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Unser
Polier Jordan
(Magdeburg)
Im Frühjahr 1953 hatte ich vorzeitig meine Maurerlehre im KWU-Baubetrieb Magdeburg abgeschlossen. Meine erste Gesellen-Baustelle wurde der Bau einer Sendeanlage auf den Frohser Bergen zwischen Magdeburg und Schönebeck. Obwohl ich erst 17 Jahre alt war, wählte mich meine Brigade zum Gewerkschaftsvertrauensmann. Das schien etwas verwunderlich, denn sie bestand aus 24 Alt-Gesellen, die Krieg und Gefangenschaft hinter sich hatten. Unser Polier Jordan aus Colbitz war ein alter, erfahrener Bauleiter und Betonierer, der seine Meriten beim Autobahnbau und am Schiffshebewerk gewonnen hatte und großen Respekt genoß.
Irgendwann mußte ich an einer gewerkschaftlichen Anleitung in der Betriebszentrale Seestraße teilnehmen. Dort wurde uns vom BGL-Vorsitzenden Walter Reinhold erklärt, daß wir unsere Normen am besten freiwillig um mindestens 5% erhöhen müßten, weil sonst kein Sozialismus möglich würde. Dabei waren unsere Stundenlöhne schon sehr niedrig (unter 2 Mark, in Westberlin aber 7 DM für Putzer) und auch die Normen sehr hoch (für Mauerwerk z. B. 1 Kubikmeter = 400 Steine für 4 Leistungsstunden). Als Ausweg wurden sowjetische Methoden angepriesen, z. B. Mauern mit Schaufel und Ecklehren usw. Diese Forderungen hatte ich meiner Brigade zu erläutern, was ich auch tat und natürlich Stürme der Entrüstung erntete, so daß ich Schutz beim Polier suchen mußte. Der beruhigte die Gemüter mit dem Hinweis, daß ja alles freiwillig sein sollte. Also ging die Arbeit planmäßig weiter. Das Fundament für den Sendeturm wurde eingeschalt in den Maßen 6 mal 6 mal 3 Meter.
Am 17. Juni begann das Betonieren des Fundamentes mit einem eigenen Mischer vor Ort. Das mußte ohne Pause durchgezogen werden. Am Mittag kam unsere „Budenfee" vom Einkauf in Westerhüsen und berichtete aufgeregt, daß alle großen Werke in Westerhüsen streikten und sich auf eine Demonstration vorbereiteten, die meisten Arbeiter seien aber nach Hause gegangen
Von unserem Berg aus sahen wir, daß auf der Hauptstrecke der Eisenbahn kein Zug mehr fuhr und auch zwischen Magdeburg und Schönebeck keine Wagen der Straßenbahnlinie 14 verkehrten. Manche Kollegen tuschelten, was nun zu machen wäre und waren bereit, auch zu streiken, man wollte kein Streikbrecher sein. Einige hatten vor, schlicht nach Hause zu gehen und die nächsten Tage abzuwarten. Das merkte unser Polier und sprach kurz mit mir sowie einigen älteren Kollegen. Dann rief er alle zusammen und erinnerte an unsere Maurerehre, denn das Fundament müsse fertig werden, der Schaden wäre sonst sehr groß. „Außerdem hat das doch keinen Sinn, im Sozialismus zu streiken, gegen wen wollen wir denn streiken?" Seine sachliche Rede machte Eindruck. In den nächsten Tagen wurde weiterbetoniert, und das Fundament war bald mit allen Ankern und Widerlagern fertig.
Nach drei Tagen hatte sich die Lage in Berlin und Magdeburg beruhigt, die Normerhöhungen wurden zurückgenommen. In der Brigade erzählte man vieles über die Ereignisse. Auf der Baustelle am Magdeburger Zentralen Platz hatte man den BGL-Vorsitzenden aufhängen wollen. Uns erschien dies alles ein wenig unwirklich, denn wir hatten wohl als einzige Baustelle des Betriebes durchgearbeitet. Dies wurde nie öffentlich erwähnt oder gewürdigt, es war eben so.
Später wurde ich von meiner Brigade an die Arbeiter- und Bauernfakultät Weimar delegiert, so daß ich den Kontakt zu den Kollegen verlor. Unser Polier Jordan ist mir aber noch heute ein Begriff und, wenn man so will, Vorbild geblieben.
Dr. Heinz Sonntag
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