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Unterwegs in Sachen Gewerkschaft

(Magdeburg)

 

Seinerzeit war ich politischer Mitarbeiter beim Kreisvorstand der IG Metall Magdeburg. Er befand sich in den ehemaligen Räumen der Industrie- und Handelskammer am Alten Markt.

Am 17. Juni 1953 erhielten einige Kollegen kurz nach Dienstbeginn den Auftrag, in verschiedenen Betriebe die Lage zu erkunden. Ich sollte zum Krupp-Gruson-Werk (später VEB Schwermaschinenbau „GeorgiDimitroff“), Magdeburg-Buckau fahren und dort Kontakt mit der BGL1 aufnehmen, die telefonisch nicht erreichbar war. Danach versuchte ich mit der Straßenbahn in Richtung Süden zu gelangen. Es waren viele Leute unterwegs, und sie diskutierten über alles mögliche: Streik ja oder nein; was soll nun werden ...

Die Werktätigen von Schäffer und Budenberg (später MAW und Meßgerätewerk) standen an der Warschauer Straße, während sich zwei große Menschenströme in entgegengesetzte Richtungen bewegten: zum Stadtzentrum und in die Wohngebiete. An der Neuen Straße konnte ich in die Senke am Wasserwerk hinuntersehen, und auch diese war voller Menschen. Danach bog ich in die Karl-Schmidt-Straße ein und erreichte wenig später die Betriebsgewerkschaftsleitung des Krupp-Gruson-Werkes. Auf dem Flur teilte mir der BGL-Vorsitzende mit, daß er von ein paar Leuten als abgesetzt erklärt worden sei und der selbsternannte Betriebsrat Neuwahlen durchführen wolle. Dessen Forderungen deckten sich weitgehend mit der bereits zuvor erfolgten Rücknahme bestimmter Maßnahmen durch die DDR-Regierung, worüber man offenbar noch nicht informiert war. Mit Ausnahme des Stahlwerkes wurde der gesamte Betrieb bestreikt.

Nach meiner Rückkehr in den Kreisvorstand erfolgte die Auswertung der Betriebsbesuche. Auf dem Heimweg sah ich später, wie in manchen öffentlichen Gebäuden gewütet wurde, so u. a. in der FDJ-Bezirksleitung, Otto-v.-Guericke-Straße. Als ich zu Hause das Radio einschaltete, hörte ich, daß zu Besonnenheit und Ruhe aufgerufen wurde. Andere Sender - ganz besonders der RIAS Berlin - forderten zum Boykott aller Maßnahmen der DDR-Regierung auf. Derartige Meldungen und Ratschläge waren sehr konkret und bezogen sich auf Berlin sowie andere Großstädte. Für mich war danach klar, daß es in diesen Zentren Korrespondenten gab, durch die entsprechende Informationen an die Westsender gelangten.

Als ich am nächsten Morgen zu meiner Arbeitsstelle fahren wollte, streikten die Straßenbahner. Im Laufe des Vormittags brachte ein PKW den Bezirksvorsitzenden der IG Metall und mich zur Firma Mackensen (später VEB Förderanlagenbau „7. Oktober" Magdeburg). Dort wurde erst an diesem Tag gestreikt, während die Produktion am 17- Juni normal gelaufen war. Dem BGL-Vorsitzenden hatte man ebenfalls erklärt, daß er von seiner Funktion abgelöst sei. Nun setzten wir uns mit dem nicht von der Belegschaft gewählten „neuen Betriebsrat" an einen Tisch und notierten die Forderungen. Es ging ja vor allem um Zeitgewinn. Nach etwa einer Stunde wurde plötzlich die Tür aufgestoßen, und eine Gruppe bewaffneter Volkspolizisten stürzte in den Raum. Man kontrollierte unsere Ausweise, nahm einige Mitglieder des selbsternannten „Betriebsrates" fest und führte sie ab.

Aus den Fenstern des Verwaltungsgebäudes hatten wir eine gute Sicht in Richtung Großgaserei. Auf dem unbebauten Gelände begann eine Schießerei, und man sah Leute laufen. Nähere Zusammenhänge sind mir nicht bekannt geworden.

Rolf Perke


1 BGL - Betriebsgewerkschaftsleitung


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