arbeitsleben lustlos verbrachten, eben als Egoisten lebten und nicht als Menschen unserer Zeit.

Doch nicht bei mir. Schön ist, daß früh um 5 nicht der Wecker klingelt, auch wenn man meist schon wach ist. Aber man kann sich noch mal rumdrehen wie früher nur an den Wochenenden oder im Urlaub. Schön ist, daß man meist in aller Ruhe an den Frühstückstisch gehen kann und ohne Hast den Tag beginnt.

Aber dann kommt schon mein Blick auf den Kalender, und es gibt keinen Wochentag, an dem nicht ein bis drei Termine vermerkt sind. Am Mittwoch z. B., manchmal auch noch Freitag, bin ich ganz sicher im Kraftwerk in der Sauna, Sonnabend früh in der Schwimmhalle Fichtestraße. Das muß man tun, um ein wenig fit zu bleiben. Und wenn ich im Kraftwerk bin, da zieht es mich oft auch an den alten Arbeitsplatz, mal „Guten Tag“ sagen und den Kollektivmitgliedern das Händchen schütteln. Das ist nun mal so - und ich freue mich, wenn alle gesund sind und wenn alles läuft, wie es sich gehört. 23 Jahre Kraftwerk kann man nicht einfach wegwischen, weder aus dem Herzen, noch aus dem Sinn.

Und weiter hat sich mein Leben so eingependelt, daß ich Dienstag und Donnerstag Vormittag im Ratsarchiv der Stadt Görlitz Forschungsarbeiten betreibe mit dem Ziel, als langjähriges Mitglied der Kreisgeschichtskommission an der Fertigstellung einer Chronik der Geschichte der Görlitzer Arbeiterbewegung mitzuwirken. Diese Chronik soll in drei Teilen gedruckt erscheinen. Das ist eine Aufgabe von Jahren, die ehrenamtlich gelöst wird.1 Doch oft ergeben sich offene Fragen, die manche Wege und Befragungen erfordern, weil Unterlagen im Archiv unvollständig oder überhaupt keine Angaben vorhanden sind. So war ich z. B. allein bei vier alten Genossen, um über den Baubeginn und die Fertigstellung des vom Arbeiterschwimmverein Görlitz selbstgeschaffenen Helenenbades Klarheit zu gewinnen. Da war ganz schnell mehr als ein halber Tag weg. Schön war es für mich als „Jungrentner“, dabei noch älteren Genossen zu begegnen, die mir in den zwanziger Jahren im Arbeiterschwimmverein Görlitz als Schwimmtrainer zur Seite standen. Solche Begegnungen geben viel Freude und immer wieder neuen Auftrieb, gesellschaftliche Arbeit zu leisten. Obwohl meine beiden daheim, Frau und Tochter, manchmal schimpfen und sagen: „Schlag dein Büro woanders auf!“ - Das stört mich wenig, es ist ja für eine gute Sache. Wenn ich daheim bin, arbeite ich nämlich alles Notierte und Erfahrene auf, schreibe es mit Maschine und brauche natürlich das Wohnzimmer dazu.

Hin und wieder werde ich auch als Kreisvorstandsmitglied des Kulturbundes/ Heimatgeschichte gefordert, z. B. zu einer DDR-offenen Tagung der Ortschronisten im Oktober 1981 und anderen Veranstaltungen.

Na, und letzten Endes gibt es allerhand im Garten zu tun, und auch im Haushalt hat man mir mehr Aufgaben aufgehalst als vorher. Aber das ist normal, meine ich. Darüber gibt es keine Diskussion.

Zusammenfassend möchte ich meinen lieben ehemaligen Kollegen des Kraftwerkkollektivs sagen: Es ist schon eine Umstellung ins Rentnerdasein; am besten geht es, wenn man Aufgaben hat, die einen fordern, damit man sich nicht überflüssig vorkommt. Ich hoffe jedenfalls, das wird bei mir nie sein und wünsche es jedem von euch auch, wenn es so weit ist.

Und in diesem Sinne stimmt dann auch die Überschrift dieses kleinen Beitrages: „Rentner haben niemals Zeit!“

Erich Kocksch


1 ... und bis 1989 auch vollständig gelöst wurde (d. Aut.)


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