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Antifaschisten unter Jungarbeiterfäusten

(Magdeburg)

 

Kaum hatte der ideologische Trommelwirbel des RIAS begonnen, folgten auch Tausende Arbeiter aus Magdeburger Schwermaschinenbaubetrieben spontan den Losungen, die aus dem Äther kamen. Die zumeist jungen Anführer, beispielsweise im Thälmannwerk oder im Schwermaschinenbau „Karl Liebknecht", hatten dabei infolge der administrativen Normerhöhungen und anderer bürokratischer Regierungsmaßnahmen leichtes Spiel.

Es waren bittere Erfahrungen, die wir Mitarbeiter der Magdeburger „Volksstimme" im Zeitungshochhaus Bahnhofstraße 17 sammeln mußten. Als Chefredakteur wirkte Karl Jacobi - ein gebürtiger Schwabe, von denen manche behaupten, daß sie „saugrob", aber auch „saugemütlich" sein können. Karl war so einer, und ehemalige Leipziger Journalistikstudenten erzählen noch heute gern von manch stimmungsvollem Weinabend mit ihrem Professor. Aber vor allem war Karl Jacobi ein mutiger, aufrechter Antifaschist, hinter dem bereits ein schwerer Lebensweg lag. In der Weimarer Zeit Journalist der Arbeiterpresse, hatte er danach als Interbrigadist gegen die spanischen Faschisten gekämpft, war später von den Nazis verhaftet, erst wegen „Hochverrat" zum Tode verurteilt und anschließend viele Jahre in KZ und Zuchthäusern gequält worden. „Als ich von meiner Mutter Abschied nahm", so erzahlte er mir einmal, „hatte sie blondes Haar, als ich sie wiedersah, weißes ..."

An jenem Morgen eröffnete unser Chefredakteur betont ruhig das turnusmäßige Redaktionsseminar, obwohl ein erregter Redakteur darauf hinwies, daß im Norden der Stadt ein Demonstrationszug in Richtung Zentrum marschiere. „Das werden die staatlichen Organe schon in Ordnung bringen", meinte er. „Wir lassen uns jedenfalls nicht von unserem Seminar ablenken."

Nach etwa einer Stunde stürzte der Pförtner in den Raum und rief: „Sie stürmen das Hochhaus!" Nun gehörte Karl Jacobi zu den ersten, die nach unten rannten und sich den „Demonstranten" widersetzten. Ich war nur wenige Meter von ihm entfernt und sah, wie ihn junge Arbeiter aus dem Thälmannwerk mit großen Schraubenschlüsseln auf den Kopf schlugen, so daß sein blaues Sommerhemd voller Blut war. Als ichden Prügelnden klarzumachen versuchte, daß der Mann schon genug während der Hitlerzeit erlitten habe und ein „Pfundskerl" sei, erntete ich Fußtritte. Unser Kreisredakteur Reinhold Hoding aus Wolmirstedt - gleichfalls ein bewährter Antifaschist -wurde ebenso zusammengeschlagen, obwohl er sein VVN1-Abzeichen deutlich sichtbar am Revers trug. Er mußte später wegen einer Platzwunde am Kopf im Krankenhaus behandelt werden.

Quelle Privatarchiv H Büttner

 Mißhandlung des Chefredakteurs der Magdeburger „Volksstimme", Karl Jacobi

  Quelle: Magdeburger Stadtjournal Nr 25/26 v. 23 Juni 1995

Leider kamen uns die übrigen Seminarteilnehmer, unter ihnen der Parteisekretär, nicht zu Hilfe. So mußten wir miterleben, wie die gesamte Auflage des eben fertiggedruckten Scholochow-Romans „Der stille Don" auf den Hof geschleppt und verbrannt wurde. Auch das Gebäude war im Nu besetzt. Über unseren Hausfunk wurden die Eindringlinge von den Anführern aufgefordert, nichts zu zerstören, da man nunmehr selbst hier drucken werde. Den Weg in die Telefon- und Funkzentrale hatte ihnen ein BGL-Mitglied gewiesen. Doch dann schrie plötzlich einer von denen: „Die Russen kommen!" - alles flüchtete, und wenig später war Ruhe. Als die Panzer vor der Tür standen, fanden sich sogar einige wieder ein, die sich eingeschlossen hatten - auch unser Parteisekretär, der nun einen Schlosseranzug trug.

Unmittelbar nachdem die „Volksstimme" von der Sowjetarmee besetzt worden war, erschienen ein Politoffizier nebst Dolmetscherin beim Chefredakteur und baten um sofortigen Druck eines Flugblatts. Unser Karl Jacobi sah schlimm aus. Ihm fehlten zwei Zähne, und sein Kopf war verbunden. Aber er hatte das blutbeschmierte Sommerhemd einfach ausgezogen, saß im Netztrikot hinter dem Schreibtisch und gab mir den Auftrag, den beiden zum sowjetischen Stab in die Danzstraße zu folgen. Dort wurde mir im Zimmer eines Generals der handgeschriebene Text zur Verhängung des Ausnahmezustandes in Magdeburg übergeben. Da die Druckereiarbeiter sich dem Streik angeschlossen hatten, stellten einige unserer Redakteure, die früher Schriftsetzer gewesen waren, binnen zwei Stunden Tausende Flugblätter her. Danach fuhren wir mit einem PKW der „Volksstimme" los, um sie unter die Leute zu bringen. Als wir sie auf dem Hasselbachplatz unter die Menge warfen, bemerkten wir drei zerbrochene Gaslaternen, aus denen hohe Flammen schossen.

Unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes mußte ich dem sowjetischen Stab die nächste Ausgabe der „Volksstimme" am späten Abend des 17. Juni 1953 zur Zensur vorlegen, wobei jede „Planübererfüllungsmeldung" gestrichen wurde. Am Nachmittag des 18. Juni übergab mir die Dolmetscherin einen Text, den wir am 19. Juni auf Seite 1 zu veröffentlichen hatten. Darin wurde bekanntgegeben, daß das gegen die beiden Magdeburger Dartsch und Stauch wegen aufrührerischer Handlungen verhängte Todesurteil am 18. Juni vollstreckt worden sei.  

  Quelle: Magdeburger Stadtjournal Nr. 25/26 v. 23 Juni 1995

 

Wenige Tage nach dem 17. Juni fand auf dem Zentralen Platz, einer enttrümmerten Fläche nahe des Domplatzes, eine Kundgebung statt. Obwohl ohne jeden Pomp, war es die eindrucksvollste, die ich je erlebte. Es gab weder Marschsäulen noch bestellte Transparente, dafür aber viele von den Kundgebungsteilnehmern selbst gemalte Losungen, und Hermann Matern sprach von einem LKW-Anhänger aus zu einer kleinen Menschenmenge.

Nach Auffassung bestimmter Historiker habe ich mit diesem Erlebnisbericht meine Pflicht als „Quelle" erfüllt und mich jedes Kommentars zu den Junitagen 1953 zu enthalten. Ich verzichte an dieser Stelle tatsächlich darauf- allerdings nur, weil sehr vieles in den Beiträgen der Mitautoren meiner eigenen Einschätzung entspricht. Statt dessen erlaube ich mir einige Bemerkungen zum „Nachwende"-Umgang mit jenen Ereignissen, die bekanntlich in Magdeburg besonders schwerwiegend waren und mehrere Todesopfer forderten

Alljährlich gedenken Vertreter des „Bundes der Opfer des Stalinismus" vor einer ehemaligen Magdeburger Haftanstalt durch Worte, Blumen und Kränze der toten Demonstranten. Unter diesen befinden sich die von den sowjetischen Truppen verurteilten und standrechtlich erschossenen Alfred Dartsch und Herbert Stauch sowie ein gewisser Ernst Jennrich. Letzterer wurde auf Veranlassung des Obersten Gerichts der DDR zum Tode verurteilt, da man seine Schuld an der Ermordung des Volkspolizisten Georg Gaidzik mittels einer erbeuteten Dienstwaffe als erwiesen ansah.

Beim Sturm auf die Haftanstalt wurden aber auch der VP-Angehörige Gerhard Händler sowie der MfS-Mitarbeiter Hans Waldbach von Demonstranten erschossen. Nach Zeugenaussagen handelte es sich bei einem der Schützen um Alfred Dartsch, der von der Kriminalpolizei nur kurz verhört werden konnte und danach sofort von den eintreffenden sowjetischen Truppen übernommen wurde. Obwohl die Bewaffnung einiger Demonstranten unstrittig ist, wird der Tod von drei weiteren Personen heute ausschließlich auf den Schußwaffeneinsatz der Sowjetarmee zurückgeführt. Folgt man dieser Version, könnte beispielsweise der durch Kopfschuß getötete 17½Jährige hauptamtliche FDJ-Funktionär Horst Prietz eigentlich nur von einem Querschläger getroffen worden sein. Denn nach glaubwürdigen Berichten befand er sich in einer seitlich stehenden Gruppe unbeteiligter Augenzeugen

Laut den amtlichen Krankenhauslisten wurden neben Schußwunden - vorwiegend in den unteren Körperbereichen - auffallend viele Schlagverletzungen am Kopf registriert, darunter auch die Platzwunde unseres Kreisredakteurs Reinhold Höding aus Wolmirstedt.

Während die Stadt Magdeburg die Mordopfer Gaidzik, Händler und Waldbach zu DDR-Zeiten durch Straßennamen ehrte, tilgten die städtischen Nachwendepolitiker diese unverzüglich. Auch die Vertreter des „Bundes der Opfer des Stalinismus" haben weder Blumen noch Worte für diese Toten. Ähnlich verhalten sich jene einflußreichen Massenmedien, die jederzeit bereit sind, die tragischen Ereignisse ohne Rücksicht auf historische Tatsachen für ihre billige Sensationsmache und die weitere Verteufelung der DDR auszuschlachten. Während nach der Sachlage nie Zweifel daran bestehen konnten, daß die standrechtliche Erschießung von Dartsch und Stauch durch sowjetische Truppen2 zu verantworten ist, veranstaltete beispielsweise „stern tv" unter Leitung von Herrn Jauch im Jahre 1995 eine wahre Hexenjagd auf ein Phantom namens „Jung-Siegfried", der angeblich als ehemaliger VP-Angehöriger jene Todesschüsse abgegeben haben soll. Der „Kronzeuge" dafür wirkte vor der Kamera äußerst nervös und verschwand danach wieder in der Versenkung.

Über die erschossenen Volkspolizisten verlor auch Herr Jauch kein Wort, obwohl eigentlich erst diese Morde alles weitere Blutvergießen nach sich gezogen haben.

Helmut Büttner


1 VVN - Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes

2  Nach neuerer Forschung wurden beide durch ein sowjetisches Militärtribunal „wegen Teilnahme an banditischen Handlungen" zum Tod durch Erschießen verurteilt. Aus: Magdeburg 17. Juni 1953 / Hrsg. Magdeburger Museen 1993; seit 1997 liegen auch entsprechende Dokumente der Moskauer Militärhauptstaatsanwaltschaft vor.


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